Annas Geschichte

      Nr. 3
       
       

       

      When I kissed the teacher...

      Etwas verloren stand Fabian auf dem Schulhof zwischen so vielen unbekannten Mädchen und Jungen verschiedenen Alters. Dennoch sah er sich neugierig um. Es war eben ein typischer Schulhof, wie es sie zu Tausenden in Deutschland gab. Wie auch hier, in Braunschweig. Da ertönte schon die Klingel zur ersten Stunde. Fabian zog einen Zettel aus seiner Tasche. Er faltete ihn auseinander. „Montag 1. Stunde: Raum Süd 3, Geschichte, Herr Becker“, stand darauf. Eine gute Information, jetzt hieß es nur noch, Süd 3 zu finden. Fabian ließ sich von der Masse junger Menschen durch den Haupteingang in das Schulgebäude drängen. Drinnen schaute er sich noch einmal um. Die Pausenhalle war recht groß, er war ja auch eine ziemlich große Schule, die alte Oberschule. Nach einer Weile tippte Fabian jemandem auf die Schulter, der gerade in seiner Nähe stand. „Hallo. Sag mal, wo ist hier Süd 3?“ Das Mädchen, das er gefragt hatte, musterte ihn neugierig. „Neu, wie? Geh dort hinten die Treppe rauf. Dann gleich links. Die Türen sind beschriftet.“ „Danke. Man sieht sich.“ Fabian hob schnell die Hand, drehte sich um und ging mit langsamen Schritten auf die besagte Treppe zu. Ebenso gemütlich trottete der 18–jährige diese hinauf. Oben bestätigte sich Fabians erster Eindruck von der Schule: hell und modern. Es gab viele Fenster, die Wände waren einigermaßen weiß geblieben, an einigen Stellen waren sie bunt bemalt worden, anscheinend von Kunstkursen. Fabian nahm sich die Zeit, sich diese Bilder genau anzusehen, auch wenn es schon zum zweiten Mal geläutet hatte und die meisten Schüler längst in den Klassenräumen verschwunden waren.

      Fabian wollte mal wieder absichtlich zu spät kommen. Er liebte Aufmerksamkeit und Aufsehen. Da paßte das doch zu seinem Einstand an der neuen Schule. Doch einfaches Zuspätkommen genügte seinen Ansprüchen eigentlich nicht. Er überlegte kurz und hatte wieder einen neuen Einfall. Fabian machte auf dem Absatz kehrt, lief die Treppe herunter und suchte sich seinen Weg ins Sekretariat. Auch dies kostete ihn einige Minuten. Als er dieses dann betrat, sah die Sekretärin, die in dem Raum saß von ihrem Computer auf. „Kann ich ihnen helfen?“ „Oh ja, das wäre sehr nett.“ Fabian setzte sein nettestes Lächeln auf. „Ich bin neu hier und finde mich nicht so zurecht. Ich habe jetzt Geschichte, glaube ich. Nur wo, das weiß ich nicht.“ „Ach, warten sie.“ Die Sekretärin sah kurz in einige Unterlagen, die auf ihrem Schreibtisch lagen. „Süd 3.“ Sie sah auf. Doch da Fabian ein so hilfloses Gesicht machte, stand sie auf. „Ich führe sie schnell hin.“ „Vielen Dank.“ Fabian strahlte dankbar. Die Sekretärin lächelte daraufhin zurück. Offensichtlich ein sympathischer, höflicher Schüler. Sowas hatte sie selten erlebt, in den 15 Jahren, die sie von ihren 53 hier verbracht hatte. So begleitete die Dame den natürlich völlig unwissenden Fabian zu Süd 3.
      Dort klopfte sie dann an die Tür und öffnete. Die Sicht wurde frei auf den Klassenraum und seine Insassen, 18 Schüler und ihren Lehrer, den besagten Herrn Becker. „Herr Becker, dieser junge Mann ist neu, er gehört in ihren Kurs“, sagte die Sekretärin. Es gab den von Fabian gewünschten Effekt: Die Schüler sahen ihn neugierig an und der Lehrer schenkte ihm volle Aufmerksamkeit. Die Sekretärin war unterdessen schon wieder aus dem Raum verschwunden. Anscheinend hatte sie Wichtigeres zu tun. „Ah ja? Dann kommen sie mal herein“, sagte Herr Becker. „Wie war der Name?“ „Ich hatte noch keinen Namen gesagt“, meinte Fabian. „Nun, Herr Neunmalklug, vielleicht würden sie das dann mal tun?“ Herr Becker zog die Augenbrauen hoch. Einige Mädchen kicherten, als wären sie noch in der Grundschule. „Sicher. Fabian Sander.“ „Wie die von der Kaufhauskette?“, fragte ein Mädchen. „Nicht nur wie.“ Fabian zog seine Mundwinkel zu einem überlegenen Lächeln hoch. Das Mädchen schaute beeindruckt. Fabian schaffte es immer wieder. „Ob nun Kaufhaus oder nicht, sie sollten sich jetzt setzen und dem Unterricht folgen“, schaltete sich Herr Becker ein. „Sie  können sich ja später über den momentanen Stoff informieren.“ „Natürlich“, erwiderte Fabian und setzte sich hocherhobenen Hauptes auf einen Platz neben einem Jungen am Fenster. Der sah ihn einen Moment an, bis Fabian zurückstarrte. „Is was?“ Der Junge neben ihm schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf ein Tafelbild, das Herr Becker anzeichnete. Zufrieden lehnte sich Fabian zurück. Vorerst hatte er genug Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

      Nach der Stunde, als er seine Sachen zusammenpackte, trat ein Mädchen an seinen Tisch und streckte ihm die Hand entgegen. „Hallo. Britta Krause.“ Fabian sah sie ein wenig überrascht an. Das war anscheinend das Vorhaben des Mädchens gewesen, denn sie begann zu grinsen. „Machst dir ja gleich viele Freunde, wie?“ „Was meinst du?“, fragte Fabian, als er seinen erhabenen Tonfall wiedergefunden hatte. Britta zog ein zerknülltes Blatt Papier hervor und gab es Fabian. Der glättete es und las: „Ganz schön eingebildet der Neue, was?“ Fabian schaute wenig irritiert. „Und wenn schon.“ „Hey, du bist doch bestimmt gar nicht so.“ Britta holte einen Apfel aus ihrem Rucksack und biß hinein. „So ‘ne Phase hatte ich auch mal.“ „Ach?“ Fabian sah sie fragend an. „Was hast du jetzt?“, wollte Britta wissen, ohne weiter auf das Thema einzugehen. „Ich weiß nicht. Fabian kramte einen Stundenplan aus seiner Tasche heraus. „Physik. Herr Berg.“ „Wow, Leistungskurs. So gut bin ich in Physik wirklich nicht“, meinte Britta ehrlich beeindruckt. „Naja, ich mag Naturwissenschaften.“ Langsam vergaß Fabian seinen snobistischen Unterton. „Ich auch! Aber seine Begabungen kann man sich nicht aussuchen. Sag mal, sehen wir uns in der Pause?“ „Wenn du willst.“ „Gut, treffen wir uns draußen in der Raucherecke.“ Mit diesen Worten verließ Britta den Klassenraum. Fabian sah ihr verwundert nach. Daß so schnell jemand mit ihm Freundschaft schließen wollte, und daß, obwohl er sich wirklich nicht gerade einladend verhalten hatte. Eigentlich war er froh darüber. Er ging als Letzter aus dem Raum und suchte den Physiksaal, den er nach einiger Zeit fand. Er bemühte sich in dieser zweiten Stunde, nicht aufzufallen. Er bemerkte, daß er den Stoff, der durchgenommen wurde, gut beherrschte. Die Schüler waren ihm in nichts voraus. Nach der Stunde ging er wie verabredet in die Raucherecke auf dem Schulhof, die er  ausnahmsweise mal ohne Probleme fand. Auch Britta traf er nach kurzer Zeit dort an. „Hey, wie war’s so?“, wollte sie wissen. „Einfach“, erwiderte Fabian leger. „Echt? Alle sagen, der Kurs wäre schwer.“ Britta zündete sich eine Zigarette an und hielt Fabian ihre Malboro- Packung hin. Der zögerte kurz, griff dann aber zu. „Und was hast du jetzt?“, fragte Britta, während sie Fabian den Glimmstengel ansteckte. „Deutsch, Doppelstunde. So weit ich weiß.“ Fabian blies den grauen Rauch in die Frühlingsluft. „Bei Herrn Teschner?“ „Kann sein.“ „Cool, da bin ich auch drin“, meinte Britta. „Habt ihr hier nur Lehrer, keine Lehrerinnen?“, wollte Fabian wissen. „Nö. Aber mehr Herren als Damen.“ „Ach?“ „Stört dich das?“ Britta sah ihn fragend an. „Nö. Im Gegenteil.“ Fabian warf seiner Gesprächspartnerin einen bedeutungsvollen Blick zu. „Wie?“ Brittas Miene wurde interessiert. „Tja...“ Fabian grinste und Britta lächelte zurück. Fabian sah sich noch einmal auf dem Schulhof um. „Gibt es hier keine interessanten Leute?“ „Doch. Klar. Zumindest einige, die von sich reden machen“, erwiderte Britta. Sie drehte sich um und zeigte verstohlen auf ein aufgedonnertes Mädchen, das sich gerade mit einem anderen unterhielt. „Die da, Anja Bechtel, die soll angeblich schon mit sieben Leuten hier geschlafen haben.“ „Schlampe also“, schlußfolgerte Fabian. „Dann habt ihr aber auch die Leute, die im Zölibat leben.“ „Ja, sicher. Da. Die da drüben.“ Britta wies wieder mit der Hand auf ein Mädchen mit einem weiten Pullover und Schlabberjeans, die gerade eifrig mit einem bebrillten 2 Meter Mann diskutierte. „Total Öko. Und absolut Jungfrau – keusch.“ „Auch ne Art“, meinte Fabian. „Aber nichts für mich.“ „So, so. Das ist ja interessant.“ „Britta! Endlich find ich dich!“ Ein weiterer Schüler kam auf die beiden zu. „Du weißt doch, daß ich immer hier bin.“ „Egal“, keuchte der Junge. „Uli hat gesagt, die Heinze schreibt heute nen Test.“ „Was?“, rief Britta überrascht. „Nich wahr!?“ „Ich weiß nicht.“ „Toll.“ Britta ließ ihre Zigarette fallen und drehte ihren Fuß darauf. „Das ist übrigens Fabian Sander.“ „Aha, Hallo“, sagte der Typ. „Harry, Harry Fredlich.“ „Schöner Ring.“ Fabian zeigte auf das Piercing, das Harry in der Augenbraue trug. „Ich hab auch eins.“ Fabian zog sein schwarzes Shirt hoch, bis sein Bauchnabel sichtbar wurde, in dem sich ein silberner Ring befand.“ Harry schaute ein wenig befremdet drein. „Ich kenn nur Mädchen, die das haben.“ Da gongte es. „Harry, laß uns hoffen, daß Uli nur wieder rumspinnt. Der macht doch dauernd die Leute verrückt“, sagte Britta. Dann wandte sie sich wieder Fabian zu. „Komm, dann gehen wir jetzt zu Deutsch.“
      Die Schüler im Grundkurs Deutsch verstummten, als der Lehrer eintrat, Jan Teschner. Fabian richtete sein Augenmerk auf die junge Lehrkraft. In seinen Augen blitzte es kurz auf. Er musterte Jan Teschner genau. Er war recht groß, ziemlich gut gebaut, hatte dunkle Haare und einen guten Klamottengeschmack, so wie Fabian das sah. Ein Lächeln breitete sich über das Gesicht des 18–jährigen aus. Da wurde er von seiner Nachbarin Britta angestupst. „Attraktiv, hm?“ Fabian nickte langsam. „Aber hoffnungslos. Verheiratet.“ Blitzschnell wandte Fabian Britta seinen Blick zu. „Kinder?“ Sie schüttelte den Kopf. „Na bitte.“ Beruhigt sah er nach vorne, um sich wieder seinem Lehrer zu widmen. „Wie meinst du das?“ „Da hast du vielleicht doch noch eine Chance“, meinte Fabian. „Wieso?“, fragte Britta neugierig. „Weißt du, die Kerle trennen sich schwerer, wenn Kinder im Spiel sind.“ „Mag sein.“ Britta senkte den Blick auf ihre Englischhausaufgaben, Fabian schaute wieder zu Herrn Teschner. Ihre Blicke trafen sich. „Oh. Ein neuer Schüler? Mitten im Schuljahr? Wie ist denn ihr Name?“ „Fabian Sander.“ Der Befragte legte einen weichen Unterton in seine Stimme. „Und wieso geben sie uns die Ehre?“ Herr Teschner setzte sich auf das Lehrerpult und sah Fabian weiter an. „Wir sind hergezogen. Aus Berlin.“ „Von Berlin nach Braunschweig. Was für eine Umstellung!“ „Es hat sich gelohnt.“ Fabian lächelte tiefsinnig. Herr Teschner ging nicht weiter auf die Bemerkung ein. „Wie auch immer. Ich hoffe wenigstens, daß es ihnen hier gefallen wird und sie sich hier zurechtfinden.“ „Danke.“ Fabian schenkte seinem Lehrer noch ein Lächeln. „Gut. Wenden wir uns wieder unserer Lektüre zu.“ Unstimmiges Gemurmel ging durch den Raum. „Faust, meine Damen und Herren. Widmen wir uns wieder Goethes Faust.“ Fabian konnte sich nicht „Faust“ widmen, da er die Lektüre noch nicht hatte. Aber er schaute sich sowieso lieber den Typen an, der vorne auf dem Lehrertisch saß und in seinem Büchlein blätterte. „Wie alt ist er?“, wandte sich Fabian erneut an Britta. „Und was macht er sonst so?“ Britta sah ihn überrascht an. „Du willst es wohl ganz genau wissen, wie? Er ist 30.“ „Britta, wenn sie sich darauf beschränken könnten, außerhalb des Unterrichts mit unserem Neuzugang zu flirten?“ Die Schüler schmunzelten aufgrund der Mahnung ihres Lehrers. „Natürlich“, erwiderte Britta mit einem Lächeln. Als Herr Teschner wieder dem Lehrstoff widmete, beugte sich Britta erneut zu Fabian. „Er spielt Tennis. Außerdem macht er den Hobbytrainer bei einer Jugendfußballmannschaft.“ Fabian schaute interessiert. „Wirklich? Ich spiele auch Fußball. Kommt man in die Mannschaft rein?“ „Grundsätzlich schon“, antwortete Britta. „Aber es wäre etwas ungewöhnlich, daß er einen seiner Schüler aus der Schule aufnimmt. Aber wenn du gut bist...“ „Der beste“, meinte Fabian selbstsicher. „Das will ich ja sehen.“ Britta zwickte ihn in den Arm. „Britta. Bitte.“ Herr Teschner sah sie erneut mahnend an. „OK, ich hör schon auf.“ „Gut.“
      Dem weiteren Teil der Stunde folgten Britta und Fabian mit großer Aufmerksamkeit, besonders letzterer. Als es zur kleinen Pause klingelte und alle begannen, fröhlich miteinander zu plaudern, stand Fabian auf und schlenderte auf den Lehrertisch zu, an dem Herr Teschner saß und den Inhalt der Stunde ins Kursbuch eintrug. „Herr Teschner?“ Der Lehrer sah auf. „Ja?“ „Ich hätte da mal eine Frage.“ „Nur zu.“ Herr Teschner legte seinen Stift hin. „Ich hörte, sie sind Trainer einer Fußballmannschaft.“ „Ja, das stimmt.“ Die Lehrkraft sah Fabian gespannt an. „Nun, ich war in Berlin in einer Mannschaft und wollte hier auch gerne weiter spielen. Darum wollte ich mal fragen, ob sie noch jemanden gebrauchen können.“ Fabian blickte ihn mit einem bittenden Ausdruck auf dem Gesicht an. „Nun, eigentlich schon. Jemand von den Jungs zieht weg, deshalb sehe ich mich gerade nach einem Ersatz um. Aber normalerweise unterlasse ich es tunlichst, jemandem aus meinem Unterricht in die Mannschaft zu nehmen. Wissen sie, wegen der Unvoreingenommenheit.“ Fabian nickte, legte aber einen enttäuschten Unterton in seine nächste Bemerkung. „Wirklich schade. Ich hörte, sie wären ein guter Trainer.“ Herr Teschner sah Fabian einen Moment lang prüfend an. „Naja. OK, sie können ja mal zum Training kommen. Und vielleicht mitspielen und mir zeigen, was sie draufhaben.“ „Wirklich? Das ist toll.“ Fabian strahlte dankbar. „Jeden Montag und Mittwoch auf dem Sportplatz gegenüber der Schule, von 16 Uhr bis 18 Uhr“, sagte sein Lehrer. „Praktisch, ein Sportplatz genau an der Schule“, bemerkte Fabian. „Ja, richtig, das ist schon sehr vorteilhaft“, bestätigte Herr Teschner. Da gongte es zur zweiten Deutschstunde. „Also, vielen Dank noch mal.“ Fabian senkte leicht demütig den Blick und ging auf seinen Platz. Dort tippte er Britta an, die immer noch nicht mit ihren Englischhausaufgaben fertig war. Als sie ihn ansah, begann er, „I won again“, zur Melodie von „You win again“ von den Bee Gees zu singen. „Bitte was?“ Britta mußte lachen. „Ich komme in die Mannschaft.“ „Wie? Ohne, daß er dich einmal spielen gesehen hat?“ Britta sah ihn skeptisch an. „Doch, heute gehe ich zum Training und er schaut sich an, wie ich spiele. Aber ich weiß, daß er mich nimmt.“ Fabian lächelte siegessicher. „Hoffentlich täuscht du dich nicht. Sag mir morgen, wie es gelaufen ist“, bat ihn seine Gesprächspartnerin. „Klar.“ Fabian musterte sie kurz, dann knuffte er sie kurz in die Schulter und sagte. „Hey, du bist echt OK.“ „Du auch.“ Britta lächelte ihn freundschaftlich an, bevor sie ihre Arbeit an den Hausaufgaben wiederaufnahm.
      In dieser zweiten Deutschstunde dachte Fabian über den anstehenden Nachmittag nach. Als es wieder zur Pause klingelte, schenkte er seinem Deutschlehrer noch ein freundliches Lächeln, bevor Britta und er den Raum verließen, um auf den Schulhof zu gehen. „Sag mal, du wolltest mich doch spielen sehen oder?“, wollte Fabian von Britta wissen, als sie in der Raucherecke angekommen waren. „Hm? Ach, beim Fußball. Klar“, erwiderte sie. „Wie wäre es, wenn du nach der Schule mit zu mir kommst und dann heute Nachmittag mit zum Training?“, schlug Fabian vor. „Coole Idee“, stimmte Britta zu. „Bei mir ist sowieso keiner Zuhause, da würde ich mich eh nur langweilen.“ „Hey, Britta.“ Ein Schüler war hinzugekommen und legte Britta den Arm um die Schulter. „Mensch Uli, stimmt das nun mit dem Test? In Englisch?“, wollte Britta gleich wissen. „Nein, falscher Alarm. Anja hat mir wieder Mist erzählt“, erwiderte Uli. „Klar, daß du dann gleich wieder die Pferde scheu machen mußt.“ Britta entfernte den Arm ihres Kumpels von ihrer Schulter. „Das ist übrigens Fabian. Er ist neu. Und er will in Teschners Team“, erklärte Britta. „Wirklich? Ich bin Uli.“ „Ach?“ Fabian zog die Augenbrauen hoch. „Du willst bei Teschner Fußball spielen? Viel Glück, er nimmt nur die Besten, die er kriegen kann“, sagte Uli. „Er wird froh sein, mich zu kriegen.“ „Sei dir da nicht zu sicher“, meinte Uli. „Ich guck’s mir heute an“, sagte Britta zu ihm. „Das lasse ich mir ja nicht entgehen, wenn Mr. Großspurig hier den Ball kickt.“ Sie pikste Fabian in den Bauch. „Hey, mach mich mal nicht zum Invaliden“, mahnte Fabian. „Ich muß fit sein heute nachmittag.“ „Das würde ich ja auch gerne sehen“, meinte Uli. „Warum kommst du nicht auch?“, wollte Britta wissen. „Um vier fängt es glaube ich an.“ „Dann kann er doch auch gleich mit zu mir kommen“, schlug Fabian vor. „Echt? Find ich ja gut.“ Uli nickte zustimmend. „Jetzt muß ich aber erst mal Anja anmaulen gehen.“ Er klopfte Britta auf die Schulter. „Treffen wir uns nach der 6. am Haupteingang, OK?“ „Alles klar“, sagte Fabian. Schon war Uli zwischen den Schülern verschwunden. „Es schadet nichts, wenn du dich hier gleich mit ein paar Leuten anfreundest. Später wird das schwieriger“, erzählte Britta. „Habe ich mir auch so gedacht.“ „Aber gib nicht immer so an. Macht keinen guten Eindruck“, gab Britta ihm einen Tip. „Der Eindruck ist mir nicht so wichtig“, sagte Fabian. „Wenn ich denke, daß ich etwas gut kann, dann sage ich es auch.“ Britta zuckte mit den Schultern. „Wie du meinst. Auf jeden Fall ist Uli OK. Und Harry auch. Manchmal spinnt der zwar, aber sonst ist er cool drauf.“ „Sag mal, hast du eigentlich einen Freund?“, wollte Fabian wissen. „Wieso fragst du?“ Britta sah ihn neugierig an. „Nur so. Ich will es halt wissen.“ „Ach so. Nein, ich habe keinen Freund“, erwiderte Britta. „Und du, hast du eine Freundin? In Berlin, meine ich.“ Fabian lachte auf. „Ich? Bestimmt nicht.“ Britta lächelte ihn irritiert an. „Wieso? Ist das so unwahrscheinlich?“ „Wer sollte mich schon wollen?“, fragte Fabian. „Das verstehe ich nicht. Du bist ganz nett und siehst gut aus...“ „Ha, du kennst noch nicht mein wahres Gesicht.“ Fabian zog eine Grimasse, die Britta zum Lachen brachte. „Blödmann.“ Da ließ der Gong wieder unmißverständlich deutlich werden, daß die Stunde anfing. Britta und Fabian gingen wieder auf das Schulgebäude zu. „Ich hab jetzt Englisch. Und du?“, wollte das Mädchen wissen. „Kunst. Endlich ein wenig Entspannung“, antwortete Fabian. „Also sehen wir uns nachher am Haupteingang?“, fragte Britta noch. „Ja. Ich bin mit dem Auto, also...“ „Alles klar, bis dann.“ Britta hob noch kurz die Hand, bevor sich ihre Wege im Schulhaus trennten.
      Nach zwei wirklich entspannenden Stunden Kunst begab sich Fabian sofort zum ausgemachten Treffpunkt, wo Britta und Uli ihn schon erwarteten. „Ich stehe unten auf dem Schülerparkplatz“, sagte Fabian zur Begrüßung. „Kommt ihr?“ „Klar.“ Unten auf dem Parkplatz ging Fabian schnurstracks auf einen Mercedes zu, ein Cabrio. „Wow, ist das deiner?“, staunte Uli. „Naja, ich teile ihn mit meiner Mutter. Heute braucht sie ihn nicht“, erwiderte Fabian und schloß das Gefährt auf. „Hast du keine Angst, daß er dir geklaut wird?“, wollte Britta wissen. „Eigentlich nicht. Steigt ein.“ Die drei ließen sich in die Ledersitze sinken und brausten los.

