23. März 1997
Musik 

Nicolai Gedda: Rendezvous mit einem Grandsigneur der Tenöre 

Ob er jemals ans Aufhören denken wird? Der legendäre schwedische Tenor Nicolai Gedda begann seine Karriere vor nunmehr 46 Jahren mit der Rolle des Chapelou in Adams "Postillon de Lonjumeau". Ähnlich wie sein spanischer Kollege Alfredo Kraus hat sich Gedda stets nur vorsichtig tastend die Leiter des Erfolgs emporbewegt. Er gehörte nie zu den schmetternden Stimmakrobaten mit dem "kellnerhaften Rampenservice" (wie es Fritz Kortner einmal bezeichnete). Dank einer grundsoliden Technik und dem eisernen Widerstand gegen alle Versuchungen, die Grenzen der Stimme durch Überbeanspruchung zu verletzen, macht Gedda auch noch mit 72 Jahren im Rampenlicht eine hochpassable Figur.

Der Liederabend, den der Tenor gemeinsam mit dem vorzüglichen Pianisten Shelley Katz vor seinen begeisterten Fans in der Deutschen Oper gab, glich einer Lehrstunde für angehende Sänger. Was ein Kritiker schon vor Jahrzehnten an ihm rühmte, trifft noch immer auf diesen Grandsigneur des lyrischen Gesangs zu: "Geddas Anstrengungen zielen auf die Lösung von Problemen; die der meisten Sänger auf deren Umgehung."

Bei aller Popularität ist Gedda eigentlich immer der Tenor für die "happy few" gewesen. Auch darin blieb er sich bei seinem Liederabend treu. Ganz bewußt hatte er, der im französischen Fach wie kaum ein zweiter beheimatet ist, César Franck, Charles Gounod und Edouard Lalo ganz oben aufs Programm gesetzt. Vollkommen die Balance von Wort und Musik beherrschend, trifft er den intimen, ganz spezifisch melancholischen Ton dieser Lieder. Geddas Stimme ist in der Höhe noch immer voller samtiger Leuchtkraft, vorbildlich in der Klarheit der Diktion und der Variationsbreite des Ausdrucks.

 Es ist fast tröstlich für uns Sterbliche, daß man auch einer solch mirakulösen Stimme das Altern anhört. In den Strauss-Liedern hält Gedda die Kraftreserven allzu eisern zurück, in den Liedern von Rimski-Korsakow gelingt der Registerausgleich nicht mehr mühelos, scheint plötzlich eine matte Färbung die sonnigen Höhen zu trüben. Doch welch ein Triumph im Zugabenteil, in dem Gedda den fünffachen Beweis für seine atemberaubende stilistische, sprachliche und musikalische Vielseitigkeit liefert.

Astrid Weidauer



Bravorufe für Nicolai Gedda

Noch bevor der Sänger einen Ton gesungen hat, applaudieren die Zuhörer. Da wird jemand für sein Lebenswerk gerühmt. Vielleicht auch für den Mut, mit fast 72 Jahren noch einmal die Bühne zu betreten. Eine rührende Szene, deren Hauptrolle am Freitag abend in der Deutschen Oper Nicolai Gedda zugedacht ist. Seinem Begleiter Shelley Katz bleibt es vorbehalten, den Klangteppich auslegen zu dürfen - was er in den knapp zwei Stunden bescheiden, feinsinnig und ein bißchen devot auch tut.

Es braucht eine Weile, bis Nicolai Gedda das Gefühl für sein Instrument entwickelt, bis die Stimme sitzt. Anfangs, bei Francks Lied "La Procession", wirkt das alles doch sehr brüsk: Die Phrasen sind nicht bis zum Ende geformt, das Französische geht Gedda nicht unbedingt geschmeidig über die Lippen. Gounods Lieder zeigen Besserung. Der "Blumengruß" ist schon recht charmant und weich, das "Wohin eilst du?" von erzählerischem Esprit. Und wenn es eng wird, wie im Morgenständchen aus Edouards Lalos Oper "Le roi d Ys" und einigen Passagen in den Strauss-Liedern, dann rettet sich Nicolai Gedda mit Routine und mimisch-gestischer Galanterie über so manche Klippe.

Teil zwei des Programms gehört dem Osten Europas. Hier fühlt sich Gedda scheinbar wohler, die Sprachen behagen ihm mehr, auch der Geist der burschikos-derben Zigeunerlieder von Dvorak und der leicht sentimentalen Naturpoesie eines Rimsky-Korsakow. Das sind die eindringlichsten Momente, wenn Gedda die "Tanne und die Palme" besingt, den "Frühling" herbeisehnt oder - in der Arie des Levko aus der Oper des Russen "Die Mainacht" - das Herzliebchen sehnsuchtsvoll anschmachtet.

Das Publikum feiert ihn dafür, mit rauschendem Applaus und Bravorufen, und natürlich bekommt es Zugaben. Zunächst Rachmaninows "Hier ist es schön", dann etwas aus Giordanos Oper "Fedora", Schuberts "Nacht und Träume", schließlich ein schwedisches Lied und für den Nachhauseweg noch ein Wiegenlied.