Annas Geschichte

      Nr. 1
       



       

      Martin macht müde Männer munter

      „Darf ich ihnen Martin Loge vorstellen? Der neue und hoffentlich tatkräftige Jugendgruppenleiter unserer Gemeinde.“ Pastor Uwe Hallmann deutete auf einen jungen Mann von 22, der neben ihm stand. „Hallo, guten Abend!“ Martin reichte jedem der 8 anwesenden Mitglied des Kirchenvorstandes die Hand. „Vielleicht kannst du uns ja etwas über deinen bisherigen Lebenslauf mitteilen.“ Pastor Hallmann setzte sich an den Kopf des langen Tisches, der im großen Saal des Gemeindehauses stand. „Ja, das kann ich gerne tun.“ begann Martin. „Also, ich bin in Hannover geboren, da wurde ich dann getauft und später auch konfirmiert. Ich habe dann mit 16 eine Ausbildung als Jugendgruppenleiter gemacht. Außerdem habe ich einige Kurse über Theologie besucht, in Hamburg und Lübeck meistens. Dann bin ich nach Braunschweig gezogen. Nebenbei gebe ich noch Gitarrenunterricht. Tja, und jetzt bin ich hier, um mich nützlich zu machen und mit ihnen zusammenzuarbeiten.“ Die Mitglieder des Kirchenvorstandes nickten sich gegenseitig wohlwollend zu. „Und weil das schließlich heute mein Einstand ist, habe ich gedacht, daß ich etwas zu trinken spendiere.“ fügte Martin seinem kleinen Vortrag noch hinzu. „Das ist ja nett!“ entfuhr es Frau Lisbeth Kämmerer, einer kleinen rundlichen Frau Ende 50. „Das finde ich auch.“ Meinte der 30jährige Diakon Christian Spatz. „Ach...“ Martin ging zur Tür des Saals, hinter der er einen Korb mit einigen Flaschen und Pappbechern hervorholte. Alle im Saal bedienten sich dann fröhlich mit Saft, Sekt und was Martin sonst noch so mitgebracht hatte. Während des  lebhaften „Gelages“ stellte der Pastor Martin die anderen vor. „Das ist Frau Kämmerer, sie ist schon lange in unserer Gemeinde tätig als Leiterin der Seniorenkreise.“ Brav schüttelte Martin Frau Kämmerer noch mal die Hand. „Das ist Frau Meyer - Graumüller. Sie leitet den Frauenkreis.“ Martin stand vor einer  griesgrämig dreinschauenden Frau um die 40. „Frau Daniela Meinhard, Herr Hans Klein, Frau Britta Kerber und Herr Peter Folke, unser Finanzausschuß .“ Die vier nickten Martin freundlich zu. „Und, schließlich, Unser Diakon Christian Spatz und sein Frau Anne. Sie sind natürlich nicht im Kirchenvorstand, aber...“ „Hallo.“ Christian Spatz gab Martin die Hand, ebenso seine Frau. „Naja...dann hole ich mir auch mal ein Glas...Wasser.“ Gerade rechtzeitig erinnerte sich Uwe Hallmann daran, daß er keinen Alkohol mehr trinken durfte. „Also sie werden dann unsere Jugendgruppe leiten.“ Sagte Christian Spatz. Martin nickte. „ich hörte schon, daß das Thema in den letzten Monaten ziemlich eingeschlafen ist, seit mein Vorgänger weggezogen ist.“ Martin nahm einen Schluck von seinem Orangensaft. „Das stimmt. Wird Zeit, daß mal wieder ein wenig Schwung hier rein kommt.“ Entgegnete Christian. „Sagen sie, sind sie verheiratet?“ fragte Anna Spatz. „Also Anne!“ rügte Christian sie. „Ach, ist schon in Ordnung. Nein, ich bin nicht verheiratet.“ Martin lächelte. „Erlauben sie mir auch eine Frage: Haben sie Kinder?“ „Ja, einen 5jährigen Jungen, Markus.“ Erwiderte Anne. „Oh, wundervoll.“ „Tja...“ „War nett, sie kennenzulernen. Wir sehen uns sicher noch.“ Meinte Martin und ging zu Pastor Hallmann. „Bestimmt.“ Sagte Christian und sah Martin nach. „Ein sympathischer junger Mann.“ Meinte Anne Spatz zu ihrem Mann. „Ja, das ist er.“ Christians Blicke ruhten noch auf Martin, der mit Uwe Hallmann einige Worte wechselte. „Herr Hallmann, ich muß dann auch gehen, meine Wohnung ist noch nicht ganz in Ordnung, sie wissen, der Umzug und so...“ „Sicher Martin, gehen sie nur. Sie kommen doch morgen in den Erntedankgottesdienst?“ „Natürlich. Um 10 Uhr?“ fragte Martin. „Ja. Danke noch mal für die Getränke.“ Erwiderte Uwe Hallmann. „Also ich verabschiede mich jetzt. War nett sie alle kennenzulernen!“ sagte Martin noch in die Runde, nahm seinen Korb und verließ das Gemeindehaus und fuhr in seine Wohnung.
      „Das war wirklich ein schöner Gottesdienst, Uwe!“ sagte Anne Spatz, als sie mit ihrem Mann aus der Kirche kam. „Danke Anne. Kommt ihr noch ins Gemeindehaus zum gemeinsamen Mittagessen?“ „Natürlich.“ Erwiderte sie. „Wird denn dieser Martin Loge auch da sein?“ wollte Christian wissen. „Ich weiß nicht, aber da kommt er gerade. Martin!“ rief Uwe Hallmann. Martin sah sich um und kam dann zu den dreien. „Ach hallo!“ sagte er. „Wirklich schön, ihr Gottesdienst.“ „Ja, nicht wahr?“ Anne Spatz lächelte ihn an. „Kommen sie noch zum Essen ins Gemeindehaus?“ fragte Christian. „Tja...wenn’s nicht zu lange dauert...“ erwiderte Martin. „Sicher nicht.“ Meinte Pastor Hallmann zuversichtlich. „Na dann, gehen wir mal.“ Sie gingen, vorläufig noch ohne Pastor Hallmann, der noch einige Leute verabschiedete, ins Gemeindehaus. Dort wimmelte es schon von hungrigen Menschen, die sich in der neuen Küche das Essen, bestehend aus einem Braten, Klößen und verschiedenem Gemüse, abholten. „Such du schon einen Platz Schatz, ich bringe dir was mit.“ Sagte Christian zu seiner Frau. „Danke Liebling.“ Sie begab sich in den großen Saal. „Haben sie sich hier schon eingewöhnt?“ fragte Christian Martin. „Naja, ich bin es gewohnt, umzuziehen, sagen wir es mal so.“ erwiderte der. „Wieso das?“ wollte der junge Diakon wissen. „Sind sie schon so oft umgezogen?“ „Wissen sie, ich mache es wie Cher in „Meerjungfrauen küssen besser“: Eine verflossene Liebe, ein neuer Umzug. „Ist das denn nicht sehr teuer und kostenaufwendig?“ „Naja, geht so. Ein bißchen Geld bekomme ich auch von meinen Eltern. Und sonst, nun, öfter mal was neues, verstehen sie?“ Christian nickte. Jetzt bekamen die beiden auch schon ihr Essen. „Eine verflossene Liebe also?“ fragte Christian. „Sind sie jetzt darüber weg?“ „Ja klar“, meinte Martin, „Er war sowieso ein Blödmann. Da ist ihre Frau.“ Christian blieb stehen. Er? Martin war...Jetzt wußte er es. Aber was sollte es. Schnellen Schrittes ging er ihm hinterher, zum Tisch, den seine Frau ausgesucht hatte. „Sieh mal, mein Vater hat Markus vorbeigebracht.“ Anne hob ihren Sohn von ihrem Schoß. „Das ist also ihr Sohn?“ fragte Martin. „Der ist ja wirklich süß.“ Fasziniert sah Martin den kleinen Jungen mit den struppigen Haaren an, der durch den Gemeindesaal wetzte. „Ja, das ist er.“ Murmelte Christian gedankenverloren, während er Martin beobachtete. „Können wir jetzt essen?“ fragte Anne ihren Mann. „Oh ja, natürlich.“ Christian stellte Anne und sich selbst einen Teller hin. Dann nahm er ihr gegenüber Platz, da Markus wiederkam und sich neben seine Mutter setzte. „Sie setzen sich doch mit hierher oder?“ fragte Anne Martin. „Kann ich machen. Darf ich...?“ Martin, mit der Hand an dem Stuhl neben Christian, sah diesen fragend an. „Sicher, sicher.“ murmelte er erneut. „Danke.“ Martin zog den Stuhl zurück und setzte sich. Dann begannen alle zu essen. Ein kauendes Schweigen breitete sich im Saal aus. Martin griff nach dem Salzstreuer auf dem Tisch, genau im selben Moment wie Christian. Ihre Hände berührten sich kurz, doch Christian nahm es genau wahr. „Oh, Entschuldigung.“ Sagte Martin heiter - ahnungslos. „Nehmen sie ruhig zuerst.“ „Nein, danke, eigentlich...will ich doch kein Salz.“ Sagte Christian zögerlich. „Na dann...“
      „Sagen sie, hätten sie Lust, nächste Woche einmal zu uns zum Essen zu kommen?“ fragte Anne nach vollendetem Mahle. „Oh, das ist sehr nett, vielen Dank, aber -“ „Sie können doch nicht ablehnen!“ unterbrach ihn Anne. „Also gut.“ Meinte Martin. „Vielen Dank.“ „Wie wäre es Freitag?“ fragte Anne. „Das paßt mir gut.“ Entgegnete Martin. „Es ist dir doch recht Schatz, oder?“ sprach sie ihren Mann an. „Was? Ja, was immer du meinst.“ Erwiderte er geistesabwesend. „Naja, ich geh dann mal.“ sagte Martin. „Ich will noch etwas für die Jugendgruppe am Mittwoch vorbereitet sein. Es muß gut werden. Es ist schließlich...mein erstes Mal hier.“ Christian sah ihn auf einmal an. „Was sagen sie?“ „Mein erstes Mal. In der Jugendgruppe!“ „Ach so. Ja.“ „Vielleicht kommen sie ja mal vorbei, ich würde mich freuen. Machen sie’s gut, bis dann.“ Martin stand auf und ging. „Ein wirklich netter junger Mann.“ Meinte Anne wieder. „Warum hast du ihn um essen eingeladen?“ wollte Christian auf einmal wissen. „Naja, er ist neu hier, nett, ein Kollege -“ „Na und?“ fuhr er seine Frau an. „Das hast du sonst auch nie gemacht.“ „Aber Liebling, ich habe dich doch gefragt, ob es dir recht ist.“ „Natürlich, nur, damit ich mein Ja auch noch dazugebe.“ Christian blickte mißgestimmt vor sich hin. „Also ehrlich, ich weiß gar nicht, was du hast.“ Anne schüttelte den Kopf.