      Das Haus der Sanders lag am Rand von Braunschweig. Es war kein Haus, eher eine zweistöckige Villa mit einem Garten, wie gemacht für Grillparties im Sommer. Fabians Vater war der Besitzer einer Kaufhauskette mit Filialen in ganz Deutschland und einigen im Ausland. Daher konnte er sich ohne Probleme dieses Anwesen leisten. Nach kurzer Fahrt kamen die drei Schüler bei dem Haus an. Mit einem kurzen Knopfdruck auf einer Fernbedienung betätigte Fabian das weiße Metalltor, das dann den Weg auf die Hauszufahrt freigab. Aufmerksam betrachteten Britta und Uli das ebenfalls weiße Gebäude, dem sie sich näherten. Fabian parkte den Wagen vor der Garage und sie stiegen Haus. „Willkommen bei den Sanders“, sagte Fabian. „Wirklich eine bescheidene Hütte“, meinte Uli. „Stimmt. Unser Haus in Berlin war größer.“ Fabian grinste. „Kommt schon gehen wir rein.“ Fabian schloß die Haustür auf und sie betraten den „Flur“: Eine hohe Eingangshalle mit einer breiten Treppe, die in den ersten Stock führte und einigen Durchgängen zu Räumen im Erdgeschoß. Uli und Britta sahen sich immer noch beeindruckt um, als auf einmal ein kläffendes Etwas die Treppe hinunter gestürmt kam. Es war ein kleiner wuscheliger Yorkshire Terrier. „Ja, Herkules, da bist du ja mein Süßer!“ Fabian nahm den kleinen Hund auf den Arm und knuddelte ihn kurz, dann ließ er ihn wieder herunter. „Schau, Rüde, Besuch.“ Der Hund lief auf Britta und Uli zu, sprang fröhlich an ihnen hoch und schlabberte ihre Hände ab, als sie ihn streichelten. „Der ist ja süß.“ Die beiden waren ganz angetan von dem kleinen Tier. „Herkules ist aber ein komischer Name für so einen kleinen Hund“, bemerkte Uli. „Warte ab, bis er mit dir spielt. Du liegst im Handumdrehen auf dem Boden“, mahnte Fabian. Uli lachte. „Das soll er mal versuchen.“ Der Hund schnüffelte noch einmal an den beiden Gästen, dann lief er durch einen der Durchgänge davon. „Ja, Herkules, du bist ja ganz aufgeregt!“, sagte eine Frauenstimme, die auch aus der Richtung zu kommen schien, in die der Hund verschwunden war. „Was ist denn mit dir?“ Kurz darauf kam eine modisch gekleidete Frau um die 45 aus dem Durchgang, mit dem Hund auf dem Arm. „Ach Fabian! Ich hab dich gar nicht kommen hören!“ Die Frau trat auf die drei zu. „Oh, du bringst Besuch?“ „Das sind Britta und Uli“, stellte Fabian seine Gäste vor. „Und das ist meine Mutter, Anne Sander.“ „Freut mich.“ Fabians Mutter gab den beiden die Hand. „Wollt ihr was essen?“ Die drei sahen sich an. „Gerne. Oder was sagt ihr?“ „Da sag ich nicht nein.“ Uli grinste. „Ich wäre vorsichtig“, meinte Britta. „Der ist ganz schön verfressen.“ „Ist ja genug da“, sagte Anne Sander. „Am besten, ihr eßt in der Küche. Frau Schütz ist nämlich noch oben in deinem Zimmer.“ Anne Sander ging durch den Durchgang zurück, der in die besagte Küche führte. „Ich habe doch gesagt, ich will das nicht!“, rief Fabian ihr hinterher. Dann wandte er sich an seine Besucher. „Unserer russische Haushaltshilfe“, sagte Fabian zur Erklärung. „Mein Mutter will nicht, daß ich Putze sage.“ Die drei grinsten. Dann führte Fabian sie in die geräumige Küche. Wie auch schon die Eingangshalle, war sie ganz in schwarz und weiß gehalten. „Setzt euch.“ Fabian wies auf zwei Hocker am Küchentresen. „Was hast du zu essen, Mama?“, fragte der 18–jährige. „Ich habe ein paar Steaks für euch in die Pfanne gehauen. Dazu Gemüseauflauf. Ich bin nämlich Vegetarierin“, erklärte Fabians Mutter. „Das könnt ich nicht, ohne Mc Doof.“ Uli schüttelte den Kopf. „Ich auch nicht“, stimmte Fabian ihm zu. „Ich aber. Ich verzichte dann auf mein Steak“, sagte Britta. „Vernünftig“, sagte Anne Sander anerkennend. „Lassen wir die Jungs das tote Fleisch essen.“ „Mama!“, sagte Fabian genervt. „Nicht wieder das.“ „Wieso? Es stimmt doch. Ich esse nichts, was mal eine Mutter gehabt hat“, erklärte Frau Sander. „Dafür...“ „Esse ich den Tieren das Futter weg, ich weiß.“ Fabian seufzte. „Ich weiß, daß du weißt.“ „Laßt euch das Essen aber nicht von mit verderben“, bat seine Mutter. „Das will ich ja auch nicht.“ Sie warf einen Blick auf die brutzelnden Fleischstücke in der Pfanne auf dem Herd. Vor disem saß der Hund und sah sehnsüchtig nach oben, in der Hoffnung, daß vielleicht etwas von dem leckeren Essen herunterfallen würde. „Ja, Herkules, das ist für die Kinder hier. Aber vielleicht gibt dir jemand etwas ab.“ „Er kann ja mein Steak haben“, schlug Britta vor. „Das vergißt er dir nie“, warf Fabian ein. „Das ist ja Bestechung“, meinte Uli. „Ich vertraue mal darauf, daß der Hund mich auch so mag.“ „Wenn du mit ihm spielst bestimmt“, sagte Fabian zuversichtlich. „So, das Fleisch ist fertig.“ Anne Sander füllte das Fleisch mit etwas von dem Gemüseauflauf auf die Teller und gab sie den Jungen. Britta reichte sie einen Teller nur mit dem vitaminreichen Auflauf. „Guten Appetit. Ich hoffe, es schmeckt.“ „Danke schön“, sagten Britta und Uli. „Schon gut. Wie war denn ein erster Tag heute, Fabian?“, fragte Frau Sander ihren Sohn. „Gut“, erwiderte der. „Ich gehe heute Nachmittag zum Fußballtraining. Mein Deutschlehrer macht da den Hobbytrainer und sieht sich mal an, wie ich spiele.“ „Toll, wäre ja schön, wenn du hier wieder spielen kannst“, sagte seine Mutter. „Ihr entschuldigt mich jetzt. Ich habe noch zu arbeiten.“ Mit diesen Worten verließ Frau Sander die Küche. „Also, was dein Vater macht, weiß ich schon von Britta. Was arbeitet denn deine Mutter?“ wollte Uli wissen. „Sie ist Anwältin in einer Kanzlei. Sie ist gut, deshalb hat sie hier auch eine gute Stelle bekommen“, erwiderte Fabian. „Und nett ist sie auch noch“, meinte Uli. „Danke schön. Ja, ich komme gut mit ihr aus. Und mit meinem Vater auch.“ „Hast du noch Geschwister?“, wollte Britta wissen, die gerade eifrig damit beschäftigt war, Herkules mit dem verbliebenen Steak zu füttern. Fabian schüttelte den Kopf. „Ich bin das typische Beispiel eines verwöhnten Einzelkindes.“ „Dafür aber ganz umgänglich“, meinte Britta. „Wir kennen da noch ganz andere, ne, Uli?“ „Und wie“, meinte der Angesprochene mampfend. Fabian warf einen Blick auf den Yorkshire Terrier. „Wenn er soviel frißt, muß er nachher aber viel laufen. Sonst wird er zu fett, wenn alle ihn so verwöhnen.“ „Ich spiele nachher mit ihm. Wenn ich darf.“ Uli legte sein Besteck beiseite. „Klar. Mensch Rüde, du hast es aber gut heute, was?“ Fabian kraulte den Hund hinter den Ohren. Der knurrte allerdings etwas, weil er schließlich mit seinem Steak beschäftigt war. „Wenn ihr hier fertig mit Essen seid, dann können wir ja kurz raus gehen, mit dem Hund, in den Garten.“ „Also, ich bin fertig“, meinte Britta. „Ich auch“, stimmte Uli ebenfalls zu. „Tja, nur die Töle hier wird nicht fertig.“ Der Hund sah auf, als hätte er verstanden. Dann widmete er sich wieder seinem Fleisch. Nach einigen Minuten war auch der Rest davon verschwunden. „Gut. Dann mal raus. Komm Herkules, spielen!“ Der Rüde bellte kurz und rannte aus der Küche. „Der hat aber ‘n Zahn drauf“, meinte Uli, als er und Britta Fabian durch den anderen Durchgang der Eingangshalle ins Wohnzimmer folgte. Es war für dieses Haus angemessen groß, modern eingerichtet und beherbergte die neuesten Errungenschaften der Technik. Aber Fabian und seine Begleiter steuerten auf eine Terrassentür zu, die zur selben führte. Sie betraten also den Garten. Wieder kamen Uli und Britta aus dem Staunen nicht heraus: Der Garten bestand aus einer großen, gepflegten Rasenfläche, an dessen Rand große Büsche und Bäume die Sicht auf die Nachbarhäuser verdeckten. Blumenbeete säumten einen Weg, der sich durch den gesamten Garten schlängelte. Ein kleiner künstlich angelegter Bach führte in einen Teich am hinteren Ende des Geländes. Das Herzstück des Gartens war ein geräumiges Schwimmbecken, ziemlich in der Mitte der Rasenfläche. „Das ist kein Garten, das ist ein Park!“, meinte Uli und schüttelte den Kopf. „Hübsch, oder?“ „Hier kannst du ja Poolparties machen“, schlug Britta vor. „Habe ich auch vor. Wenn ich Geburtstag habe, Ende Juli“, bestätigte Fabian. „Mann, ich fühle mich wie ein Weib vom Jet Set“, sagte Britta. „Kann man bei euch einheiraten?“ Fabian lachte. „Ich weiß nicht.“ Er beobachtete Herkules, der über die Blumenbeete peste und kräftig Sand aufwühlte. Nach einer Weile machte er sich daran, eine Blume auszugraben und auf ihr herumzukauen. „Fabian!“, ertönte auf einmal die schockierte Stimme seiner Mutter aus einem Fenster im ersten Stock. „Hol den Hund da weg! Er zerstört die Beete!“ „Is ja gut!“, meinte Fabian. „Los Uli. Deine Aufgabe.“ „Was, ich?“, fragte der Angesprochene entgeistert. „Ja. Tu mal was Gutes.“ „Ich versuch‘s.“ Uli näherte sich langsam dem Hund. Der sah von seiner Pflanze auf und knurrte ihn an. Als er merkte, daß Uli es ernst meinte, wetzte er los. Er ließ sich von Uli durch den ganzen Garten jagen, zur Freude der beiden Zuschauer Britta und Fabian. Nur dessen Mutter war gar nicht begeistert. „Stoppt den Köter doch endlich!“ Doch der „Köter“ dachte ja gar nicht daran, aufzuhören. Er lief nur noch schneller. Nach ein paar Minuten gab Uli auf und ließ sich auf das Gras fallen. Schon war Herkules bei ihm und hüpfte angetan auf dem Wehrlosen herum. „Was habe ich gesagt? Schon liegst du auf dem Boden. „Ich gebe mich geschlagen.“ Uli streichelte den erfreuten Hund. „Guter Junge.“ „Jetzt komm aber, Herkules.“ Fabian befreite Uli von dem Rüden. „Du kannst doch nicht einfach auf irgendwelchen Leuten herumtrampeln.“ Herkules war gar nicht begeistert, daß sein Spiel abgebrochen wurde und strampelte ziemlich herum. „Nix is, Töle. Jetzt geht’s erst mal wieder rein.“ Fabian drehte sich zu seinen neuen Freunden um. „Kommt ihr? Ich kann euch jetzt mein Zimmer zeigen. Unsere Haushaltshilfe wird wohl fertig sein.“ „Oh ja, das will ich jetzt aber auch sehen.“ Die drei gingen wieder ins Haus. Dort führte Fabian sie in den ersten Stock, wo sich sein Zimmer befand. Er öffnete eine Tür und die Sicht wurde frei auf ein „jugendgerecht“ eingerichtetes Zimmer: Eine Sitzgruppe bestehend aus Sofa, Sessel und Beistelltisch befand sich neben einem großen Doppelfenster, vor dem das Bett aufgestellt war. Sonst gab es in Fabians Zimmer noch einen Tisch auf dem ein Computer thronte, der aber wohl eigentlich als Schreibtisch gedacht war, ein hohes Bücherregal, ein Regal, in dem ein Fernseher inklusive Videorecorder stand und ein Kleiderschrank. Neben Fabians Bett stand noch ein Nachttisch mit Stereoanlage. Die Wände waren weiß, die Möbel alle in Schwarz gehalten. „Der Luxus hört wohl nie auf, wie?“ Uli seufzte. „Hier paßt mein Zimmer ja zweimal rein.“ „Na und? Klein aber fein. Sagt man doch, oder?“, bemerkte Fabian und ließ sich auf sein Bett fallen. „Haut euch irgendwo hin. Sofa oder so.“ Die beiden nahmen das Angebot gerne an. „Spielst du?“ Uli wies auf eine Gitarre, die am Kleiderschrank lehnte. „Ab und zu. Aber ich singe lieber“, erwiderte der Sander – Sproß. „Echt? Sucht Harry nicht noch’n Sänger für seine Band? Christoph ist doch ausgestiegen“, wandte sich Britta an Uli. „Ich glaube schon“, antwortete der. „Ehrlich?“ Fabian wurde neugierig. „Harry hat eine Band?“ „Ja, sie heißen „The Confused“. Kannst ihn ja mal drauf ansprechen“, schlug Britta vor. „Das werde ich tun.“ „Hey, stehst du auf New Model Army?“, fragte Uli, der gerade damit beschäftigt war, einen Stapel CDs zu durchforsten. „Ja, alles so’n Kram“, bestätigte Fabian. „Ich finde die auch total geil.“ „Schmeiß rein, wenn du willst.“ Also tat Uli die CD in die Stereoanlage. „Wie spät ist es?“, wollte Britta wissen. „Kurz vor drei. Hm. Ich sollte mal meine Sachen packen.“ Fabian stand auf und öffnete den Kleiderschrank. Sofort fielen ihm einige Kleidungsstücke entgegen. „So ist das. Kaum ist man eingezogen, schon gibt’s Unordnung. Unten stehen immer noch Umzugskartons rum. Die sollte mal langsam jemand auspacken“, murmelte Fabian. Er zog ein knappes weißes Shirt heraus und warf es auf sein Bett. Außerdem eine Sporthose, Turnschuhe und ein T-Shirt zum Wechseln. Diese Sachen stopfte er in einen Rucksack. Dann ging er zu seinem Bett und zog sein schwarzes Shirt über den Kopf. Britta pfiff durch die Zähne, als sie Fabians trainierten Oberkörper sah. „Kein Gramm Fett, wie? Der deutsche Peter Andre.“ „Man tut, was man kann.“ Fabian streifte sein weißes Oberteil über. „Hübsches Piercing“, bemerkte Uli. „Ja?“ Fabian zog sein Shirt ein wenig hoch und drehte den Ring in seinem Bauchnabel. „Ich glaube, Harry fand es merkwürdig.“ „Wieso, der hat doch selber eins“, sagte Uli. „Ja, aber sonst haben das doch nur Mädchen an der Stelle“, erklärte Britta fachmännisch. „Jeder, wie er will“, meinte Uli daraufhin. „Genau.“ Fabian setzte sich wieder auf seine Schlafstätte. „Ich sollte echt mal ‘ne Party machen. Nur so. Als Einstand.“ „Aber du kennst noch nicht so viele Leute hier oder?“ „Ja, ich meine ja auch erst, wenn ich mich hier etwas eingelebt habe. Na gut, dann ist schon bald mein Geburtstag“, grübelte Fabian. „Und zwar wann?“, wollte Britta wissen. „27. Juli.“ „Mitten im Sommer“, sagte Uli neidisch. „Ich hab im November. Herbst ist doch echt die beschissenste Jahreszeit.“ „Beschwer dich bei deinen Eltern“, schlug Britta vor. „Sollte ich auch mal tun. Ich hab im Februar.“ „Tja. Was wollten wir jetzt machen?“, wollte Fabian wissen. Seine Gäste hoben unwissend die Schultern. „Wir haben ja noch fast eine Stunde. Wollen wir noch ein bißchen rumfahren und irgendwo ein Eis essen?“, schlug Fabian vor. „Das ist eine gute Idee“, stimmte Britta zu. „ich könnte ein Eis vertragen.“ „Ich auch“, meinte Uli. „Ihr kennt euch hier ja aus“, sagte Fabian und stand auf. „Dann kommt und lotst mich zu einer guten Eisdiele!“

