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Jürgen Kesting, Ein Porträt

 

Der Tenor Nicolai Gedda


So wie der Künstler, wo er rühren soll, nicht selber gerührt werden darf – soll er nicht die Herrschaft über seine Mittel im gegebenen Augenblicke einbüßen – so darf auch der Zuschauer, will er die theatralische Wirkung kosten, diese niemals für Wirklichkeit ansehen, soll nicht der künstlerische Genuß zur menschlichen Teilnahme herabsinken. Der Darsteller "spiele" – er erlebe nicht. Der Zuschauer bleibe ungläubig und dadurch ungehindert im geistigen Empfinden und Feinschmecken.  Ferruccio Busoni, "Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst"

Die Zeit ist ein sonderbar Ding

Die Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf, in vielen Aufnahmen die Partnerin von Nicolai Gedda, hat einmal die Zeit, die sich ein Sänger für den Aufbau seiner Laufbahn nimmt, als den Garanten für die Dauer dieser Laufbahn bezeichnet. Nachdem Nicolai Gedda, Jahrgang 1925, im April 1982 in der New Yorker Carnegie Hall eine konzertante Aufführung von Peter Tschaikowskys Iolanta – den wievielten Beweis für seine Vielseitigkeit und seine Einsatzbereitschaft für Rand- und Nebenwerke des Repertoires gebend? – gesungen hatte, schrieb Peter G. Davis im New York Magazine: "Gerade da es scheint, daß sich seine Karriere dem Ende zuneigt, kehrt Gedda zurück und verblüfft uns alle mit einer erneuten Demonstration hinreißender Vokalkunst. Das einschmeichelnd weiche Timbre seiner Stimme, die exquisit modulierten mezzavoce-Effekte, die aristokratische Eleganz der Phrasierung – all das ist immer noch vorhanden."

Nach drei Jahrzehnten noch vorhanden – einem Zeitraum, der den meisten Tenören nicht einmal die schönen Reste ihrer Stimme beläßt. Dreißig Jahre sind eine lange Zeit im Leben, und sie sind eine Ewigkeit in dem eines Sängers, selbst wenn der sich der Hast und der Hektik des heutigen Musiklebens so klug und weitsichtig entzieht, wie es der schwedisch-russische Kosmopolit stets getan hat. Dabei hatte der gefährlichste Verführer eines jeden jungen Künstlers, der Erfolg, schon dem Debütanten Gedda alle Verlockungen, alle Schätze dieser Welt vor die Füße gelegt. Doch hat Gedda stets auf eine Karriere im extensiven Sinne verzichtet und eine Laufbahn von innerer Folgerichtigkeit angestrebt.
 

Der Mozart-Sänger meines Lebens

Weit wichtiger als sein oft zitierter Debüt-Erfolg in der Rolle des Chapelou in Adophe Adams Oper Le Postillon de Lonjumeau – das gefürchtete hohe D aus der Bravour-Arie "Mes amis, écoutez l’histoire" wurde gleichsam zu einem Gedda-Etikett – war die Begegnung mit einem Mann, der mehr große Schallplatten-Produktionen betreut und Künstler-Karrieren konzipiert hat als jeder andere: Walter Legge, der dem Wort vom Produzenten einen musikalischen Sinn und ästhetische Würde gegeben hat. Um seine Frau Elisabeth Schwarzkopf bei einer Skandinavien-Tournee zu begleiten und die Produktion von Modest Mussorgskys Boris Godunow mit einem russischen Ensemble – in dessen Mittelpunkt der bulgarische Baß Boris Christoff in der Titelpartie, als Pimen und Varlaam stehen sollte – voranzutreiben, war Legge im April 1952 nach Stockholm gekommen. Er konnte dort mit Issay Dobrowen, dem für die Aufnahme vorgesehenen Dirigenten, sprechen. Beim Empfang am Flughafen sagte Legge auf die Frage von Journalisten, daß er sich natürlich auch Nachwuchssänger anhören wollte. Die daraufhin tagsdrauf verbreitete Zeitungsnotiz bescherte ihm ein Probesingen mit über 80 Aspiranten: "Unter den ersten Bewerbern", berichtete Legge später, "befand sich ein großer, schlanker junger Mann. Auf meine Frage, was er singen wollte, antwortete er ‚Air de la fleur, Carmen.‘ Er sang sie mit berückender Schönheit des Klangs – abgesehen von der letzten Note, die zu laut war. (Es ist ein Des in einer Phrase, die im Pianissimo beginnt, auf einen Schwellton führt und im Diminuendo auf das C absinkt.) Ich erklärte ihm, was ich hören wollte, den Schwellton, das Diminuendo und anderes. Dann sagte ich: ‚Singen Sie es noch einmal.‘ Er wiederholte das Stück, sang so schön wie zuvor und den Schluß exakt so, wie ich es hatte hören wollen."

