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Herr Gedda, Sie sind wohl der einzige Tenor der Welt, der den Tamino in Mozarts „Zauberflöte“ in fünf Sprachen gesungen hat: Deutsch, Französisch, Italienisch, Englisch und Schwedisch. Bei all dieser phänomenalen Sprachbeherrschung, welcher „Schule“ gehören Sie an, was Ihre Gesangstechnik betrifft, denn Sie sind ja im russischen, deutschen, italienischen und französischen Repertoire gleichermaßen zu Hause?

Es gibt für mich beim Singen nur eine einzige richtige und allgemein gültige Technik und nicht derer viele, wie einige behaupten. Sehr wohl gibt es aber verschiedene Stile, den französischen, deutschen, italienischen usw.. Welcher Sänger sich dann speziell für ein bestimmtes Repertoire eignet, ist vor allem eine Frage der Stimme und des Timbres und nicht der Gesangstechnik. Natürlich eignet sich die italienische Sprache ideal zum Singen, und ich habe mit meinem ersten Lehrer in Stockholm, Carl-Martin Oehman, und später in New York mit Paola Novikova nach italienischen Traditionen studiert. Frau Novikova war Schülerin des großen italienischen Baritons Mattia Battistini gewesen und dann übrigens auch die Lehrerin des wunderbaren George London, über den ich zu ihr kam. Die besten Gesangsschulen gibt es heute in England und den USA, wo unter anderem viele Lehrer italienischer oder russischer Abstammung unterrichten. Meine Lehrerin in New York half mir, meine Technik weiter zu festigen und die Stimme zu entwickeln. Ich habe also während der ersten 18 Jahre meiner Karriere ständig unter Kontrolle eines Lehrers gearbeitet und alle neuen Rollen mit diesen Lehrern studiert.

Liegt hier das Geheimnis Ihrer perfekten stimmlichen Verfassung nach über vierzig Karrierejahren?

Ich glaube nicht, dass man von „Geheimnissen“ sprechen kann. Es ist alles viel einfacher, als man denkt. Ein Sänger muss sich zuallererst einmal bewusst sein, welche Stimme er besitzt, und das heißt, dass ein Tenor eine Stimme hat, mit der man vorsichtiger umgehen muss, weil es sich für einen Mann um eine „unnatürliche“ Stimme handelt, im Gegensatz zu einer Bassstimme zum Beispiel. Dann braucht man Glück, den richtigen Lehrer zu finden, der die Stimme nicht ruiniert.

Worin liegen Ihrer Meinung nach die Schwerpunkte und Kriterien, nach denen ein Sänger sich richten sollte, um seine Karriere richtig und auf „Langzeit“ aufzubauen?

Mann kann das kurz in drei Punkten zusammenfassen: Ich hatte mit einem Debüt im „Postillon de Lonjumeau“ in Stockholm einen augenblicklichen Erfolg und konnte in den darauffolgenden fünf Jahren in allen großen Opernhäusern Europas auftreten, bis ich als noch sehr junger Sänger an die Met kam, was zu meiner Zeit die Erhebung in den „Olymp“ bedeutete. Ich hätte damals denken können, dass ich es „geschafft“ habe, und mich weiterhin darauf konzentrieren können, eine Menge Geld zu verdienen. Ich habe es hingegen vorgezogen, trotz der Erfolge hart an mir und meiner Stimme weiterzuarbeiten, und das ist der erste Punkt. Zweitens muss sich ein Tenor dessen bewusst sein, dass er eine empfindliche Stimme hat, die er mehr pflegen muss als andere, was auch heißt, dass man in der Lebenshaltung nicht umhin kommt, gewisse „Opfer" zu bringen, das heißt dem Alkohol, Rauchen und durchwachten Nächten Lebewohl zu sagen.
Drittens muss man Nein sagen können, auch wenn einem Intendanten, Dirigenten oder Manager das Blaue vom Himmel versprechen. Das ist oft sehr schwer! Aber gewisse Leute kümmern sich eben nur um den momentanen Erfolg und um die Befriedigung, schnell ein neues „Talent" für den Markt entdeckt zu haben, und sie denken nicht daran, dass der Sänger noch weitere Karrierejahre vor sich hat.

Wer also diese drei Dinge berücksichtigt, darf hoffen, auch über die Runden von mindestens zwei Karrierejahrzenten zu kommen?