      Ein paar Minuten vor Beginn des Trainings kamen Fabian, Britta und Uli am Sportplatz an. Fabian stellte das Auto neben die anderen, die schon auf dem Parkplatz standen. „Du mußt dich schnell umziehen“, meinte Uli. „Es ist gleich vier. Und Herr Teschner haßt Unpünktlichkeit.“ „Gut“, sagt Fabian. Wenn er zu spät käme, würde ihm wieder Aufmerksamkeit zuteil werden. „Wie? Gut?“ „Gut, dann beeile ich mich.“ „Wir gehen am besten schon mal zur Tribüne auf dem Platz“, sagte Britta. „Du findest dich doch bestimmt zurecht?“ „Sicher, geht nur. Bis gleich.“ Fabian schlenderte auf das Gebäude zu, das die Umkleidekabinen und Duschen beherbergte. Er suchte seinen Weg zu den Räumen der Jungen. Nach einer Weile fand er diese. Er betrat die Umkleide und stellte fest, daß schon alle auf dem Platz sein mußten, denn außer den Klamotten der Spieler befand sich nichts und niemand mehr dort. Gemütlich und ohne sich zu beeilen sah sich Fabian noch einen Moment um. Dann machte er sich daran, sich umzuziehen. Als er fertig damit fertig war, zeigte seine Uhr schon zehn nach vier. Fabian lächelte, holte tief Luft und verließ die Umkleide durch eine Tür, die zum Sportplatz führte. Er sah draußen in einiger Entfernung einige junge Männer ihre Runden auf dem Rasen laufen. Und er sah Herrn Teschner, der etwas abseits stand und Anweisungen gab. Auf der Tribüne rechts neben dem Feld saßen Britta und Uli, die ihm zuwinkten. Fabian nickte zurück und schlenderte auf seinen Lehrer zu. „Herr Teschner? Da bin ich.“ Der Angesprochene sah ihn kurz prüfend an. Dann blickte er auf seine Uhr. „Also, wenn sie hier spielen wollen, dann müssen sie pünktlich sein. Sonst haben sie gar keine Chance“, sagte er mahnend. „OK. Tut mir leid.“ Fabian sah zu Boden. Die Aktion war nicht ganz so gelaufen, wie er sich das vorgestellt hatte. Keine perfekte Begrüßung. „So, jetzt schließen sie sich am besten mal den Jungs an. Aufwärmen ist angesagt“, meinte Herr Teschner. Fabian nickte, joggte locker auf die Gruppe Jugendlicher zu und schloß sich nach Anweisung an. „Hey!“, keuchte einer der Jungen. „Bist du neu?“ „So siehst’s wohl aus“, erwiderte Fabian. „Ich will hier mitspielen. Herr Teschner sieht sich an, wie ich spiele.“ Sein Gesprächspartner nickte nur, da das Laufen ihn doch ziemlich beanspruchte. Fabian warf einen Blick auf seinen Lehrer, der immer noch mit verschränkten Armen am Feldrand stand und die Gruppe beobachtete. Fabian biß sich auf die Lippen und lief schneller, bis er sich an die Spitze des Feldes gesetzt hatte. Dank seiner guten Kondition hielt er sein Tempo durch, bis Herr Teschner seine Trillerpfeife benutzte, um den Jungs eine Pause zu gönnen. Alle blieben erleichtert und angestrengt auf dem Rasen stehen. Herr Teschner gesellte sich zu ihnen. „So, Leute. Dehnen!“ Wie er es sagte, wurde es getan. Nachdem auch das abgehandelt war, sagte der Lehrer: „Letztes Mal haben wir soviel andere Übungen gemacht, da sind wir gar nicht zum Spielen gekommen. Das holen wir heute nach.“ Zustimmendes Gemurmel wurde in der Gruppe laut. „Das ist Fabian“, stellte er den genannten vor. „Er will hier zeigen, was er so draufhat. Wenn Holger weggeht, brauchen wir schließlich einen guten Mann im Sturm.“ „Ist er gut?“, fragte ein recht großer Typ kaugummikauend skeptisch. „Eben das werden wir ja gleich sehen.“ Herr Teschner nickte Fabian zu. „Richtig. Ich war auch in Berlin Stürmer.“ „Großstadtjunge, wie?“ Der Typ sah ihn abfällig an. „Genau.“ Fabian schnitt eine Grimasse in seine Richtung. „Nicht quatschen Jungs, spielen! Aufstellung wie immer!“ Herr Teschner klatschte in die Hände, teilte die Jungen in zwei Mannschaften ein und erklärte Fabian noch schnell seine Position. Dann verließ er das Spielfeld wieder. „Fatzke“, murmelte der Kaugummi – Junge zu Fabian, der in der gegnerischen Mannschaft spielte. „Wart’s ab“, sagte Fabian und lächelte überlegen. Da ertönte auch schon wieder der schrille Pfeifton. Das Spiel konnte beginnen. Fabians Debüt war nicht anders als mit dem Wort grandios zu bezeichnen. Er war schnell, schneller als die meisten seiner Mitspieler und es verflüchtigten sich bald die Bedenken, er könnte vielleicht nicht mithalten. Er erdribbelte sich Ball um Ball und schoß unter den Anfeuerungsrufen seiner zwei Anhänger auf der Tribüne zwei Tore in einer halben Stunde. Dann brach Herr Teschner das Spiel ab. Erledigt fiel Fabian auf den Rasen und schloß die Augen. Er hörte sein Herz laut in seiner Brust schlagen und sein Atem raste genauso dahin. Er war noch in guter Form, hatte aber schon längere Zeit nicht mehr gespielt. „Hey.“ Fabian öffnete die Augen. Über sich sah er den Jungen, der ihn vorhin dumm angemacht hatte. Dieser keuchte ebenfalls und streckte Fabian die Hand hin. „Gutes Spiel.“ Fabian zögerte kurz, ergriff dann aber doch die angebotene Hand und ließ sich hochziehen. „Danke. Du bist auch nicht schlecht.“ „Tut mir leid wegen vorhin. Du kamst mir nur so vor wie ein ziemlicher Angeber. Große Klappe nichts dahinter, du weißt schon“, entschuldigte sich der Typ. „Ich bin Matthias.“ „Fabian Sander“, stellte sich Fabian erneut vor. „Meine Herren, zusammenkommen bitte!“, rief Herr Teschner und auch die beiden gingen auf den Trainer zu. „Das Spiel hat mir gefallen. Wenn ihr immer so spielt. Was haltet ihr von unserem Neuzugang?“, fragte er in die Runde. „Ziemlich gut.“ „Und schnell“, kamen so die Antworten von den Jungen. „Das meine ich auch.“ Herr Teschner nickte Fabian anerkennend zu. „Ich denke, er ist ein würdiger Ersatz für Holger.“ „Ja, Holgi würde sich freuen, daß ein so guter Spieler seinen Platz einnimmt“, meinte Matthias. „Danke Leute“, sagte Fabian, erstmals verlegen aufgrund so vieler netter Worte. „Machen wir früher Schluß heute. Weil ihr so gut wart“, sagte der Trainer mit Blick auf die Uhr. „Die zehn Minuten lohnt es sich nicht mehr.“ Ohne weitere Aufforderung verließen die Jungen den Platz. Bis auf Fabian. Der trat auf seinen Lehrer – und jetzt auch Trainer – zu. „Sie wollen mich also mitspielen lassen?“, fragte er. „Wie gesagt, sie sind gut. Und ein passender Ersatz.“ Herr Teschner nickte. Fabian strahlte. „Vielen Dank. Ich freue mich, daß ich ihnen gefallen habe.“ Seine Augen blitzten auf. „Nichts zu danken. Danken sie höchstens sich selber“, sagte Herr Teschner. „Trauen sie sich zu am Sonntag bei einem „Freundschaftsspiel“ mitzuspielen? Eine Mannschaft aus Königslutter hat angefragt.“ „Natürlich. Ich bin fit wie ein Turnschuh“, meinte Fabian lächelnd. „Das ist gut. Einzelheiten erfahren sie noch am Mittwoch. Denken sie dran, gleicher Ort, gleiche Zeit.“ Herr Teschner drehte sich um und wollte gehen, doch er wandte sich noch kurz an Fabian: „Aber dann pünktlich.“ „Sicher.“ Fabian sah ihm noch nach. Dann machte er einen Luftsprung, um seiner Freude endlich Ausdruck zu verleihen. Er war gut. Er war der Beste. Das hatte er bewiesen. Mit diesem Gefühl von Zufriedenheit machte er sich auf den Weg in Richtung Umkleide. Doch vorher zeigte er seinen Zuschauern auf der Tribüne einen enthusiastisch erhobenen Daumen, woraufhin diese noch einmal jubelten und grölten. „Wir sehen uns am Auto!“, rief Fabian ihnen zu und lief zu den Räumen, um sich umzuziehen.
      „Du hast es wirklich geschafft.“ Britta ließ sich auf den Sessel in Fabians Zimmer fallen. „Kompliment.“ „Ich sagte doch, ich bin gut“, sagte Fabian und nahm neben Uli auf dem Sofa Platz, der den Hund auf dem Schoß hatte. „Hätte ich dir gar nicht zugetraut“, meinte Uli.
       „Na, vielen Dank.“ Fabians Mundwinkel zuckten beleidigt. „Hey, nimm’s nicht so schwer“, sagte Britta. „Er hatte eben das typische Angebervorurteil.“ „Bei uns auf der Schule gibt es eben total viele, die große Sprüche klopfen, aber nichts im Kopf oder sonst was zu verkaufen haben“, erklärte Uli. „Tja, ich bin aber wohl keiner von denen.“ „Dann bist du aber eine große Ausnahme.“ „Kann sein.“ „Ich glaube, ich muß jetzt mal langsam gehen“, sagte Britta nach einer Weile. „Ich habe noch Aufgaben rumliegen. Außerdem schreiben wir morgen wirklich mal einen Englischtest. Grammatik, was immer.“ „Ich komme dann mit“, meinte Uli. „Soll ich euch nach Hause bringen?“, wollte Fabian wissen und stand auf. „Wo ihr ja einen etwas weiteren Weg habt, denke ich mal.“ „Das wäre total nett“, nahm Britta das Angebot an. „Ja, finde ich auch. Sie wohnt nicht weit von mir“, meinte Uli. „Alles klar. Dann gehen wir mal“, meinte Fabian. „Hey, ich fand’s nett bei dir“, sagte Britta noch, bevor sie das Zimmer verließen. „Das nächste Mal kommst du zu mir!“
      Als Fabian die Haustür aufschloß, hörte er gleich die Stimme seines Vaters aus dem Wohnzimmer. Er entschied sich, diesen erst mal zu begrüßen. Tagsüber bekam er ihn selten zu Gesicht. Als Besitzer einer Kaufhausketten hatte er eben doch viel zu tun, entgegen vieler Annahmen. So wie Fabian das Wohnzimmer betrat, sah er, daß sein Erzeuger in ein Telefongespräch verwickelt war. Dennoch begrüßte er seinen Sohn, indem er die Hand hob. Fabian nickte ihm zu und ließ sich auf eines der Ledersofas sinken. Dann nahm er sich einen roten Apfel aus der Obstschale, die vor ihm auf dem Tisch stand und biß hinein. Da kam auch schon der Hund ist das Wohnzimmer gerannt und sprang neben Fabian auf die Couch. Gierig schaute Herkules in Richtung Apfel. Fabian sah seinen Hund an. „Hör mal, das magst du nicht“, sagte er leise, um das Gespräch seines Vaters nicht zu stören. Doch der Hund schien davon unbeeindruckt und starrte weiter wie hypnotisiert auf die Frucht. „Na gut, aber du wirst es nicht mögen.“ Fabian teilte ein Stück von dem Apfel ab und hielt es dem Hund hin. Der schnappte es, ohne auch nur vorher daran zu schnüffeln und raste aus dem Wohnzimmer. „Seid wann frißt der Hund Äpfel?“, fragte Herr Sander, der sein Telefonat soeben beendet hatte. „Frag mich nicht. Vielleicht liegt’s an der Luft hier“, vermutete Fabian. „Wie war dein erster Tag?“, wechselte sein Vater das Thema. „Gut. Ich habe gleich ein paar nette Leute kennengelernt“, erwiderte Fabian. „Hat mir deine Mutter schon erzählt. Waren ihr auch sympathisch. Und sie hat mir auch von dem Vorspiel erzählt.“ Wolfgang Sander sah ihn gespannt an. „Wie ist es gelaufen?“ „Ich bin im Team“, antwortete sein Sohn. „Also war ich wohl gut.“ „Glückwunsch“, sagte Herr Sander. „Da kann ich ja stolz auf dich sein. Aber ich weiß natürlich, warum du wieder in ein Team wolltest.“ „Ach ja?“ Fabian schaute überrascht. „Und wieso?“ „Na, damit du dir leicht bekleidete, muskulöse Männer ansehen kannst.“ Sein Vater lächelte spöttisch. „Blödmann“, sagte Fabian beleidigt. „Du weißt doch, wie gerne ich spiele.“ „Kommt ganz drauf an, was“, scherzte sein Erzeuger. „Hey, habe ich jemals einen Fußballspieler angeschleppt und euch vorgestellt? Außer als Kumpel?“, wollte Fabian wissen. „Nein, nein, ich ärgere dich doch nur“, winkte sein Dad ab. „Du weißt, daß ich das nicht mag“, meinte Fabian „OK, tut mir leid“, entschuldigte sich der 48–jährige. „Gut. Wo ist Mama?“ fragte Fabian. „Sie hat noch zu arbeiten. Aber wenn du mich fragst...“ Herr Sander beugte sich zu seinem Sohn vor. „...Dann steht sie die ganze Zeit vor dem Kleiderschrank, um sich ein passendes Outfit für die Party am Freitag herauszusuchen.“ „Hältst du sie für so oberflächlich?“ Fabian betrachtete das Apfelskelett in seiner Hand. „Wie viele Leute kommen denn?“ „Ich weiß gar nicht. Aus Berlin kommen Weimers und Ziemanns. Die kennst du ja. Und ein paar von unseren neuen Nachbarn, die deine Mutter eingeladen hat“, antwortete sein Vater und strich sich über die Überreste seiner schwarz – grauen Haarpracht. „Ich habe wirklich keine Ahnung. Sag mal, sind deine Lehrer denn auch nett?“ Fabian nickte. „Sehr. Und ich komme auch ganz gut mit. Am Sonntag ist übrigens ein Freundschaftsspiel von meiner Mannschaft. Trainer ist übrigens mein Deutschlehrer“, erzählte Fabian. „Ach, wirklich?“, hakte Herr Sander interessiert nach. „Vielleicht kann der ja noch Sponsoren gebrauchen. Da ließe sich bestimmt was machen.“ „Oh nein, nicht wieder die Sponsorgeschichte!“, stöhnte Fabian. „Das hat mich in Berlin schon so genervt!“ „Wieso das denn?“, wollte sein Vater überrascht wissen. „Naja, irgendwie finde ich es nicht so toll, wenn ich in der Mannschaft spiele und mein Vater den großen Macker macht“, erklärte Fabian. „Weißt du, das läßt doch an meinen spielerischen Fähigkeiten zweifeln.“ „Ich verstehe schon. Aber schade drum ist es trotzdem. Hätte bestimmt was werden können“, meinte Herr Sander schulterzuckend. „Ist ja auch nett gemeint. Aber halt dich da lieber raus.“ „OK, wie du meinst.“ „Und ich geh jetzt mal hoch. Hausaufgaben machen.“ Fabian stand auf und verließ das Wohnzimmer. Sein Vater sah ihm nach und seufzte ein wenig enttäuscht. Er hätte so gerne wieder etwas gehabt, was ihm seinen Sohn näher gebracht hätte.

      Völlig übermüdet fiel Fabian an diesem Abend ins Bett. Sein Wecker neben seiner Schlafstätte sagte ihm, daß es bereits kurz vor zwölf war. Die paar Hausaufgaben, die er hatte erledigen müssen, hatten eben doch ihre Zeit gebraucht. Dann noch ein bißchen gelesen, das läpperte sich schließlich doch. Und nun ließ er den vergangenen Tag noch einmal Revue passieren. So viele neue Eindrücke. Und er hatte gleich zwei neue Freunde gewonnen, auch wenn er sich zugegebenermaßen nicht gerade einladend verhalten hatte. Aber manchmal war es besser, sich zu distanzieren und keine überstürzten Freundschaften einzugehen. Das hatte Fabian mit der Zeit gelernt. Doch Britta und Uli schienen es ernst zu meinen. Sie waren auch nicht oberflächlich, doch wahrscheinlich kam er selbst anderen Leuten oft so vor und das wußte er auch. Vielleicht wirkte er eingebildet und wie ein Angeber. Nachdenklich drehte sich Fabian auf die Seite und schloß die Augen. War seine Art wirklich von Vorteil? Er war ja eigentlich nicht so, wie er sich gab. Das wirkte wahrscheinlich so abweisend auf seine Mitmenschen. Nein, wenn er so nachdachte, kam es ihm so vor, als würde es ihm wenig nützen, den großen wilden Mann zu spielen. Aber es gab natürlich Situationen, da mußte er einfach so sein. Aber vor seinen Freunden und allen, die es werden sollten, nützte das gar nichts. Bevor er einschlief, beschloß Fabian, seine hochmütige Art auf diese wesentlichen Situationen zu beschränken.

      Am folgenden Dienstagmorgen kam Fabian nur schwer aus den Federn. Seine Knochen schmerzten und seine Muskeln spannten im ganzen Körper. Außerdem war ihm, als würde jemand ständig mit einem Vorschlaghammer auf seinen Kopf einschlagen. Aber es half alles nichts. Er stand also ächzend aus seinem Bett auf und reckte sich. Im Schneckentempo zog er sich an und erledigte die üblichen Badezimmer – Angelegenheiten. Dann ging er ins Erdgeschoß, um mit seinen Eltern das Frühstück einzunehmen. Er mußte sich dann ziemlich sputen, da es schon zwanzig vor acht war. Natürlich würde er zu spät kommen, daß wußte Fabian schon, als er das Grundstück mit dem Wagen verließ. Uns tatsächlich: Als er an der Schule ankam war es bereits kurz nach acht. Der Unterricht hatte gerade begonnen. Fabian beeilte sich, um sich nicht noch mehr zu verspäten. In den ersten beiden Stunden konnte er seine Begabung in Mathe testen, dieses Fach bei Frau Altmann stand auf dem Programm. Die Frau war alles andere als alt, gerade mal Anfang dreißig, dynamisch und temperamentvoll wie ein Wirbelwind, das sollte Fabian schnell merken. Als er an der Tür zum Klassenraum klopfte, wurde diese kurz darauf von Harry geöffnet, der gerade etwas zum Papierkorb gebracht hatte und den Zuspätkommer empfangen konnte. Fabian war froh, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Frau Altmann unterbrach ihre Tätigkeit, eine Aufgabe zu erklären, um Fabian zu begrüßen. „So, Sie sind dann wohl Fabian Sander. Wie ich hörte, Experte im Zuspätkommen.“ Die Schüler schmunzelten. „Entschuldigen sie, es wird nicht mehr vorkommen“, sagte Fabian. „Schon gut, nicht so tragisch, wenn es bei dem einen Mal bleibt. Es gibt da noch ganz andere, nicht wahr, Jan?“ Frau Altmann nickte einem Jungen in er ersten Reihe zu, der sie angrinste aufgrund der Bemerkung. „Sie halten den ungeschlagenen Rekord. Aber jetzt wieder zurück zu unserem Versuch“, sagte die Lehrerin. „Fabian, setzen Sie sich doch in die dritte Reihe dort rechts. Neben Imke.“ Fabian nickte und bezog den angewiesenen Platz neben dem Mädchen, das ihn freundlich ansah. „Hey. Ich bin Imke. Das weißt du ja schon“, sagte sie. „Ich bin Fabian. Aber das weißt du ja auch schon.“ Er grinste. „Ich denke, du kommst hier zurecht. Es ist einfach.“ „Ja, es wird gehen, danke.“ Fabian starrte auf die Tafel und machte sich daran, das Angeschriebene in sein Heft zu übertragen. Dann hörte er eine Weile konzentriert zu. Doch dann fiel ihm ein, was Uli und Britta gestern gesagt hatten: Harry war es doch gewesen, der eine Band hatte. Und jetzt, da er in dem gleichen Kurs war, wie er und direkt vor ihm saß, konnte er ja mal anfragen. Also riß er ein Blatt aus seinem Heft und schrieb darauf die Frage, ob Harry und seine Confused -  Leute immer noch einen Sänger bräuchten, er würde sich da anbieten. Dann faltete er das Briefchen zusammen und warf es im passenden Moment bei seinem Vordermann auf den Platz. Als Harry sich umdrehte und Fabian fragend ansah, nickte der ihm zu. Daraufhin machte sich Harry daran, den Zettel zu lesen. Er kritzelte einige Worte darauf und gab ihn an Fabian zurück. „Ja, eigentlich schon. Wenn du singen kannst...Wir spielen alte Sachen und schreiben auch selber. Kannst ja mal zum Bandtreffen kommen, Donnerstag um drei bei mir.“ Darunter hatte Harry noch seine Adresse aufgeschrieben. Der drehte sich auch noch einmal um, und als Fabian ihm wieder ein Zeichen als OK gab, widmeten sich beide wieder der höheren Mathematik.
      Nach den ersten zwei Stunden gingen Harry und Fabian zusammen runter auf den Schulhof. „Du hast also Interesse, ja?“, wollte Harry wissen. „Richtig. Ich singe ganz gut, also ich jaule zumindest nicht wie ein Hund bei Vollmond“, bejahte Fabian die Anfrage. „Das ist gut, ich kann nämlich überhaupt nicht singen. Da nehmen ja sogar die Fliegen Reißaus“, meinte Harry grinsend. „Sieh mal, Britta und Uli.“ Er zeigte auf die Raucherecke, wo die beiden wirklich standen und Zeichen in ihre Richtung machten. „Gehen wir mal hin“, schlug Fabian vor. „Na, ihr beiden?“, wurden sie dann von Britta begrüßt. „Harrylein, wir haben Fabian von Confused erzählt -“ „Ich weiß schon“, unterbrach sie der Angesprochene. „Wir haben schon was ausgemacht.“ „Ach ja? Du singst vor?“, fragte Uli Fabian. „Genau“, erwiderte der. „Hey Uli, das lassen wir uns auch nicht entgehen, oder?“ Britta stieß ihren Kumpel in die Seite. „Auf keinen! Wenn wir ihn schon Fußball spielen gesehen haben, dann wollen wir ihn auch singen hören.“ „Du spielst Fußball?“, wollte Harry seinerseits wissen. „Ja, bei Herrn Teschner in der Mannschaft.“ „Wow, dann mußt du gut sein“, sagte der Bandleader anerkennend. „Ist nicht am Sonntag dieses Spiel gegen Königslutter? Ich habe das in der Zeitung gelesen.“ „Da liegst du richtig“, antwortete Fabian. „Und spielst du mit?“ Fabian nickte. „Da kommen wir auch und feuern dich an.“ Britta klopfte ihm auf den Hintern. „Hey, nicht handgreiflich werden“, mahnte Uli lachend. „Für Handspiel gibt’s ne Karte!“, ergänzte Harry. Doch Britta streckte ihnen nur die Zunge heraus. „Wenn sich das Opfer nicht wehrt...“ Sie lächelte Fabian an, der etwas verlegen in die Runde schaute. „Oder habe ich dich jetzt schwer belästigt?“, wollte Britta dann doch mit ernster Miene wissen. „Oh ja. Ich glaube, das ist traumatisch“, gab Fabian mir genau dem gleichen Ernst zurück. „Ich werde dich verklagen.“ Britta machte ein gespielt trauriges Gesicht. „Und ich dachte, du würdest meine Liebe erwidern.“ Sie spielte ein Schluchzen vor. Fabian legte daraufhin den Arm um sie. „Aber natürlich, gnä‘ Frau.“ Er improvisierte einen Handkuß. „Na, da haben sich aber zwei gefunden“, vermutete Uli. „Ja“, stimmte auch Harry zu. „Ein Schwachsinniger und ‘ne Nervensäge.“ „Vielen Dank.“ Britta machte einen Knicks. Als es klingelte, legte Britta die Hand auf Fabians Schulter. „Sag mal, wir sollten uns auch mal so treffen. Nur du und ich.“ Fabian zögerte. Aber dann sagte er: „OK, das wäre sicher witzig.“ Brittas Gesicht hellte sich auf. „Hey cool. Wann hast du denn mal Zeit? Freitag?“ „Da geben meine Eltern eine Begrüßungsparty. Aber vielleicht kannst du auch vorbeikommen.“ „Alles klar. Ich ruf dich an, ja?“ Fabian nickte zustimmend. „OK, bis denne.“ Britta lief die Treppe im Schulhaus zu den Fachräumen hinauf. Fabian sah ihr nach. Britta war wirklich in Ordnung.
      In der letzten Stunde hatte Fabian wieder Deutsch. Da war Britta dann auch wieder mit von der Partie. Fabian lächelte Herrn Teschner freundlich zu, als er den Raum betrat. Dieser nickte ihm wohlwollend zu. „Er kann dich anscheinend ab“, wisperte Britta ihm zu. „Wenn du dich noch im Unterricht anstrengst und die Arbeiten gut schreibst, dann kannst du glatt zum Lieblingskind aufsteigen.“ „Das will ich ja gar nicht“, wehrte Fabian ab. „Ich glaube, wir liegen einfach auf derselben Wellenlänge. Ich glaube, bei Herrn Becker in Geschichte kann ich mich sonstwie reinhängen, der kann mich wohl nicht so leiden.“ „Der ist allerdings ein Stinkstiefel.“ „Britta! Muß ich Sie wieder zur Ordnung rufen?“ Herr Teschner warf dem Mädchen einen rügenden Blick zu. „Fabian, was haben Sie nur mit ihr angestellt? Es ist wohl besser, ich setze Sie auseinander.“ „Nein, nein!“, sträubte sich Britta. „Ich bin ruhig. Ich versprech’s.“ „Na, mal sehen, wie das weitergeht. Dann könnten Sie aber bitte gleich mal ihre Personencharakterisierung vorlesen.“ „Gerne.“ Britta las also ihre Hausaufgabe vor. Diese war vorbildlich, da war sie aus dem Schneider. Und auch Fabian folgte dem Unterricht mit enormer Aufmerksamkeit.