Die beiden Arien des Ottavio aus dem Don Giovanni, die Gedda daraufhin singen mußte, erklangen, so Legge, "schöner, als ich sie je gehört hatte, ausgenommen von Richard Tauber und der Platte von John McCormack." Bei einer zweiten Demonstration am Nachmittag überzeugte der junge Gedda auch die eigens ins Theater gekommene Elisabeth Schwarzkopf. Legge berichtet weiter: "Ich schickte zwei Telegramme, eines an Karajan, das andere an Ghiringhelli von der Mailänder Scala. Es lautete jeweils: ‚Habe soeben den größten Mozart-Sänger meines Lebens gehört. Name ist Nicolai Gedda." Mit seinem unfehlbaren Gespür für außergewöhnliche Begabungen hatte Legge wohl auch erkannt, daß er einen Musiker von ungewöhnlicher Musikalität und Intelligenz gefunden hatte, einen Sänger, der – wichtig für Dirigenten, unabdingbar für den Produzenten im Studio – jede Anweisung präzis umzusetzen in der Lage war. Er nahm den jungen Schweden – der nicht das geringste Renomée besaß – sogleich für die Boris-Aufnahme unter Vertrag: Legge hatte es noch nicht nötig, eine Produktion mit Star-Namen aufzuwerten; er vertraute zu Recht darauf, daß gute Leistungen das beste Fundament für kommenden Star-Ruhm sein würden – er hat sich bei Dinu Lipatti, Denis Brain, Herbert von Karajan, Elisabeth Schwarzkopf, Maria Callas und Nicolai Gedda, um nur einige ‚seiner‘ Künstler zu nennen, nicht getäuscht.

Die Einspielung des Boris Godunow jedenfalls geriet zu einer der wenigen denkwürdigen, vollendeten Produktionen der Schallplatten-Geschichte. In ihr ist der Stimmklang des jungen Nicolai Gedda am reinsten zu hören: "Süß und von durchdringender Intensität, voll ausgebildet und auf dem Atem getragen. Die Aussprache des Sängers ist vollkommen idiomatisch, Gedda artikuliert den russischen Text besser als jeder andere im Ensemble."
 

Sprache und Stil

Nicolai Gedda in Interviews mit Opera News:

"Die erste Voraussetzung, den Stil eines Werks zu erfassen, liegt in der Beherrschung der Sprache... Nach meiner Ansicht setzen sich viele junge Sänger heute Grenzen dadurch, daß sie fremde Sprachen nicht so gründlich studieren wie die Musik. Es reicht beileibe nicht, nur Wörter zu lernen, es geht vor allem darum, ein kulturelles Erbe, eine Tradition zu begreifen."

Musikalität und Sprachbegabung, unabdingbare Voraussetzung für den Aufbau des persönlichen Repertoires, hatten sich bei Gedda schon früh gezeigt und waren systematisch gepflegt worden. Dabei spielten günstige äußere Umstände eine große Rolle. Geddas Vater Michail Ustinov war ein Weißrusse, der nach der Revolution von 1917 emigriert war und den Kuban-Kosakenchor mitbegründet hatte. Bei einem Gastspiel in Stockholm lernte er eine Schwedin kennen, die er heiratete. Deren Mädchenname – Gedda – wurde zum Künstlernamen des Sohnes. 1928 übernahm Ustinov an der Russisch-Orthodoxen Kirche von Leipzig eine Kantorenstelle. Schon zweisprachig aufgewachsen, lernte der dreijährige Sohn auch die deutsche Sprache und erwarb damit schon früh eine Mitgift, die reichen Zins bringen sollte.

Ebenso selbstverständlich wie das Sprechen lernte er zu singen: "Mit fünf begann ich, Musik zu lesen, Klavier zu spielen und in einem Kinderquartett zu singen. Es war eine unschätzbare Erfahrung. Ich merkte, daß ich die Musik liebte und daß ich auch das absolute Gehör hatte."

Im Jahre 1934 ging Geddas Vater, der schon kurz vor der Machtergreifung seine Leipziger Stellung verloren hatte, nach Stockholm zurück. Der neunjährige Nicolai sprach inzwischen fließend deutsch, kannte Teile der liturgischen russischen Musik und der a-capella-Musik von Machaut, Dufay und Josquin Desprez. Auf der Soedra-Lateinschule erweiterte er seine Sprachkenntnisse: Neben Latein lernte er Englisch. Später kamen Französisch, Italienisch und Spanisch dazu. Gedda hat freilich mehr zu bieten als eine phonetische Imitation dieser Sprachen, mit der sich die meisten Sänger begnügen – er beherrscht sie bin in die feinsten Inflektionen des Klangs, der Diktion; mehr noch, in den meisten Aufnahmen, an denen er beteiligt war, sticht er selbst diejenigen aus, die in ihrer Muttersprache sangen (was neben der Fähigkeit zur perfekten Lautformung auch den glänzenden Vordersitz der Stimme verrät). Dank seiner Sprachfähigkeiten gelang ihm Ende 1957 und zu Beginn des Jahres 1958 ein aufsehenerregendes Debüt an der Metropolitan Opera. Zunächst, am 1. November 1957, sang er den Gounod’schen Faust in einer französischen Neuproduktion des Werks. Wenige Tage später folgte, in italienischer Sprache, der Don Ottavio im Don Giovanni. Am 15. Januar 1958 schließlich verkörperte er den Anatol in der Uraufführung von Samuel Barbers Vanessa, wobei er amerikanische Kollegen – darunter Rosalind Elias und Eleanor Steber – hinsichtlich Diktion und Phrasierung deutlich ausstach.