      „Also hallo, ich bin Martin Loge und ich werde das hier ab heute so leiten, nech? Vielleicht bekomme ich mit der Zeit noch ein paar Helfer, aber im Moment bin ich hier „The one and only“ Master, klar?“ „Alles klar, Meister!“ sagte einer der Jugendlichen, die sich mehr oder weniger zahlreich im Jugendheim versammelt hatten. „Gut...ich habe für heute nichts so spezielles vorbereitet, ich dachte mir nur, ihr erzählt mir und den anderen was über euch und ich erzähle euch was über mich, wenn ihr’s hören wollt.“ „Nee!“ tönte ein anderer junger Mann um die 14. „Ach nein? Dann kannst du ja gleich mal anfangen mit erzählen!“ meinte Martin. „Ohh, muß das sein?“ Martin grinste ihn an. „Na also gut, ich bin Rolf.“ „Rolf, was’n das für’n Asi-Name!“ Zwei Mädchen ungefähr im selben Alter wie Rolf, lachte sich kaputt. „ey ihr, wie heißt ihr zwei hübschen denn?“ wollte Martin sogleich wissen. „Kathrin!“ sagte eine. „Janett.“ Sagte die andere. „So heißt meine Schwester auch.“ meinte Martin. „Echt?“ fragte Janett und schaute kugelrund. „Nein! Haha!“ Alle lachten mit Martin. „Doch, klar, Janett. Sorry!“ Janett sah etwas pikiert und beleidigt drein. Das freute Kathrin, denn irgendwie...vielleicht hatte sie jetzt mehr ein Chance bei diesem attraktiven, charmanten und humorvollen Gruppenleiter in spe. Er sah wirklich gut aus, wellige dunkle Haare, grüne Augen, gut gebaut...Sie seufzte. „Der ist echt blöd.“ Flüsterte Janett ihr zu. „Da hast du recht.“ Freudig lächelte Kathrin in sich hinein. „Wollt ihr denn nun was von mir wissen...?“ Martin sah fragend in die Runde. „Hast du eine Freundin?“ entwich es Kathrin. „Das war ja mal wieder typisch Kathrin!“ grölte einer ihrer Kameraden, woraufhin sie beschämt zu Boden sah. Doch Martin grinste nur, und sagte: „Nein, eine Freundin habe ich nicht, weitere interessante Fragen?“ Daraufhin glühte Kathrins Gesicht wieder vor Freude, und die Beleidigung von eben war vergessen. „Wie alt sind sie?“ fragte ein anderes bebrilltes Mädchen, das interessiert schaute. „22.“ „So alt schon?“ Natürlich war es wieder Kathrin, die diese Bemerkung fallenließ. „Naja, also, daß ich 22 bin heißt ja nicht, daß ich schon klinisch tot wäre oder sowas.“ Alle schmunzelten. „Nein, ich dachte ja auch nur -“ Kathrin kam nicht weit. „Was machen wir nächstes Mal?“ wollte Rolf wissen. „Tja, das weiß ich noch nicht, aber ihr könntet mir ja mal sagen, was ihr gerne machen wollt.“ Sagte Martin. „Eis essen gehen.“ „Ins Kino.“ „Schlittschuhlaufen in der Eishalle.“ „Schlafen.“ Kamen die Vorschläge. „Naja, Kino ist wohl ‘n bißchen dröge.“ Meinte Martin. „Aber was haltet ihr...von einem Besuch im Planetarium?“ „Boah, das is cool, da war ich schon öfter.“ Meinte Tim, ein rundlicher Junge von 13 Jahren. „Da liegt man im Dunkeln und guckt Sterne an.“ „Was du nich sagst.“ Kommentierte Kathrin. „Also, hättet ihr Lust?“ „Klar.“ „Sicher!“ „Wird bestimmt witzig!“ kam die Resonanz aus der Runde. „OK, ich werde sehen, ob ich das organisieren kann. Ihr könntet mir alle mal eure Telefonnummern geben, dann mach ich so ‘ne Art Telefonkette, damit ihr wißt, wie es läuft. Oder ich schicke euch ‘nen Zettel zu. Den müßtet ihr dann mitbringen, wegen Erlaubnis der Eltern und so.“ meinte Martin „Am besten schreibt ihr mir eure Adressen auf.“ Er zog einen Zettel und einen Stift aus seiner Tasche, die er bei sich und reichte die Utensilien herum. Nachdem alle auf den Zettel geschrieben hatten, stand Martin auf und sagte: „Tja, und da ich jetzt nichts mehr so geplant hatte, könnten wir ja ein Eis essen gehen...?“ „Jaaa!“ riefen alle begeistert. „Na dann man los!“
      „Ich glaube das ist er, mach du mal auf, Christian.“ Rief Anne Spatz aus der Küche, als es am Freitag abend um 20 Uhr an der Tür klingelte. „OK.“ Beschwingten Schrittes, eilte Christian Spatz zur Tür, um sie zu öffnen. Seine Frau hatte recht behalten: Es war Martin, in einem elegant - modernen Anzug und mit einer Flasche Wein in der Hand. „Guten Abend!“ Martin hielt die Flasche hoch. „Ich habe auch was mitgebracht.“ „Ach, das wäre doch nicht nötig gewesen...“ sagte Christian und nahm die Flasche entgegen. Es war Rotwein. Und das noch teurer italienischer, wie Christian sofort erkannte. „Kommen sie doch bitte herein.“ „Danke.“ Martin ging an ihm vorbei in die Wohnung. Christian witterte den Geruch von Martins Parfum in der Luft. „Sie haben es ja wirklich schön hier.“ Sagte Martin, als er sich die moderne Wohn - und Eßzimmerkombination  ansah. „Danke, wir mögen es auch.“ Christian betrachtete Martins Wimpern. Er hatte wirklich unglaublich lange Wimpern! „Das hätte ich jetzt nicht gedacht!“ Martin sah Christian an. Und diese Augen! Diese braunen Augen sprühten ja geradezu vor Temperament! „Was? Oh ja, das war dumm.“ Sagte Christian und lächelte, in der Hoffnung daß...Oh ja, dieses Lächeln, es war so... bezaubernd, so einnehmend, so... „Ach, hallo Herr Loge!“ Anne kam aus der Küche, noch mit der Schürze um den Körper. „Entschuldigen sie bitte die Aufmachung, aber die brauche ich zum Kochen.“ „Sie sehen auch so hinreißend aus.“ Meinte Martin. „Wissen sie, daß sie ein Schmeichler sind?“ Anne lachte. „Es ist die reine Wahrheit.“ Meinte Martin. „Und wo ist der kleine Markus?“ „Der ist schon im Bett.“ Klinkte sich Christian in das Gespräch ein. „Im Bett, so so.“ Oh, warum mußte er nur immer so etwas...zweideutiges, anzügliches sagen? „Ja, normalerweise geht er nicht so früh schlafen, aber heute hat er so getobt...“ meinte Anne dazu. „Aber genug geredet, ich glaube, das Essen ist fertig. Wie ich sehe, hast du dich um den Wein schon gekümmert.“ „Naja, den hat Herr Loge mitgebracht.“ Erwiderte Christian mit einem Seitenblick auf Martin. „Ach? Wirklich? Wie nett!“ sagte Anne. „Dann setzt euch doch bitte an den Tisch, ich hole das Essen.“ „Soll ich dir helfen?“ fragte Christian höflich. „Nein, es geht schon, danke Liebling.“ Schon war die Frau des Diakons in der Küche verschwunden. „Genau, setzen wir uns doch.“ Sie nahmen am Eßtisch Platz. „Sie waren am Mittwoch ja doch nicht da.“ Meinte Martin. „Ich dachte, sie wollten vielleicht mal vorbeischauen...“ ‘Ich würde mich freuen’ hallte es Christian auf einmal wieder durch den Kopf. „Oh ja, das habe ich ganz vergessen. Das tut mir leid. Ich schaue nächstes Mal vorbei.“ „Da sind wir im Planetarium, wenn ich noch einen zweiten Fahrer finde.“ Sagte Martin. „Ach, haben sie denn keinen?“ fragte Christian interessiert. „Nein, noch nicht, leider, ich weiß ja auch gar nicht, wen ich fragen soll...“ Mit einem anmutigen Augenaufschlag sah Martin den Diakon an. „Ich würde das gerne übernehmen.“ Sagte Christian wie hypnotisiert. „Wirklich?“ fragte Martin freudig überrascht. „Das wäre wirklich total nett.“ In diesem Moment kam Anne mit dem Essen ins Zimmer: Ente mit Rotkohl und Kroketten. „Ach, ich dachte, du hättest unserem Gast vielleicht schon etwas zu trinken angeboten.“ sagte sie, als sie das Essen auf dem Tisch kredenzte. „Oh, das habe ich ganz vergessen.“ Sagte Christian. „Nicht so schlimm.“ Meinte Martin. „Ich hätte sowieso abgelehnt.“ Sie sahen sich an. „Da fällt mir ein, nennen sie mich ruhig Anne.“ „Gerne, ich heiße Martin, wie sie wissen.“ sagte er auffordernd. „Und mich nennen sie bitte auch Christian,...Martin.“ „Mit dem größten Vergnügen.“ erwiderte der Angesprochene. „Darauf müssen wir anstoßen.“ Sagte Anne. „Machst du bitte den Wein auf, Christian?“ „Natürlich Anne.“ Christian tat wie ihm geheißen. Dann füllte er die Gläser. „Also, auf uns und einen schönen Abend!“ Er lächelte.
      „Das war wirklich ein tolles Essen, Anne!“ lobte Martin, als die drei ihr Mahl beendet hatten. „Wie bekommt ihr Frauen das nur immer so toll hin?“ fragte Christian seine Frau. „Naturtalent.“ Erwiderte Anne und grinste. „Naja, ich muß jetzt leider auch gehen.“ Sagte Martin nach einer Weile. „Was, jetzt schon?“ fragte Christian mit einem Unterton, der etwas Enttäuschung zum Vorschein brachte. „Ja, leider, ich muß morgen früh noch mal nach Hannover, meine Eltern haben noch ein paar Sachen für mich aufbewahrt, die will ich abholen.“ Erklärte Martin seinen frühen Abgang. „Könnte ich vielleicht von hier aus ein Taxi rufen?“ „Wieso das, ist ihr Wagen kaputt?“ wollte Anne wissen. „Ja, genau das.“ Entgegnete Martin. „Deswegen kann ich ja auch erst morgen nach Hannover, weil mein Auto dann fertig ist. Ich hatte ein paar kleine Probleme mit der Zündung und so. Und wie das nun mal ist, wenn man sein Auto am Freitag in die Werkstatt bringt...“ „Aber ich bringe sie doch gerne nach Hause!“ bot sich Christian sofort bereitwillig an. „Aber das kann ich doch nicht annehmen...“ sagte Martin daraufhin. Man konnte ihm fast ansehen, daß er das nicht ernst meinte. Wie konnte er es auch ablehnen, von einem gutaussehenden, netten jungen Mann nach Hause kutschiert zu werden? „Doch, doch, Christian macht das sicher gerne.“ Meinte auch Anne. „Das ist wirklich zu nett von ihnen.“ Sagte Martin und schenkte Christian sein schönstes Lächeln. „Dann fahren wir mal.“ Meinte Christian daraufhin. „Gut, war wirklich nett, sie hier zu haben.“ Anne gab Martin zum Abschied die Hand. „Würde mich freuen, sie bald wiederzusehen.“ „Ganz meinerseits.“ Martin drückte ihre Hand. „Und vielen Dank noch mal.“
      „Kommen sie.“ Christian führte Martin im Dunkeln zu seinem Wagen. „Steigen sie ein.“ „Danke.“ Martin stieg in den Kombi ein, den Christian sein eigen nannte. Nachdem auch dieser im Wagen saß, fuhren sie los. Der erste Teil der Fahrt war recht schweigsam, bis auf die Wegbeschreibung von Martin. Christian war auch viel mehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Jetzt erst fiel ihm auf, daß er sich den ganzen Abend lang nur auf Martin konzentriert hatte. Er hatte ja geradezu vor sich hin geschwärmt. Und das verwirrte ihn. „Sie haben wirklich eine tolle Frau.“ Wurde er von Martin aus seinen Gedanken gerissen. „Was? Ach, ja, das habe ich wirklich.“ Christian dachte kurz über den Satz nach. „Sie haben wirklich ein tolle Frau.“ Es stimmte doch, er hatte ein wunderbare Frau, einen bezaubernden Sohn und er liebte beide. Tat er doch oder? Natürlich. Christian lächelte vor sich hin. „Ja, sie ist wirklich toll.“ Schnell hatte er die Gedanken über seine Schwärmerei beiseite geschoben. Darüber war er gar nicht unglücklich. „Und Anne kann sich auch glücklich schätzen, bei so einem Mann wie ihnen.“ Warum sagte Martin bloß immer im unpassendsten Moment die unpassendsten Sachen? Wahrscheinlich dachte er nicht darüber nach, denn woher sollte er wissen, wie es in Christians Kopf gerade in diesem Moment aussah? Er konnte es gar nicht wissen. Also seufzte Christian nur. „Ja, ja.“ Er atmete auf, als Martin endlich auf ein Haus zeigte und sagte: „Dort ist es.“ Christian parkte den Wagen vor dem Haus. „Gut. Dann sehen wir uns ja Mittwoch. Wo treffen wir uns?“ fragte Christian. „Am besten vor dem Jugendheim. Ein Freund von mir leiht uns seinen Van. Er wäre auch gefahren, aber leider...“ Martin lächelte. „Kommen sie um 18 Uhr. Wir sind in der Vorführung um viertel vor sieben. Noch mal vielen Dank, daß sie fahren.“ „Kein Ursache.“ Christian lächelte zurück. „Also dann tschüs!“ Martin stieg aus und schloß die Autotür hinter sich. Christian blieb noch eine Weile im Auto sitzen. Er fuhr erst los, als er im ersten Stock Licht in einem Fenster sah.
       

      Am Mittwoch stand Christian um Punkt 18 Uhr vor dem Jugendheim. Viele Jugendlich standen ebenfalls vor dem Gebäude und beäugten ihn mißtrauisch. Da kam zu Christians Erleichterung auch schon Martin, der sagte: „Hallo, schön, daß sie jetzt auch da sind! Los, Leute, wir müssen!“ Er lotste die 15 Jugendlichen ihn die zwei Vans. „Wir haben nur noch 45 Minuten, um nach Wolfsburg und ins Planetarium zu kommen.“ Sagte er noch zu Christian. „Soll ich vorfahren oder wollen sie?“ „Was?“ Christian hatte ihm gar nicht zugehört. Er hatte ihn nur fasziniert angesehen. „Ob ich vorfahren soll!“ wiederholte Martin. „Ja, ja, machen sie mal.“ „Gut, dann los!“ Die beiden stiegen in die Busse und düsten los. Sie hatten Glück, daß wenig Verkehr war und kamen deshalb pünktlich im Planetarium an. Die Vorführung an dem Tag befaßte sich mit Sternzeichen. Alle Jugendlichen waren sehr interessiert und verhielten sich anständig. Deshalb machte Martin nach der Vorstellung einen Vorschlag: „Wie wäre es, wenn wir noch zu Mc Donalds fahren?“ fragte er. Allgemeine Begeisterung für seinen Vorschlag schlug ihm entgegen. „Sie haben doch nichts dagegen?“ wandte er sich noch an Christian. „Natürlich nicht!“ erwiderte er. Christian konnte sich einfach nicht gegen den Charme des jungen Mannes zur Wehr setzen. Sowas war ihm noch nie passiert! Martin war wohl eben etwas ganz besonders. „Hier oder in Braunschweig?“ „Hier.“ Meinte Christian einfach ohne Überlegung. „Gut, also dann, ab dafür!“ Ein halbe Stunde später saßen alle mampfend und glücklich bei Mc Donalds herum. Christian hatte sich einen schönen Ecktisch gesucht und hielt nun nach Martin Ausschau. Nach einer Weile kam dieser auch mit einem Tablett an den Tisch. „Hier, ich habe ihnen etwas mitgebracht, ich hoffe, sie mögen es.“ Martin stellte Christian einen Doppelcheeseburger, eine große Tüte Pommes Frites und eine Cola hin. „Weil sie so nett waren, und mir geholfen haben.“ „Ist doch nicht der Rede wert.“ Meinte Christian daraufhin. „Danke dafür.“ Die beiden aßen so vor sich hin, bis Martin fragte: „Darf ich ihnen mal eine Frage stellen?“ „Sicher, nur zu.“ Christian schlürfte seine Cola. „Ich hoffe, sie denken jetzt nicht, ich spinne, aber ich möchte wissen, wie sie den Typen dahinten finden.“ Diskret deutete Martin auf einen gutaussehenden Mann, der am Tisch gegenüber saß. „Ich würde sie ja nicht fragen, ich weiß ja, daß sie verheiratet sind und sich nicht für Männer interessieren und so weiter, aber ich möchte ihre Meinung wissen.“ Christian sah Martin erstaunt an. War er etwa an diesem Kerl interessiert? Er sah vorsichtig zu dem anderen Tisch hinüber. Na gut, er sah verhältnismäßig gut aus, aber war das denn alles? Aber warum fand er das so ungewöhnlich und irgendwie nicht besonders gut, daß Martin ihn fragte, wie er einen anderen Mann fand. Es war alles sehr verwirrend. „Nun...Er...ist mir nicht so sympathisch.“ Sagte er. Hatte er das wirklich gesagt? Dieser Mann sah doch ganz nett aus? Oder war es möglich, daß Christian nicht wollte, daß Martin diesen Typen gut fand, weil er... Schnell schob Christian diesen Gedanken beiseite, wie immer. „Ja? Finden sie?“ wollte Martin irgendwie enttäuscht wissen. „Naja, ich -“ „War ja auch ‘ne blöde Frage, entschuldigen sie bitte.“ „Nein, nein, ist schon in Ordnung.“ Dieser Gedanke war einfach nicht immer beiseite zu schieben! Christian sah einmal den Tatsachen ins Auge: Er fand Martin sehr nett, mehr sogar. Mehr konnte er sich noch nicht eingestehen. „Nein, wirklich, ich hätte sie nicht fragen sollen.“ Meinte Martin. „Lassen sie uns fahren, ihre Frau wartet sicher schon auf sie.“ Wie kam Martin gerade auf seine Frau? Er dachte wohl, Christian wäre mit den Gedanken immer nur bei ihr und seinem reizenden Sohn. Aber falsch gedacht! „Gut, fahren wir.“ Sagte Christian nichtsdestotrotz. Also kutschierten die beiden die Jugendlichen wieder zurück. Während der Fahrt nach Braunschweig dachte Christian wieder über einiges nach. Er mußte seine Gefühle erst mal ordnen, was gar nicht so leicht war.