      Fabian lag gerade auf seinem Bett und las in einem Buch über die sexuelle Revolution, als sein Telefon klingelte. Er legte den Lesestoff beiseite und nahm den Hörer von seinem  Siemens Telefongerät „schwarz“ ab. „Fabian Sander“, meldete er sich gewohnheitsmäßig. „Hallo, hier ist Britta!“, meldete sich die Stimme am anderen Ende. „Oh, hallo.“ Fabian sah aus dem Fenster auf den Garten, wo seine Mutter in einem Liegestuhl am Pool lag. „Ich wollte fragen, ob das mit Freitag klar geht.“ „Ach du je, das habe ich ganz vergessen“, sagte Fabian wahrheitsgemäß. „Aber ich kann fragen, wartest du kurz?“ „Nee, ich lege jetzt sofort auf“, sagte sie mit ernster Stimme. „OK, Moment mal!“ Fabian legte den Hörer beiseite und öffnete eines der zwei Fenster vor ihm. „Mama!“, rief er seine Mutter. Die drehte sich zu ihm um und nahm ihre Sonnenbrille ab. „Was denn?“ „Kann Britta am Freitag vorbeikommen? Auch wenn ihr hier fetet?“ „Warum nicht!“, erwiderte Frau Sander mit einem erfreuten Ausdruck auf dem Gesicht. „Danke.“ Fabian schloß das Fenster und nahm den Hörer wieder zur Hand. „Hallo?“ „Hallo.“ „Also, das geht klar.“ „Cool!“, freute sich Britta. „Soll ich dann noch irgendwas mitbringen oder...?“ „Das regeln wir alles noch in der Schule, OK?“ „Alles klar. Und, was machst du so?“ „Ich lese“, gab Fabian knapp zurück. „Der Autor beschäftigt sich mit der sexuellen Revolution und ihren Folgen für Gegenwart und Zukunft.“ „Klingt ja sehr spannend“, meinte Britta wenig begeistert. „Naja, Medium.“ „Naja...dann sehen wir uns wohl morgen, wie?“ „Hm-hm“, gab Fabian als Zustimmung zurück. Er war gerade damit beschäftigt, seine Heizung mit Bleistift anzumalen. Das war seine Macke, wenn er telefonierte. Dann brauchte er immer etwas zum rumkritzeln. „Gut. Dann schönen Dank noch.“ „Danke dir auch.“ „Tschüs denne.“ Britta legte auf und auch Fabian plazierte den Hörer auf dem Basisgerät. Dann legte er sich auf den Rücken in sein Bett zurück und starrte die Decke an, statt weiterzulesen. Fabian schubste das Buch mittels einer kleinen Handbewegung von der Bettdecke, so daß es leicht zerfleddert auf dem Fußboden landete. Seine Augen schlossen sich unwillkürlich. Er konnte sie einfach nicht mehr offenhalten. Gerade dachte er daran, daß es wohl besser wäre, heute früher ins Bett zu gehen. Da war er aber auch schon eingeschlafen.

      Fabian wachte auf, als seine Mutter das Zimmer betrat. „Na, Schlafmütze?“ Fabian gähnte. „Wie spät ist es?“ „Kurz nach sechs“, erwiderte seine Mutter. „Kannst du mit dem Hund gehen? Der spielt schon ganz verrückt.“ Fabian nickte und streckte sich. „Hast du Hunger? Willst du vorher noch was essen?“, wollte Anne Sander fürsorglich wissen. „Nein laß mal.“ Florian stand auf. „Wo ist der Rüde?“ „Im Wohnzimmer, bei Papa.“ Fabian warf einen prüfenden Blick aus dem Fenster. Das Wetter sah gut aus, keine dicken Wolken, Sonne. Frische Luft würde gut sein. „Frische Luft wird dir gut tun“, sagte seine Mutter. „Genau das habe ich auch gerade gedacht.“ Die beiden verließen das Zimmer und gingen ins Erdgeschoß, dann betraten sie das Wohnzimmer. Sogleich sprang Herkules von dem Sofa, auf dem er bis eben gesessen hatte. „Er weiß ganz genau, was jetzt kommt“, bemerkte Herr Sander, der auf dem anderen Sofa saß und ein Fußballspiel im Fernsehen sah. „Wer spielt?“, wollte sein Sohn wissen, während er den erfreuten Rüden anleinte. „Juventus gegen Bayern“, erwiderte sein Erzeuger. „Hoffentlich gewinnt Juventus.“ Fabian grinste. „Was? Bayern muß gewinnen!“, widersprach sein Vater. „Ach was. Ich gehe jetzt.“ Das tat Fabian dann auch. Er ließ sich von dem Hund durch die Haustür, vom Grundstück, auf die Straße ziehen.
      Während er so mit Herkules Gassi ging, dachte Fabian an das Fußballtraining morgen. Hoffentlich hielt sich das Wetter. Fabian sah in den blauen Himmel. Es sah zumindest noch ganz danach aus, als würde ihnen das Hoch Daniel noch ein paar weitere schöne Frühlingstage bescheren. Fabian wurde aus seinen Gedanken gerissen, als der Hund anfing zu kläffen. Fabian erblickte in einiger Entfernung schon den Grund dafür: Ein anderer Hund und sein Besitzer näherten sich den beiden auf ihrer Straßenseite. Als sie näherkamen, erkannte Fabian auch, wer es war: Es war Herr Teschner in Begleitung eines Collies. Fabians Mund formte sich zu einem Lächeln. „Hallo, Herr Teschner!“, rief er seinem Lehrer aus einiger Entfernung zu. Der Angesprochene sah auf, erblickte Fabian und hob die Hand als Gruß. Schließlich standen sie sich gegenüber. „Das ist aber ein süßer Hund“, meinte Fabian und zog den aufgeregten Herkules ein wenig zurück. „Wie heißt er denn?“ „Lassie“, erwiderte Herr Teschner mit Leidensmiene. „Wie der Hund aus dem Fernsehen?“ „Das ist es ja“, meinte der Lehrer. „Meine Frau wollte ihn so nennen.“ „Eine Dame oder ein Rüde?“, wollte Fabian wissen. „Ein Mädchen. Zwei Jahre alt.“ „Dann ist gut.“ Fabian ließ Herkules etwas lockerer, so daß er die Hundedame beschnüffeln konnte. „Meiner ist nämlich ein Rüde. Er heißt Herkules.“ Sein Lehrer lächelte. „Guter Name. Wenn es nach mir ginge, dann hieße Lassie nicht Lassie. Mir wäre sicher etwas besseres eingefallen, aber meine Frau meinte, es wäre besonders originell, einen Collie so zu nennen.“ „Wohnen sie in der Nähe oder wieso gehen sie hier mit ihrem Hund spazieren“, wollte Fabian wissen. „Nein, ich wohne ein Stück weiter weg, aber wenn ich schon mit Lassie gehe, dann richtig“, erklärte Jan Teschner. Er betrachtete die beiden Hunde, während sie sich „kennenlernten“. „Sind sie auf das Training morgen vorbereitet?“, wechselte der Beamte das Thema. „Sicher. Ich freue mich schon auf das Spiel am Sonntag. Denen werden wir es schon zeigen“, meinte Fabian, selbstsicher wie immer. Herr Teschner nickte. „Ja, wenn alle so spielen wie Sie gestern, dann sehe ich kein Problem.“ „Ach, danke.“ Fabian schlug verlegen die Augen nieder. „Naja, dann sehen wir uns ja morgen in der Schule. Meine Frau wartet sicher schon mit dem Essen auf mich.“ Herr Teschner zog seine Lassie zurück. „Ja, bis dann und schönen Abend.“ „Ihnen auch.“ Dann gingen die beiden Hundebesitzer in entgegengesetzte Richtungen weiter. Fabian sah seinem Lehrer und Trainer noch nach. Wie mochte wohl seine Frau sein? Anscheinend war sie in seinem Leben ziemlich wichtig. Muß eine tolle Frau sein, dachte Fabian bei sich. Sie hatte Glück. Nun zog auch Fabian seinen Hund mit sich, der Herrn Teschner und Lassie sehnsüchtig hinterherschaute.

      Fabian hatte sich vorgenommen, an diesem Mittwoch pünktlich zum Fußball zu kommen. Er war sogar zehn Minuten zu früh dran, außer ihm standen nur noch ein paar Jungen auf dem Sportplatz. Und natürlich Herr Teschner. Er war sicher die Pünktlichkeit in Person, wie Fabian vermutete. Dann wollte er auch nicht mehr durch Zuspätkommen glänzen. Als dann um vier alle Spieler eingetroffen waren, konnte das Training beginnen. Aufwärmen, dehnen, Torschüsse üben, Trainingsspiel. Auch dieses Mal versuchte Fabian, sich ganz besonders anzustrengen. Leider litt er noch unter dem Muskelkater von Montag, so daß er an diesem Tag nicht ganz so viel Einsatz zeigte oder zeigen konnte. Aber er spielte trotzdem gut. Und am Sonntag würde er bestimmt, mußte er wieder fit sein. „Nach dem Training heute, werde ich bestimmt gut schlafen können“, sagte Matthias keuchend zu Fabian. „Ich auch. Das war hart“, meinte auch Fabian. „Sag mal,“, begann sein Mitspieler. „Wollen wir uns mal irgendwann treffen? Auf ein Bier? Was immer?“ Fabian überlegte. Er wurde ja momentan von Angeboten geradezu bombardiert. „Diese Woche wird’s eng“, sagte er. „Ich bin total verplant.“ „Verstehe“, sagte Matthias mit spürbarer Enttäuschung in der Stimme. Er fand Fabian nett. Er mochte ihn lieber, als die anderen Mannschaftsspieler. Das hatte Fabian bemerkt. Und auch er fand ihn sympathisch, aber für mehr war keine Zeit. Das Bandtreffen, Britta am Freitag, Ausruhen am Samstag und am Sonntag das Spiel... „Vielleicht nächste Woche“, meinte Fabian aufmunternd. „OK“, erwiderte Matthias. „So, meine Herren, ab unter die Dusche!“, rief da Herr Teschner, der auf die beiden zukam. „Alles klar!“ Matthias joggte auf die Umkleidekabinen zu und ließ Fabian stehen. „Du auch Fabian“, sagte der Trainer. Er stockte. „Jetzt habe ich Sie aus Versehen geduzt. Entschuldigung.“ „Macht doch nichts!“, wehrte Fabian sofort ab. „Sie duzen die anderen ja auch.“ „Die sind auch nicht in meiner Klasse. Aber auf dem Spielfeld ist das ja eigentlich wirklich was anderes“, sagte Herr Teschner daraufhin. „Also, wenn es Ihnen, dir nichts ausmacht...“ „Gar nicht“, meinte Fabian und lächelte. „Also, dann geh duschen und erhol dich gut für das Spiel. Bis morgen!“ Herr Teschner lief in schnellen Schritten davon. „Ja!“, rief Fabian ihm hinterher. „Bis dann“, fügte er dann noch in leiser Lautstärke hinzu. Dann machte auch er sich auf den Weg zu den Umkleiden.
      Am Donnerstag Nachmittag ging Fabian also zu Harry um dort vorzusingen. Wie er erfahren hatte, waren „The Confused“ Stammband bei dem jährlichen Musikabend der Schule. Das brachte doch wohl Publicity. Vorausgesetzt, Harry und seine Band hatten den Blues oder was immer sie spielten. Fabian war sich auf jeden Fall ziemlich sicher, daß sie ihn nehmen würden. Als er nach der Schule Zuhause unter der Dusche stand, hatte er schon mal geübt. Und auch Herkules war ein mehr oder weniger freiwilliger Zuhörer. Aber er jaulte nicht, als Fabian ihm „Bye Bye Love“ von den Beatles vorsang. Und das war ein gutes Zeichen. Also machte sich Fabian selbstsicher wie immer auf den Weg zu Harry. Der wohnte nicht allzu weit von ihm, nach zehn Minuten fahren war er da. Er klingelte an der Tür des Neubaureihenhauses und wartete geduldig, bis Harry öffnete. „Hey, komm rein. Die anderen sind auch schon da.“ Die anderen bekam Fabian zu Gesicht, als sie Harrys Zimmer im 1. Stock betraten. Der Zustand des Raumes war mit dem Wort chaotisch ausreichend beschrieben. Auf Stühlen, dem Fußboden und dem Bett hockten noch drei andere Jungen seines Alters. „Also. Das da ist Tim.“ Harry zeigte auf einen langhaarigen Typen, der gerade damit beschäftigt war, mit Sticks auf einen Bettpfosten einzudreschen. „Hi“, sagte der. „Der da, der lange, das ist Olaf alias Zugspitze. Er spielt Bass.“ Der wirklich große Typ, der auf dem Boden saß, hob die rechte Hand. „Hallo.“ „Und der Kerl auf dem Sofa, das ist Björn. Er und ich spielen Gitarre. Akustik und E. Außerdem kann Björn notfalls noch ans Keyboard“, erklärte Harry abschließend. „Und das ist Fabian. Ich hab euch ja von ihm erzählt.“ „Hey, Leute!“, sagte Fabian und schickte einen All – Round – Blick durchs Zimmer. „Wir wollen was hören!“, grölte Tim. „Gut. Was denn?“ Fabian verschränkte die Arme vor der Brust. „Öh...“ „Ja...“ Die vier Bandmitglieder sahen sich ratlos an. „Sing irgendwas Gutes.“ „Ach wirklich.“ Fabian schnitt eine Grimasse. „Keine Vorschläge, meine Herren?“ Harry hob die Augenbrauen. „Tja...schlag du doch was vor, Pavarotti.“ Fabian überlegte. Dann hellte sich sein Gesicht auf. „Idee!“, sagte er. „Steht ihr auf Oldies?“ „Hey, „Love me do“ und „Stayin‘ Alive“ gehören zu unserem Pflichtprogramm!“, antwortete die „Zugspitze“. „Gut. Ich hoffe, ihr habt keine Abneigung gegen den Rocket Man.“ „Elton John!“, rief Björn und betonte jede Silbe. „Ich habe alle CDs!“ „Super. Wunderbar. Dann kennt ihr doch sicher den Song hier.“ Fabian räusperte sich und begann, „Crocodile Rock“ zu improvisieren. Für eine Improvisation war die Vorführung inklusive wildem Herumgespringe und Grimassen schneiden wirklich gut. Natürlich war der Gesang das wichtigste. Als Fabian fertig gesungen hatte, starrten ihn alle an. Er sah irritiert in die Runde. „Nicht gut?“ Er verzog das Gesicht. „Doch. Doch.“ Harry begann, wild zu nicken. „Du warst der beste von den bisherigen Bewerbern.“ „Oh ja, Alexander Neubauer gestern, furchtbar!“, rief Tim. „Aber du warst gut.“ „OK. Stimmen wir ab“, schlug Harry vor. „Wer ist für diesen Virtuosen hier?“ Vier Hände hoben sich. „Wer ist dagegen?“, fragte Olaf. „Ha, ha, sehr witzig, Zugspitze.“ Tim klopfte mit seinen Sticks auf Olafs Kopf. „Au!“, rief der Geschlagene. „Mein Dez!“ „Gehirnzellen zerstören, Gehirnzellen zerstören!“, schrie Tim begeistert und drosch weiter auf seinen Kumpel ein. „Welche Gehirnzellen?“, wollte Björn wissen. „Ey, Jungs. Ihr habt sie nicht mehr alle“, meinte Fabian und schüttelte den Kopf. „Jetzt weiß ich, warum ihr „Confused“ heißt.“ „Du gehörst jetzt auch dazu“, meinte Harry. „Wartet mal, hallo, hört mal zu.“ Tim unterbrach seine Tätigkeit, Olafs Kopf als Drums zu benutzen. „Ja?“ „Ich will jetzt aber auch mal was hören.“ „OK. Zeigen wir Pavarotti hier mal, was wir so drauf haben. Kommt.“ Die Band folgte ihrem Leader Harry in den Keller des Hauses. Dort hatten sie sich einen kleinen, schalldichten, oder fast schalldichten Übungsraum aufgebaut. Dort wurden die ganzen Instrumente samt Verstärkern gelagert. Die Jungs griffen sich ihre Instrumente und legten los. Sie spielten ein Gemisch aus Metallica, den toten Hosen und ACDC. „Kriegt ihr hier keinen Hörschaden?“, brüllte Fabian gegen die Lautstärke an. „Hä?“ „Schon gut.“ Dann spielten die Jungs etwas ruhigeres. Beatlesmäßig. Das gefiel Fabian schon besser. Die Jungs hatten wirklich was drauf. Wahrscheinlich jahrelange Übung. „OK, OK. Ich habe genug gehört“, wehrte Fabian dann ab, als „Confused“ zum dritten Mal loslegen wollten. „Mir reicht‘s für heute. Ich geh nach Hause und schone mein Gehirn.“ Fabian klopfte gegen seinen Kopf. „Gut. Ich sag dir irgendwann mal Bescheid, wenn wir für den nächsten Musikabend planen müssen“, meinte Harry. Er begleitete Fabian noch zur Haustür. „Und sonst, jeden Donnerstag, gleiche Zeit, gleicher Ort.“ „Alles klar.“ Harry gab Fabian zum Abschied förmlich die Hand. „Senior Pavarotti, es hat mich gefreut, ihre Bekanntschaft zu machen.“ „Ich habe zu danken, Meister“, sagte Fabian demütig. Dann stieg er in seinen Wagen und fuhr davon.

      Fabian sah auf seine Uhr und seufzte. Es war Freitag. Es war sechste Stunde. Es war Geschichte. Und es waren noch ganze zehn Minuten, die die Schüler vom Wochenende trennten. Fabians Augen fielen zu. Wochenende. Britta. Party. Schlafen. Fußballspiel. Fabian öffnete seine Augen wieder und starrte auf Herrn Becker, der vorne an der Tafel wie ein Wilder am gestikulieren war. Fabian mußte grinsen und fragte sich, ob der Lehrer aus irgendeiner geschlossenen Anstalt geflohen war und sich eingeschlichen hatte. Durch die Klingel wurde er aus seinen Gedanken gerissen. „Endlich Wochenende!“, entfuhr es Fabian, der als erster aufgesprungen waren. Die anderen Schüler stimmten ihm nickend zu und tauschten ihre Wochenendpläne aus. Als Fabian die Klasse verlassen wollte, tippte Britta ihn an. „Hey du, wann soll ich heute vorbeikommen?“ Fabian überlegte. „So gegen sechs? Dann ist noch nicht soviel los.“ Britta nickte zustimmend. „Bis dann!“ Sie drückte dem überraschte Fabian einen flüchtigen Kuß auf die Wange, bevor sie mit schnellen Schritten aus dem Klassenraum ging. „Na, die hat wohl einen Narren an dir gefressen“, meinte Uli, der sich an Fabian vorbei hinaus drängelte. Fabian erwiderte gar nichts. Er machte sich statt dessen auch schnell davon.
       Pünktlich um sechs Uhr klingelte Britta bei den Sanders und Fabian öffnete ihr. „Hallo“, sagte sie und trat in das Haus ein. „Wo ist der Hund?“ „Draußen“, antwortete Fabian. „Warte.“ Er streckte den Kopf ins Wohnzimmer und rief aus der offenen Gartentür. „Herkules! Besuch!“ Nach einigen Sekunden war Herkules im Flur und begrüßte Britta herzlich und fröhlich wie immer. „Nach draußen oder nach drinnen?“, wollte Fabian wissen. „Ist ja schön warm, gehen wir raus, ja?“ „OK, komm.“ Britta und Fabian gingen durch das Wohnzimmer in den Garten. Dort bereitete die Mutter gerade mit ihrer „Haushaltshilfe“ eine große Essenstafel vor. „Ach, hallo!“, begrüßte sie die beiden und kam lächelnd auf sie zu. „Guten Abend, Frau Sander:“ Britta gab Fabians Mutter die Hand. „Hallo. Was habt ihr vor?“, wollte diese wissen. Fabian zuckte mit den Schultern. „Also, die Gäste kommen um sieben. Um halb acht wollen wir Essen, das Büfett müßte bald kommen.“ Leicht nervös sah sie auf die Uhr. „Ihr könnt natürlich mitessen.“ „Das ist gut“, meinte Fabian. „Hoffentlich geht alles glatt“, sagte Anne Sander. „Mach dir keine Sorgen, es wird perfekt“, ermutigte Fabian sie. „Wenn du meinst...“ Sie wandte sich wieder ihrer Aufgabe zu. Britta, Fabian und nun auch der Hund schlenderten durch den Garten. „Sonntag ist dein Spiel“, bemerkte Britta. „Ich weiß.“ „Und? Fit?“, wollte sie wissen. „Na klar. Hoffentlich dann auch noch.“ „Was ist eigentlich mit der Confused – Sache?“ „Die Band? Sie nehmen mich“, erwiderte Fabian. „Wirklich? Das ist toll“, meinte Britta. „Da seid ihr auf dem Musikabend bestimmt wieder dabei.“ Schweigend wechselten sie die Richtung und gingen auf das Haus zu. „Willst du was trinken?“, wollte Fabian wissen. Britta nickte. „Ja, gerne.“ Sie betraten das Wohnzimmer und gingen in die Küche. „Wasser? Cola? Saft?“ „Wasser, danke.“ Britta setzte sich auf einen der Hocker am Tresen. „Viel zu tun für deine Mutter, wie?“ „Ja, aber sie macht es ja freiwillig“, antwortete Fabian und goß Mineralwasser in ein Glas. „Sie liebt Parties.“ Er gab Britta das Wasser. „Danke.“ Sie nahm einen Schluck. „Und du? Du auch?“ „Klar, Parties sind witzig. Wollen wir hochgehen? Im Moment tobt hier ja noch nich so der Mop“, bemerkte Fabian. „OK.“ Britta rutschte von dem Hocker und folgte Fabian nach oben. In seinem Zimmer ließ sie sich auf das Sofa fallen. „Endlich mal ein Wochenende ohne lernen!“, sagte sie erleichtert. „Du hast recht. Sag mal, wollen wir vielleicht ein Video gucken?“, schlug Fabian vor. „Was hast du denn so?“, wollte seine Besucherin wissen. „Einiges. Ein paar von Tarantino, Action, ein paar Komödien. Tin Cup, Two Much und sowas.“ „OK. Hast du Pulp Fiction?“ „Englisch und Deutsch“, erwiderte Fabian. „Oh, gut. Ich habe ihn noch nie im Original gesehen.“ „Also Pulp Fiction.“ Er kramte in seinen Videokassetten und legte schließlich eine ein. Er setzte sich neben Britta und sie starrten auf den Bildschirm. Sie sahen sich den Film zur Hälfte an, dann wurden unten einige Stimmen laut. „Wir sollten gleich mal runtergehen“, schlug Fabian vor. „Gleich.“ Britta rückte ein wenig an Fabian heran und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Fabian war überrumpelt. Er saß ein paar Sekunden wie erstarrt da und versuchte, sich auf den Film zu konzentrieren. Britta hatte ihren Kopf wieder angehoben und sah Fabian an. Der wandte ihr langsam den Kopf zu und schaute ihr in die blauen Augen. Er sah, wie ihr Gesicht sich seinem näherte, bis ihre Lippen schließlich seine berührten. Er schloß seine Augen. Doch nach einer Weile löste er sich aus dem Kuß. „Hör mal..“, begann er. „Du...bist wirklich total nett, ich habe dich sehr gerne -“ Britta rückte ab. „Aber mehr nicht. Ich verstehe“, sagte sie mit Enttäuschung in ihrer Stimme. „Es liegt nicht an dir. Es ist einfach -“ „Nein, du brauchst mir nichts zu erklären“, unterbrach sie ihn wieder. „Will ich aber. Ich mag dich. Aber nicht so. Als Freundin eben“, erläuterte Fabian. „Das wäre auch so, wenn es ein anderes Mädchen gewesen wäre.“ „Willst du im Moment keine Beziehung oder so was?“, fragte Britta. „Nein, das ist es nicht. Aber es liegt nicht an dir. Glaub mir.“ „Muß ich wohl.“ Sie seufzte traurig. „Was man macht, das macht man falsch.“ „Du bist jetzt hoffentlich nicht deprimiert oder so?“ „Was sonst? Ich habe gedacht, es wird schon alles klappen. Und dann das.“ Fabian legte den Arm um sie. „Können wir nicht einfach Freunde sein?“ „Freunde. Wie in den Serien“, meinte Britta. „Laß uns Freunde sein, heißt es da immer. Aber es bleibt ja nichts anderes oder?“ Fabian schüttelte den Kopf. „Besser als gar nichts“, meinte sie und sah ihn an. „Oh nein. Sag bloß..:“ Sie schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Ich bin auch ein Blindfisch.“ „Was meinst du?“, fragte Fabian irritiert. „Du würdest lieber mit jemandem wie Uli ausgehen oder?“ Fabian lächelte. „Naja, er ist nicht gerade mein Typ, aber...“ „Die Richtung stimmt...“ Britta ließ sich tiefer in die Kissen des Sofas sinken. „Das ich das nicht bemerkt habe. Jetzt ist alles klar.“ „Es tut mir ja echt leid, aber -“ Er konnte wieder nicht ausreden. „Nein. Das ist OK. Ich meine, klar, ich hatte mir schon Hoffnungen gemacht, aber das ist nicht zu ändern, nehme ich an.“ Fabian zuckte mit den Schultern. „Im Moment...vielleicht ist es eine Phase oder so.“ „Phase? Wenn du meinst. Sag mir Bescheid, wenn die vorbei ist, OK?“, sagte Britta. „OK.“ Fabian lächelte erneut. Britta sprang auf. „OK. Jetzt bloß nicht durchhängen.“ Sie reichte Fabian die Hand. „Gehen wir was essen?“ „Klar!“ Er ließ sich hochziehen.