Der amerikanische Kritiker Irving Kolodin, Mitglied des Lehrkörpers an der Juilliard School, zitiert in seinem Buch The Opera Omnibus ein Gespräch, das John Briggs, ein Kritiker der New York Times und selber ein studierter Sänger, am 26. Februar 1961 mit Gedda über Gesang und Sprache geführt hat. Gedda betonte in diesem Interview, daß es nicht ausreiche, etwa Englisch zu sprechen, um es auch singen zu können. Die Eliminierung bestimmter regionaler Charakteristika, zu der die meisten Sänger von ihren Lehrern gezwungen würden, führe zur artikulatorischen Indifferenz und damit zur Unverständlichkeit. Gedda bezeichnete Briggs gegenüber das Italienische deshalb für die ideale Vokal-Sprache, weil sie zahlreiche offene Vokale besitze und es nur wenige Konsonanten an den Silbenenden gebe. Das Französische komme dem nahe, bereite aber wegen der Nasallaute einige Schwierigkeiten. Wie das Schwedische und Deutsche biete das Englische weit größere Probleme wegen der vielen Konsonanten und, schlimmer noch, wegen der Diphtonge. Im Fall des lästigen "r" – das mal als kehliges "dark r" und mal als vorn sitzendes "flapped r" gebildet werden könne – entscheidet sich Gedda pragmatisch: "Trillere das ‚r‘ fest und kräftig, selbst wenn das manieriert wirken mag." Das Ergebnis ist, wie bei dem mal "clear" und mal "dark" zu artikulierenden "l", eine Vokalisierung des Konsonanten und damit eine Verbesserung der Sanglichkeit. Kolodin folgert: "Hier zeigt sich, in welch einem Ausmaß sich Geddas Zugang zur Kunst des Singens von dem anderer Sänger unterscheidet. Geddas Anstrengungen sind darauf gerichtet, Probleme zu lösen; die der meisten Sänger, sie zu umgehen."
 

Ausbildung und erste Erfolge

Während des Stimmbruchs, mit sechzehn, verlor Gedda seine Stimme fast vollständig. Als sie sich nach zwei Jahren wieder zurückbildete, besaß er einen leichten, hohen Tenor mit einem ganz und gar unverkennbaren Klanggepräge. Es ist dies die Gabe, die Franziska Martienssen-Lohmann als "das Gnadengeschenk des Timbres" bezeichnet hat. Was er nicht besaß, das war das Volumen für das schwere Wagner-Fach, das er – von Lauritz Melchior beeindruckt – allzu gern gesungen hätte. Gedda war und blieb klug genug, risikoreiche Fachüberschreitungen zu vermeiden; ein einziger Stockholmer Lohengrin im Jahre 1966 ließ ihn spüren, daß seine Stimme nicht den Körper, das Volumen, die Deklamationskraft fürs Wagner-Fach mitbrachte. (Es sei vorweggenommen, daß schon die Facherweiterungen – etwa mit der Partie des Max aus dem Freischütz oder der Florestan-Arie – den Sänger zum Forcieren nötigten. Mißt man nämlich Gedda an Gedda, so reicht die bloße Bewältigung einer heldentenoralen Herausforderung nicht zum Lob, sondern es schlägt die dabei spürbare Anstrengung als Makel zu Buch.) Gedda fand seinen Weg. Durch die Platten von Tito Schipa, Tito Gobbi und Richard Tauber lernte er die Vorzüge der italienischen Tonproduktion – das Singen auf dem Atem und in der Maske – kennen. Und als Eklektiker im besten Sinne des Wortes begann er mit der systematischen Anverwandlung dessen, was das Museum der Schallplatte gespeichert hat: Zu seinem Studium gehört stets auch die Beschäftigung mit den Lösungen, welche von großen Sängern zuvor gefunden worden sind.

Der Tod seines Vaters, kurz nach dem Krieg, zwang ihn dazu, einen Posten bei einer Stockholmer Bank anzunehmen. Ein Kunde war, wie Gedda berichtete, "Mitglied des Königlichen Opernorchesters. Rein zufällig erwähnte ich meine Liebe zum Singen, und es stellte sich heraus, daß seine Frau eine Pianistin war, die die Gesangsschüler von Carl Martin Oehmann begleitete. Der war in den zwanziger und dreißiger Jahren ein bedeutendes Mitglied der Berliner Oper gewesen. Sie sorgte für ein Probesingen. Oehmann liebte meine Stimme und unterrichtete mich einige Monate lang unentgeltlich."

Oehmann (1887 bis 1967), der später auch Martti Talvela unterrichtete, sorgte ferner dafür, daß Gedda am Wettbewerb um den Christine-Nilsson-Preis teilnehmen konnte: "Ich gewann, konnte aus der Anstellung bei der Bank einen Halbtagsjob machen und mit dem ernsthaften Studium beginnen." Schon nach zwei Jahren, in denen er verschiedene Preise für Nachwuchssänger gewonnen hatte, wurde er von zwei Lehrern des Konservatoriums, den Herren Cavallius und Kurt Bendix (unter dem Gedda einige seiner ersten Platten-Titel gesungen hat), dazu ausersehen, in der Königlichen Oper den Chapelou zu singen. Die Oper mit der extrem hoch liegenden Tenor-Partie – das Lied verlangt das hohe D – war für den Debütanten sogar ausgegraben worden, und mit dem Erfolg der Premiere am 8. April 1952 war Nicolai Gedda, zumindest in seinem Lande, ein Star in spe.