Ja... Leider beginnen die Probleme schon beim Studium. Ein Grundsatz ist, dass bei jedem Sänger die Stimme das erste Kriterium sein sollte. Wenn ein Gesangsstudent mit einem Lehrer arbeitet und sich sagt: „Ich mache keine Fortschritte. Ich fühle mich gar nicht wohl nach der Stunde...", dann arbeitet er gegen seine Stimme. Aber wie viele Schüler bleiben trotzdem vier, fünf Jahre bei demselben Lehrer! Für den Sänger, der in der Karriere steht, gilt der Grundsatz, den schon Tito Schipa und Alfredo Kraus ausgesprochen haben: „Ich habe nie etwas gesungen, was nicht für meine Stimme geschrieben war.“ Karajan war ein großer Dirigent, aber in Bezug auf Stimmen ein großer Sünder. Man darf mit der Stimme nicht Raubbau treiben. Wenn man nach einer Probe stimmlich müde ist, oder wenn einem hingeg4en etwas mühelos gelingt, das muss man fühlen lernen. Und wenn man fühlt: „Das tut dir nicht gut“, dann soll man die Finger davon lassen. Man muss in der Karriere auch aufhören können, denn falscher Ehrgeiz schadet nur. Ich habe besonders Sängerinnen erlebt, die auf bestimmte Rollen „Exklusivrechte“ beanspruchten. Ein Beispiel war Ljuba Welitsch, die eine fantastische Salome war. Mit dem Riesenorchester kann man eine solche Partie nicht fünf, sechs Mal die Woche singen. Sie hat sich damit kaputtgesungen, und derlei Beispiele gibt es leider viele. Nicht zuletzt die Karriere von Maria Callas, die aber auch relativ kurz war. Sie wollte alles singen, sie wollte der Welt zeigen, dass sie alles kann, was ihr schauspielerisch mit ihrer enormen Ausstrahlung auch gelang. Aber zur gleichen Zeit Lucia und Lady Macbeth zu singen, da macht die Stimme auf die Dauer nicht mit. Man darf auch nicht zu viel singen. Ich erinnere mich an einen Sommer von Lisa della Casa. Nach einer Tournee flog sie nach Europa und absolvierte gleich zwei Festspiele hintereinander, zuerst München und dann Salzburg. Das bedeutet von der Probe zur Vorstellung, von der Vorstellung zur Probe. Das habe ich nie gemacht. Ich habe mich vielleicht ein paar Mal übernommen, aber immer darauf geachtet, nach einer Spielzeit in Amerika eine Woche Pause einzulegen, und machte dann meist Aufnahmen im Studio, was ganz anders ist, als für das Publikum zu singen. Manche Sänger setzen sich einer wahren Tour de force aus, anstatt zu denken: „Du willst 25 Jahre singen, und zwar gut singen." Richtig die Karriere zu planen, das nennt man auf Englisch „Timing".

Wer waren Ihre Vorbilder?

Für den italienischen Gesang Beniamino Gigli, was die Stimme betrifft, auch wenn es stilistisch nicht immer ganz einwandfrei war, und dann natürlich Tito Schipa, nicht der Stimme wegen – aber er konnte alles damit machen! Und dann die alten Sänger Caruso, Battistini, Ruffo, Anselmi, Bonci. Jussi Björlings Des Crieux ist auch unübertroffen in Puccinis „Manon Lescaut“. Auch Richard Tauber und Fritz Wunderlich, dessen „Lied von der Erde“ das Beste ist, das je aufgenommen wurde, auch wenn es eigentlich nicht für seine Stimme war ... aber Ausdruck!

An welche Operninszenierungen erinnern Sie sich besonders gerne?

Eine Inszenierung, die ich nie vergessen werde, war eine »Zauberflöte« in Wien 1962 zur Wiedereröffnung des neuen Theaters an der Wien mit Karajan als Dirigent. Rudolf Hartmann hat inszeniert, Erich Kunz war der Papageno, Wilma Lipp sang die Pamina, und ich war auch in guter Verfassung. Die Ausstattung war prachtvoll, aber nicht kitschig – es war wirklich ein Märchen für Erwachsene und Kinder. Eine große Freude war auch eine schöne Inszenierung von »L'elisir d 'amore« im Theater an der Wien mit Eberhard Wächter.


als Herzog von Mantua in "Rigoletto"

Gibt es eine Lieblingsrolle?

Ja, als ich jung war, liebte ich besonders den Lenski und Werther, später wurde es der Hoffmann, was vielleicht meine absolute Lieblingsrolle ist... die Geschichte eines Mannes, der tiefer und tiefer sinkt. – Sinkt, nicht singt!

Würden Sie ihn auf der Bühne noch singen?

Nein, basta Bühne für mich. Ich habe vor langer Zeit mal an der Pariser Oper einen Lohengrin gesehen, der stimmlich ein guter Sänger war, aber für die Rolle viel zu alt aussah. Ich sagte mir damals „Nicolai, wenn du einmal in dem Alter bist, sollst du diese Heldenrollen nicht singen." In den 8oer-Jahren bot man mir den Nemorino an, doch ich lehnte ab. Wenn Nemorino ein älterer Mann ist und um die junge Adina wirbt, ist das psychologisch völlig falsch. Um eine Partie rollendeckend interpretieren zu können, muss beides passen, die Stimme und die Figur, und darauf legt man gerade heute großen Wert.