      Am Samstag Morgen erwachte Fabian mit Kopfschmerzen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Hoffentlich war es keine Grippe, einen Tag vor dem Spiel. Sofort dröhnte sich Fabian mit einigen Vitamintabletten zu und blieb im Bett. Er brauchte sowieso ein wenig Ruhe. Der Abend gestern war ziemlich nett gewesen. Fabian hatte aber nicht geahnt, daß Britta in ihn verliebt war. Natürlich tat es ihm für sie leid, aber er konnte es ja auch nicht ändern. Außerdem waren sie als Freunde bestimmt ein besseres Team, als als Paar. Und heute konnte sich Fabian den ganzen Tag durch das Fernsehprogramm zappen. Serien so weit das Auge reichte. Außerdem bekam er einen Anruf von Harry, der ihn fragte, ob er vorbeikommen wollte. Aber Fabian fühlte sich nicht genug motiviert, seinen Samstag mit den Verrückten von Confused zu verbringen. Harry sah das ein, wünschte einen schönen Tag und ein gutes Spiel für den Sonntag. Fabian dachte die ganze Zeit daran. Er hoffte, daß er gut in Form war und wieder zeigen konnte, daß er gut war.
      Nach dem unspektakulären, erholsamen Samstag folgte der Sonntag. Das Fußballspiel stand an. Schon früh am Morgen erwachte Fabian mit einer gewissen Aufregung im Bauch. Er stand sofort auf und nahm ein gesundes Sportlerfrühstück zu sich. Um drei Uhr am Nachmittag sollte das Spiel beginnen. Treffen um kurz vor halb. Viel zu früh packte Fabian seine Sachen. Dann verbrachte er einige Zeit damit, seine Eltern verrückt zu machen. Hoffentlich gab es keinen Regen! Was, wenn er auf der Treppe stolperte und sich den Fuß verstauchte? Fabian hielt es für richtig, die Bewegungen auf das Nötigste zu beschränken. Also setzte er sich auf das Sofa im Wohnzimmer und versuchte, sich zu entspannen. Der Hund leistete ihm Gesellschaft.
      Um Punkt zwei Uhr fuhr Fabian mit dem Auto zum Sportplatz. Viel zu früh, natürlich. Er war auch als erster da, ausgenommen von Herrn Teschner. „Hallo Fabian. Ziemlich früh oder?“, sprach der seinen Spieler an. „Besser zu früh als zu spät“, meinte Fabian. „Richtig. Dann kannst du dich ja schon mal umziehen“, schlug der Trainer vor. „Die ersten Zuschauer kommen anscheinend auch schon.“ Er wies auf zwei Autos, die auf dem Parkplatz hielten. „Und unsere Gegner sind auch unterwegs, ich habe mal den Trainer über sein Handy angerufen.“ Fabian nickte. „Ich geh dann mal.“ Das tat er dann auch. Er konnte sich mit dem Umziehen viel Zeit lassen. Nach und nach trudelten dann auch seine Mannschaftskollegen ein. Sie waren sich einig darin, daß sie Königslutter schlagen würden. Fabian war sich dessen besonders sicher. Er fühlte sich gut, die „Grippe“ vom gestrigen Tag hatte sich als einfache Erschöpfung erwiesen. Und jetzt ging es ihm ziemlich gut. Beim Aufwärmen legte er auch gutes Tempo vor. Und er hatte gute Laune. Er hatte sich wirklich auf das Spiel gefreut. Mit der Zeit füllten sich die Plätze auf den Tribünen mit Zuschauern. Fabian erblickte zufällig Britta und Uli, die ihm zuwinkten. „Macht sie fertig!“, rief Britta. Fabian nickte ihr zuversichtlich zu. Dann rief Herr Teschner sie zusammen. „So. Es geht gleich los. Der Schiedsrichter ist endlich auch da. Taktik ist klar?“, fragte der junge Trainer. Alle bejahten die Frage. „Wunderbar. Auf ein gutes Spiel.“ Fabian lächelte ihm zu. Es würde ein gutes Spiel werden. Die Mannschaft bezog Stellung auf dem Platz und begrüßte die Gegner aus Königslutter. Der Schiedsrichter warf dann die Münze und Königslutter durfte die Seite wählen. Dann konnte es losgehen, es war Anpfiff. Fabian zeigte gleich vollen Einsatz. Er versuchte, sich jeden Ball zu erspielen. Aber die andere Mannschaft war auch nicht schlecht. Sie hatten gute Stürmer und auch die Verteidigung zeigte kaum Lücken. Nach ein paar Minuten hatte Fabian eine aussichtsreiche Chance: Er hatte sich in einem Zweikampf durchgesetzt und stürmte auf das gegnerische Tor zu. Alles sah gut aus. Doch plötzlich spürte er eine Art Schlag. Er geriet ins Stolpern und fiel schließlich auf den Boden. Sein Kopf schmerzte. Außerdem hatte er einen faden Blutgeschmack im Mund. Er öffnete seine Augen. Über ihm stand ein Spieler von Königslutter. „Ich hab ihn umgehauen“, sagte der. Nach einer Weile sah Fabian auch den Schiedsrichter über sich, der dem anderen Spieler die gelbe Karte zeigte. Außerdem war Matthias da. „Kannst du aufstehen?“ „Ich versuch’s.“ Fabian hob den Kopf und spürte einen stechenden Schmerz im Nacken. Sofort ließ er seinen Kopf wieder auf den Boden sinken. „Es geht nicht.“ „Wo sind denn die Sanitäter?“ Jetzt war auch Herr Teschner bei ihm. „Ich weiß nicht. Ich habe sie noch nicht gesehen“, erwiderte Matthias. „Komm, du mußt aufstehen. Ich hab meinen Erste – Hilfe – Kasten in der Umkleide“, sagte der Trainer. Matthias half Fabian auf die Beine. „Was tut dir weh?“, wollte der Trainer wissen. „Mein Kopf. Mein Nacken“, antwortete Fabian gequält. „Komm. Ganz langsam.“ Herr Teschner und Fabian gingen auf die Umkleidekabine zu. „Spielt weiter!“, rief der Trainer den anderen Spielern zu. Fabian warf einen Blick auf die Tribüne und sah Britta und Uli mit besorgten Gesichtern. Dann betraten sie die Umkleide. Der Trainer räumte eine Bank frei. „Leg dich hier hin.“ Fabian tat wie ihm geheißen und ließ sich ein Handtuch als Kissen unter den Kopf legen. „Ich bin gleich wieder da.“ Der Trainer verschwand in einem Nebenraum. Fabian starrte an die Decke. Gerade heute mußte so ein Trampel ihn umrennen. Ihm wurde schwindlig, also schloß er die Augen. Als Herr Teschner wiederkam, öffnete er sie wieder. Sein Trainer tränkte einen Tupfer in Alkohol. Dann berührte er damit vorsichtig die verletzte Stelle an Fabians Mund. Der gab einen kurzen Schmerzenslaut von sich, denn der Alkohol brannte höllisch. Herr Teschner hatte einen Ausdruck auf dem Gesicht, der sagen wollte „Es tut weh, aber da mußt du durch“. Fabian blickte auf die Hand seines Trainers. Nach einem kurzen Zögern legte er seine Hand auf die von Herrn Teschner, die immer noch damit beschäftigt war, den Tupfer auf die Wunde zu pressen. Der überraschte Blick des Trainers traf Fabians für einen Moment. Nach einer Weile zog er seine Hand unter der seines Spielers hervor. „Das sollte reichen“, sagte Herr Teschner mit Verlegenheit in seiner Stimme. Fabian sah ihn an, doch der Trainer erwiderte seinen Blick nicht. „Du solltest wohl besser nicht mehr spielen“, sagte dieser statt dessen nüchtern. „Ich habe noch einen Ersatz.“ Fabian nickte enttäuscht. „Willst du nach draußen auf die Bank?“ Wieder nickte Fabian. „Dann komm.“ Der Trainer verließ den Raum und ließ Fabian zurück. Einen Augenblick lang blieb Fabian verwirrt liegen. Er wußte gar nicht, was los war. Statt weiter nachzudenken, stand er mühsam auf und folgte Herrn Teschner. Langsam ließ der Schmerz in seinem Kopf nach. Aber er spürte einen anderen Schmerz, einen Stich an der Stelle, wo sein Herz saß.

      Fabian schloß die Augen und ließ das heiße Wasser der Dusche auf sich herunterprasseln. Sie hatten gewonnen, zwei zu eins. Er hatte das restliche Spiel auf der Bank verbracht. Und sein Trainer hatte ihn nicht einmal angesehen oder gefragt, wie es ihm ging. Die restliche Mannschaft war bereits fertig geduscht zu ihrer Stammkneipe verschwunden, um den Sieg zu feiern. Nur Fabian stand noch im Duschraum der Umkleidekabinen und dachte angestrengt über seinen Trainer und Lehrer nach. Was hatte ihn selbst dazu bewogen, dessen Hand zu berühren? Das brauchte er sich nicht zu fragen: Seit Fabian ihn das erste Mal in Deutsch gesehen hatte, verspürte er jedes Mal ein kribbelndes Gefühl, wenn er ihn sah. Aber es war trotzdem nicht richtig gewesen, was er da vorhin getan hatte. Und doch erhellte sich Fabians Gesicht, wenn er an das Gefühl von Jan Teschners Haut dachte. Seine Hand war weich und warm gewesen. Ein richtig tolles Gefühl. Plötzlich schreckte Fabian auf, als er glaubte, Schritte zu hören. Er öffnete seine Augen und drehte sich um. Er sah seinen Trainer in dem Durchgang zwischen Dusch – und Umkleideraum stehen. Der schaute ihn in atemloser Spannung an. Als der Fabians Blick bemerkte, verschwand er schnell. Nach einigen Sekunden hörte Fabian eine Tür auf – und zugehen. Jetzt war er vollends durcheinander. Was hatte das zu bedeuten? Fabian drehte die Dusche ab und ging in den Umkleideraum herüber. Nein, Herr Teschner war weg.
      An diesem Abend konnte Fabian nur schwer einschlafen. Er war vom Sportplatz gleich nach Hause gefahren, denn er wollte nicht noch einmal Herrn Teschner begegnen. Morgen aber würde sich das wohl kaum verhindern lassen. Eigentlich wollte er ihn ja sehen, aber er wußte ja gar nicht, was jetzt eigentlich los war. Vielleicht war da ein klärendes Gespräch fällig. Fabian wälzte sich in seinem Bett herum. Sein Kopf tat noch immer ein bißchen weh, aber das war im momentan nicht sein Problem. Nach längerer Zeit voller schwerer Gedanken fiel Fabian doch noch in einen unruhigen Schlaf.

      Am Montag Morgen fühlte sich Fabian ziemlich zerschlagen, als er in der Schule ankam. Britta erwartete ihn dort bereits. „Wie geht es dir denn?“, fragte sie ihn besorgt, während sie sich auf den Weg zum Geschichtsunterricht machten. „Naja. War schon besser. Aber mach dir keine Sorgen“, erwiderte Fabian und warf ihr einen zuversichtlichen Blick zu. „Wir hatten uns nur gestern gar nicht mehr gesprochen, deshalb dachte ich, dir geht’s vielleicht nicht so toll.“ „Nett, daß du dir Sorgen machst.“ Da waren sie auch schon in Süd 3 angekommen. Herr Becker war auch schon da und ermahnte die beiden aufgrund der kleinen Verspätung, doch allzu dramatisch war das nicht.
      Die nächsten beiden Stunden waren für Fabian geradezu unerträglich. Er war irgendwie nervös, er konnte kaum still sitzen. In der großen Pause mußte er zur Beruhigung erst mal eine Zigarette rauchen, obwohl das ja sonst nicht seine Art war. Den anderen fiel auch auf, daß er nicht besonders gesprächig war. Doch Fabian selber merkte das gar nicht, was kein Wunder war, denn er dachte nur an die beiden Folgestunden. Als es dann endlich klingelte, holte Fabian tief Luft, bevor er das Schulgebäude betrat. Er war der erste, der vor dem Raum stand, in dem er nun Deutsch haben sollte. Nach einiger Zeit hatte sich der ganze Kurs eingefunden. Fabian hielt nach seinem Lehrer Ausschau. Diesen sah er dann auch, als er um eine Ecke bog. Schnell sah er weg. Feigling, dachte er so bei sich. Herr Teschner schloß auf und die Schüler betraten den Raum. Fabian setzte sich auf seinen Platz. Erst dort wagte er es wieder, seinen Lehrer anzusehen. Der unterhielt sich kurz mit einem anderen Schüler, dann setzte auch dieser sich auf seinen Platz. Und dann trafen sich die Blicke von Fabian und Herrn Teschner. Fabian konnte nicht feststellen, was in den Augen seines Lehrers zu sehen war. Auf jeden Fall war es diesmal Fabian, der als erster den Blickkontakt unterbrach. Einige Momente später begann der Deutschlehrer wie gewöhnlich mit dem Unterricht. Fabian konnte sich natürlich nicht konzentrieren. Statt dessen suchte er immer wieder den Augenkontakt mit Herrn Teschner, der diesen auch manchmal aufnahm. Diese Chancen nutzte Fabian dann immer, um etwas Anzügliches, fast Betörendes in seinen Blick zu legen. Es war sicher, daß sein Lehrer das bemerkte. Und als es dann zur kleinen Pause klingelte und sich alle anderen angeregt unterhielten, trat Herr Teschner auf Fabian zu. „Ich muß Sie nach der Stunde einmal sprechen. Sie wissen ja, wo das Sprechzimmer ist.“ Fabian nickte nur, dann begab sich der Lehrer auch schon wieder zu seinem Pult. Nach dieser Mitteilung war die nächste Stunde für Fabian nur noch schwerer auszuhalten. Was wollte Herr Teschner wohl mit ihm besprechen? War er sauer auf ihn? Oder gab es etwas anderes? Auch Britta schien sich das zu fragen, denn sie stieß ihren Nachbarn an. „Was wollte er denn von dir?“ Fabian zuckte nur mit den Schultern und grübelte weiter.
      Als es nach einer für Fabian schier endlosen Zeit endlich gongte, war er schnell aus dem Raum verschwunden. Nun überlegte er, ob er überhaupt zum Sprechzimmer gehen sollte. Doch nach einer Weile rang er sich durch und machte sich auf den Weg dorthin. Der besagte Raum war vor dem Lehrerzimmer, neben dem Krankenzimmer. Es herrschte ein reges Treiben vor dem Lehrerzimmer. Duzende von Schülern standen herum und wollten alle möglichen Lehrer sprechen. Fabian klopfte an die Tür des Sprechzimmers und öffnete dann vorsichtig. Er schaute hinein und sah Herrn Teschner an einem Tisch sitzen und etwas in seinen Kalender schreiben. Er bemerkte Fabian und sah auf. „Kommen Sie rein.“ Fabian tat dieses und setzte sich auf einen Stuhl. Herr Teschner schloß die Tür und nahm dann selber wieder Platz. Zuerst herrschte kurzes Schweigen, dann begann der Lehrer: „Was sollte das heute?“ „Was? Ich verstehe nicht.“ Fabian schaute ihn fragend an. „Die ganzen Blicke. Und nicht nur heute. Das gestern, beim Spiel...“ Fabian sah auf die weiße Tischplatte. „Haben Sie dazu gar nichts zu sagen?“ Fabian erwiderte nichts. Brauchte er auch nicht, denn Herr Teschner stand auf und lehnte sich neben Fabian an den Tisch. „Wollen Sie es mir denn nicht sagen?“, fragte er. Fabian schüttelte den Kopf. „Müssen Sie auch gar nicht. Ich weiß ja, worum es geht.“ Fabian sah auf. „Wie meinen Sie das?“ „Naja, es ist nicht schwer, das herauszufinden“, sagte Herr Teschner. „Dein Annäherungsversuch gestern, diese Blicke heute...“ Fabian schluckte, aber Herr Teschner fuhr fort. „Jetzt habe ich das doch durcheinander gebracht, dieses Du und Sie.“ „Macht nichts“, meinte Fabian. „Doch. Ich denke schon. Hören Sie, ich bin Ihr Lehrer. Ich weiß nicht, wie Sie sich das vorgestellt haben oder was Sie erwartet haben, was ich tue.“ Wie aus einem Reflex nahm Fabian die Hand seines Lehrers. Dieser stockte kurz in seinen Ausführungen. „Sie wissen ja gar nicht, was Sie da tun“, sagte er dann nur. „Und Sie wissen gar nicht, was sie mir antun“, meinte Fabian und stand auf. Herr Teschner sah ihn an. „Und was jetzt?“ Fabian mußte nicht mehr lange überlegen. Vorsichtig näherte er sich seinem Lehrer und küßte ihn kurz. Herr Teschner ließ es geschehen und sah ihn daraufhin nachdenklich an. „Wer tut hier wem etwas an?“, wollte er wissen. Er hob seine Hand und strich über Fabians Gesicht. „Das geht nicht“, meinte er dann. „Ich weiß“, sagte Fabian. „Darauf kann ich mich nicht einlassen. Ich bin dein Lehrer, noch dazu verheiratet...“ „Darüber bin ich mir im Klaren.“ Fabian nickte und setzte sich auf den Tisch. „Aber wenn wir bis hierher gekommen sind, können wir auch noch weitergehen.“ Er legte die Arme um seinen Lehrer und zog ihn zu sich heran. Sie schauten sich einen Moment lang in die Augen. Dann küßten sie sich wieder. Schon hatten Fabians Hände den Weg zwischen die Beine seines Lehrers gefunden, während der sich unter das Shirt seines Schülers tastete. Eine Weile lang tauschten sie Zärtlichkeiten aus, dann klopfte es auf einmal an der Tür. Erschrocken ließen sie voneinander ab und Fabian rutschte vom Tisch auf einen Stuhl. Dann öffnete sich auch schon die Tür. Eine Fabian unbekannte Lehrerin steckte den Kopf herein. „Ach, entschuldige Jan, brauchst du noch lange hier?“, fragte sie. „Nein. Zwei Minuten“, erwiderte Herr Teschner ziemlich gefaßt. „OK. Ich habe dann auch noch ein Gespräch. Sag mir Bescheid.“ Schon war sie wieder verschwunden. „Das war knapp“, sagte Fabian nach einer Weile. Jan Teschner nickte. „Wie geht es jetzt weiter?“, wollte der Schüler wissen. „Ich weiß es nicht“, erwiderte der Lehrer. „Ich will dich wiedersehen. Nicht so, in der Schule..“, sagte Fabian. „Ich dich auch.“ Herr Teschner lächelte ihn an. „Wirklich?“ Fabian sah ihn glücklich an. „Aber wir müssen äußerst vorsichtig sein. Hast du ja gerade gesehen, warum.“ Fabian nickte zustimmend. Sein Lehrer strich ihm über die Wange. „Du bist ganz warm“, bemerkte er. „Kein Wunder.“ Fabian lächelte. „Ja, wir müssen uns absprechen. Du weißt ja, da ist meine Frau. Das macht es noch ziemlich kompliziert.“ Fabian sah Jan Teschner verständnisvoll an. „Aber sie ist dieses Wochenende auf dem Geburtstag einer Freundin in Hamburg. Frauenparty, verstehst du“, erklärte der Lehrer. „Du meinst, du willst, daß ich zu dir komme?“, fragte Fabian. „Ja. Das will ich. Wenn du willst.“ „Keine Frage.“ Fabian strahlte noch mehr. „Jetzt geh. Ansonsten passiert noch irgendwas“, meinte Herr Teschner. „OK. Es soll nicht vorbei sein, bevor es angefangen hat.“ Fabian stand auf und griff nach der Hand seines Lehrers. Ihre Lippen berührten sich noch einmal sanft und ausgiebig, dann löste sich Fabian. Er öffnete die Tür, warf seinem Lehrer noch einen liebevollen Blick zu, dann verließ er das Zimmer. Herr Teschner sah ihm noch nach.