Drei Monate später nahm er in Paris an der Aufnahme des Boris Godunow teil. Dabei hörte ihn Maurice Lehmann, damals Verwaltungschef der Pariser Oper, und nahm ihn für eine 1954 geplante Neuinszenierung von Carl Maria von Webers Oberon unter Vertrag. Erneut eine außergewöhnliche Chance, weil die Partie, und dies zu Recht, als nicht recht singbar gilt. Sie ist nämlich ganz und gar unvokal konzipiert: Die Phrase etwa "Jetzt gießt sich aus ein sanft’rer Glanz" verlangt der Stimme nicht nur Klarinetten-Flexibilität (Ouvertüren-Zitat!) ab, sondern heikel-unsangliche Intervalle. Gedda bewältigte die Schwierigkeiten nicht nur, er verwandelte sie in Wohllaut und artistische Bravour. Kein Wunder, daß er von der französischen EMI-Tochter Pathé sogleich die Einladung erhielt, in einer Aufnahme von Charles Gounods Faust unter André Cluytens mitzuwirken. Seine Partner: Victoria de Los Angeles und Boris Christoff. Ein Jahr später, erneut Cluytens, Gounods Mireille.

Was dann folgte, war ein einziger, unvergleichlicher Höhenflug. Noch im Jahr von Geddas Debüt war Herbert von Karajan dem Rat seines musikalischen alter ego Walter Legge gefolgt und hatte Gedda für Aufführungen von Bachs Messe in h-moll und von Strawinskys Oedipus Rex verpflichtet. Zu Beginn des Jahres 1953 debütierte Gedda, auch unter von Karajan, als Don Ottavio an der Mailänder Scala. Am 14. Februar 1953 sang er dort, erneut unter von Karajan und neben der Schwarzkopf, in der Uraufführung von Carl Orffs Il Trionfi di Afrodite. Ein Jahr später folgten die Debüts in Rom (Ottavio), Paris (Hüon), Wien (Don José) und London (Herzog von Mantua).
 

Die zweite Existenz

Dank Legge, des größten Architekten von Sänger-Karrieren in de Geschichte der Schallplatte, stand Gedda alsbald regelmäßig in den Plattenstudios der EMI; dank Legge begriff er, daß diese Arbeit vorm Mikrophon ganz eigenen Gesetzen folgt: denen der Nuancierung und der Sublimierung. Dem Verfasser hat Gedda in einem Gespräch gesagt: "Auf der Bühne müssen kräftigere Mittel eingesetzt werden, direktere und auch derbere Effekte. Übertrüge man sie auf die Platte, so wird das langweilig, auf die Dauer sogar lästig. Auf der Platte muß man mit leiseren Mitteln arbeiten, auch leiser singen. Dabei darf die Stimme nicht an klanglicher Substanz verlieren, und das macht die Sache eher schwieriger als leichter, zumal man jedes Detail mitbekommt."

Dank seiner sprachlichen und musikalischen Vielseitigkeit wurde Gedda für viele Aufgaben eingesetzt. Er sang in Bachs h-moll-Messe ebenso wie in Opern und Operetten. 1953 nahm er unter Otto Ackermann Die lustige Witwe und Das Land des Lächelns, ein Jahr später Wiener Blut, Eine Nacht in Venedig und Der Zigeunerbaron auf. Unter von Karajan folgte 1955 die Fledermaus. Legge berichtet darüber: "In zwei Jahren wurde Gedda ein Meister in diesem ganz besonderen Fach." Die Meisterschaft liegt nicht etwa im Verfolg eines von Richard Tauber oder Marcel Wittrisch vorgezeichneten Wegs, sondern in der subtilen Distanzierung. Gedda serviert diese köstlich-kitschigen Galanteriewaren als die Gesten von Gestern – zitiert sie wie Andenken hinter Glas.

Wie einige andere Auserwählte konnte auch Gedda alsbald eine doppelte sängerische Existenz führen: Zum einen auf den Bühnen der Welt und zum anderen auf der Platte. Was ihn gelegentlich, wenn auch selten, dazu zwang, problematische Aufgaben zu übernehmen. Gedda hatte noch keine einzige Note Rossinis auf der Bühne gesungen, als er 1953 nach Mailand kam, um unter der Leitung von Gianandrea Gavazzeni die Oper Il Turco in Italia aufzunehmen – und das neben der schon weltberühmten Maria Callas. Er löste auch diesen Test mit Bravour. Bald darauf war er auch der Plattenpartner der Assoluta in einer von Herbert von Karajan betreuten Aufnahme von Madame Butterfly, und 1964 war er ihr José in der Carmen-Produktion unter Georges Prêtre.
 

Konzentration oder Expansion

Sich auf Titta Ruffo berufend und die sängerische Praxis seiner Frau Elisabeth Schwarzkopf rechtfertigend, hat Walter Legge einmal gesagt, große Sänger seien gut beraten, wenn sie sich im Zenit ihrer Laufbahn auf einige wenige, dafür um so besser beherrschte Partien konzentrierten – die Schwarzkopf hat ihren Weltruhm als Marschallin, Figaro-Gräfin, Fiordiligi und einer oder zwei anderen Rollen verwaltet. Zugleich hat sie über das technische Medium mit sorgsam ausgetüftelten Interpretationen das Image der Vielseitigen aufgebaut – durchaus ein verständlicher, ja legitimer Vorgang. Denn daß ein Sänger sich und seiner Stimme mit solcher Strategie dient, kann nur bezweifeln, wer die Schwierigkeiten dieses Berufes – vor allem auf Schwarzkopf-Höhen – nicht einschätzen kann. Gedda hat hingegen auf der Bühne rund 70 Partien gesungen und rund 160 Aufnahmen gemacht.