      Was bedeutete Martin für ihn, dieser junge Mann, den er doch erst vor etwas über einer Woche kennengelernt hatte? Er mochte ihn, soviel war klar. Aber was weiter? Das war nicht alles, soviel war sicher. Der Gedanke, daß Martin ihm mehr von Wichtigkeit war als ein normaler Freund? So etwas war ihm vorher noch nie passiert, nicht bei einem Mann. Aber was war so ungewöhnlich daran. Christian fiel ein Sprichwort ein: „Wo die Liebe hinfällt“ Liebe? Nein, konnte das denn sein?
      Nachdem alle Jugendlichen sich auf den Heimweg gemacht hatten, kam Martin zu Christian. „Sind sie zu Fuß gekommen? Ich bringe sie gerne nach Hause, mein Kumpel wird sich den Van sowieso erst morgen abholen.“ „Ja, das wäre sehr nett.“ Stimmte Christian zu. Die beiden stiegen also wieder in den Van und Martin fuhr bis zu Christian nach Hause. „So, da wären wir.“ sagte er. „Ja...“ Christian überlegte kurz, dann fragte er: „Wollen sie nicht noch kurz mit hoch kommen?“ Martin sah Christian prüfend an. „Ja, warum eigentlich nicht.“ Sagte er dann, ohne genau darüber nachzudenken, warum. Sie stiegen aus und gingen zum Haus. Christian schloß die Haustür auf und trat ein. „Anne?“ Er machte das Licht an und betrat das Wohnzimmer. „Sie scheint nicht da zu sein.“ Meinte Martin, der auch im Wohnzimmer stand. „Ja, scheint so.“ Christian stand eine Weile unentschlossen da. „Ach ja, wollen sie irgend etwas trinken? Ein Glas Wein, irgend etwas?“ fragte er dann. „Nein, danke.“ Nein, danke. Was jetzt? „Dann...setzen sie sich doch wenigstens.“ „OK.“ Martin nahm auf dem Sofa Platz. „Kann...kann ich mit ihnen reden?“ wollte Christian zaghaft wissen. „Sicher, worüber denn?“ Jetzt hatte er den Salat. Worüber denn? Er mußte jetzt die Karten auf den Tisch legen, ohne sie sich sozusagen vorher genau angesehen zu haben. Doch seine Gefühle waren stärker als sein Verstand, der immer noch nicht so ganz verstehen wollte, was Sache war. Er faßte sich dennoch ein Herz. Doch zuerst mußte er sich setzen, falls er mittendrin ohnmächtig wurde oder sowas. Also setzte er sich neben Martin. „Ich...muß ihnen etwas sagen...“ „Dann sagen sie es doch.“ Ermunterte Martin ihn. „Das...ist nicht so leicht...“ Christian suchte nach den passenden Worten. „Gut, ich habe mich in sie...verliebt.“ Martins Augen weiteten sich. „Was?“ „Ja, ich kann es nicht anders erklären, ich habe mich in sie verliebt.“ Wenigstens war es jetzt heraus. „Ich...sie müssen sich irren. Denken sie mal nach, sie haben eine tolle Frau, einen Sohn, alles. Sie müssen sich irren.“ Martin schüttelte beständig den Kopf. „Sie können mir nicht sagen, wie meine Gefühle sind, ich kann doch auch nichts dafür.“ Meinte Christian hilflos. Martin sah ihn eine Zeitlang schweigend an. „Und was denken sie sich jetzt?“ Christian wollte etwas sagen, doch Martin kam ihm zuvor. „Hören sie zu, sie sind verheiratet und haben ein Kind, was denken sie, was sie damit erreichen, wenn sie mir das sagen? Es bringt ihnen doch sozusagen gar nichts. Ich weiß es jetzt, na und? Sie müssen ihr Leben so weiterleben wie vorher und ich meines auch oder wie hatten sie sich das vorgestellt?“ Christian zuckte nur kraftlos mit den Schultern. „Ach, ich verstehe, sie haben wahrscheinlich gar nicht darüber nachgedacht. Sie haben, wie man so schön sagt, auf ihr Herz gehört. Na toll.“ Martin sah an die Decke. „Ich...weiß ja auch nicht, was ich jetzt tun soll -“ setzte Christian an. „Sie haben doch nur eine Wahl!“ unterbrach Martin ihn. „Vergessen sie mich und leben sie ihr Leben weiter.“ Martin stand auf. „Ich werde jetzt gehen.“ „Nein! Geh nich, bitte...“ Christian sprang auf und hielt ihn am Arm fest. „Doch, ich werde gehen.“ Martin schüttelte Christian leicht ab und drehte sich um, doch Christian riß ihn am Ärmel herum und zog ihn an sich. Und ohne nachzudenken, küßte er Martin, da er keine andere Möglichkeit sah, ihn am Gehen zu hindern. Plötzlich knackte es im Schloß der Haustür. Martin stieß Christian von sich und sah ihn empört an. Da trat auch schon Anne Spatz in das Zimmer. „Ihr seid wieder da? Hallo Martin!“
      „Hallo.“ Sagte Martin nur, während er Christian weiter wütend ansah. „Ich muß jetzt auch gehen.“ Fügte er hinzu, kälter als ein Gletscher es je sein könnte. „Warte...warten sie, ich bringe sie noch zur Tür.“ sagte Christian schnell. „Ich finde den Weg schon alleine.“ Martin funkelte Christian mit seinen dunklen Augen an. „Auf Wiedersehen, Anne.“ Mit diesen Worten verließ Martin das Zimmer. „Auf Wiedersehen, Martin?!“ Anne sah ihm verwundert nach. „Was ist denn mit dem los?“ Diese Frage hatte sie an ihren Mann gerichtet, doch der war bereits im Schlafzimmer verschwunden.
      In der folgenden Nacht konnte Christian nicht schlafen. Erstens weil er dauernd daran denken mußte, was Martin jetzt wohl von ihm halten würde. Eins war sicher, er war sauer. Zweitens hatte er irgendwie ein schlechtes Gewissen Anne gegenüber, einmal wegen des Kusses und zum anderen wegen seinen Gefühlen. Und drittens war er völlig verwirrt, was seine Gefühle betraf. Eigentlich waren es doch eher seine Gedanken über Moral, Anstand und so weiter, die ihm diese schlaflose Nacht bereiteten. Er mußte dennoch immer wieder an den Kuß denken, der zwar erzwungen, aber trotzdem...schön gewesen war. Das Martin sich so gesträubt hatte, hatte die Sache nur noch interessanter gemacht. Martin wußte wohl einfach nicht, was er für eine Anziehung auf ihn auswirkte. Aber trotzdem war es falsch! Wieder wälzte sich Christian herum. Er war ein verheirateter Mann mit Kind und heterosexuell noch dazu! Das hatte er jedenfalls bis vor einigen Stunden noch gedacht. Aber gefühlt hatte er etwas ganz anderes. Da war sie wieder, diese Sache mit Verstand und Gefühl. Wer von den beiden würde den Kampf gewinnen? Christians Verstand sagte ihm, daß es falsch war, aber die Gefühle waren an diesem Abend einfach stärker gewesen. Und die sagten ihm immer fort: Nimm ihn dir, du willst ihn doch! Christian zog die Augenbrauen zusammen. Er wurde auch das Gedanken nicht los, daß er nichts als ein schäbiger Lügner war.
      Am nächsten Morgen fand Christian nur schwer aus dem Bett. Es war einer der Tage, an dem man besser in der Falle bleibt, dachte er noch. Außerdem hatte er Kopfschmerzen, vom vielen nachdenken. Und dabei war noch nicht einmal viel herausgekommen. Nur, daß er Martin unbedingt wiedersehen wollte, trotz seiner Gewissensbisse. Nur wie sollte er an ihn herankommen? Martins Reaktion von gestern war ziemlich eindeutig gewesen. Aber vielleicht mochte er es nur nicht, überrumpelt zu werden. Christian grübelte also, wie er sich ihm wieder annähern konnte, denn das wollte er unbedingt. Er kam zu dem Schluß, daß die Flucht nach vorn die beste Möglichkeit war. Er mußte ihn in seiner Wohnung aufsuchen. Dies tat er auch, nachdem er einmal im Gemeindehaus vorbeigeschaut hatte. Denn trotz seiner Probleme, gab es noch seine Arbeit. Und bald hatte er wieder die Aufgabe, die Vorkonfirmanden zu unterrichten, obwohl ihm im Moment gar nicht danach zumute war. Martin war ihm wichtiger. Und deswegen stand er auch am frühen Nachmittag mit Herzklopfen vor Martins Wohnungstür und wartete, daß Martin auf sein Klingeln reagierte. Nach einer Weile öffnete Martin die Tür und sah Christian. Sein Gesichtsausdruck wurde starr. „Was wollen sie?“ „Mit dir reden.“ Sagte Christian, so wie er es ja auch vorhatte. „Ich wüßte nicht, worüber wir zu reden hätten.“ Martin wollte die Tür schließen, doch Christian drückte gegen sie. „Bitte.“ Er sah Martin in die Augen. Martin erwiderte kurz den Blick. Dann hielt er die Tür auf. „Danke.“ Christian ging an Martin vorbei in die Wohnung. Martin starrte kurz auf den Flur vor seiner Wohnungstür, bevor er die Tür schloß. „Darf ich mich setzen?“ fragte Christian. Martin antwortete mit einem bejahenden Achselzucken. Christian nahm in einem Sessel Platz. Er sah sich in der Wohnung um. Sie war modern, aber dennoch gemütlich eingerichtet. Er fühlte sich in ihr geborgen und irgendwie...sicher.