      Den restlichen Montag schwebte Fabian auf Wolke 7. Aber wie sollte Fabian die Zeit bis zum Wochenende herumkriegen?
      Diese Woche hatte es in sich: Nicht nur, daß Fabian das übliche Fußballtraining im Terminplan stehen hatte (was ihm aber natürlich nicht unangenehm war), ein Bandtreffen stand eben so an, wie einige Tests in der Schule. Doch irgendwie ging auch diese Woche herum, wenn auch viel zu langsam, wie Fabian meinte.
      Am Samstag erwachte Fabian schon früh am Morgen vor Aufregung. Er hatte nur wenig geschlafen, da er am Abend noch lange wach gelegen hatte. Dennoch verspürte er nicht das geringste Anzeichen von Müdigkeit. Er konnte es kaum noch erwarten, Jan Teschner wiederzusehen.
      Irgendwie gelang es ihm, sich die Zeit bis zum Nachmittag zu vertreiben. Doch langsam wurde er unruhig. Es durchfuhr ihn nun ein Gedanke: Was, wenn er das Treffen vergessen hatte? Naja, das sicher nicht, aber wenn seine Frau nun doch nicht weg war? Fabian beschloß, einfach bei seinem Lehrer anzurufen. Wenn seine Frau ans Telefon ging, würde er einfach auflegen. Mit unruhiger Hand suchte er aus dem Telefonbuch die entsprechende Nummer heraus, nahm seinen Telefonhörer ab und wählte sie. Das Freizeichen ertönte. Als auch nach einiger Zeit niemand ans Telefon ging, wollte Fabian schon auflegen, als sich auf einmal die nach Atem ringende Stimme seines Lehrers meldete: „Jan Teschner?“ Fabians Herz ging schneller, erst nach ein paar Sekunden konnte er etwas sagen. „Hallo, ich bin’s, Fabian.“ Sein Gesprächspartner wußte erst einmal gar nichts zu erwidern, deshalb fragte Fabian gleich: „Hast du mich vergessen?“ „Auf keinen Fall“, wehrte Jan Teschner sofort energisch ab. „Ich hatte nur gar nicht mehr damit gerechnet, daß du dich meldest.“ „Warum sollte ich nicht?“ „Wann kannst du vorbeikommen?“ Der Lehrer überging die Frage. „Das heißt, du willst wirklich, daß -“ Fabian wurde unterbrochen. „Natürlich. Ich habe alles ernst gemeint. Und ich tue es auch jetzt noch.“ Fabian mußte lächeln. „OK. Ich komme gleich zu dir. Wenn du mir sagst, wo du wohnst.“ „Sicher.“ Jan Teschner beschrieb schnell den Weg zu einer Straße nahe der Innenstadt. Fabian notierte alles, um sicherzugehen, daß er nichts vergaß. „Gut, ich beeile mich“, sagte er dann. „Dann bis gleich.“ Fabian legte auf und war mit einem Sprung auf den Beinen. Am liebsten wäre er sofort los gesprintet, aber es fiel ihm gerade noch ein, daß er sich vielleicht noch etwas Vernünftiges anziehen sollte. Er sah an sich herunter: Abgewetzte Bluejeans, verwaschenes T-Shirt...nicht gerade der Situation angemessen, auch wenn es ihn natürlich seiner Meinung nach besonders sexy machte. Dennoch zog er mit einem Grinsen sein Shirt aus und legte auch die Hose ab. Er wählte ein eng anliegendes schwarzes Oberteil und eine schwarze (nicht abgewetzte) Jeans. Er fand sich sehr schick. Der Meinung schien auch der Hund zu sein, der gerade ins Zimmer getrottet kam, denn er wollte auch sofort probieren, wie die neue Hose seines Herrchens schmeckte. Doch gerade als er seine lange Zunge danach ausstrecken wollte, wurde er von Fabian hochgenommen. „Untersteh dich!
      Ich will mich nicht noch mal umziehen“, drohte Fabian, woraufhin Herkules anfing, unwillig zu kläffen. „Ist ja gut.“ Mit Schwung setzte er den Hund auf seinem Bett ab. „Wünsch mir Glück!“ Herkules machte ein zuversichtliches Gesicht, als Fabian mit schnellen Schritten den Raum verließ. Er lief die Treppenstufen hinab und sucht im Erdgeschoß nach seinen Eltern. Er fand seine Mutter im Wohnzimmer, wo sie ein Buch las und einen Tee zu sich nahm. Als ihr Sohn das Zimmer betrat, sah sie auf. „Na, wo willst du drauf los?“ „Ich latsch mal in die City. Weiß noch nicht, wann ich wieder da bin.“ Anne Sander nickte zustimmend. „Brauchst du den Wagen?“ „Nö, ich nehme mal ganz konventionell den Bus.“ „Ich verstehe zwar nicht, wieso, mein Kind, aber wenn du willst.“ Sie zuckte mit den Schultern. „OK, bis irgendwann.“ Er machte kehrt. Seine Mutter schüttelte den Kopf. „Diesen Jungen soll einer verstehen“, murmelte sie und widmete sich wieder ihrem Buch.

      Ganz in der Nähe der Sanders befand sich eine Bushaltestelle, zu der sich Fabian nun begab. Zu seinem großen Glück (Herkules sei Dank!) mußte er nicht lange auf einen Bus in die Stadt warten. Eigentlich bevorzugte Fabian die Straßenbahn, aber hier tat es auch ein schnöder Bus. Er suchte sich einen Platz ganz weit hinten. Während der Fahrt schaute er interessiert durch das Fenster nach draußen. Er war schon ganz in Gedanken versunken, als er bemerkte, daß der Bus fast an der Haltestelle angekommen war, an der er aussteigen mußte. Also stand Fabian auf und drückte den Knopf für den „Haltewunsch“. Er mußte nicht lange warten, bis der Bus hielt und er das Fahrzeug verlassen konnte. Er kannte sich in der Wohngegend des Lehrers einigermaßen aus, deshalb war es kein großes Problem für Fabian, das Reihenhaus zu finden, in dem dieser wohnte. Als er endlich vor Jan Teschners Tür stand, raste sein Puls förmlich. Ihm war, als ob gleich der Boden unter seinen Füßen wegrutschen würde. Schließlich konnte er sich dafür entscheiden, an der Tür zu klingeln, auf der mit großen schwarzen Buchstaben „Teschner“ stand. Nach einer kleinen Weile wurde die Tür geöffnet und Fabian sah in das lächelnde Gesicht seines Lehrers. „Komm schnell rein!“ Er hielt Fabian die Tür weit auf, so daß dieser eintreten konnte. „Wegen der neugierigen Nachbarn“, meinte Jan Teschner und schloß die Tür hinter sich. „Verstehe. Typisch Reihenhaussiedlung, wie?“ Fabian sah sich neugierig um. Er stand noch im Flur, von dem aus eine Holztreppe in das obere Stockwerk führte. Sein Lehrer schob ihn jedoch weiter durch eine Tür, hinter der offensichtlich das Wohnzimmer lag. Es war gemütlich eingerichtet, nicht zu modern und nicht zu altmodisch. Jan Teschner wies auf eine schwarze Ledercouch, auf der Fabian und auch er selbst sogleich Platz nahmen. Einen Moment lang wußte keiner von beiden, was er sagen sollte. Doch dann fing der Hausherr an zu sprechen: „Ich hoffe, dir macht es nichts aus, wenn wir ein wenig reden?“ „Wieso, weswegen bin ich denn sonst hier?“ Fabian sah vielsagend in die Augen seines Lehrers. „Naja...was soll ich sagen.“ Jan Teschner räusperte sich. „Also die ganze Sache mit uns beiden ist sicher höchst...ungewöhnlich. Und außerdem verboten. Ich, oder wir, machen uns strafbar.“ „Wenn wir miteinander reden?“ Fabian mußte diese Bemerkung einfach machen. „Du weißt doch, was ich meine“, sagte sein Lehrer leicht nervös. „Ja, eben, das ist mir alles ganz klar.“ „Dann ist ja gut. Ich wollte nur sicher sein, daß du weißt, was wir riskieren.“ „War’s das, was du mir sagen wolltest? Dann kann ich ja wieder gehen“, meinte Fabian und stand auf. Er liebte diese Spielchen. „Meinst du das ernst.?“ Jan sah ihn fragend an. „Was denkst du denn?“ Fabian ließ sich auf Jans Schoß sinken. „Naja, ich kann ja noch eine Weile bleiben.“ Er berührte mit seinem Gesicht das seines Lehrers. „Laß uns nach oben gehen“, sagte der leise. „Was ist denn oben?“ Fabian küßte Jan. „Komm mit, dann siehst du’s.“ Sie standen auf und Fabian ließ sich von Jan Teschner die Treppe hochziehen. Im ersten Stock betraten sie durch eine Tür ein Zimmer, in dem ein großes Ehebett stand. Das Schlafzimmer. „Jetzt verstehe ich, warum du unbedingt wolltest, daß ich herkomme.“ Fabian lächelte. „Du willst es doch auch oder?“, fragte Jan etwas verunsichert. „Wäre ich sonst hier?“ Das genügte dem jungen Lehrer als Antwort. Sofort begann er damit, Fabians Oberteil auszuziehen. Das nahm Fabian zum Anlaß, Jan ebenfalls zu entkleiden. Es dauerte eine Weile, doch dann standen sie sich beide unbekleidet gegenüber. „Weißt du eigentlich, wie gut du aussiehst?“, ergriff Jan das Wort. „Danke gleichfalls“, erwiderte Fabian. „Das habe ich schon bemerkt, als ich dich das erste Mal gesehen habe, in der Klasse.“ „Mir geht es genauso“, meinte Jan. „Und seitdem ich dich nach dem Fußball im Duschraum gesehen hatte, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dich endlich berühren zu dürfen.“ Mit diesen Worten trat er auf Fabian zu.
      Vorsichtig begann Jan, ihn zu streicheln. Sein Gesicht, seinen Oberkörper. Fabian schloß seine Augen. Wie sehr hatte er sich das alles erhofft. Wie oft hatte er sich vorgestellt, wie sein Lehrer ihn an den intimsten Stellen seines Körpers berührte. Und jetzt war es so. Alles andere war unwichtig geworden. So ließ er sich von Jan in die weichen Kissen des Ehebettes drücken und genoß jede einzelne Berührung.
      Fabian lag ganz dicht bei Jan und hielt kurz den Atem an, um dessen Herz schlagen zu hören. Er spürte, wie die Hand seines Lehrer sich durch seine Haare bewegte und dabei zärtlich sein Gesicht streifte. „War das dein erstes Mal?“, fragte Jan schließlich. Fabian lachte. „Soll das ein Witz sein? Du bist nicht mein erster Lehrer.“ Als Fabian das erschrockene Gesicht Jans sah, fügte er noch schnell hinzu: „Das war ein Witz, OK? Aber nein, mein erstes Mal war das nicht. Aber bestimmt das schönste.“ Die Gesichtszüge seines Lehrers entspannten sich zusehends. „Und wie steht es mit dir? Ich meine, jetzt mal deine Frau nicht eingeschlossen.“ „Du willst wissen, ob ich schon mal was mit einem Mann hatte? Nicht direkt. Ich habe zwar schon gemerkt, daß ich nicht nur Frauen attraktiv finde, bin der Sache aber nie nachgegangen. Bis du gekommen bist.“ „Und, war es so schlimm?“, wollte Fabian wissen. „Schlimm? Es war einfach...überwältigend. Ich habe es mir immer ganz anders vorgestellt“, sagte Jan. „Das alles soll aber nicht heißen, daß ich meine Frau nicht liebe. Karin ist...ich liebe sie, aber ich begehre sie nicht mehr so, wie ich es früher getan habe. Bei dir ist es -“ „Umgekehrt. Keine Liebe. Nur Lust.“ „Ach, red doch keinen Unsinn“, sagte Jan, doch Fabian konnte an seiner Stimme hören, daß er recht hatte. „Ist ja auch nicht so wichtig. Wichtig ist, daß wir beide hier sind.“ „Ja.“ Einen Moment lang schwiegen beide wieder. „Warum habt ihr keine Kinder?“, wollte Fabian dann aber wissen. „Nun...ich weiß nicht, ob ich es dir erzählen sollte...“ Jan zögerte. „Sag‘s doch einfach.“ „Also, Karin kann keine Kinder bekommen.“ „Das tut mir leid“, sagte Fabian und es war ehrlich gemeint. „Naja, es ist nicht zu ändern. Wir haben die ganzen anderen Möglichkeiten schon durchgespielt, aber das ist alles nicht das Wahre. Sie hat Angst, daß ich sie eines Tages verlasse, weil ich Kinder haben möchte.“ An dieser Stelle hörte Jan auf, von der Sache zu sprechen, da er wohl gemerkt hatte, wie weit er sich geöffnet hatte. Auch Fabian wußte das. Er hörte auch auf zu fragen, da er Angst hatte, daß dann dadurch „alles“ kaputt gehen könnte. „Wann sehen wir uns wieder?“, fragte er statt dessen. „Ich weiß es nicht. Es ist alles so schwierig. Ich will dich wiedersehen, aber ich weiß nicht, ob und wann ich es einrichten kann.“ „Dann sollten wir diese Zeit jetzt nutzen.“ Fabian richtete sich auf, beugte sich über Jan und ließ sich schließlich auf ihn sinken. „Sag Bescheid, wenn ich dir zu schwer werde.“ „Sicher nicht“, sagte Jan und ließ sich von Fabian überall mit Küssen bedecken.
       Mit einem Glücksgefühl im Bauch schloß Fabian später am Abend die Haustür auf. Zu seiner Überraschung brannte im Wohnzimmer noch Licht. Er betrat den Raum und fand seine Eltern vor dem Fernseher vor. „Ach, du läßt dich auch mal wieder blicken?“ Sein Vater sah ihn mit seinem strengen Blick an. „Wieso? Ich hatte doch gesagt, daß ich nicht weiß, wann ich wieder da bin.“ „Du sagtest, du würdest in die Stadt gehen. Du warst doch sicher später bei irgendeinem deiner Freunde. Du hättest wirklich mal anrufen können“, sagte Anne Sander. „Ja, ja, das nächste Mal mache ich das.“ Genervt ging Fabian aus dem Raum, die Treppe hoch in sein Zimmer. Er hatte keine Lust, sich von seinen Eltern seine gute Laune verderben zu lassen. Auf seinem Bett fand er Herkules schlafend vor. „Was machst du denn hier Rüde?“ Fabian setzte sich auf sein Bett und kraulte den Hund. Dieser wachte auf und fing an, Fabians Hand abzuschlabbern. „Nein, jetzt ist gut.“ Fabian gab dem Hund einen Klaps, so daß der träge von seinem Bett hopste und durch den offenen Türspalt entschwand. Fabian gähnte. Er war doch ziemlich müde und geschafft von dem ganzen Tag. Aber es ging ihm gut. Er hatte leider nicht mit Jan vereinbaren können, wann sie sich das nächste Mal außerschulisch treffen konnten, doch Fabian war zuversichtlich. Jetzt mußte er erst einmal schlafen. Schnell zog er sich um und legte sich in sein Bett. Schon nach kurzer Zeit fiel er in einen tiefen Schlaf.

      Am folgenden Sonntag Morgen wurde Fabian vom grausamen Klingeln seines Telefons geweckt. Noch völlig verschlafen und total genervt griff Fabian nach dem Hörer. „Was?“ „Oh, da ist aber jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden.“ „Harry“, stellte Fabian fest. „Richtig! Ich weiß, es ist noch mitten in der Nacht für dich, aber du mußt vorbeikommen. Gestern hat mich Frau Gerke, du weißt schon, die Musiklehrerin angerufen. Der Musikabend soll in zwei Wochen sein und wir sind dabei. Wir müssen besprechen, was wir machen. Und üben wir die Bekloppten!“ Fabian grummelte und fragte dann: „Gut. Wann?“ „In einer halben Stunde bei mir.“ „Ich bin da.“ Ohne ein weiteres Wort legte Fabian den Hörer wieder auf. Erst jetzt war er einen Blick auf die Uhr. Es war kurz nach elf. Mit einem Seufzen schwang er sich aus dem Bett. Er wankte zum Kleiderschrank, um schnell ein paar Klamotten herauszusuchen. Auf dem Weg fiel ihm der Stapel Anziehsachen auf seinem Sofa auf. Er ging auf die ganzen Sachen zu und nahm von oben das Shirt, das er am Tag davor angehabt hatte. Er hielt es vor sein Gesicht und atmete ein. Es roch ganz eindeutig nach Jan. Er lächelte und ließ das Oberteil wieder auf den Berg Anziehsachen fallen. Das konnte er unmöglich anziehen. Es hatte noch diesen Geruch des Lasterhaften an sich. Also suchte er doch noch schnell eine Hose und einen Pullover aus seinem Schrank, bevor er die Treppe herunter sprintete. Er begab sich schnell in die Küche, um wenigstens noch einen Toast einzuschieben. Er traf dort seine Mutter an, die gerade irgend etwas Undefinierbares in einem Topf zubereitete. „Was machst du da? Rattengift?“ Fabian grinste. „Ich werd dir gleich was von wegen Rattengift!“ Seine Mutter drohte ihm mit dem Kochlöffel. „Guten Morgen.“ „Morgen. Ich muß gleich los, Harry hat angerufen, bald ist der Musikabend und wir haben noch nichts vorbereitet.“ „Ach ja, diese Bandgeschichte. Dann ißt du gar nichts?“ „Bewahre, nein! Aber einen Toast hätte ich gerne.“ „Mach dir selber einen, du Banause!“ Anne Sander wandte sich wieder ihrem Essen zu. Also machte sich Fabian noch schnell einen Toast, bevor er mit dem Wagen davon brauste.
      Fabian kam sogar einigermaßen pünktlich bei Harry an. Die anderen von „Confused“ waren auch schon da. Sie saßen alle in üblicher Formation in Harrys Zimmer. Nur hatte irgend jemand Tim seine Sticks entwendet. Der hüpfte nämlich wie ein Irrer auf Harrys Bett herum und greinte: „Ich will jetzt meine Sticks wieder haben!“ „Hör auf, du machst das Teil noch kaputt“, warnte Harry. Tim ließ sich also mit einem abschließenden Rums auf das Bett fallen. „Gut. Hier ist also auch Fabian.“ Dieser setzte sich auf den Boden, denn neben Tim zu sitzen konnte nur der Gesundheit schaden. „Also?“ Fabian sah fragend in die Runde. „Punkt eins der Tagesordnung -“ „Ich kriege meine Sticks wieder“, funkte Tim dazwischen. „Ruhe jetzt. Punkt eins: Songauswahl. Irgendwelche Vorschläge?“ Die Frage hätte Harry sich sparen können, denn nun waren auf einmal alle von Confused furchtbar mit irgend etwas Wichtigem, wie Federn aus den Kissen vom Sofa ziehen, beschäftigt. „Keine Vorschläge also.“ „Doch, wenn ich’s mir recht überlege...also Oldies machen wir ja wenn ich mich recht erinnere sowieso. Also vielleicht mal ein Lied, was ein bißchen fetzt“, sagte Fabian. „Jawoll“, rief Tim mal wieder dazwischen. „Nicht, was du denkst. Vielleicht...‘Poison‘ von Alice Cooper“, schlug Fabian weiter vor. „Hey, gute Idee! Wie’s der Zufall will, habe ich das Gitarrenzeugs irgendwann mal gespielt“, meinte Harry. „Ist zwar manchmal recht schwer, aber es geht. Und die Drums sind wichtig oder was meinst du, Tim?“ „Redet ihr mit mir? Ich sag gar nichts mehr, bevor ich nicht meine Sticks wieder habe.“ Tim wollte die beleidigte Leberwurst spielen. „Dann eben nicht.“ Harry hob die Schultern. „Guter Einfall, das wollte ich also damit sagen, Fabian. Sonst noch was?“ „Ihr kennt doch sicher ‚Push‘ von Matchbox 20?“, wollte Björn wissen. „Sicher“, bestätigte Fabian. „Fühlst du dich im Stande, das zu singen?“ „Warum nicht. Die CD habe ich Zuhause.“ „Gut. Frau Gerke meinte 3 Lieder, also eins noch.“ „Ich würde sagen, einen Song, den jeder kennt“, sagte Tim. „Mensch, das ist ja mal ein richtig guter Vorschlag von dir!“ Harry grinste seinen Kumpel an. „Olaf, gib ihm seine Babies wieder.“ „Auf deine Verantwortung.“ Olaf zog die Sticks aus seinem Rucksack. „Nee, auf deinen Kopf“, freute sich Tim und sein ganzes Spielchen ging von Vorne los. „Also was noch?“ „Was von ‚The Police‘“, meinte Olaf. „Siehst du, deine Gehirnzellen funktioneren noch viel zu gut“, meinte Tim. „Every Breath you take“, führte Fabian den Gedanken weiter. „Gut. Womit wir das geklärt hätten. Jetzt brauchen wir nur noch massig Termine zum Üben.“ Also machten die 5 von „Confused“ noch recht viele Tage zum Üben aus, bevor sie zur Tat, das heißt, in den Keller schritten um in die Saiten, Tasten und alles weitere zu hauen. Wie sie bald merkten, brauchten sie noch etwas Zeit. Und vor allen Dingen die Noten für „Push“. Doch Harry konnte anscheinend alles organisieren. Er versprach, die Noten im Haus zu haben, wenn sie sich das nächste Mal trafen. Den Song von Police bekamen sie allerdings schon ziemlich gut hin, die Jungs hatten ihn schon öfter mal zum Spaß gespielt.
      Nach einigen anstrengenden Stunden kam Fabian völlig abgeschlafft Zuhause an. Zu allem Überfluß forderte seine Mutter ihn noch auf, mit dem Hund zu gehen. Leicht genervt machte sich Fabian also mit Herkules auf den Weg. Er war völlig in Gedanken, als Herkules plötzlich anfing, wie ein Wilder zu kläffen. „Was ist denn los mit dir, Herkules, was -“ Doch da sah Fabian schon, was los war. Ihnen entgegen kam Jan Teschner mit seiner Colliedame Lassie. „Jetzt verstehe ich, Herkules.“ Fabian beugte sich zu seinem Hund herunter und streichelte ihn. „Guter Hund.“ Aufgrund des Bellens hatte jetzt auch der Lehrer Fabian und natürlich Herkules bemerkt. Er kam näher und sagte: „Hallo Fabian.“ „Hallo Jan. Ich meine, Herr Teschner.“ Sein Lehrer lächelte. „Wie geht es dir? Ist deine Frau schon wieder zurück?“ „Ja seit ein paar Stunden ist sie wieder da“, erwiderte Jan. Er schaute auf seine Lassie, die damit beschäftigt war, den aufgeregten Herkules anzuknurren. „Und ich darf mit dem Hund gehen.“ „Ich auch. War vielleicht doch gar nicht so schlecht“, meinte Fabian. „Ich habe gute Nachrichten für dich. Für uns: Nächstes Wochenende ist Karin wieder weg, das hat sie mir vorhin mitgeteilt. Sie hat gestern auf dem Geburtstag eine alte Freundin wieder getroffen, du weißt ja, wie sowas ist. Und zu der will sie nächstes Wochenende fahren.“ „Das ist ja wunderbar“, sagte Fabian glücklich. „Du kommst am besten wieder so wie gestern vorbei“, schlug Jan vor. „Alles klar“, stimmte Fabian zu. „Dann muß ich jetzt weiter. Wir sehen uns morgen, in der Schule.“ „Ja, bis dann.“ Fabian zog Herkules langsam weiter und sah seinem Lehrer noch nach, der mit Lassie in die andere Richtung ging.
      Den restlichen Abend mußte sich Fabian der Schule widmen. Er mußte am Dienstag eine Klausur im Englisch LK schreiben, eine Interpretation irgendeiner Novelle. Seine Englischlehrerin, Frau Weber, war aber sehr nett und der Unterricht ziemlich interessant. Was die anderen dagegen von Frau Heinze erzählten...da war Fabian doch froh, im Leistungskurs zu sein. Außerdem war Englisch seine starke Seite, zusammen mit Physik. Also strengte er sich am Sonntag nicht mehr so viel an, um etwas für die Klausur zu tun. In seinen Ohren war immer noch so ein piependes Geräusch, so ein langer, endloser, total nerviger Ton. Natürlich war dieses Bandtreffen daran Schuld!