Hinsichtlich Umfang und Komplexität das größte und schwierigste Repertoire aller Tenöre, weil sich Gedda, wie schon angedeutet, nie mit jener vagen Annäherung, die heute üblich geworden ist, an der Musik vergeht – oder an der Sprache, in der sie gesungen wird. Ganze Register ließen sich füllen mit der Zahl der Rollen und Partien, die Gedda in Oper, Operette und Oratorium gesungen hat – Hunderte von Liedern nicht einmal gerechnet. Bei all diesen Aufgaben hat Gedda, wie Irving Kolodin in seinem Portrait of a Paragon, seinem "Portrait eines Vorbildes", schreibt, eine sängerische Disziplin walten lassen, die hinter der keines Zeitgenossen zurücksteht, und eine künstlerische Vielseitigkeit, über die kein Tenor verfügt, an den wir uns erinnern können.

Kolodin führt aus: "Die bloße Aufzählung der Rollen, die Gedda an der Met (nach den aufgeführten ersten drei) gesungen hat, reicht aus, ihn als einzigartig zu kategorisieren. In Folge (I, E und F stehen für italienisch, englisch und französisch) waren es: Sänger im Rosenkavalier (I), Hoffmann in Hoffmanns Erzählungen (F), Tamino in Die Zauberflöte (E), Lensky in Eugen Onegin (E), Des Grieux in Manon (F), Barinkay in Der Zigeunerbaron (E), Alfredo in La Traviata (I), Admetus in Alceste (E), Dimitri in Boris Godunow (E), Pinkerton in Madame Butterfly (I), Nemorino in Der Liebestrank (I), Pelléas in Pelléas und Mélisande (F), Kodanad in Der letzte Wilde (E), Herzog in Rigoletto (I), Don José in Carmen (F), Romeo in Roméo und Julia (F), Edgardo in Lucia di Lammermoor (I), Rodolfo in La Bohème (I), Arrigo in Die sizilianische Vesper (I) und Riccardo in Ein Maskenball (I)"

Kolodins Merkheft könnte erweitert werden um Rollen, um die Geddas Kollegen meist einen großen Bogen machen – wenn sie sie überhaupt kennen. 1955 etwa sang der Schwede unter Louis de Froment den Gluck’schen Orphée in der originalen Tenorfassung. Mag sein, daß Geddas großer kanadischer Kollege Leopold Simoneau einzelne Passagen und Phrasen klangschöner und süßer gesungen hat, aber wohl auch deshalb, weil er sich jene Transpositionen leistete, auf die Gedda verzichtete: Er bewältigt die Partie, bis auf die ausgelassenen Bravour-Ariette "L’espoir renait", in originaler Tonhöhe und singt dabei nicht nur mit "anziehendem, oft flüssigem Ton, sondern auch mit perfekter Plazierung".

Rechnet man Rousseaus Le Devin du Village und Rameaus Platée, Cornelius‘ Der Barbier von Bagdad und Glinkas Ein Leben für den Zaren, Bizets Perlenfischer und Glucks Iphigenie auf Tauris, Massenets Werther und Manon, Berlioz‘ Damnation de Faust und Benvenuto Cellini, die deutschen Spielopern von Lortzing, Flotow und Schubert (Singspiele) hinzu, so erscheint die Formulierung schwerlich übertrieben, daß die Zahl der Raritäten aus Geddas Repertoire größer ist als die der "Hauptrollen" im Angebot seiner Kollegen. Nicht zu reden davon, daß Gedda mit Partien wie Arnold im Wilhelm Tell, Arturo in I Puritani und Raoul in Die Hugenotten tenorale Gipfelbesteigungen gewagt hat, denen in den letzten dreißig Jahren nur zwei oder drei Sänger zu folgen vermochten.
 

Anmerkungen zur vorliegenden Anthologie

Ziel war ein möglichst umfassender Überblick über Geddas Repertoire – was durch die Vielzahl von Geddas Aufnahmen auf unüberwindliche Schwierigkeiten stößt. Neben der Spannbreite des Repertoires sollte vor allem auch die Entwicklung der Stimme, der Technik gezeigt werden. Es wurde Wert darauf gelegt, einige der weniger bekannten Aufnahmen – oft die ersten Versionen bestimmter Arien und Szenen – aus den Magazinen des Museums Platte in Erinnerung zu rufen. Dazu gehören vor allem Szenen aus dem ersten Gedda-Recital von 1954 unter Alceo Galliera. Einige Titel (aus Carmen, Hoffmanns Erzählungen, Don Giovanni, Euryanthe) sind auf anderen Recitals oder Gesamtaufnahmen leicht zugänglich. Daß oratorische Musik nicht berücksichtigt wurde, hat allein praktische und dramaturgische Gründe. Es versteht sich, daß Gedda "at his best" gezeigt werden soll, aber es wird nicht unterschlagen, daß auch der Schwede eine bittere Einsicht des großen amerikanischen Kritikers William James Henderson (The Art of Singing) nicht aufheben kann: "There has never been a perfect singer."