       „Schöne Wohnung hast du.“ Sagte er deswegen. „Ich glaube nicht, daß sie hier sind, um mit mir über meine Wohnung zu reden.“ Sagte Martin steif, immer noch ausdrücklich mit dem ‘Sie’ in der Anrede. „Nein, du...sie haben recht.“ Christian räusperte sich. „Ich...ich wollte mich wegen gestern entschuldigen.“ Martin zog die Augenbrauen hoch. „Ist das alles?“ „Nein, ...natürlich nicht.“ Christian sah zu Boden, dann wieder in Martins Augen. „Ich...wollte dich wiedersehen.“ Martin schlug die Augenlider nieder, ohne etwas zu erwidern. „Das...habe ich mir gedacht.“ Sagte er dann doch. Er gewährte Christian wieder einen Blick in seine dunklen Augen. „Und das stört dich...sie nicht?“ „Jetzt können wir uns auch duzen.“ Meinte Martin. „Wen sollte es stören? Ich meine, sieh doch:“ Martin kam zu Christian, hob dessen Hand und berührte den Ehering an seinem Ringfinger. „Du siehst es doch?“ Christian nickte. Es kribbelte in seinem Körper ob Martins Berührung. „Was denkst du, würde deine Frau dazu sagen?“ Christian hob die Schultern. „Sie wäre nicht begeistert.“ Erst jetzt ließ Martin Christians Hand wieder langsam los. „Das von gestern war wirklich dumm von dir. Du hast wie immer nicht nachgedacht.“ „Aber ich mußte es tun!“ entwich es Christian. „Ich wollte nicht, daß du gehst.“ „Und, hat es dir etwas gebracht? Nein.“ Martin lächelte. „Doch.“ Sagte Christian fest. „Ich...habe dich gespürt.“ Martin sah Christian in die blauen Augen. „Es...ist besser, wenn du jetzt gehst.“ Sagte er, nachdem er verstanden hatte, was Christians Blick aussagte. „Das willst du nicht, oder?“ Christian sah zu Martin hoch, der vor ihm stand. „Ich habe keine Wahl.“ Meinte Martin. „Also bitte...“ Er stockte, sein Blick fiel auf Christians Hand, die seine faßte. „Geh jetzt...“ Sein Atem ging schneller. „Und was ist, wenn ich nicht gehe?“ Martin antwortete nicht. Das genügte Christian. Behutsam zog er Martin an sich und legte die Arme um seine Hüfte. Martin sah auf Christian herab und fuhr ihm durch die Haare. Christian lehnte seinen Kopf an Martins Körper. Einen Augenblick lang, der Christian vorkam wie eine Ewigkeit, verharrten sie so. Dann löste sich Martin vorsichtig von ihm. „Dann muß ich dich leider noch einmal rausbitten.“ Martin deutete auf die Tür. Christian stand auf. Er kam Martin näher, bis er seinen Atem spüren konnte. „Bitte mich nicht, zu gehen.“ Er umfaßte ihn. „Bitte mich lieber, zu bleiben.“ Langsam näherte sein Gesicht sich dem Martins. Der schloß die Augen. Christian sah ihn mit zärtlichem Ausdruck an, dann küßte er ihn. Diesmal wehrte sich Martin nicht, so daß Christian seine Lippen genau spüren konnte. Der legte die Arme um Christians Hals. Er drückte Martin fester an sich. Der schob Christian dennoch sanft von sich. Fragend sah Christian ihn an. Ohne etwas zu erwidern, ging Martin durch eine Tür in ein anderes Zimmer. Eine Weile zögerte Christian noch, dann folgte er ihm in den Raum, das Schlafzimmer. Martin stand in  geduldiger Erwartung vor dem Bett. Sie standen sich gegenüber. „Was jetzt?“ brach Christian das Schweigen. „Das...liegt bei dir.“ antwortete Martin kaum hörbar. „Du kannst mich haben, wenn du mich willst.“ Länger wartete Christian nicht. Er ging auf Martin zu und nahm ihn wieder fest ihn die Arme, bevor die beiden auf das Bett sanken. Da war sie endlich, die ersehnte Berührung. Christian spürte Martins heißes Gesicht, seinen schnellen Atem, einfach alles von seinem Körper, als sie miteinander schliefen.
      Christian sah in Martins schimmernde Augen, als er neben ihm lag. Sein Körper war naß und glänzend vor Schweiß. Es war einfach wunderschön, ihn anzusehen. „Du bist so...so hübsch, so...begehrenswert.“ Martin lächelte. „Jemanden begehren heißt nicht, ihn auch zu lieben.“ „Aber ich liebe dich.“ Christian küßte Martin, als ob er ihm die Wahrheit seiner Aussage beweisen wollte. Martin strich über Christians warmes Gesicht und erwiderte seinen Kuß. Dann richtete er sich auf. „Was willst du machen?“ wollte Christian wissen. „Aufstehen.“ Meinte Martin. „Aber wieso?“ fragte Christian weiter. „Schau mal auf die Uhr.“ Christian sah auf den Wecker neben Martins Bett. Der zeigte kurz nach drei. „Fünf nach drei, na und?“ „Solltest du nicht langsam nach Hause gehen?“ Martin sah Christian fragend an. Der überlegte. „Ja, vielleicht sollte ich das, aber ich will nicht.“ „Hm, hm!“ Martin zog Christian die Bettdecke weg. „Es ist mir ernst! Das wir Sex hatten, bedeutet nicht, daß deine Frau verschwindet. Außerdem...wir hätten es nicht tun sollen.“ Plötzliche Reue empfindend drehte Martin sich um. „Tut es dir leid, daß wir miteinander geschlafen haben?“ fragte Christian und holte tief Luft. „Nein...Ja...ich weiß nicht.“ Beschämt blickte er zu Boden. „Ich fühle mich jetzt einfach schlecht. Irgendwie...verdorben. Wer weiß, was wir alles damit kaputt gemacht haben, was für einen Stein wir damit ins Rollen gebracht haben.“ Martin setzte sich wieder auf das Bett. „Wir...sollten es bei diesem einen Mal belassen.“ „Das meinst du nicht ernst.“ Sagte Christian etwas aus der Fassung. „Doch. Irgendwie schon. Ich will deine Ehe nicht kaputtmachen.“ „Aha, darum geht es also.“ Wütend erhob sich Christian aus dem Bett. „Du bist es doch nicht. Letzten Endes war es doch meine Entscheidung.“ „Aber ich war der Grund!“ Mit leicht verzweifeltem Blick schaute er Christian an. „Ich weiß, was ich tue.“ Sagte Christian fest überzeugt. „Ich will nur nicht später schuld sein. Wer würde denn deiner Meinung nach die Schuld bekommen, falls das hier rauskommt? Du bestimmt nicht. Du könntest dich leicht herausreden, es würden ja eh alle glauben, ich, der böse Schwule, habe dich verführt, den liebenden Ehemann und Vater, der völlig unschuldig ist.“ meinte Martin in Rage. „Glaubst du das wirklich?“ rief Christian sauer. „Erstens wird es nicht rauskommen, und zweitens würde ich so etwas niemals erzählen, weil ich dich liebe, wie niemand anderen sonst.“ Christian nahm seine Sachen und stürmte aus dem Zimmer.
      Martin betrat das Wohnzimmer, als Christian sich gerade fertig angezogen hatte. „Es...es tut mir leid.“ Sagte Martin. „Ich hätte das vorhin nicht sagen sollen.“ Christian sah auf. Martins Anblick wirkte wieder so anziehend, daß Christian ihm nicht böse sein konnte. Er wollte ihn, genauso wie zuvor. Er stand auf. „Ja, du hast recht.“ Sagte er trotzdem nur. Er konnte sich aber nicht zurückhalten, er mußte Martin einfach küssen. Am liebsten hätte er gleich wieder mit ihm geschlafen, doch Martin schubste ihn auf sein Sofa. „Gut.“ Er lächelte überlegen. Christian erhob sich erneut, um diesmal zur Tür zu gehen. „Ich bin morgen im Gemeindehaus, was vorbereiten, vielleicht sehen wir uns. Und...Komm doch morgen Abend vorbei, wenn du kannst.“ Sagte Martin. Christian lächelte. Das hatte er gewollt. Er küßte Martin noch einmal lange und zärtlich, bevor er ging.
      „Wo warst du denn so lange?“ fragte Anne Spatz ihren Mann, als der zur Haustür hineinkam. „Im Gemeindehaus.“ Erwiderte der. „Ich mußte noch etwas klären, wegen den Vorkonfirmanden. Und dann war ich noch bei Martin.“ Fügte er wahrheitsgemäß hinzu. „Ja? Wieso?“ Anne stellte eine Kanne Kaffe und zwei Tassen auf den Eßtisch. „Nur so.“ meinte Christian. „Er ist wirklich nett.“ Sagte Anne. „Wir sollten uns wirklich öfter mit ihm treffen. Und falls er irgendwann ml eine Freundin hat, können wir vielleicht zusammen Doppelkopf spielen. Seit Lackmeiers weggezogen sind, haben wir nicht mehr gespielt.“ „Eine gute Idee.“ meinte Christian. „Ich glaube, er hat da mal etwas von einer Freundin erzählt. Ich gehe morgen Abend mal bei ihm vorbei und rede mit ihm darüber.“ Anne nickte. „Du kannst ihn auch mal so wieder mitbringen. Irgendwie bin ich gerne in seiner Gesellschaft.“ „Werd nicht schwach, Anne.“ Christian lächelte in sich hinein. „Ach was.“ Anne grinste. „Und wenn doch, dann wirst du’s gar nicht erfahren.“ „Wie beruhigend.“ sagte Christian. „Wollen wir Kaffee trinken?“ „Eigentlich... habe ich mehr Lust auf was anderes.“ Anne ging auf ihren Mann zu. „Markus ist im Kindergarten...wir sind also ganz allein...“
      Sie küßte Christian. Es war für ihn, als würde ihn seine Schwester küssen. Ihm war klar, was seine Frau wollte. Er wollte schon sagen, daß er nicht in Stimmung sei, da fiel ihm ein, daß sie es dann wohl noch am ehesten bemerken würde, daß etwas nicht stimmte. Schließlich war er bisher immer sehr leidenschaftlich in Bezug auf Sex mit seiner Frau gewesen, bis Martin gekommen war. Also sagte er lieber: „Gut, warum nicht.“ Er hob sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer.
      „Du warst ja letzte Nacht richtig stürmisch.“ sagte Anne zu Christian, als die beiden am nächsten Morgen am Frühstückstisch saßen. „Ja, ich war halt gut drauf.“ Erwiderte Christian und trank einen Schluck Kaffee. Aber wahrscheinlich lag es doch daran, daß er die ganze Zeit an Martin gedacht hatte, letzte Nacht. „Ich muß auch bald los.“ „Papa, Papa!“ Markus kam auf seinen Vater zugerannt. „Na, mein Kleiner?“ Christian wuschelte ihm durch die Haare. „Hast du gut geschlafen?“ „Ja. Darf ich heute bei Daniel übernachten?“ „Nanu! Du willst doch sonst nie von Zuhause weg!“ wunderte sich Anne. „Doch. Jetzt will ich zu Daniel.“ Meinte Markus. „Also gut, ich bringe dich nach dem Kindergarten vorbei.“ Stimmte seine Mutter zu. „Oh toll!“ Markus sprang im Wohnzimmer herum. „Gut, meine Lieben, ich geh jetzt mal.“ Christian stand vom Tisch auf. „Ich esse irgendwo in der Stadt. Ich komme heute Abend irgendwann wieder.“ Er küßte Anne noch auf die Wange, dann verließ er die Wohnung.
      Als er am Gemeindehaus ankam, sah er zu seiner Freude schon Martins Wagen auf dem Parkplatz stehen. Mit schnellen Schritten betrat er das Gebäude. Er hörte aus Pastor Hallmanns Büro Martins Stimme, im Wechsel mit der des Pastors. Er klopfte also an die Tür und trat ein. Drinnen stand Martin am Kopierer und unterhielt sich, wie schon von draußen gehört, mit Uwe Hallmann. „Ach, guten Morgen, Christian.“ Sagte Uwe Hallmann. „Hallo.“ Erwiderte der Angesprochene. Martin nickte ihm lächelnd zu. „Hallo, Herr Spatz.“ „Martin hat mir gerade von ihrem Besuch im Planetarium erzählt.“ Sagte der Pastor. „Ja, es war wirklich gut.“ Meinte Christian, während er Martin beim Kopieren beobachtete. „Es ist gut, wenn dir Jugendgruppe wieder zum Laufen kommt.“ Meinte Uwe. Da betrat eine Frau, die Sekretärin des Pastors, das Zimmer. „Herr Hallmann? Die Jahns sind da, zum Taufgespräch.“ Sagte sie. „OK, Frau Meier, ich komme.“ Er stand von dem Stuhl auf, auf dem er eben noch gesessen hatte. „Wenn sie fertig sind, sagen sie Frau Meier Bescheid, daß sie abschließt.“ „Klar.“ Meinte Martin. Dann verließ der Pastor sein Büro. „Na, wie geht es dir?“ fragte Christian. „Recht gut, und dir?“ „Ebenso.“ Christian sah Martin verliebt an. „Du bist ja da.“ Martin erwiderte nichts. Er lächelte nur. „Willst du heute mit mir in der Stadt was essen gehen?“ fragte Christian deswegen. „Hat Anne da nichts dagegen?“ Martin lehnte sich an den Kopierer und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein, im Gegenteil. Sie mag dich ziemlich gerne.“ Antwortete Christian ihm. „OK, dann kein Problem.“ Martin nickte. „Wohin wolltest du gehen?“ „Ich weiß noch nicht. Irgendwo in der Stadt halt.“ Entgegnete Christian. „OK, treffen wir uns am Parkplatz. Um 12 Uhr?“ wollte Martin wissen. „In Ordnung, 12 Uhr.“ Martin stapelte sein Papier. Als er an Christian vorbeigehen wollte, hielt der ihn fest. „Es bleibt doch bei heute Abend?“ Martins Augen blitzten kurz auf. Dann blinzelte er. „Sicher, wenn du willst.“ „Gar keine Frage.“ Christian sah ihn von oben bis unten an. Dann ging Martin aus dem Raum.