      Am nächsten Tag in der Schule plagten Fabian ziemlich Kopfschmerzen. Im Unterricht war er außerdem ziemlich unkonzentriert. Außer in den beiden Deutschstunden natürlich. Doch Fabians Aufmerksamkeit galt weniger dem Unterrichtsstoff als seinem jungen Lehrer. Natürlich ließ er sich nicht anmerken, woran er dachte, wenn er Jan Teschner ansah. Niemand konnte etwas bemerken. Bis auf den Lehrer selber, der anscheinend genau das gleiche dachte, wenn er zufällig seinen Schüler Fabian Sander anschaute. Im Grunde waren die Stunden für Fabian eher unerträglich. Mit Jan in einem Raum zu sein, ihn sprechen zu hören, ihn aber nicht berühren zu dürfen – das alles bekam jetzt einen ganz anderen Ausdruck. Doch er dachte mit Freude und Aufregung an das Wochenende, obwohl es erst Montag war und zwei Klausuren für diese Woche anstanden.
      In der Pause sprach ihn Britta in der Raucherecke an. „Ich dachte, du meldest dich vielleicht mal“, sagte sie leicht vorwurfsvoll. „Du mußt ja ein spannendes Wochenende gehabt haben.“ „Richtig“, erwiderte Fabian mit einem Lächeln. „Tut mir echt leid, meine Liebe, aber in nächster Zeit bin ich dauernd mit Lernen und Confused verplant. Nächste Woche Freitag ist doch der Musikabend und wir müssen noch viel proben.“ „Verstehe.“ Britta schaute ein wenig traurig drein. „Da kommt auch schon Harry.“ Fabian zeigte auf Harry Fredlich, der gerade in ihre Richtung kam. „Na ihr zwei“, begrüßte er die beiden und wandte sich dann an Britta. „Du, ich war gerade am Lehrerzimmer. Frau Heinze will heute wirklich einen Test schreiben.“ „Was?“ Britta fiel aus allen Wolken. „Und da tut sie am Donnerstag noch so scheinheilig, von wegen, nein, sie würde ja nie einen Test unangekündigt schreiben.“ „Das war dann wohl der Wink mit dem Zaunpfahl“, meinte Harry. „Eher mit dem ganzen Zaun“, sagte Fabian und grinste. „Und ich Dummbrot habe das nicht mitgekriegt“, regte sich Britta weiter auf. „Also, Kinder, das mach ich nicht mit. Ich klemm den Rest des Tages ab.“ „Ist ja auch gar nicht auffällig oder so“, sagte Harry. „Ach, erzähl der Alten irgendwas von Magenbeschwerden. Oder noch besser, Menstruationsbeschwerden“, rief Britta begeistert von ihrem schlauen Einfall. Fabian und Harry sahen sich an. „Igitt“, sagten die beiden und schüttelten sich. „Ach, ihr wißt ja gar nicht, wie das ist“, meinte Britta und lächelte. „Muß auch nicht sein. Ich nehm die Magenbeschwerden“, meinte Fabian. „Gut, ich verzieh mich mal.“ Britta schnappte sich also ihre Tasche und machte sich auf den Weg zum Fahrradständer. Die beiden Jungen sahen ihr noch hinterher, bis sie hinter der Biegung beim Schulhof verschwand. „Und du? Kannst du Englisch?“, wollte Fabian von Harry wissen. „Naja, Medium würde ich sagen. Vielleicht haue ich auch noch ab.“ „Gut“, meinte Fabian und grinste. „Dann lasse ich euch beide wegen Menstruationsbeschwerden entschuldigen!“

      Am Montag fand außerdem noch Fußballtraining statt. Auch hier mußte Fabian sich beherrschen, sich nichts anmerken zu lassen. Am liebsten hätte er sich ja auf seinen Lehrer gestürzt und ihm die Kleider vom Leib gerissen. Aber damit mußte er wohl oder übel bis zum Wochenende warten. Das dachte er zumindest.
      Nach dem Training war er wieder einmal der letzte, der noch unter der Dusche stand. Er ließ den Tag noch einmal Revue passieren. Er fand, daß er sich ganz gut gehalten hatte, beim Training. Er mußte ja irgendwie seine überschüssige Energie loswerden...Plötzlich hielt Fabian inne, als er glaubte, eine Tür klappen zu hören. Seine Sinne hatten ihn nicht getäuscht. Auf einmal stand sein Trainer im Türrahmen. „Ach? Du bist mal wieder der Letzte, wie?“ „Stimmt“, sagte Fabian und grinste. „Besser als das Letzte oder? Aber was machst du noch hier?“ „Ich wollte dir auflauern.“ Jan Teschner kam näher auf ihn zu. Diese Gelegenheit nutzte Fabian, ihn mit Wasser zu besprühen. „Das kriegst du zurück“, rief Jan und schon ging die Wasserschlacht los. Nach einer Weile waren die beiden jedoch ziemlich erschöpft und schlossen deswegen Frieden. „Jetzt kann ich meine Sachen ebensogut ausziehen“, meinte der Trainer und tat das auch. „Und was ist, wenn jemand reinkommt?“, wollte Fabian wissen. „Wieso? Ich dusche doch nur“, sagte Jan lächelnd, fügte dann aber noch hinzu: „Keine Sorge, ich habe die Türen abgeschlossen.“ „Du denkst wohl an alles.“ Fabian zog ihn an sich heran und küßte ihn. „Von dir kann man wirklich viel lernen. In jeder Beziehung.“ Da sie sich ihrer Ungestörtheit sicher sein konnten, gaben sie sich beide ihrem Verlangen hin.
      Fabian kam aus dem Klassenzimmer und schloß die Tür hinter sich. Er atmete tief durch. Eine vierstündige Klausur war nicht unbedingt der Traum seiner schlaflosen Nächte. Aber er hatte ein ganz gutes Gefühl. Englisch war nicht besonders schwer, fand er. Und die Klausur war einigermaßen fair gewesen. Aber Fabian graute vor der Geschichtsarbeit bei Herrn Becker. Dieser Typ konnte ihn anscheinend überhaupt nicht ab und ließ auch wirklich keine Gelegenheit aus, ihn anzuschnauzen. Aber was kümmerte ihn das? Er hatte gute Freunde, war in einer Band und hatte den Lover seiner Träume. Im Moment verlief sein Leben wirklich gut.
      In der großen Pause nach der Klausur traf sich Fabian mit Harry in der Raucherecke. Sie wollten nur noch ein bißchen über ihre Proben sprechen. Fabian mußte eine Weile warten, bis Harry endlich aus dem Schulgebäude auf ihn zu kam. „Hey Fabian, ich war gerade bei Frau Gerke“, sagte er zur Begrüßung. „Und?“, wollte Fabian wissen. „Sie hat mir gesagt, wann wir dran sind“, erwiderte Harry. „Und wann wäre das?“, fragte Fabian ungeduldig. „Nach dem das ganze Klassikzeugs und die Jazztanzgruppe fertig sind. Als erste von den drei Bands“, erklärte Harry endlich. Fabian war überrascht. „Es gibt noch mehr Bands?“ „Ja, eine offizielle Schülerband und noch eine andere Möchtegern – Band.“ „Also sind wir die besten“, sagte Fabian zufrieden. „So sehe ich das auch. Wir werden es den ganzen Leuten schon zeigen“, meinte Harry zuversichtlich. „Sind eigentlich viele Lehrer beim Musikabend?“, fragte Fabian. „In der Regel schon. Außer die, die ganz weit draußen in der Pampa wohnen“, war Harrys Antwort. Fabian nickte zufrieden. Jan wohnte ja nicht unbedingt hinterm Wald in Hinterpottegutschen...er mußte grinsen. „He, da ist Britta“, bemerkte Harry. Ja, da war sie. Und sie war sauer, daß konnte man an ihrem Gesichtsausdruck ohne Probleme ablesen. „Was ist dir denn über den Weg gelaufen?“, wollte Fabian wissen. „Die Heinze! Ich muß diesen verdammten Test nachschreiben.“, schnaufte Britta wütend. „So eine blöde Kuh! Die versaut mir noch meine 11 Punkte!“ „Das sind allerdings keine guten Nachrichten“, sagte Harry mitfühlend. „Warum lernst du nicht einfach und knallst ihr 14 Punkte vor die Nase?“, fragte Fabian. „Weil man für diesen Test so gut wie nichts machen kann“, erklärte Britta. „Es kommt immer drauf an, wie fies sie sein will. Ich habe gar keine Chance.“ „Warum denn so pessimistisch? Das wird schon.“ Harrys Bemerkung wurde vom Gong unterstrichen, der zum Unterricht drängte. „Na toll!“ Britta hob die Hände in die Luft. „Meine Zigarettenpause ist auch hin!“ Ohne ein weiteres Wort verschwand sie im Schulhaus. „Die beruhigt sich auch wieder“, meinte Harry abschließend zu Fabian.
      In den folgenden Tagen hatte Fabian kaum eine ruhige Minute. Entweder probten „Confused“, er mußte lernen oder es war Fußballtraining. Deswegen war Fabian auch ziemlich erschöpft, aber auch erleichtert, als er am Freitag Abend todmüde ins Bett fiel. Wieder einmal hatten sie für den Musikabend geübt. Sie kamen wirklich ganz gut klar. Ein paar Kleinigkeiten waren noch zu bewältigen, aber Fabian war zuversichtlich. Außerdem war morgen erst mal Samstag. Er würde Jan wiedersehen. Dieser Gedanke verursachte ein angenehmes Kribbeln in Fabians Bauch. Ob Jan wohl auch gerade an ihn dachte?

      Am Samstag stand Fabian pünktlich um 15 Uhr vor Jans Wohnungstür. Er mußte nicht lange warten, bis der Hausbesitzer öffnete. „Hey, schön, daß du da bist“, wurde Fabian begrüßt. Schnell betrat er nun den Hausflur, der Nachbarn wegen. „Ja, es ist gut, daß wir uns mal wieder treffen.“ Jan und Fabian gingen ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch vor dem Sofa standen zwei Rotweingläser und daneben der dazugehörige Wein. „Du willst mich wohl betrunken und gefügig machen, wie?“ Fabian setzte sich auf die Couch. „Du hast mich mal wieder durchschaut.“ Jan nahm ebenfalls Platz und schenkte den beiden Wein ein. „Du darfst doch schon Alkohol oder?“ „Nein. Ich bin noch viel zu klein dafür“, scherzte Fabian. „Oh. Naja.“ Jan reichte Fabian ein Glas und nahm selbst das andere. „Auf einen schönen Tag.“ Die Gläser erzeugten einen hellen Klang, als sie aufeinander trafen. Der süße Rebensaft lief warm durch Fabians Kehle. „Die Gärung des Alkohols...“, philosophierte er. „Wie treffend.“ Jan stellte sein Glas auf der Tischplatte ab. „So. Erzähl doch mal irgendwas.“ „Wirst du am Freitag beim Musikabend da sein?“, fragte Fabian. „Werde ich wohl. Wieso?“ Jan sah ihn fragend an. „Ach, das weißt du ja noch gar nicht. Ich singe da in einer Band. Confused“, erklärte Fabian. „Das ist doch die Gruppe von Fredlich, wie heißt er gleich“, überlegte Jan. „Harry. Harry Fredlich.“ „Genau. Das war’s. Und du singst? Hatten sie nicht mal einen anderen Sänger?“ „Ja, aber der ist ausgestiegen irgendwann vor kurzer Zeit“, erwiderte Fabian. „Sehr interessant. Dann werde ich natürlich noch mit mehr Freude da sein.“ Jan lächelte ihn an. Fabian erwiderte das Lächeln. Er fing an, auf die Tischplatte zu klopfen. Nach einer Weile sagte Jan: „Laß das, das macht mich ganz nervös.“ „Echt?“ Fabian klopfte noch unruhiger auf den Holztisch. „Na warte!“ Mit einem Mal hatte sich Jan auf ihn gestürzt und seinen Mund auf Fabians eigenen Lippen gepreßt. Dabei war er mit dem Arm an einem der Gläser hängengeblieben, aus dem im hohen Bogen der Wein auf den Boden kippte und den Boden rot einfärbte. Doch weder Jan noch Fabian kümmerten sich darum.
      „Wie willst du das jemals wieder rausbekommen?“ Fabian betrachtete Jan, wie er versuchte, den Rotweinfleck mit Salz und Pril aus dem Teppich zu reiben. „Ich weiß es nicht. Verflucht.“ Jan stand auf und warf den Lappen auf den Fußboden. „Reg dich nicht so auf.“ Fabian, immer noch unbekleidet nach dem Liebesspiel mit Jan, räkelte sich zufrieden auf dem Sofa. „Komm lieber wieder her.“ Jan sah ihn an. „Was wird wohl Karin dazu sagen? Das ist ja furchtbar.“ Fabian seufzte. „Also Schluß mit Romantik und Wollust.“ Er grinste und suchte seine Sachen zusammen. „Hast du meine Socken gesehen?“ „Dich kümmert das wohl gar nicht“, sagte Jan vorwurfsvoll. „Nö, is ja nicht mein Teppich.“ „Fiesling.“ Jan zog ihn an sich und küßte ihn. Fabian sah über sich, zur Hängelampe. „Hier ist sie.“ Er angelte sich seine weiße Sportsocke von der Lampe. „Ich geh jetzt mal“, sagte er dann. „Wieso? Wir könnten doch noch ein bißchen reden“ schlug Jan vor. „So? Worüber denn?“ Fabian ließ sich wieder auf das Sofa sinken, seine Anziehsachen auf dem Arm. „Einfach so. Über uns.“ Jan nahm wieder neben ihm Platz. „Wenn du meinst.“ Fabian hob die Schultern. „Ich finde alles ganz gut so.“ „Wirklich? Aber es ist nicht gerade so, wie man sich sonst eine Beziehung vorstellt“, meinte Jan. „Affäre meinst du wohl. Beziehung ist in der Tat was anderes.“ Fabian starrte auf den Rotweinfleck. „Da hast du ja echt was angestellt.“ „Aber meinst du, wir können das immer so weitermachen?“, fragte Jan weiter. „Immer nicht. Also ich meine, da ist deine Frau und -“ „Was soll das denn heißen?“, unterbrach Jan Fabian. „Naja, die Tatsache, daß du verheiratet bist, ist nicht gerade hilfreich für uns“, sagte Fabian. „Du willst doch nicht damit sagen, daß ich mich lieber von Karin trennen soll?“ Jan schaute ihn ärgerlich an. „Das will ich nämlich gerade nicht. Ich bin ganz zufrieden mit meiner Ehe.“ „Du hast doch selber gesagt, daß du Karin nicht mehr begehrst“, hielt Fabian ihm vor. „Naja, nicht mehr so, wie am Anfang, aber da ist immer noch ein bißchen...du weißt schon.“ „Ja, ich weiß, und du liebst sie.“ Fabian wurde ungehalten. „Und was ist mit mir? Glaubst du, ich will immer nur die kleine Nummer zwischendurch sein?“ Er stand auf. „Das läuft nicht.“ „Das Gespräch war vielleicht doch keine so gute Idee“, begriff Jan. „Oh, doch. Jetzt weiß ich immerhin, was ich dir wert bin“, sagte Fabian verletzt. „Ach, jetzt warte doch mal.“ Jan stand ebenfalls auf und legte Fabian die Hand auf die Schulter. „Sei mir nicht böse. Für mich ist das alles nicht so einfach“, sagte er beschwichtigend. „Ja, ja. Schon OK.“ Fabian versuchte sich an einem versöhnten Lächeln, das ihm aber nur halb gelang. „Ich werde jetzt trotzdem gehen.“ „Wie du willst.“ Fabian zog sich also schnell an. „Wir sehen uns dann in der Schule.“ Er ging zügig durch den Hausflur, verschwand durch die Haustür und ließ Jan mitsamt dem Rotweinfleck in dem Haus zurück.
      An diesem Abend lag Fabian nachdenklich wach. Jan hatte sicher recht. Für ihn war das nicht so leicht. Wahrscheinlich hatte er sich das selbst viel zu einfach vorgestellt. Jetzt kam es Fabian wirklich albern vor, daß er geglaubt hatte, Jan würde seine Frau seinetwegen verlassen. Und dann? Fabian wälzte sich herum. Dann wären sie beide ausgewandert, hätten geheiratet und zehn Kinder bekommen! So ein Unsinn! Schnell verscheuchte Fabian diese lächerlichen Gedanken aus seinem Kopf. Er konnte wirklich froh sein, daß Jan sich überhaupt mit ihm eingelassen hatte!

      Am folgenden Sonntag hatte Fabian endlich mal wieder etwas Zeit. Sie mußten nicht proben und er nicht lernen. Ihm fiel auf, daß er Britta und Uli in letzter Zeit ziemlich vernachlässigt hatte. Er beschloß, sich erst mal mit Britta zu treffen. Er rief also bei ihr an. Zu seinem Glück war sie da. „Du hältst mich gerade vom Joggen ab“, sagte sie. „Oh, ich wollte natürlich nicht stören.“ „Bewahre! Meinst du, ich mache das gerne? Also, was gibt’s?“ „Ich wollte fragen, ob du Lust hast vorbeizukommen, dann reden wir ein bißchen“, schlug Fabian vor. „Klar, bin schon unterwegs“, stimmte Britta zu. „Na, dann bis gleich.“
      Einige Minuten später stand Britta vor seiner Tür. „Hallo!“ Fabian ließ sie rein. Sofort war der Hund zur Stelle, um die Besucherin zu begrüßen. „Also, gehen wir hoch?“ Britta nickte zustimmend. Die zwei begaben sich also in Fabians Zimmer. „Setz dich doch.“ Fabian wies auf das Sofa, auf dem Britta auch sogleich Platz nahm. „Nun, was hast du auf dem Herzen?“ Britta sah Fabian neugierig an. „Wieso? Kann ich dich nicht einfach mal zu mir einladen?“ „Nein, da steckt doch was dahinter“, vermutete Britta. „Sicher, es könnte auch sein, daß ich mich täusche, aber...“ „Nein, nein. Wahrscheinlich hast du recht“, meinte Fabian schließlich einsichtig. „Ich glaube, ich bin derjenige, der nicht mitgekriegt hat, daß ich was zu erzählen habe. Hätte. Theoretisch.“ „Wieso nur theoretisch?“, fragte Britta. „Naja, die Sache ist nicht ganz einfach.“ Fabian ließ sich auf sein Bett fallen. „Es geht bestimmt um Liebe oder?“ Britta grinste. „Na dann mal raus mit der Sprache.“ Fabian zögerte. „OK. Also hör zu. Du hast natürlich wieder recht. Es geht um Liebe. Und zwar bin ich ziemlich verschossen in jemanden. Allerdings ist der, die, das Jemand verheiratet und will das auch bleiben.“ „Nun -“ Plötzlich hielt Britta inne. Ihre Kinnlade klappte herunter. „Ach du scheiße! Du meinst doch nicht...es wird doch nicht...“ „Was denn?“, wollte Fabian beunruhigt wissen. „Es ist...Herr Teschner!“ Fabian sagte gar nichts. Sie hatte ihn durchschaut. „Wie kommst du denn darauf?“, fragte er aber nur. „Auf einmal ist mir das klar geworden! Jetzt wo du’s sagst...schon in der ersten Deutschstunde wolltest du alles von ihm wissen!“ Britta schüttelte den Kopf. „Was läuft da, Fabian? Du machst ja hoffentlich keine Dummheiten!“ „Ach, Blödsinn“, wehrte Fabian ab. „Er weiß ja gar nichts davon!“ Er biß sich auf die Lippen. Er konnte Britta nicht die Wahrheit sagen. Das war völlig unmöglich. „Dann ist ja gut! Weiß der Himmel, was alles passieren könnte.“ Britta lehnte sich einigermaßen beruhigt zurück. „Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“ Fabian hätte sich diese Frage auch sparen können. Wenn Britta nicht die ganze Geschichte kannte, nützte ihre Meinung wenig. „Naja, du solltest dir unseren lieben Lehrer lieber ganz schnell aus dem Kopf schlagen. Gibt es keinen anderen, mit dem du...“ Sie zog die Augenbrauen hoch. „Ausgehen könntest?“ „Naja, schon, aber...“ Fabian stockte. „Ja, du hast recht. Da ist noch jemand anders. Er hat mich auch schon gefragt, ob ich mit ihm mal weggehe.“ Das war schließlich keine Lüge und so kam Fabian am schnellsten aus der Sache raus. „Siehst du, das Problem löst sich ganz von selbst.“ Britta sah zufrieden aus. Fabian hingegen fühlte sich auf einmal gar nicht mehr so wohl. Hätte er sie doch bloß nicht angerufen! Wieder einmal eine seiner fixen Ideen! Er mochte Britta ja. Aber jetzt im Moment war es ihm gar nicht mehr so recht, daß sie da war. Er mußte sie irgendwie loswerden, nur um sich selbst vor noch größeren Dummheiten zu bewahren. „Ach du je...“ Er ließ sich in die Kissen sinken und legte sich eine Hand auf den Kopf. „Ich habe auf einmal so schreckliche Kopfschmerzen.“ Fabian verzog das Gesicht. „Wirklich?“ Britta schaute besorgt zu ihm herüber. „Ja. Auf einmal. Ich glaube, mir wird schlecht...“ „Oh, oh! Dann gehe ich besser! Vielleicht hast du einen Virus und steckst mich an!“ Sie sprang vom Sofa auf und ging zügig zur Zimmertür. „Also, gute Besserung dann.“ Fabian schaffte ein gequältes Nicken. Dann ging Britta aus dem Zimmer. Fabian hielt kurz den Atem an. Als er die Haustür hörte, atmete er erleichtert auf. Er drehte sich auf den Bauch und starrte sein Kopfkissen an. Wütend schlug er mit der Faust in die weichen Federn. Was war er nur für ein Dummkopf! So ein Leichtsinn! Am liebsten wollte er die Episode eben schnell vergessen. Sicher, Britta hatte ihm seine Geschichte sicher abgenommen. Aber wieso mußte er nur immer so leichtsinnig werden, wenn alles gerade so...perfekt war. Er versuchte sich selber zu beruhigen. Sie würde sicher nicht mehr viel über sein Problem nachdenken. Sie hatte bestimmt auch andere Sachen zu tun. Außerdem würde sie sicher keinem was erzählen. Fabian hoffte für sich selber, daß er Recht behielt.