Von ihren natürlichen Parametern her besitzt Geddas Stimme eher spezifische und subtile Qualitäten als jenen sinnlich-erotischen Reiz, der – noch einmal mit Kolodin zu sprechen – das Publikum einfach überrumpelt: "Der Klang von Geddas Stimme trifft beim Publikum nicht auf den Solar Plexus." Geddas Stimme hat eine sehr helle Grundfarbe, in seinen ersten Jahren eine fast androgyne Qualität. Was Sir Michael Tippett über Alfred Deller sagte, daß nämlich dessen Stimme frei gewesen sei von allen "emotionalen Einfärbungen", trifft auch auf den jungen Gedda zu – als Orphée tönt aus seinem Gesang nicht individuelle Klage, sondern der Gesang ist Klage schlechthin. Das Volumen der Stimme war, besonders in den ersten acht oder neun Jahren seiner Laufbahn, eher klein. Dafür war die Projektion, vor allem aufgrund der perfekt flutenden mezza voce und des klangvollen piano dolce, vorzüglich. Der Umfang der Stimme hingegen war groß: Er reichte vom C (selbst vom H) bis zum D‘, das auch der junge Sänger 1952 – die Aufnahme unter Stig Rybrant zeigt es – mit perfekter Attacke zu singen wußte. Die helle, schlanke Färbung beweist, daß Gedda nie der Gefahr der "Überbrustung" erlegen ist. Er verfügt gleichermaßen über die weich in der Kopfkuppel klingenden Piano-Töne der Kopfstimme (zu hören in der Nadir-Arie, im Innenteil der Sobinin-Arie, in den elegischen Phrasen des Cellini, in der Traum-Erzählung des Des Grieux) wie über die hell-glänzenden, in der Maske (vordere Kopfresonanz) gebildeten Töne der Mittelstimme.

Kaum je hat Gedda sich dazu hinreißen lassen, durch verstärkten muskularen Druck der Stimme mehr Volumen zu geben – auch wenn diese Tendenz in seinem italienischen Recital gelegentlich zu spüren war, wohl auch in der Gesamtaufnahme von Wilhelm Tell. Noch weniger hat er jene Schluchzer und Mätzchen benutzt, die als Temperament und Feuer verkauft werden und nichts anderes sind als vernutzte Rückstände des Verismo (und die schon Giglis Gesang korrumpierten). Die außergewöhnliche Dehnfähigkeit der Stimme in der Höhe zeigt in exemplarischer Form die Bravour-Arie des Sobinin aus Glinkas Ein Leben für den Zaren, die ein halbes Dutzend Mal den raschen Sprung auf das C, im Binnenteil sogar ein Des verlangt. Gedda hat die Szene zweimal aufgenommen: 1967 in einem russischen Recital unter Gika Zdravkovitsch und zehn Jahre zuvor in einer Gesamtaufnahme unter Igor Markevitsch. Die spätere Aufnahme hat mehr Attacke und tonliche Festigkeit, die frühe zeigt, vor allem in Schleifen und den Koloraturen, die Agilität und die elegische Schönheit der jugendlichen Stimme, die im Innenteil ganz auf dem Atem schwebt. Die vielen Cs werden nicht von unten angesungen, sondern mit kernhaftem Anschlag erfaßt. Daß einzelne Passagen Anstrengung spüren lassen, ist nicht verwunderlich – das gesamte Stück liegt extrem hoch und ist auf Platten kaum je gesungen worden (u.a. von Helge Roswaenge). Wäre Geddas Aufnahme, wie Alan Blyth in The Gramophone schreibt, nicht 1957 sondern 1907 entstanden, sie würde als Zeugnis des "Golden Age of Singing" bewundert werden.

Was der Stimme an Volumen fehlt, macht Gedda mehr als wett durch Projektion, Schallkraft und dynamische Nuancierung. Der Schwede hat sein Forte aus dem flutenden, weich- und weittragenden Piano entwickelt. Wie die klassischen tenori di grazia kann er lange Bögen auf dem Hauch eines Atems strömen lassen. Exemplarisch dafür ist die Nadir-Arie aus den Perlenfischern. Im Gegensatz aber zu einem Benjamino Gigli, der das Stück durch eine betont süße Tongebung veräußerlicht, singt Gedda diese mezza-voce-Studie auch mit einer raffinierten Klangfarben-Dramaturgie. Er färbt die Stimme gleichsam fagottartig ein, mischt sie mit dem Holzbläserklang, der die Begleitung prägt. Völlig anders die Farbe etwa in der Traumerzählung des Des Grieux. Der Vortrag ist direkter, erregter und, was der Musik Massenets entspricht, narzißtischer. Das dargestellte singende Subjekt – ob es nun Werther oder Des Grieux heißt – ist stets nur mit sich und seinen durch Konvention, Moral und Gewohnheit verschütteten Gefühlen, vor allem den erotischen, beschäftigt. Massenet hat dazu eine Musik von spezifisch-ambivalentem Sinnenzauber geschrieben – sie ist zugleich süß-schlaff und erregt-brodelnd. Diese innere Unruhe hat kein Sänger subtiler und emphatischer umgesetzt als Gedda – wobei die Szene "Un autre son époux" in ihrer Erregtheit ein Glanzstück gestischen Singens ist.