      „Dieser Italiener ist auch nicht mehr das, was er mal war.“ Meinte Christian, als Martin und er aus dem Restaurant „Da Bruno“ kamen. „Ich fand es gar nicht schlecht.“ Meinte Martin hingegen. „Du warst ja wahrscheinlich früher auch noch nie hier.“ „Das ist richtig.“ „Was hältst du noch von einem Eis bei Tiziano im City Point?“ fragte Christian. „OK, dagegen hätte ich nichts einzuwenden. Wenn du bezahlst.“
      Martin grinste. Die beiden gingen also in die Innenstadt, um bei Tiziano ein Eis zu essen. Sie setzten sich nach draußen, um die Leute anzusehen, die am City Point vorbeigingen. Man mußte ja auch die letzten warmen Herbsttage nutzen. Also löffelten die beiden ihr hausgemachtes, italienisches Eis und beobachteten die Menschen, die vorbeieilten. „Was hast du heute noch so vor?“ fragte Christian. „Nicht viel.“ erwiderte Martin und schob sich noch einen Löffel Joghurteis in den Mund. „Ich geh wohl nach Hause und ruh mich ein wenig aus.“ „Ich hab...auch nichts mehr besonderes vor...ich könnte doch mit zu dir -“ Martin schüttelte den Kopf. „Sieben Uhr ist ausgemacht.“ Er sah ihn mit einem frechen Ausdruck an. „Wir wollen es nicht übertreiben.“ „OK.“ Meinte Christian, mit etwas Enttäuschung in seiner Stimme. „Vorfreude ist die schönste Freude.“ Munterte Martin ihn auf. „Da bin ich mir nicht so sicher.“ Christian sah Martin lange an. „Hey, Christian, nett, dich hier zu treffen.“ Die beiden sahen auf. Vor ihnen stand Peter Folke, in dem Martin einen der Finanzausschußler wiedererkannte. „Was machst du hier?“ „Eis essen.“ Erwiderte Christian kurz. „Sag mal, kommst du heute Abend auch? Wir machen eine kleine Skatrunde im Gemeindehaus.“ Peter wandte sich auch an Martin. „Sie können natürlich auch kommen.“ „Skat ist nicht mein Ding.“ Entgegnete Martin. „Ich spiele lieber andere Sachen.“ Er warf einen Seitenblick auf Christian, der sich ein Lächeln verkniff. „Nein, ich kann nicht.“ Sagte er dann zu Peter. „Oh, wirklich schade. Hast wohl was besseres vor, was?“ „Das kann man sagen.“ Erwiderte Christian bedeutungsvoll. „Laß mich raten, romantischer Abend mit Anne?“ Peter grinste. „So ähnlich.“ Christian blinzelte in die Herbstsonne. „Na gut, dann...sehen wir uns sicher bald. Auf Wiedersehen.“ „Tschüs.“ Sagte Christian und sah Peter nach, der im Gewühl der Leute in der Stadt verschwand. „Blödmann.“ Grummelte er. „Ach, der ist bestimmt ganz nett.“ Meinte Martin. „Wie ist das gemeint?“ wollte Christian wissen. „Ach, nur so.“ Plötzlich standen zwei Mädchen vor den beiden am Tisch. Martin erkannte Kathrin und Janett aus der Jugendgruppe. „Hallo Martin!“ sagte Kathrin lächelnd. „Na, wie hat es euch am Mittwoch gefallen?“ fragte Martin. „Total gut.“ Erwiderte Janett. „Was machen wir nächsten Mittwoch?“ „Ich weiß noch nicht.“ Martin zuckte mit den Schultern. „Ich überleg mir was gutes, OK?“ Die beiden Mädchen nickten. „Also, bis dann.“ Sie entfernten sich wieder vom Tisch. „Ich glaube, die beiden mögen dich.“ vermutete Christian. „Kann schon sein. Macht aber nichts.“ erwiderte Martin. „Ich will dann mal gehen.“ Er stand auf. „Wir sehen uns ja noch.“ Ohne ein weiteres Wort verließ er den Tisch und ließ Christian alleine sitzen. Christian sah ihm verwundert nach. Manchmal war er ihm wirklich ein Rätsel.
      Es war Christian ziemlich schwer gefallen, sich die Zeit bis um 19 Uhr zu vertreiben. Er bereitete alle Mögliche vor, räumte sogar sein Büro radikal auf, aber das beschäftigte ihn auch nur zwei Stunden. Dann, endlich, war die Stunde gekommen, in der sie sich wiedersahen, Martin und er. Christian fuhr zu seiner Wohnung und klingelte an der Tür. Aufgeregt trat er von einem Fuß auf den anderen, bis Martin endlich öffnete und er eintreten konnte. Er sah an Martin herunter. Er trug nur ein langes, kariertes Holzfällerhemd. Auch das stand ihm gut. „Da bist du also.“ Martin lächelte. „Ja, endlich.“ Christian erwiderte das Lächeln. Er trat auf ihn zu und nahm ihn die Arme. „Du glaubst gar nicht, wie ich mich danach gesehnt habe.“ Sagte er. „Wonach riechst du?“ fragte er. „Obsession.“ antwortete Martin. „Es ist toll.“ Meinte Christian. „Ich wußte, daß es dir gefällt.“ „Gehen wir?“ fragte Christian. „Wohin denn?“ wollte Martin scheinheilig wissen. „In dein Schlafzimmer.“ „Was wollen wir denn da?“ Martin ließ sich von Christian in den Raum mit dem Bett schieben. „das wirst du schon sehen.“ Christian drückte Martin auf das Bett. „Bin ich dir auch nicht zu schwer?“ wollte er von Martin wissen, der unter ihm lag. „So schwach bin ich nun auch wieder nicht.“ Meinte der. Er ließ sich küssen. Christian öffnete langsam die Knöpfe von Martins Hemd. „Verrat mir mal, was das werden soll...“ Christian antwortete nicht. Er sah Martin nur lange in die Augen. Dann küßten sie sich und als ihre Zungen sich zum ersten Mal berührten, ging ein Kribbeln durch Christians Körper. Martins Atem wurde wilder. „Laß mich nicht länger warten.“ Flüsterte er. „Schlaf mit mir.“ Christian konnte die Erregung in seiner Stimme nicht überhören. Es tat seiner Leidenschaft keinen Abbruch, daß Martin ihn darum bat. Er liebkoste  zärtlich seinen Körper. „Bitte...“ sagte Martin leise. Endlich kam Christian seinem Wunsch nach.
      „Magst du mich?“ fragte Martin Christian, als sie erschöpft nebeneinander lagen. „Ob ich dich mag?“ Christian beugte sich über seinen jungen Liebhaber. „Ich liebe dich.“ Er küßte ihn. „Ich frage mich, wie ich jemals wieder von dir loskommen soll.“ Er kuschelte sich wieder in die Kissen. „Ich bin dir einfach hoffnungslos verfallen.“ „Ehrlich?“ Martin stützte seinen Kopf auf die Hand. „Ich würde es sonst nicht sagen.“ Christian starrte an die Zimmerdecke. „Wie soll es jetzt weitergehen?“ wollte Martin wissen. „Wie meinst du das?“ Christian sah ihn fragend an. „Naja, mit uns und so weiter.“ „Das wir uns wiedersehen ist doch klar oder?“ fragte Christian. „Ich meine so wie jetzt.“ Martin setzte sich auf. „Denkst du nicht, daß Anne das merkt?“ „Denk doch nicht immer an Anne!“ sagte Christian und zog Martin wieder zu sich herunter. „Sie mag dich. Sie denkt, wir sind gute Freunde.“ Martin seufzte und legte seinen Kopf auf Christians Brust. „Es ist ganz schön kompliziert, mit einem verheirateten Mann eine Beziehung zu haben, wenn man die Frau mag und umgekehrt.“ „Wieso? Besser kann es doch gar nicht sein.“ Meinte Christian zuversichtlich. „Sie will übrigens, daß du mal mit ‘deiner Freundin’ zu uns zum Doppelkopf vorbeikommst.“ „Ach ja?“ Martin legte sich auf ihn und küßte ihn. „Und was soll ich ihr sagen, wenn ich alleine auftauche? ‘Entschuldigung, meine Freundin liegt neben ihnen im Ehebett’?“ „Nein, ich glaube nicht.“ Christian strich Martin die Haare aus dem Gesicht. „Es ist schon spät, du solltest jetzt gehen.“ Martin wies mit dem Kopf auf den Wecker, der zehn vor neun zeigte. „Sag doch nicht immer, ich soll gehen.“ Christian brachte Martin durch eine seitlich Rolle unter sich. „Ich habe meiner lieben Frau gesagt, ich komme irgendwann heute abend. Sie sitzt bestimmt auf dem Sofa und guckt irgendeinen schmalzigen Film im Fernsehen.“ „OK, sagen wir, bis halb zehn.“ Meinte Martin. Seine Lippen berührten Christians Mund. „Angenommen, aber diese Zeit müssen wir doch nutzen!“ Christian  zog den beiden die Bettdecke über den Kopf.
      Christian drehte den Schlüssel im Schloß herum und öffnete die Tür zu seinem Haus. Er betrat gleich das Wohnzimmer. Es war so, wie er zu Martin gesagt hatte: Anne lag friedlich auf dem Sofa und sah fern. „Hallo, na, was guckst du?“ fragte er und küßte seine Frau. „Bist du auch wieder da?“ Sie streckte sich. „Ach, ich weiß nicht, wie der Film heißt. Irgendein Schmachtfetzen mit Humphrey Bogart.“ Sie sah ihren Mann an. „Du siehst so...kaputt aus. War’s anstrengend bei der Arbeit?“ „Ja, ziemlich.“ erwiderte Christian. „Deshalb gehe ich jetzt auch schlafen.“ Christian drehte sich um, um ins Schlafzimmer zu gehen. „Ehe ich’s vergesse, kannst du Markus morgen Abend von Daniel abholen?“ fragte Anne. „Er wollte unbedingt bis morgen Abend bleiben.“ „Muß das sein?“ Christian zog die Augenbrauen hoch. „Kannst du das nicht machen?“ „Würde ich, aber ich bin morgen Abend nicht da.“ Erwiderte seine Frau. „Ach?“ Christian sah sie an. „Wo bist du denn?“ „Frau Ziemann aus dem Büro hat Geburtstag und feiert. Es ist etwas außerhalb, sie hat mir angeboten, bei ihr zu übernachten, aber ich kann euch beide doch nicht allein lassen.“ Meinte Anne. „Moment, wieso denn nicht?“ Christian witterte seine Chance. „Naja, ich dachte nur, du willst das nicht, deswegen - “ „Ach, wie kommst du denn darauf!“ unterbrach Christian sie. „Ich komme ganz gut alleine zurecht. Und vielleicht will Markus ja auch bei Oma bleiben über Nacht, dann kann ich mit Peter und den anderen einen Skatabend machen.“ „Ach so!“ Anne grinste. „Darauf läuft das ganze also hinaus. OK, wenn du meinst. Wenn Markus auch bei Oma schlafen will, na gut.“ Christian lächelte erfreut. „Das...ist toll. Wann kommst du denn wieder, am Sonntag, meine ich.“ „Zum Gottesdienst werde ich wohl nicht kommen können.“ Meinte sie. „So um 11, schätze ich.“ Christian nickte zustimmend. „Gut, ich geh dann mal ins Bett. Gute Nacht, Schatz.“
      „Ich will aber nicht bei Oma schlafen!“ Trotzig stampfte Markus mit dem Fuß auf. „Aber wieso denn nicht?“ Christian hockte sich vor seinen Sohn. „Es ist blöd da.“ „Was redest du denn da, du bist doch immer gerne da!“ „Jetzt aber nicht!“ Markus zog beleidigt eine Schnute. Christian mußte sich schon was einfallen lassen. „Hör zu, wenn du heute bei Oma übernachtest, dann gehe ich mit dir morgen ins Kino.“ „Wirklich?“ fragte Markus wieder etwas versöhnt. „Ja, ja, und auch ein Eis essen, aber nur, wenn du bei Oma -“ „Au ja!“ Markus fiel seinem Vater um den Hals. „Sehr gut, dann mal los. Mama bringt dich vorbei.“ Da betrat ‘Mama’ auch schon das Wohnzimmer. „Na, alles klar?“ „Papa geht morgen mit mir ins Kino!“ Rief Markus und lief auf Anne zu. „Wirklich?“ Sie hob ihn hoch. „Ja, ich dachte, das habe ich schon lange nicht mehr gemacht.“ Erklärte Christian. „Gut, ich werde dann mal gehen. Hast du deine Sachen?“ Markus nickte. „Gut. Grüß Peter und die anderen von mir.“ Anne küßte ihren Mann. „Mach’s gut und viel Spaß.“ „Dir auch.“ Christian sah Anne nach, als sie aus der Tür ging, mit Markus an der Hand. Dann wartete er nicht länger, er griff zum Telefonhörer und rief Martin an. Nach schier einer Ewigkeit, nahm Martin ab. „Martin? Hier ist Christian.“ „Hey, nett, daß du anrufst. Was ist los?“ hörte er ihn sagen. „Kann ich vorbeikommen?“ wollte Christian wissen. „Ja, weißt du, das kommt jetzt aber etwas plötzlich.“ Sagte Martin. „Wieso? Kannst du nicht?“ Christian drehte besorgt am Telefonkabel. „Nein, nein, aber was ist mit Anne und -“ wollte Martin fragen. „Das ist geregelt.“ Erwiderte Christian. „OK, dann komm in einer halben Stunde vorbei.“ Christian lächelte. „Ja, mach ich.“ „Bis dann.“ Es knackte in der Leitung und er legte auf. Er konnte es nicht erwarten.