      Der Montag und der Dienstag verliefen ziemlich ereignislos. Fabian mußte zwar einen Physiktest schreiben, aber da es keine Klausur war, hatte er dafür nicht zu viel lernen müssen. Am Mittwoch war wie am Montag wieder Fußballtraining. Als dieses zu Ende war, Fabian wollte gerade in seinen Wagen steigen, wurde er von seinem Trainer angesprochen. „Gut, daß du noch da bist“, sagte er ganz außer Atem vom Laufen. „Habe ich dich gerade noch erwischt.“ „Was gibt es denn?“, wollte Fabian wissen. „Ich wollte dich fragen, ob du noch ein wenig mit zu mir kommen willst. Karin kommt heute erst irgendwann in der Nacht wieder.“ Fabian sah Jan Teschner überrascht an. „Das ist ja mal eine nette Überraschung“, sagte er. „Klar komme ich mit.“ „OK. Du kommst am besten nach. Ich fahre schon mal.“ Jan ging zügig zu seinem Auto. Fabian sah ihm nach, als er vom Gelände fuhr. Dann setzte auch er sich in den Wagen und fuhr in gemächlichem Tempo in Richtung der Wohnung.
      Fabian klingelte bei Teschners an der Haustür. Er wurde bald darauf von Jan in die Wohnung gelassen. „Wohin?“ Fabian sah Jan fragend an. „Wohnzimmer, würde ich sagen“, erwiderte Jan. Also gingen die beiden ins Wohnzimmer und nahmen wie gewöhnlich auf der Couch Platz. „Wirklich gut, daß ich hier bin“, meinte Fabian zufrieden. Jan nickte zustimmend. „Wir sollten keine Zeit verlieren“, meinte er dann und rückte etwas näher an Fabian heran. „Vorteilhaft, daß diesmal kein Rotwein in der Nähe ist.“ Fabian lächelte. „So lustig ist das gar nicht, Karin war ziemlich wütend“, sagte Jan. Er fing an, Fabian langsam auszuziehen. Dieser rührte sich kaum. Erst als Jan anfing, ihn auch noch zu streicheln, erwiderte er die Zärtlichkeiten. Bald war alles andere für die beiden unwichtig, sie nahmen kaum noch etwas anderes war, als sich selbst. Erst das plötzlich Geräusch der Haustür ließ die beiden aufschrecken. „Was war das?“ Fabian sah Jan ängstlich an. „Ich weiß nicht -“ Er kam nicht weit. „Jan! Ich bin schon wieder da“, sagte eine Frauenstimme. Ehe Jan oder Fabian etwas tun konnten, erschien auch schon die zu der Stimme gehörende Person im Wohnzimmer: Karin, Jans Ehefrau. „Ich konnte früher gehen, weil -“ Ihr Blick traf erst Fabian, dann Jan, so gnadenlos wie ein Messer. „Was geht hier vor?“, fragte sie langsam. „Karin, weißt du -“ Jan war von der Couch aufgesprungen. „Wer ist das, Jan?“ Karin kam auf ihn zu und sah über seine Schulter zu Fabian. Der saß da, kaum bekleidet, starr vor Schreck wie ein Eisblock, unfähig, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. „Ich kann das alles erklären“, begann Jan. „Ach, hör doch auf zu reden wie in einer billigen Seifenoper! Ich habe doch Augen im Kopf“, rief Karin ungehalten. Jan schwieg. Fabian blickte langsam zu ihm auf. „Ich gehe dann jetzt“, brachte er leise hervor. Keiner der beiden Eheleute gab einen Kommentar dazu. Hastig zog Fabian sich seine Anziehsachen über und stürmte dann zur Haustür. Als er draußen war, konnte er Karins laute Vorwürfe aus dem Haus hören.
      Durch den Schleier von Tränen fiel es Fabian schwer, die Straße vor sich zu erkennen. Auch war es schwierig für ihn, sich auf das Fahren zu konzentrieren, denn in Gedanken war er ganz woanders. In seinem Kopf wirbelte alles wie bei einem Tornado durcheinander. Warum mußte das alles so enden mit ihm und Jan. Es war doch so perfekt gewesen, nahezu perfekt. Und dann, auf einmal, sollte alles vorbei sein? Fabian schluchzte. Das war alles nicht fair! Und was würde jetzt passieren? Er wußte es nicht. Ohne es zu merken war Fabian schon bei sich Zuhause angekommen. Er hielt vor der Garage und blieb starr in dem Wagen sitzen. Was sollte er jetzt tun? Abwarten? Was gab es denn schon für Möglichkeiten. Er gab sich einen letzten Ruck und stieg aus dem Auto. Aber er konnte jetzt unmöglich mit jemandem sprechen. Schnell schloß er die Haustür auf und trat ein. Ohne sich nach jemandem umzusehen lief er die Treppe hoch in sein Zimmer. Er wollte niemanden sehen oder hören. Er warf sich auf sein Bett. Wieder konnte er die Tränen nicht aufhalten, die in seine Augen stiegen. Er wollte es auch nicht. Es war das erste Mal seit Jahren, daß Fabian sich in den Schlaf weinte.
      Am nächsten Morgen wollte Fabian nicht aufstehen. Doch er mußte ja. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig. Zur Schule zu gehen war die einzige Möglichkeit, Jan wiederzusehen und zu erfahren, wie es weitergehen sollte. Also zog sich Fabian um und nahm seine Schultasche. Er kümmerte sich nicht darum, was er für Fächer hatte. Er nahm einfach alles so in der Tasche mit, wie es war. Wie in Trance ging er die Treppe hinunter. Als er unten stand, überlegte er kurz. Sollte er in die Küche gehen? Seine Mutter würde da sein. Nein, er war nicht in der Lage, jetzt jemanden zu sehen. Er mußte erst wissen, woran er war. Also verließ er das Haus so schnell wie möglich und fuhr mit dem Wagen zur Schule.
      An der Schule angekommen, überkam Fabian ein Unwohlsein, als er auf das Schulhaus zuging. Alles war wie immer, zumindest schien es so. Fabian betrat das Gebäude, in dem wie jeden morgen Schüler verschiedenen Alters herumliefen, standen oder saßen. Fabian hatte jetzt eine Doppelstunde Physik. Er nahm kaum war, was durchgenommen wurde. Außerdem war er froh, daß er noch niemanden von seinen Freunden getroffen hatte. Er wollte erst Klarheit haben.
      Eben diese Klarheit bannte sich an, als es zur großen Pause klingelte. Fabian ging zügig aus dem Klassenraum und lief die Treppe ins Erdgeschoß hinunter, um zum Lehrerzimmer zu gehen. Ungeduldig schaute er sich nach Herrn Teschner um. Etliche Schüler standen noch vor dem Lehrerzimmer, um irgendwelche Sachen abzugeben oder einen kleinen Plausch zu halten. Nach einigen endlosen Minuten sah Fabian ihn. Jan Teschner kam um die Ecke und erblickte Fabian. Einen Moment lang blieb er stehen und starrte ihn an. Dann setzte er seinen Weg fort und sprach Fabian an. „Ich muß mit Ihnen reden.“ Er öffnete die Tür zum Sprechzimmer und Fabian trat ein. Jan schloß die Tür und sagte: „Setz dich.“ Fabian tat, wie ihm geheißen und nahm auf einem Stuhl Platz. Er sah Jan an. „Es ist wichtig, daß du mir jetzt zuhörst“, sagte dieser. „Sicher.“ Fabian nickte. „Aber sag doch bitte, wie es weitergehen soll.“ „Gut.“ Jan lehnte sich an die Wand. „Meine Frau ist bereit, mir zu verzeihen. Ich kann bei ihr bleiben. Und wie du weißt, will ich das auch, weil ich sie liebe.“ Fabian schwieg. „Aber wir dürfen uns nicht mehr sehen“, fuhr der Lehrer fort. „Das ist ihre Bedingung und ich werde sie ihr erfüllen. Sonst würde sie alles bei der Schulbehörde melden.“ „Sie erpreßt dich.“ Fabian schüttelte den Kopf. „Und das läßt du dir gefallen?“ „Du mußt doch zugeben, es ist ihr gutes Recht. Sie kann die Bedingungen nennen.“ Jan ging im Raum auf und ab. „Ich sehe das auch alles ein. Es war ein großer Fehler -“ „Was war ein Fehler?“ Fabian war aufgesprungen. „Du wolltest mich doch! Und jetzt? Ich bin dir doch völlig egal.“ „Red doch keinen Unsinn. Wir hatten unseren Spaß, ja, aber -“ „Spaß?“ Fabian sah Jan durchdringend an. „Das war kein Spaß für mich.“ Jan holte tief Luft. „Hör mal. Ich weiß nicht, ob es so gut ist, wenn wir uns hier fast täglich über den Weg laufen. Meinst du nicht, es wäre besser, wenn du auf einen andere Schule gehen würdest?“ Fabian schaute Jan fassungslos an. „Damit du deinen Fehler schnell wegschieben und vergessen kannst, verstehe.“ Jan kam auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Fabian, ich -“ Fabian riß sich los. „Faß mich nicht an.“ Er drehte sich um und öffnete die Tür des Zimmers. „Wahrscheinlich war es wirklich ein Fehler...daß wir uns jemals begegnet sind.“ Mit diesen Worten verließ Fabian den Raum und seinen Lehrer zurück.
      Fabian spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Doch er mußte sich beherrschen. Wenigstens, bis er aus diesem furchtbaren Schulhaus draußen war! Die große Pause war gerade zu Ende, die meisten Schüler waren schon in die Klassenräume gegangen. Doch Fabian hatte keine Lust mehr, noch länger hierzubleiben. Er wollte weg, alleine sein.
      Fabian stieß die Tür zum Schulhof auf. Es hatte mittlerweile angefangen zu regnen. Fabian blieb regungslos im Regen stehen. Er konnte wieder von vorne anfangen. War Jan es wert, ihm hinterher zu trauern? Er hatte ihn doch nur ausgenutzt, das hatte diese Gespräch mit ihm zutage gefördert. Auch für Fabian selbst würde es wirklich besser sein, nie wieder diese Schule zu betreten. Fabian fuhr sich durch die durchnäßten Haare. Wie aber sollte er das alles seinen Eltern erklären? Die paar Wochen, die er auf der Schule hier war. Er konnte ihnen nicht die Wahrheit sagen. Und Britta? Und Uli, und Harry? Er hatte sie alle gerne. Er konnte sie doch nicht einfach so ohne ein Wort verlassen. Außerdem, das fiel Fabian gerade ein, war auch noch am nächsten Tag der Musikabend. Für den hatten sie so lange geprobt. Das konnte er nicht einfach hinschmeißen. Er würde morgen seine Abschiedsvorstellung geben, und was für eine. Seinen neuen Freunden würde er schon etwas halbwegs glaubwürdiges erzählen können. Und sie konnten sich ja auch weiterhin sehen. Er beschloß, daß er aufhören mußte, wie ein Baby zu heulen. Nein, Jan war das nicht wert. Aber wie um alles in der Welt sollte er seinen Eltern diese Misere erklären?
      Diesen Felsen mußte Fabian an diesem Abend erklimmen. Er ging nervös im Wohnzimmer auf und ab, weil er abwarten mußte, bis beide Elternteile Zuhause waren. Nach einiger Zeit des Wartens war es dann soweit. Seine Eltern kamen nach Hause. Als sie durch die Haustür traten, empfing sie Fabian mit folgenden Worten: „Mama, Papa: Ich muß mit euch reden. Jetzt gleich.“ Das Ehepaar Sander sah sich neugierig an. „Na gut, dann mal los.“ „Gehen wir ins Wohnzimmer“, schlug Fabian vor. Die Familie begab sich also samt Hund in die Wohnstube. „Setzt euch bitte.“ „Das kommt mir ja alles gar nicht gut vor“, vermutete sein Vater. Fabian überging diese Bemerkung und begann zu erzählen: „OK, hört mir zu: Ich kann nicht mehr auf diese Schule gehen.“ Die Sanders fielen aus allen Wolken. „Aber Fabian! Wieso denn nicht?“ „Das will ich ja gerade erzählen“, fuhr der Sohn fort. „Ich weiß, ich bin erst einige Wochen auf der neuen Schule. Es lief auch immer alles ganz gut, ich habe neue Freunde gefunden, aber -“ Fabian sah seine Eltern ratlos an. „Ich kann es nicht erklären.“ „Was gibt es, was du uns nicht sagen kannst?“, wollte seine Mutter wissen. „Du weißt doch, daß du über alles mit uns reden kannst.“ „Ja, Mama. Ich weiß. Aber diesmal ist es nicht so einfach. Um es einfach zu sagen, ich habe Mist gebaut. Und ich kann das nur halbwegs ausbügeln, wenn ich die Schule so schnell wie möglich wechsle.“ „Was hast du gemacht?“, fragte sein Vater beunruhigt. „Ich kann euch das nicht sagen. Ihr müßt mir diesmal einfach nur vertrauen“, bat Fabian. „Das ist schwer, wenn es so ernst ist, wie es sich anhört“, meinte Anne Sander. „2Ja, ich kann mir das vorstellen. Aber bitte, ich flehe euch an: nehmt mich von dieser Schule. Es wird dann alles wieder in Ordnung kommen.“ „Also, wenn es so wichtig für dich ist“, ergriff sein Vater nach einer Weile das Wort. „Dann machen wir das. Vielleicht erzählst du uns irgendwann, warum.“ „Ich danke euch! Vielen Dank!“ Fabian fiel seinen Eltern um den Hals. „Ich schulde euch was. Aber ich kann es euch wirklich nicht sagen.“ „Na gut, wir vertrauen dir“, meinte Frau Sander. Fabian lächelte erleichtert. „Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken soll.“

      Am Freitag in der Schule stand Fabian noch bevor, seinen Freunden mitzuteilen, daß dies sein letzter Tag an der Schule sein würde. Aus diesem Grund scharrte er seine Freunde in der großen Pause in der Raucherecke um sich. „Was gibt es denn so Wichtiges?“, wollte Britta wissen, die als Letzte dazu stieß. Uli und Harry waren schon da. „Wir haben uns heute hier versammelt...“, nuschelte Harry mit Priesterstimme. „Halt mal die Klappe, Harald.“ Fabian machte eine abwehrende Geste. „Also. Ich habe euch alle hier her getrommelt, weil ich euch sagen wollte, daß ich auf eine andere Schule gehen werde.“ „Das ist allerdings eine Überraschung.“ Britta sah Fabian fragend an. „Aber...wieso?“, wollte Harry wissen. „Tja, das ist eine ziemlich schwierige Geschichte. Es wäre mir unangenehm, sie euch erzählen zu müssen“, sagte Fabian. „Also nehmt das einfach so zur Kenntnis ja?“ „Gut, wenn du meinst.“ Uli hob die Schultern. „Dabei bist du doch erst so kurz hier.“ „Wir werden uns doch auch weiterhin sehen können.“ Fabian sah sich um. Er erblickte Herrn Teschner auf dem Schulhof. Doch er sprach unbeirrt weiter. „Und das ist ja die Hauptsache.“ „Stimmt. Und was ist mit dem Musikabend?“, wollte Harry beunruhigt wissen. „Keine Sorge“, beschwichtigte Fabian ihn und warf noch einen Blick auf seinen Deutschlehrer. „Heute abend werden wir es ihnen schon zeigen.“
      Am Freitag Abend fand also der Musikabend statt und Fabians Auftritt mit „The Confused“ stand kurz bevor. Fabian hockte im Schulklo in einer Kabine. Ihm war furchtbar schlecht. Er hatte die Befürchtung, daß er sich jeden Moment übergeben mußte. „Fabian“, rief Harry  in den Raum. „Komm schon! Wir sind gleich dran!“ Fabian hustete. „Ich glaube, ich muß mich übergeben.“ „Mach keinen Blödsinn und komm!“ Fabian stand auf und schwankte zur Klotür. Er holte tief Luft, dann verließ er den Raum. Er hätte am liebsten gleich wieder kehrt gemacht, als er die vielen Schüler, Lehrer und Eltern sah, die die Pausenhalle bevölkerten. Vor so vielen Leuten konnte er unmöglich auftreten. Er ging auf Harry und die anderen von Confused zu, die gerade dabei waren, ihre Instrumente zu stimmen. „Hört mal, wollt ihr das nicht lieber alleine machen, ich -“ „Nichts ist, Sander. Drücken gibt’s nicht. Wie haben ein Ruf zu verteidigen.“ Tim gab ihm eins mit den Sticks über den Kopf. „He, Frau Gerke macht uns ein Zeichen. Wir sind dran“, sagte Björn und stand auf. „Los Jungs. Auf geht’s.“ Confused inklusive Fabian mit zitternden Knien, betraten die kleine Bühne, die an einer Seite der Aula aufgebaut worden war. Fabian ging auf einen Mikrofonständer zu und ließ seinen Blick noch mal über sein gespanntes Publikum gleiten. Er faßte sich schließlich ein Herz und sagte: „Hallo Leute. Also die Jungs hier kennt ihr wahrscheinlich. Ich gehöre jetzt auch dazu, zumindest noch. Also, das erste Lied, was wir für euch spielen, ist ‚Every Breath you take‘ von ‚The Police‘“ Fabian holte also noch einmal tief Luft und wartete, bis die Musik für ihn einsetzte. Er war so froh, als er merkte, daß seine Stimme alles brav mitmachte. Er sang noch etwas brav und traute sich nicht so richtig, aber als sie das erste Lied gespielt hatten und das Publikum wohlwollend klatschte, wurde Fabian schon mutiger. Bei „Push“ von Matchbox 20 wurde seine Stimme schon kräftiger. Doch das beste Lied hatten sie sich bis zum Schluß aufgehoben. Als der Applaus für das zweite Lied verstummt war, räusperte sich Fabian noch einmal. „So. Zum Abschluß unseres Auftritts spielen wir für euch noch einen weiteren Song aus den 80ern: ‚Poison‘ von Alice Cooper.“ Einige begeisterte Anhänger des Sängers aus den letzten Reihen grölten begeistert. Bevor Fabian anfangen konnte, suchte er mit seinem Blick die Menge ab. Bis er ihn gefunden hatte, Jan Teschner. Er stand da, ziemlich weit hinten und hatte Fabian mit seinen Augen fixiert. „Also dann“, sagte Fabian zu den Jungs von Confused. Sie fingen an und auch Fabian konnte beginnen. „Your cruel device, your blood, like ice.“ Fabians Blick traf Jan Teschner wieder. „One look could kill, my pain, your thrill.“ Eine Art Wut stieg in Fabian auf. „I want to love you but I better not touch. I want to hold you but my senses tell me to stop.“ Wie gut das Lied doch auf ihre Geschichte paßte. „I want to kiss you but I want it too much, I want to kiss you but your lips are venomous, poison.“ Am liebsten wäre er jetzt zu diesem Jan Teschner hingegangen und hätte ihm alles Mögliche ins Gesicht geschrien. Doch der war auf einmal nicht mehr da. Fabian überkam ein Gefühl der Genugtuung. Er hatte es ihm gezeigt. Und der begeisterte Applaus des Publikums am Schluß gab ihm im Stillen recht.
      Ziemlich verloren stand Fabian auf dem Schulhof zwischen den vielen Jungen und Mädchen. Ein Schulhof, wie es sie zu Tausenden in ganz Deutschland gab...
       

      Beendet am 22.10.98

      Anna Wewetzer

      Copyright : Anna E. R. Wewetzer
       

       
       


      Das Copyright der Geschichten liegt bei Anna
      Layout gestaltet von Dieter