Daß eine Platte allein Szenen aus französischen Opern gewidmet ist, soll Geddas Sonderstellung in diesem Repertoire zeigen. Seit Georges Thill und André d’Arkor (letzerer ein Belgier mit einer phantastischen Höhe) hat kein Sänger die Musik von Adam, Gounod, Massenet, Bizet und Berlioz idiomatischer, präziser und schöner gesungen als Gedda, der selbst seinen Hoffmann – neben dem Lensky – für seine bedeutendste Leistung ansieht. Ein Modellfall ist auch Geddas Wiedergabe des Postillon-Liedes. Zwar ist die dritte Aufnahme, in deutscher Sprache gesungen, die freieste und strahlendste, auch die gestisch-prägnanteste, aber die erste macht deutlich, welchen Reiz die Stimme des eben 27jährigen ausstrahlte. Die beiden Gluck-Szenen sind Muster klassischen Singens, bei dem der Ausdruck nicht aus einer vom Sänger hinzugefügten Erregung, nicht aus einem Ausdrucks-Wollen entsteht, sondern aus der reinen Schönheit der Musik. Perfekte Phrasierung und beherrschtes mezza-voce-Singen zeichnet die Szenen aus Aubers La Muette de Portici, Bizets Die Perlenfischer und Gounods Mireille aus – die tonliche Schönheit der Wiedergabe dürfte schwerlich zu übertreffen sein. Als Gedda sich an den Arnold Melchthal, eine der schwierigsten Partien des Tenorfachs heranwagte, an eine Rolle, die mit Sängern wie Gilbert Louis Duprez, Leon Escalais, Giovanni Martinelli, Leo Slezak, Giacomo Lauri-Volpi und Helge Roswaenge verbunden wird, äußerte ein Kritiker im fono forum die Meinung, Geddas Stimme sei nicht dramatisch genug für diese extrem hoch liegende Partie. Gerade wenn dramatische Sänger die markigen Töne der Bruststimme in die Höhe treiben, endet das katastrophal. Die hier verlangte extreme Höhenlage – James Joyce zählte einmal, daß sein Lieblingstenor John O’Sullivan als Arnold 456 mal das G, 93 mal das As, 54 mal das B, 15 mal das H, 19 mal das C und zwei Mal das Cis singen müsse – verlangt die korrekte Mischung der Register und die Entwicklung der Höhe aus dem schlanken, kopfigen Mezzo-Forte, verlangt ein "cantare piccolo" mit der Resonanz in der sogenannten Maske. Gedda singt die Szene, aber wer hätte das je getan?, zwar nicht mühelos, wohl aber geschmeidig, strahlend und mit besserer Artikulation als die meisten, die ihm hinsichtlich Tonfülle und Attacke überlegen waren. Die beiden Szenen aus Benvenuto Cellini sind in ihrer deklamatorischen Intensität, in ihren Finessen der Diktion, in ihrer sängerischen Geschmeidigkeit schwerlich zu überbieten. Mirakulös die Tönung der einzelnen Nasal-Laute ("mes sombre destins"), technisch phantastisch die Bindung der Phrase "je chanterais gaiment. Ah, libre et tranquille" in der höchsten Lage.

Die Mozart-Aufnahmen Geddas sind zu uneinheitlich, als daß sich der Verfasser ohne Einschränkung dem emphatischen Lob Legges anschließen könnte. Anders: Sie bestätigen nicht immer den singulären Ruf des Schweden im Mozart-Fach. Zwar ist Ulrich Schreiber zuzustimmen, wenn er Geddas "heute wohl vergleichlosen Sinn für den Aufbau einer musikalischen Phrase" und "die unerhörte Bindung musikalischer Bögen" hervorhebt; aber das ist nicht in allen Aufnahmen zu erleben. Der Ottavio in der von Klemperer dirigierten Gesamtaufnahme ist überemphatisch geraten und dadurch klanglich uneben (ein Live-Mitschnitt vom Festival in Aix-en-Provence zeigt Gedda in besserer Form: die erste Arie wird sauber intoniert, der heikle Quintsprung sauber ausgeführt, die Koloraturen der zweiten Arie haben mehr Ebenmaß und Bindung). Der Tamino in der Zauberflöte, wieder unter Klemperer, hat nicht die erwartete tonliche Süße und Schönheit wie etwa bei Wunderlich, den Gedda freilich in Betreff Phrasierung und Artikulation deutlich übertrifft. Unter Heinrich Bender hat Gedda die Bildnis-Arie später freier und klangschöner gesungen, leider mit der Betonung des auftaktigen "Ich" statt der Akzentuierung auf "fühl" – Fritz Busch hat auf diesen Fehler schon früh hingewiesen. Erwähnt sei, daß Gedda in seinen Mozart-Aufnahmen mit korrekten Appoggiaturen singt (deren Anwendung vielen Sängern unklar oder gar gleichgültig ist). Nicht unproblematisch hingegen ist die Ausführung von Koloraturen. Hier könnte man Kolodins Wort dahingehend modifizieren, daß der Sänger den Problemen zwar nicht ausweicht, sie aber nicht immer bewältigt: Sowohl in "Fuor del mar" aus Idomeneo (unter Rosbaud singt er die erste, unter Schmidt-Isserstedt in der Gesamtaufnahme die leichtere zweite Version der Arie) als auch in Titus "Se all impero" gibt es, wie Alan Blyth das formulierte, "einige schlecht intonierte Läufe".

Gedda trifft hier den virtuosen Gestus nur in einer generalisierten Form, verwandelt aber nicht – was Ziel auch der virtuosen Formkunst ist – die virtuose Zier- in eine erregte Ausdrucksfigur. Die Aufnahme des Pedrillo-Ständchens und der Ferrando-Arie hingegen zeigen Gedda von seiner besten Seite: Der Vortrag hat Leichtigkeit und Charme, die Phrasierung zeichnet sich aus durch Bindung und Lebendigkeit.