      Genau eine halbe Stunde nach dem Telefonat stand Christian vor Martins Tür. Martin öffnete wie immer. „Komm rein.“ Christian trat ein und schloß die Tür. In Martins Wohnzimmer war alles dunkel, nur Kerzen erleuchteten den Raum. „Wow.“ brachte Christian nur heraus. Leise Musik lief im Hintergrund. „Hast du schon gegessen?“ fragte Martin. „Nein, wieso?“ „Ich habe uns ‘ne Pizza in den Ofen geschoben.“ „Ich bin aber gar nicht hungrig...“ Christian zog Martin n sich und wollte ihn küssen, doch der wand sich schnell aus der Umarmung. „Oh, nein mein Freund! Jetzt wird gegessen!“ Martin verschwand in der Küche und kam mir der Pizza wieder, die er auf den Tisch stellte. „Setz dich.“ Widerwillig folgte Christian dieser Anweisung. „Iß.“ befahl Martin. „Na gut.“ Christian nah  ein Stück von der Pizza und steckte es in den Mund. Sie schmeckte ziemlich gut. Dennoch kam bei ihm kein richtiger Hunger auf. „Ich hab doch Appetit auf was ganz anderes...“ sagte er. „Hör mal, eine Beziehung besteht nicht nur aus Sex!“ Martin biß von seiner Pizza ab. „Erstmal würde ich dich gerne ein bißchen näher kennenlernen. Schließlich möchte ich wissen, mit wem ich da schlafe!“ „Was soll ich dir erzählen?“ fragte Christian unwillig. „Na, wie zum Beispiel...hast du deine Frau kennengelernt?“ „Also, das paßt doch wirklich nicht hierher.“ meinte Christian und schüttelte den Kopf. „Doch! Schließlich ist Anne die Frau, die alle Zeit mit meinem Freund hier verbringen kann! Da will ich doch wissen, was an ihr so besonderes war, daß du sie geheiratet hast.“
      erklärte Martin seine Frage. Christian zögerte. „Ach komm schon, erzähl es mir.“
      Christian seufzte. „Na gut. Und ich dachte schon, es würde ein romantischer Abend werden...“ „Was nicht ist...“ Martin zwinkerte. „Erzähl endlich.“ „OK, also, es war vor...9? 9 Jahren? Ja, ich glaube. Ich war grade eine Woche in München, meine Schwester besuchen. Ich war in der neuen Pinakothek, falls dir das was sagt. Da stand sie dann. Sie sah sich dieses Gemälde an...von...wie hieß das noch...“ „Gedächtnis wie’n Sieb.“ Warf Martin ein. „Also willst du’s jetzt hören?“ Christian sah Martin genervt an. „Bin schon still.“ Er konzentrierte sich auf seine Pizza. „Also wie gesagt, da stand sie also. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich machte von dem guten alten Trick mit der Uhrzeit Gebrauch -“ „Was für’n Trick?“ wollte Martin wissen. „Ich habe sie gefragt, wie spät es ist.“ Christian schüttelte den Kopf. „Denk doch mal nach. Und dann habe ich sie gefragt, ob sie am Abend schon was vorhat. Sie lächelte mich an und sagte: ‘Ja, ich gehe mit ihnen ins Kino’. Da hatte ich also die Reaktion auf meine blöde Anmache. Aber sie hat uns zusammengebracht.“ „Sehr romantisch.“ meinte Martin mampfend. „Äh - du warst doch fertig, oder? Ich wollte dich nicht unterbrechen.“ „Doch, doch. Das war alles.“ Meinte Christian. „Jetzt will ich aber auch was von dem Blödmann hören.“ „Blödmann?“ Martin sah seinen Freund fragend an. „Dein Ex.“ „Ach der!“ Martin schnaubte wütend. „So’n Idiot! Der dachte,  ich wäre zu dumm, um zu merken, daß er mich nach Strich und Faden betrügt.“ „Oh, das tut mir leid.“ Sagte Christian. „Wie gesagt, er war ein Blödmann.“ „Wie hieß er denn?“ wollte sein Freund wissen. „Jürgen.“ Sagte Martin. „Jürgen Blödmeier.“ Er grinste. „So hieß er?“ Martin winkte ab. „Ich hab noch ‘ne Frage: Warum hast du dich gerade in mich verliebt?“ „Das ist dieselbe Frage, wie: Warum ist der Unfall gerade jetzt und gerade dem und dem passiert.“ Erwiderte Christian. „Was für ein Unfall? Wurde jemand verletzt?“ fragte Martin. „Es war doch nur in Beispiel.“ Meinte Christian noch mehr genervt. Martin grinste. „Ach nee!“ Christian grinste zurück. „Willst du noch’n Stück Pizza? Ich hab noch was da!“ Martin zeigte auf die Küche. „Nein, danke. Was gibt’s zum Nachtisch?“ Martin antwortete nicht, sondern kam zu Christian und setzte sich auf seinen Schoß. „Martin. Auf Wunsch auch flambiert. Aber ich glaube, ich bin auch so heiß genug...“ Er küßte ihn. „Das wurde ja auch Zeit.“ Meinte Christian und wollte schon Martins Shirt ausziehen, doch der hielt seine Hände fest. „Noch nicht. Erst will ich...“ Er stand auf. „...Tanzen.“ „Du willst was?“ Christian sah ihn ungläubig an. „Das ist mein Lieblingssong.“ Sagte Martin und lauschte ‘Nightshift’ von den Commodores. „Meiner auch.“ meinte Christian. Martin lächelte ihn an. „Dann komm.“ Er zog ihn von seinem Stuhl. „Ach, komm, das ist doch blöd.“ Martin erwiderte nichts, sondern legte seine Arme um Christians Hals und lehnte seinen Kopf an die Schulter seines Freundes. „Ist es nicht.“ Sagte er noch leise. Langsam bewegten sich die beiden durch das Wohnzimmer. Nach einer Weile kam sich Christian auch nicht mehr albern vor.
      Als auch die letzten Töne des Liedes verklungen waren, ließ Martin Christian los und sich auf den Boden fallen. Er gähnte. „Ich bin so müde.“ Sagte er,  legte sich auf den Fußboden und schloß die Augen. „Willst du jetzt etwa schlafen?“ fragte Christian. „Nein, nein.“ Murmelte sein Freund. „Nur ein bißchen...ausruhen.“ „OK.“ Meinte Christian und legte sich neben ihn. Eine Zeitlang lagen sie so nebeneinander. „Sag mal, wann mußt du denn wieder gehen?“ wollte Martin wissen. „Willst du mich loswerden?“ fragte Christian zurück. „Weißt du...“ Er rollte sich auf seinen Freund. „Ich habe gerade beschlossen, daß ich die ganze Nacht hierbleibe.“ „Na, hör mal!“ Martin richtete sich so ruckartig auf, daß Christian wieder auf den Boden zurückpolterte. „Und was ist mit Anne?“ „Jetzt hältst du mal den Mund.“ Sagte Christian und legte ihm die Hand auf den Mund, um seine Aussage zu bekräftigen. „Anne ist über Nacht weg und Markus schläft bei seiner Oma. Es ist alles geregelt.“
      „Das heißt, wir haben wirklich die ganze Nacht für uns?“ fragte Martin. „Das siehst du richtig.“ Christian nickte. „Also, womit fangen wir an?“ „Ich weiß nicht.“ Martin zuckte mit den Schultern. „Auf was hast du Lust?“ „Auf dich.“ antwortete Christian lächelnd. „Das ist schön.“ Martin erwiderte das Lächeln. „Komm.“ Martin stand auf und zog Christian hoch. „Wir gehen jetzt duschen.“
      „Glaubst du, daß wir uns wieder trennen könnten?“ Christian stützte den Kopf auf die Hand und zupfte am Kopfkissen. „Ja, ich denke schon.“ Erwiderte Martin, der an die Zimmerdecke starrte. „Was? Wie meinst du das?“ fragte Christian überrascht. „Nicht aufregen. Ich meine damit, daß wir uns trennen können, nicht daß wir uns trennen.“ „Also, ich glaube das nicht.“ „Das ist das Problem, Christian.“ Meinte Martin und stützte seinen Kopf ebenfalls auf die Hand und sah Christian an. „Wir dürfen uns nicht zu sehr voneinander abhängig machen. Das würde vielleicht alles kaputtmachen.“ „Was, alles?“ wollte Christian wissen. „Alles eben. Diese Harmonie, deine Ehe -“ „Fängst du wieder damit an?“ fragte Christian gereizt. „Letzten Endes  war es ja meine Entscheidung, daß ich mit dir jetzt hier liege.“ „Du siehst das falsch. Hätte ich es nicht zugelassen, lägest du nicht mit mir, sondern mit deiner Frau im Bett und wärst glücklich.“ „Das glaube ich nicht.“ Christian schüttelte den Kopf. Martin legte sich wieder auf den Rücken. „Es ist alles so kompliziert.“ „Weil du es kompliziert machst.“ „Es ist aber auch nicht so einfach, wie du dir das vorstellst.“ Meinte Martin. „Also, im Moment läuft es doch gut oder? Findest du nicht?“ wollte Christian wissen. „Doch, doch...“ Martin seufzte. „Sei doch nicht immer so negativ.“ Christian strich Martin über das Gesicht. „Unsere Gespräche führen immer irgendwie zu diesem Punkt. Und das gefällt mir nicht.“ „Mir auch nicht.“ Sagte Martin. „Ich finde, wir sollten auch mal was zusammen unternehmen. Anne wir sicher nichts dagegen haben. Wir können auch zu dritt irgendwas machen.“ Meinte Christian. „Tolle Kombination.“ warf Martin ein. „Ein Mann und seine Ehefrau und ein Bekannter des Paares, der gleichzeitig der Geliebte des Mannes ist.“ Sie schwiegen. „Was hättest du getan, wenn ich dich nicht gewollt hätte?“ fragte Christian nach einer Weile. „Ich weiß nicht.“ erwiderte Martin. „Vielleicht wäre ich drüber weggekommen. Aber ich glaube, es ist...“ Er stockte. „Es ist was? Sag es.“ „Ich glaube, es ist...die große Liebe. Du bist der Mann, auf den ich immer gewartet habe.“ „Es ist das erste Mal, daß du das so sagst.“ Christian lächelte. „Und das macht mich glücklich.“ Martin antwortete nicht. „Ich hätte es dir nicht sagen sollen.“ meinte er kurz darauf. „Wieso nicht?“ fragte Christian leicht irritiert. „Es macht uns wahrscheinlich noch abhängiger voneinander. Und das will ich nicht.“ „Das verstehe ich nicht.“ Christian fiel wieder in seinen gereizten Ton. „Ich dachte, du liebst mich.“ „Trotzdem. Wir müssen noch unser eigenes Leben führen. Ich kann das so nicht. Es wäre vielleicht besser, wenn wir uns eine Weile nicht sehen.“ „Was?“ Sein Freund fuhr auf. „Wir haben uns doch erst gefunden.“ „Eben deshalb. Lieber früher als später. Wir sollten beide allein über die neue Situation nachdenken. Es ist eben nicht so einfach, wie gesagt.“ „Wir werden uns sehen. Bei der Arbeit.“ „Das meine ich ja auch nicht. Privat, das meine ich. Versteh mich doch.“ „Nein, daß will ich nicht verstehen.“ Christian stand auf. „Dann geh ich eben jetzt, wenn du mich nicht bei dir haben willst.“ Zu seiner Überraschung hielt Martin ihn nicht zurück. „Ja, das wird besser sein. Wir sehen uns ja noch.“ Christian nahm seine Sachen und zog sich an. Dann verließ er die Wohnung, um in seine eigene zu fahren.
      Als er ankam, war die Wohnung natürlich leer. Und einsam.  Christian legte sich sofort ins Bett. Doch er tat die ganze Nacht kein Auge zu.
      Am nächsten Morgen saß Christian um kurz vor zehn in der Kirche der Gemeinde, zusammen mit einigen anderen Mitgliedern des Kirchenvorstandes. Er sah sich um.
      Da erblickte er auf einmal Martin, als der die Kirche betrat. Er folgte ihm mit den Augen. Es kam ihm sehr merkwürdig vor, Martin in dieser Kirche zu sehen. Er mußte an die Dinge denken, die sie zusammen gemacht hatten. Die Bilder zogen an ihm vorbei. Und jetzt war er hier, in der Kirche. Er sah unschuldig und verführerisch zugleich aus. Martin setzte sich in einen der vorderen Reihen, ohne Christian auch nur einmal anzusehen. Christian sah sich weiter um. Die ganzen Menschen, die das Gotteshaus füllten, wußten nichts von ihm und Martin. Waren sie beide nur elendige Sünder? Er dachte wieder an die Momente, in denen sie so intim gewesen waren. Ein unbehagliches Gefühl beschlich ihn. Er warf einen Blick auf das Kreuz am Altar. Unruhig rutschte er hin und her. Und Martin? Er saß ganz ruhig in der Bank, mit gesenktem Blick. An was dachte er wohl? Fühlte er sich schuldig? Er hatte weniger Grund dafür als Christian. Er war ja nicht nur ein Ehebrecher. Er hatte das Gefühl, daß es Martin war, machte alles noch sündiger. Es war in den Augen der anderen unmoralisch, ruchlos, schlecht. Doch die Augen der anderen sahen die Bilder nicht, die Christian im Kopf herumgingen. Wenn er Martin ansah, begehrte er ihn. Wenn er ihn berührte, empfand er soviel Liebe. Wenn er nicht bei ihm war, vermißte er ihn. Martin hatte recht gehabt: Er war von ihm abhängig. Doch für Christian war es ein wundervolles Gefühl, jemanden so zu begehren und auch zu bekommen, was er begehrte. Christian sah auf. Pastor Hallmann hatte die Kirch betreten und machte sich daran, die Abkündigungen zu verlesen. Der Gottesdienst nahm seinen üblichen Verlauf für Christian. Bis zur Predigt dachte er das zumindest. Als der Pastor die Kanzel betrat, war er wieder in Gedanken versunken. „Was...ist Sünde?“ Christians Augen trafen den Pastor wie ein Dolch. Dann sah er Martin an. Der wandte ihm langsam seinen Blick zu, diesen geliebten Blick, als hätte er geahnt, was Christian dachte. „Was ist Sünde, liebe Gemeindemitglieder, diese Frage haben sie sich sicher auch schon einmal gestellt. Ich möchte heute über die Sündenvorstellung der Bibel und über meine eigene sprechen.“ Sprach Pastor Hallmann von der Kanzel. Christian hatte auf einmal das Gefühl, das nicht weiter ertragen zu können. Er sprang von seinem Platz auf und ging schnellen Schrittes durch die Reihen und unter den Blicken der Menschen aus der Kirche. Martin sah ihm nicht nach. Er ahnte aber auch so, was er dachte. Als er nach draußen trat, schlugen ihm Regentropfen ins Gesicht. Es hatte in kürzester Zeit angefangen zu regnen. Christian schloß die Augen und ließ den Regen auf sich niederprasseln. Alle Gedanken in seinem Kopf schossen durcheinander. Seine anfängliche Unbeschwertheit, mit der er über Martin und sich nachgedacht hatte, war verschwunden. An seinen Gefühlen hatte sich nichts geändert, aber ihm wurde bewußt, daß Martin recht gehabt hatte. Das alles war keinesfalls ein Kinderspiel. Er hatte mehr Probleme, als er gedacht hatte. Was sollte er nur tun? Der Regen vermischte sich mit den Tränen seiner plötzlichen Verzweiflung.
      „Hallo Schatz! Wie siehst du denn aus?“ Anne Spatz stutzte, als sie ihren völlig durchnäßten Mann durch die Wohnungstür kommen sah. „Bist du in den Badesee gefallen?“ Christian erwiderte nichts. Er ging ins Schlafzimmer, trocknete sich ab und zog sich um. „Was ist los?“ Er sah zur Tür. Anne lehnte im Türrahmen. „Nichts. Was sollte sein.“ Er schob sich an ihr vorbei in die Küche. Er nahm die Kaffeekanne und gab etwas von dem Getränk in eine Tasse. „Wo warst du gestern abend? Ich habe angerufen, aber du hast nicht abgenommen.“ Christian sah auf. „Nein?“ „Vorsicht, der Kaffee!“ Sie lief zu ihm und nahm ihm die Kaffeekanne weg. „Ich...ich muß schon geschlafen haben...ich...ich habe den Skatabend nicht gemacht.“ „Was ist bloß los mit dir?“ Anne schüttelte den Kopf. „Ich habe doch Markus extra des wegen zu meiner Mutter geschickt. Ich möchte wirklich wissen, was du hast.“
      „Ich sagte schon, es ist nichts. Ich bin nur etwas unkonzentriert und...sehr müde.“ „Gut, dann solltest du jetzt wohl eine Weile schlafen. Ich werde ein bißchen spazierengehen.“ Sagte Anne kühl. Christian ließ seinen Kaffee stehen und legte sich in sein Bett.
      Martin stand gerade am Kopierer im Gemeindehaus, als er Annes Stimme aus dem Nebenzimmer hörte. Neugierig geworden, trat er aus dem Raum und erstarrte, um besser zu hören, mit wem und was die Frau seines Liebhabers redete. „Das bildest du dir sicher nur ein, Anne.“ Hörte Martin Uwe Hallmann sagen. „Christian ist nicht der Typ dafür.“ „Das habe ich doch auch immer gedacht.“ erwiderte die Gesprächspartnerin mit zitternder Stimme. „Aber er benimmt sich in letzter Zeit so merkwürdig, daß ich es mir nicht anders erklären kann. Zuerst war er nur öfter abends weg, aber gestern war er so seltsam, daß ich wirklich glaube, daß...er mich betrügt.“ Martins Herz klopfte schneller. „Eine andere Frau?“ fragte Pastor Hallmann. „Ja. Es gibt keine andere Alternative.“ Martin holte tief Luft. Eine andere Frau! Das konnte er ja nicht sein. Aber Anne hatte die Veränderungen an Christian bemerkt, die Martin so glücklich gemacht hatten. Er hatte es doch gewußt. Er lauschte weiter. „Warum redest du nicht mit ihm?“ „Ich habe ihm die Chance gegeben, mir zu sagen, was mit ihm ist, aber ich will ihn auch auf keinen Fall falsch verdächtigen. Ich kann es nicht.“ „Soll ich mal mit ihm reden?“ „Ich weiß nicht...Vielleicht warte ich auch erst mal ab.“ Martin hörte Anne seufzen. „Aber danke für das Gespräch, Uwe. Ich melde mich wieder.“ Martin ging schnell zurück in den Kopierraum, bis er Annes Schritte hörte. „Hey, Anne.“ Er trat in den Flur. „Oh, hallo Martin.“ Sagte Anne mit gebrochener Stimme. „Alles in Ordnung mit dir?“ fragte Martin. „Naja, es geht.“ Anne zuckte mit den Schultern. „Willst du...darüber reden? Wenn es etwas gibt, über das du reden könntest.“ „Ehrlich gesagt, ja.“ „Gut, dann komm.“ Martin ging vor in das Zimmer mit dem Kopierer und setzte sich dort an den Tisch. „Setz dich.“ Anne folgte der Aufforderung. „Also, was ist los?“ „Es ist wegen Christian. Ich habe deswegen auch schon mit Uwe gesprochen. Ich weiß ja, es ist blöd, nicht mit ihm zu sprechen, aber ich kann es nicht.“ „Langsam. Sag mir doch erst mal, worum es geht.“ Bat Martin erneut. „Gut.“ Anne holte Luft. „Ich glaube, es gibt da eine andere Frau.“ „Was?“ Martin tat überrascht. „Meinst du wirklich? Das glaube ich nicht.“ „Ich kann es mir aber nicht anders erklären. Er ist so merkwürdig.“ Meinte Anne überzeugt. „Weißt du..., wenn du nicht mit ihm sprechen willst...ich könnte es doch tun.“ Schlug Martin vor. „Ich meine, es geht mich zwar nichts an, aber wir kennen uns jetzt schon ein bißchen, wir arbeiten ein wenig miteinander...“ „Das ist eine gute Idee.“ Stimmte Anne zu. „Ich wollte nicht, daß Uwe das übernimmt...Er...ist ein guter Pastor, aber...“ „Ich verstehe schon.“ Martin lächelte. „Wann soll ich mit ihm reden?“ „Von mir aus gleich. Ich wollte sowieso spazieren gehen. Einen klaren Kopf bekommen und so weiter. Ich wäre dir sehr dankbar.“ „Klare Sache. Dann geh ich mal, ich bin sowieso fertig hier.“ Meinte Martin. „Hier, ich habe Christians Schlüssel da. Du weißt ja, wo du ihn findest.“
      Martin schloß die Wohnungstür auf. Er betrat die Wohnung des Spatz - Ehepaars. Er ging durch das Wohnzimmer, zum Schlafzimmer. Er wußte, daß Anne das nicht gemeint hatte, mit: „Du weißt ja, wo du ihn findest.“ Aber er fand ihn dort. Christian lag schlafend auf dem Ehebett. Martin sah ihn eine Weile nur an. Er sah so friedlich aus. Noch wußte er nicht, was auf ihn zukam. Martin ging leise zu ihm hinüber und setzte sich auf die Bettkante. Er Strich ihm über den Kopf. Christian ließ ein leises Brummen von sich hören. „Hallo.“ Flüsterte Martin und küßte Christian. „Anne...“ Christian öffnete langsam die Augen. Nach ein paar wachen Sekunden, fuhr er auf. „Martin! Was...was tust du denn hier? Wo ist Anne?“ „Sie hat mich geschickt. Ich soll mit dir reden.“ Erklärte Martin. „Aber...wieso?“ „Sie glaubt, daß du sie betrügst?“ „Was?“ Christians Augen weiteten sich. Dann lachte er kurz auf. „Und dafür schickt sie dich. Wie grotesk.“ „Sie glaubt, es ist eine Frau.“ „Was denn auch sonst? Ich und ein Mann!“ Christian lachte wieder. Doch sein Lachen wandelte sich in ein Schluchzen. „Oh, Gott, was ist bloß los mit dir.“ Er schlang seine Arme um Martin. Martin sagte eine Zeitlang nichts. Er hielt ihn nur fest. „Ich wußte nicht, daß es so schlimm ist.“ Sagte er dann. „Du warst doch noch so gut drauf, gestern.“ „Ich weiß doch auch nicht, was los ist. Ich liebe dich, ich will dich, aber es...ich kann es nicht erklären.“ „Ich verstehe es. Erst der große Gefühlstaumel, aber dann die große Verwirrung und die Schuldgefühle.“ Meinte Martin. Glaub mir, ich verstehe nur zu gut.“ „Da bist du mir voraus.“ Sagte Christian, der sich wieder einigermaßen gefangen hatte. „Was sag ich Anne?“ wollte Martin von ihm wissen. „Sag ihr...ich weiß es nicht. Ich weiß nicht.“ „Na, ich laß mir schon was einfallen.“ Martin küßte Christian auf die Stirn. „Es ist gut, daß du über alles mal nachgedacht hast.“ Er stand auf. „Und denk dran: Für mich, bist und bleibst du der einzige, den ich liebe.“
      Als Martin aus der Haustür trat, wäre er beinahe mit Anne zusammengestoßen, die gerade das Haus betreten wollte. „Huch!“ rief sie in ihrer Überraschung. „Und? Hast du...mit ihm gesprochen?“ fragte sie, als sie sich von dem kleinen Schock erholt hatte. „Ja. Du brauchst dir keinen Sorgen machen. Er ist zur Zeit nur etwas neben der Kappe. Er hat ziemlich viel zu tun, weißt du.“ log Martin. „Ja?“ fragte Anne unsicher. „Nur daran hat es gelegen?“ „Also, er meinte, ihm wäre das gar nicht bewußt gewesen, was er mit seinem unbewußten Verhalten bei dir auslöst.“ beruhigte Martin sie. „Er meinte, er würde in nächster Zeit wieder mehr mit dir unternehmen. Schließlich liebt er dich.“ „Das hat er gesagt?“ Annes Gesicht wurde heller. „Ja, das hat er.“ Sie schwiegen sich kurz an, bis Martin schließlich sagte: „Also, ich geh dann mal. Meine Arbeit ist getan.“ „OK, Martin, vielen Dank.“ Anne küßte ihn auf die Wange. „Na, na! Sieh zu, daß du ihm nicht untreu wirst!“ mahnte Martin scherzhaft. „I wo!“ Anne lachte. „Aber sag, was hältst du davon, zum Essen zu bleiben?“ „Nein, ich glaube, das ist keine gute Idee.“ Wehrte Martin ab. „Aber wir sehen uns sicher bald wieder. Also bis dann!“ Er lief die kurze Strecke bis zur Straße, stieg in sein Auto und fuhr nach Hause.
      „Hallo, Schatz.“ Anne Spatz betrat das Schlafzimmer. „Warum hast du nicht mit mir geredet?“ begrüßte Christian sie, der immer noch auf dem Bett lag. „Meinst du -“ „Ja. Warum schickst du Martin, statt selbst mit mir zu sprechen?“ wollte er von ihr wissen. „Weil...ich dich nicht falsch verdächtigen wollte.“ erklärte Anne. „Ach? Aber aller Welt davon zu erzählen, daß ich dir angeblich untreu bin?“ Christian schüttelte den Kopf. „Gute Vertrauensbasis!“ „Was hättest du denn gesagt, wenn ich dich zur Rede gestellt hätte?“ fragte Anne ihrerseits etwas gereizt. „Du hast dich total seltsam benommen und nicht mit mir gesprochen. Ich habe dich gefragt, ob was mit dir nicht stimmt, aber du hast dich ja ausgeschwiegen!“ „Es gab ja nichts zu sagen. Und ich war viel zu müde, um überhaupt irgendwas zu sagen.“ sagte Christian etwas lauter. „Außerdem muß ich mich nicht vor dir rechtfertigen, nur weil ich Streß bei der Arbeit habe!“ „Ach, das ist doch kein rechtfertigen. Eine einfache kurze Antwort hätte gereicht!“ meinte Anne wütend. „Was soll ich denn deiner Meinung denken, bei deinem Verhalten in letzter Zeit?“ „Auf jeden Fall nicht, daß ich eine andere Frau habe.“ Rief Christian. „Wirklich nett, wieviel Vertrauen du nach den Jahren Ehe in mich hast.“ „Das hat doch damit nichts zu tun!“ Anne funkelte ihn an. „Weißt du, das ist mir zu blöd.“ Christian stand auf und ging an ihr vorbei zur Wohnungstür. „Ja, genau, lauf nur weg.“ Anne ging ihm hinterher. „So machst du es ja immer.“ Christian hörte nicht auf sie. Er nahm seine Jacke, öffnete die Haustür und schlug sie dann hinter sich zu. Anne stand noch eine Weil im Wohnzimmer herum, bevor sie sich auf ihr Bett warf und in Tränen ausbrach.