Mag sein, daß sich die Tugenden und Fähigkeiten des Mozart-Sängers Nicolai Gedda am deutlichsten in seinen Aufnahmen deutscher Opern zeigen. Die beiden Hüon-Szenen singt Gedda, trotz leichter Anstrengungen in "Von Jugend auf" genauer und schöner als alle Tenöre seit Roswaenge. Die beiden Szenen aus dem Lohengrin gehören zu den musikalischsten der Schallplatten-Geschichte – die "entrückte sostenuto-Bindung von ‚In einem fernen Land‘ macht Geddas Version zur schönsten, gelungensten der LP-Ära. Sie zeigen, daß nicht, mit Bloch zu reden, viel "Pedal" im Klang sein muß und schon gar nicht das Trompeten-Geschrei, zeigen ferner, daß eine Erzählung tatsächlich mit Wort-Nuancen, mit rhetorischen Steigerungen und absolut textverständlich vorgetragen werden muß und kann.

Unvergleichlich das Changieren der Stimme auf "alljährlich naht vom Himmel eine Taube". Die Szene aus dem "Capriccio" zeugt von der aus der Wortnuancierung entwickelten Kunst des gestischen Singens, die Fenton-Szene von einer Klanggestaltung, die die Idylle des "Hains" im Tonfall erfaßt.

Gedda selbst hat in einem Interview gesagt, daß er bei der italienischen Musik am liebsten Sänger aus dem Süden hört. Geddas zwei komplette Verdi-Partien auf der Platte – Herzog und Alfredo – sind zuverlässig und kompetent gesungen, aber es fehlt ihnen an tonlicher Eleganz und Brillanz. Nicht nur überraschend, sondern geradezu sensationell, wie Gedda in der deutschen Version von "Tu che in seno" die Phrasierungs-Probleme löst, mit denen selbst große italienische Verdianer nicht fertig geworden sind. Imponierend auch die Donizetti- und Bellini-Szenen, die Schreibers Feststellung über den intelligenten Aufbau einer kantablen Phrase bestätigen, auch wenn nicht immer südliche Sonne den Klang der Stimme wärmt. Die Schlußszene des Edgardo gehört sicher nicht nur zu den überragenden Nachkriegsaufnahmen, sondern den besten auf der Platte überhaupt. Die Interpretation der Almaviva-Arie aus Rossinis Barbier ist ein interessanter Sonderfall. Gedda machte die Aufnahme zu einer Zeit, da die Stimme vielleicht doch einiges an Frische verloren hatte. Es gibt eben keine Stimme, die nach mehr als 20 Jahren die Feinheit ihres Klangs und ihrer Textur erhält – vor allem wenn es eine so feine Stimme wie die Geddas ist, deren Oberfläche die Ebenmäßigkeit feinster Porzellan-Lasur besaß. Auch wirken Fiorituren, Läufe und gruppetti zuweilen angestrengt. Und dennoch: Den Gestus der Musik, ihr "als ob" trifft Gedda mit vergleichsloser Intelligenz. Anders als etwa Fernando de Lucia (den wohl perfektesten aller Almaviva-Sänger), der in der Rolle und ihren Posen aufging, führt Gedda diese Formkunst als Anachronismus vor. Das schmeichelt weniger dem Ohr, als es den Intellekt beeindruckt – auch das ist eine sängerische Leistung eigenen Ranges. Wie die französischen Opern gehören die russischen zum typischen Gedda-Repertoire. Die Lensky-Arie liegt, so die übereinstimmende Ansicht des Connaisseurs, vollkommen nur in der Aufnahme von Leonid Sobinow aus dem Jahre 1910 und von Gedda aus dem Jahre 1954 vor. Der elegische Klang, die pianissimo-Reprise zeugen nicht nur von sängerischer Perfektion, sondern von der Fähigkeit gestischer Gestaltung – in der sich, so Wagner, "das innerste Wesen der menschlichen Gebärde" ausspricht.

Daß leichte Musik nicht leicht genommen werden darf, ist eine Binsenweisheit, die leichter zu begreifen als zu verwirklichen ist: Würde sie sonst so oft schwerfällig verhunzt? Irving Kolodin stand nicht ab zu schreiben, daß er den Sou-Chong Geddas fast noch mehr bewundere als seinen Orphée. Das ist nur prima vista eine Übertreibung. Denn im ästhetischen Souterrain kann ein Sänger leichter vom Wege abkommen als in der orphischen Unterwelt. Gedda hat Strauß, Lehár oder Millöcker durchweg, vor allem in den Legge-Produktionen, mit der Noblesse des Mozart-Interpreten gesungen, zugleich aber mit der pointierten Diktion des chanson-interprète. Dem Verfasser besonders ans Herz gewachsen (wenn derlei Bekenntnisse erlaubt sind) ist Ottavios "Schönste der Frau’n" aus Lehárs Giuditta – schlechthin eine Trouvaille, die selbst der Piaf zur Ehre gereichen würde. Kaum weniger raffiniert die Klangfarben-Nuancen beim Besuch im Maxim, deren Damen-Namen der Sänger abschmeckt wie Delikatessen – was ja wohl auch gemeint ist. Die Strauß-Lieder werden mit Verve und Gusto vorgetragen, ja geradezu auf der Stimme getanzt, wie man das seit Tauber nicht mehr gehört hat. Als Lieder-Sänger ist Gedda am überzeugendsten dort, wo entweder Kantabilität – wie in italienischen Liedern – oder die Ansprache an die nahe oder ferne Geliebte verlangt werden, wo es um gestische Übersetzung oder sentimentale Zustandsschilderungen (Rachmaninow) geht. Die Mischung aus Raffinement und Sentiment, die sowohl in Liedern von Strauß wie von Tschaikowsky, Rachmaninow und Poulenc steckt, trifft Gedda mit bewunderungswürdigem Understatement.