      „Was machst du denn hier?“ Martin sah Christian fragend an, der jetzt vor seiner Tür stand. „Ich hatte Streß mit Anne.“ Erwiderte der. „Hätt ich mir denken können. Komm rein.“ Christian betrat die Wohnung. „Und, was sagt sie?“ „Ich möchte nicht darüber reden.“ Antwortete Christian. „Weswegen bist du dann hier, wenn du nicht darüber reden willst?“ wollte Martin wissen, obwohl er die Antwort eigentlich schon kannte. „Ich war auch schon früher hier, aber nicht um über die Probleme mit meiner Frau zu reden.“ Christian sah ihn sehnsüchtig an. Martin musterte ihn. „Naja, dann setz dich erst einmal. Kaffee?“ „Nein, danke.“ Christian nahm auf Martins Sofa Platz. „Dann nicht.“ Martin setzte sich ich gegenüber auf einen Sessel. „Also, du bist nicht hier, um dich an meiner Schulter auszuweinen?“ „Nicht direkt.“ Christian lehnte sich zurück und seufzte. „Am liebsten würde ich irgendwohin wegfahren. Mit dir.“ „Ach so. Mal wieder typisch!“ Martin schüttelte den Kopf. „Mal wieder alle Verantwortung für deine Familie aus dem Fenster schmeißen, nur weil du plötzlich rausgefunden hast, daß du auf Männer stehst.“ „Das hätte auch vor fünf Jahren oder so passieren können, wenn du gekommen wärst.“ Erklärte Christian. „Aha, also bin ich schuld an allem?“ fragte Martin. „Niemand redet von Schuld. Sagen wir, du warst einfach der Auslöser.“ „Und wäre statt mir eine schöne Frau dahergekommen?“ wollte Martin wissen. „Wärst du dann auch mit der ins Bett gegangen?“ „Nein, das ist was anderes.“ „Im Prinzip nicht. Ehebruch ist Ehebruch. Und mit einem Typen wohl noch mehr, als mit einer Frau.“ „Sagst du. Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?“ fragte Christian. „Erst mal hättest du unsere Abmachung einhalten sollen: Bis auf weiteres keinen privaten Kontakt mehr.“ „Denkst du, mir wäre dadurch eine Art Wunderheilung widerfahren? Für seine Gefühle kann doch niemand was.“ „Das stimmt schon, aber für das, was folgt schon.“ Meinte Martin. „Du hättest doch nein sagen können.“ Christian hatte Martins Schwachstelle getroffen. „Das hätte ich nicht. Das weißt du.“ „Dann kannst du das aber auch nicht von mir erwarten.“ „OK, OK. Da haben wir sie.“ „Wen? Sie?“ „Eine Patt - Situation. Remis. Unentschieden.“ Meinte Martin. „Tja...was soll ich dazu sagen. Ich brauche dich, das weiß ich. Und das weißt du.“ Martin nickte verlegen. Er kam zu Christian und setzte sich neben ihn. „Ja, das weiß ich.“ Er lehnte seinen Kopf an Christians Schulter. „Wie soll das bloß alles weitergehen?“ „Tja, daß weiß ich allerdings mal nicht.“ erwiderte Christian. „Dafür weiß ich, daß ich aus der Schuldgefühlphase raus bin.“ „Schön, zu hören.“ „Ja, ich muß ja schließlich damit klarkommen.“ „Du hast wohl die 5 Phasen einer Krise überstanden, wie?“ „Welche 5 Phasen?“ wollte Christian wissen. „Zorn, Depression, nicht wahr haben wollen, Selbstmitleid, Zustimmung.“ Erklärte Martin. „Nie gehört? Elisabeth Kübler - Ross. Naja.“ „Nein, davon habe ich noch nichts gehört. Aber laß uns das noch mal vergessen. Ich brauche keinen Kurs in Psychologie.“ „Ich wollte es nur nicht unerwähnt lassen.“ „OK, du bist ein sehr gebildeter Mensch, ich danke dir für deine Information. Zufrieden?“ „Zufrieden.“ Wiederholte Martin und kuschelte sich enger an Christian. „Du auch?“ „Nun, auf jeden Fall nicht mehr so schlecht wie vor kurzem noch.“ Er wartete einen Moment. „Darf ich...dich küssen oder willst du nicht?“ „Was für eine Frage.“ Martin setzte sich auf und küßte Christian. „Ich dachte nur wegen der Vereinbarung und so.“ „Wen kümmert das jetzt noch?“ „OK.“ Christian drückte Martin auf das Sofa. Während er ihn küßte, öffnete er Martins Hemd und Martin seines. Da klingelte es an der Tür. Sie hielten inne. „Erwartest du jemand?“ fragte Christian mit Flüsterstimme. „Ich hab vorhin ‘ne Pizza bestellt.“ „Wichtig?“ „Naja, die streichen mich vielleicht aus ihrer Kartei oder sonstwas, wenn ich nicht aufmache.“ Christian gab ihn daraufhin frei und ließ ihn die Tür öffnen. Martin erstarrte. „Anne! Was...was machst du denn hier?“ Christian sprang auf. „Ich wollte mit dir reden.“ Ohne Aufforderung betrat sie die Wohnung. Ihr Blick fiel sofort auf Christian, der damit beschäftigt war, sein Hemd zuzuknöpfen. „Was tust denn du hier?“ „Ich...“ er mußte kurz überlegen. „Ich wollte Martin fragen, ob ich hier schlafen kann. Zuhause erscheint es mir jetzt unmöglich.“ „Das hätte ich mir ja denken können.“ Anne machte kehrt. „Gut, Martin, dann erübrigt sich das.“ Sie ging zur Tür. „Du solltest dir langsam darüber klar werden, auf welcher Seite du stehst.“ Mit diesen Worten verließ sie Martins Heim. Der war noch immer etwas verstört über den unverhofften Besuch. Als er sich wieder gefaßt hatte, schloß er die Tür. „Anne, typisch Anne. Bloß nicht das Gespräch mit mir suchen, immer zu jemandem anderen gehen.“ Martin setzte sich auf das Sofa und starrte ins Leere. „Das war ja wieder so typisch.“ Christian sah Martin an. „Was ist mit dir?“ „Was?“ Martin schaute auch ihn an. „Ich glaube, du solltest jetzt gehen.“ „Was?“ „Du hast doch gehört, das ist das Beste.“ „Aber warum?“ „Weil ich es möchte.“ Christians Blick ruhte noch etwas auf seinem jungen Freund, bevor er aufstand. „OK, wenn du das willst...“ „Ja, will ich.“ „Gut. Dann gehe ich.“ Er ging zur Tür, Martin folgte ihm. „Wir sehen uns dann ja irgendwann.“ Er öffnete die Tür. „Ja.“ Christian ging. Martin schloß die Tür. Er lehnte sich an sie und sank auf den Boden. Er hätte wissen müssen, daß das alles in einem Chaos enden würde. Er fuhr sich durch die Haare. Er mußte das beenden.
      Christian fuhr durch die Straßen ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. Was sollte er jetzt tun? Zu Martin konnte er nicht. Und zu Anne? Nein, unter diesen Umständen. Allerdings - sie mußten sich aussprechen. Früher oder später. Und dann lieber früher als später. Also machte Christian auf der Straße kehrt und fuhr in Richtung Zuhause.
      Als er dort ankam, war Anne ebenfalls da. Sie lag auf dem Sofa und sah sich irgendeine Kochsendung an. „Wir müssen reden.“ Sagte er nur zur Begrüßung. Anne sah auf. „Ach? Das fällt dir ja früh ein.“ „Hör doch einmal damit auf. Jetzt bin ich da, also laß uns endlich reinen Tisch machen.“ Christian wurde sich bewußt, was er sagte. Die Karten auf den Tisch legen? War das wirklich das beste? Nein, Anne würde das sicher nicht ertragen, ihr Mann und Martin... „Dann sag, was du zu sagen hast.“ „Danke.“ Christian setzte sich zu ihr. „Also, soweit ich das hier sehe, beruht unser ganzer Streit nur auf einem Mißverständnis und meiner Starrköpfigkeit.“ „Was für eine Einsicht.“ Warf Anne ein. „Du dachtest, ich hätte was mit einer anderen Frau und wolltest mich nicht ansprechen, um mich nicht falsch zu verdächtigen. Das war ja eigentlich eine lobenswerte Absicht. Unterbrich mich bitte, wenn ich was falsches sage.“ Anne nickte. „Gut, und als ich dann erst von Martin erfuhr, was los war, war ich natürlich sauer. Ich gebe es ja zu, es war wohl übertrieben.“ „So sehe ich das auch. Aber ich hätte dich natürlich auch fragen können. Das wäre wohl besser gewesen, als dieses ganze Desaster. Aber gut, daß du das alles eingesehen hast.“ Ja...gut, es tut mir leid, daß alles so gelaufen ist.“ „Mir auch. Schläfst du dann diese Nacht hier?“ fragte Anne. „Ja, aber vorsichtshalber...auf dem Sofa.“ „Einverstanden, das ist dann eine Art Bewährung.“ Anne grinste.
      Als Christian zwei Tage später arbeitsbedingt im Gemeindehaus war, bekam er zufällig ein Gespräch mit, das Pastor Uwe Hallmann mit Frau Lisbeth Kämmerer führte. „Wir müssen natürlich möglichst schnell einen Ersatz für ihn finden.“ hörte Christian Uwe sagen. Ersatz? Er wurde hellhörig. Für wen? „Ich weiß gar nicht, warum der nette junge Mann uns schon wieder verlassen will.“ Sagte Frau Kämmerer. „Er sagt, es wäre einiges schief gelaufen. Er verläßt uns nicht gerne, aber er fühlt sich hier nicht ganz wohl.“ Christian beschlich eine schreckliche Ahnung, die daraufhin auch schon bestätigt wurde. „Wie lange war Herr Loge dann hier?“ Christian mußte sich setzen. Hatte er richtig gehört? Martin wollte gehen? Warum erfuhr er das erst jetzt? Und hier? Nicht von ihm? Christians herz klopfte schneller. Ohne weiter nachzudenken, nahm er seine Autoschlüssel, stürmte aus dem Gemeindehaus und fuhr los.
      Christian klingelte Sturm an Martins Wohnungstür, die kurz darauf von ihm geöffnet wurde. „Hallo, was -“ „Warum gehst du?“ unterbrach Christian seinen Freund mit zitternder Stimme. „Stimmt es? Ist es wahr.“ Martins Blick wurde schwermütig. „Ja. Es ist wahr.“ Christian betrat die Wohnung und Martin schloß die Tür. „Aber...warum?“ Er lief unruhig auf und ab. „Verstehst du das denn nicht?“ Rief Martin. „Nein, das tue ich nicht! Sag’s mir!“ „Dieses ganze Chaos, das habe ich angerichtet! Ich ertrage das so nicht!“ „Aber mit Anne ist doch alles klar!“ „Kannst du nicht oder willst du es nicht verstehen?“ schrie Martin völlig außer sich. „Es ist alles falsch gelaufen! Wir hätte niemals das tun dürfen, was wir getan haben! Ich hätte nie Annäherungsversuche unternehmen dürfen!“ „Aber ich bereue es nicht, was ich getan habe! Wenn sich einer schuldig fühlen muß, dann ich!“ rief Christian. „Du verstehst es wirklich nicht!“ „Ich verstehe sehr gut! Aber ich habe das Gefühl, das ist nicht der Grund.“ Christian konnte Martin ansehen, daß er ihn durchschaut hatte. Und Martin merkte es auch. „Ja, du hast recht. Es ist auch was anderes. Wir...wir haben uns völlig voneinander abhängig gemacht. Ich...ich liebe dich so sehr, ich würde dich völlig kaputtmachen, wir würden uns kaputtmachen. Deshalb gehe ich. Weil ich zu sehr von dir besessen bin.“ Christian schwieg betreten. Und er hatte immer gedacht, Martin würde nicht so stark empfinden, wie er. „Aber...ich liebe dich doch auch! Was kann denn daran schlecht sein?“ „Christian, denk einmal nach, hör einmal auf deinen Verstand! Ich habe noch nie jemanden so geliebt, begehrt wie dich. Aber mein Verstand sagt mir, verschwinde hier, laß ihn gehen! Sonst machst du ihn kaputt. Und sein Leben dazu.“ „Aber sag mir, was ist schlimmer, das oder ein gebrochenes Herz?“ Dies löste die ganzen aufgestauten Gefühle in Martin. Er klappte einfach zusammen und brach in Tränen aus. „Mach es mir doch nicht noch schwerer als es schon ist!“ schluchzte er. Christian überlegte nicht länger, reflexartig fiel er vor Martin auf die Knie und nahm ihn in den Arm. Doch der stieß ihn weg. „Nein! Geh weg, ich ertrage das nicht.“ „Laß mich doch, solange ich noch kann!“ Jetzt kamen auch Christian die Tränen. „Wenigstens jetzt noch, bevor du mich verläßt!“ Martin sah auf. „Aber das macht es mir noch schwerer.“ „Ich weiß. Aber...das würde es mir vielleicht einfacher machen. Mit den Erinnerungen.“ Martin sagte nichts. „Bitte. Noch ein mal...schlaf noch einmal mit mir.“ Martin wischte sich die Tränen ab. Er umarmte Christian. „Ja.“ Flüsterte er. Sie küßten sich. Sie ließen sich viel Zeit, genossen alles, was sie taten ganz bewußt, weil sie wußten, daß es das letzte Mal war. Christian spürte Martins Körper, fühlte seinen heißen Atem auf seiner Haut. Er wollte ihn festhalten und nie wieder loslassen, doch Martin ging fort. Er würde ihn nie wieder festhalten können.
      „Ich finde es schade, daß Martin uns verläßt.“ Meinte Anne, als sie und ihr Mann auf dem Weg zu Martins Verabschiedung waren. „Hm.“ Christian war mit seinen Gedanken bei Martin und bei ihrem letzten Mal, das sie zusammen verbracht hatten. „Aber vielleicht hat er was besseres gefunden.“ „Wahrscheinlich.“ Christian parkte den wagen, als sie beim Gemeindehaus ankamen. Die beiden stiegen aus. „Ah, da ist er. Martin!“ Anne lief auf Martin zu und umarmte ihn. Christian kam hinterher. „Hallo Martin.“ „Hallo Christian.“ Martin lächelte tapfer. „Es ist wirklich traurig, daß du gehst.“ Sagte Anne. „Wir werden dich vermissen.“ „Ich werde euch auch...vermissen.“ Er sah Christian kurz tief in die Augen. „Aber ich muß gehen.“ Er seufzte. „Hast du dich schon von den anderen verabschiedet?“ wollte Anne wissen. „Ja, von Uwe und den anderen vorhin.“ erwiderte Martin. „Ich muß jetzt auch los.“ „Versprich mir aber, daß du schreibst, ja?“ Anne drückte ihn noch einmal fest. „Na klar.“ Martin reichte Christian die Hand, doch der zog ihn an sich und umarmte ihn. „Tschüs Martin.“ Sagte er. „Ich werde dich nie vergessen.“ Flüsterte Martin noch schnell, bevor er sich von ihm löste. „Also dann.“ Martin stieg in seinen Wagen. „Auf Wiedersehen, ihr zwei!“ Martin startete den Wagen. „Wiedersehen, Martin!“ Anne winkte noch. Christian glaubte noch, Martins Geruch in der Luft zu bemerken, als er die Straße herunterfuhr. Nein, er würde ihn bestimmt nicht vergessen.

         THE END

      beendet: 17/12/97
       


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      Layout gestaltet von Dieter