Welche Erinnerungen haben Sie an Dingenten, mit denen Sie besonders intensiv gearbeitet haben?                                                   

Herbert von Karajan war der große Dirigent, mit dem ich zusammenarbeiten durfte. Mit ihm zu arbeiten war ein Gefühl, dass man gar nicht brauchte, man fühlte" ihn sozusagen. Einmal habe ich ihn erlebt, als die Sopranistin in Bachs „h-Moll-Messe“ zu früh einsetzte. Ich schaute ihn mit Schrecken an, aber er blieb völlig ruhig. Er hatte alles unter Kontrolle, und niemand hat etwas gemerkt. Andere schöne Erinnerungen mit Dirigenten sind die Bach-Messen mit Klemperer, der „Messias“, „Don Giovanni“ – Klemperer war ein „monumentaler" Dirigent und hatte etwas Majestätisches. Das Verdi-Requiem mit Carlo Maria Giulini war wunderbar, auch der »Don Giovanni« mit Karl Böhm. Leider habe ich Toscanini und Bruno Walter verpasst. Für die Operette war der Schweizer Dirigent Otto Ackermann fantastisch wie auch der Deutsche Franz Allers.

Und Ihre Erinnerungen an die vielen Sängerkolleginnen und -kollegen?

Ich hatte wenige Freundschaften mit den Sängern. Eine besondere Freundschaft verband mich mit Victoria de los Angeles, die oft meine Partnerin auf der Bühne war. Sie hatte diese Liebenswürdigkeit in ihrer Stimme, diese Wärme und Ausstrahlung. Auch mit der wunderbaren Mirella Freni bin ich gut befreundet, dann Hilde Güden, Beverly Sills, Joan Sutherland, mit der ich „La Sonnambula“ sang.
An meine erste Begegnung mit Birgit Nilsson erinnere ich mich auch zeitlebens. Sie sang 1946 noch im Ensemble der Stockholmer Oper, bevor sie nach Amerika ging und zum Star wurde. Sie war meine Donna Anna in „Don Giovanni“, und als sie bei der ersten Probe zu singen begann, glaubte ich, es wehe mir meine Haare vom Kopf, als ob ich auf einem Schiff stünde. So einen Ozean von Stimme – und dazu so schön – hatte ich noch nie erlebt!

Gab es auch Enttäuschungen und weniger glückliche Momente in Ihrer Karriere?

Ja, es ist nicht immer alles Sonnenschein. Die ersten Inszenierungen an der Met waren fantastisch, wie z. B. die „Manon“ mit Victoria de los Angeles. Dann sang ich dieselbe Oper ohne sie in einer Neuinszenierung, wo der Regisseur eine Münchner Bierzeltatmosphäre geschaffen hatte, in einer französischen Oper. So war für mich diese „Manon“ eine Enttäuschung. Ich hatte generell mit Regisseuren Pech. Auch war das Klima anfänglich an der Met sehr schön gewesen, wurde dann aber kommerzieller, und ich liebe das nicht sehr. Ich bedaure die jungen Sänger, die das heutige Regietheater – mit Ausnahmen natürlich – mitmachen müssen, „Rigoletto“ unter Mafiosi in New York und solche Dinge...

Sie haben 25 Jahre lang an der Metropolitan Opera in New York gesungen. War die Met also das Opernhaus, mit dem Sie sich am meisten verbunden fühlten?

Ja, denn ich wollte die Opern in Originalsprache singen, und das war an der Met immer die Tradition, nicht an Covent Garden in London, wo ich den Herzog in „Rigoletto“ auf Englisch singen musste – Gott, was hat man alles gelernt! Es war furchtbar. An der Met musste ich nie zum Intendanten Rudolf Bing gehen und um Engagements bitten, sondern ich bekam immer angeboten, was ich singen wollte: Faust, Lenski, Don Ottavio, Des Grieux und in der dritten Spielzeit dann den Hoffmann. In 25 Jahren waren nur drei, vier Mal falsche Sachen darunter. Ich wollte so gerne den Herrmann in „Pique Dame“ singen und tat das auch, aber das Orchester im Finale des ersten Aktes ist zu groß – der Rest ging gut. Jimmy Levine überredete mich auch zu Verdis „Vespri Siciliani“.

Und Don Jose?

Das war auch falsch. Mit „Carmen“ hatte ich großen Erfolg an der Mailänder Scala, aber man darf nicht vergessen, dass die Met mit 4000 Plätzen sehr groß ist. Man muss nämlich immer auch berücksichtigen, welche Oper man wo singen kann.

Ihr Lohengrin in Stockholm blieb der einzige Ausflug ins Wagner-Fach?

Ich konnte den Lohengrin gut singen, merkte aber, dass ich dazu meine Stimme in der Mittellage verbreitern musste. Das strengt auf Dauer die Muskeln an, und die Stimme wird schwerer.
Ich sollte einige Monate nach Lohengrin eine Belmonte-Aufnahme mit Krips machen, und ich hatte damals die größte Mühe, meine Leichtigkeit in der Stimme wiederzufinden!

Sie waren auch im Plattenstudio sehr aktiv mit Opern- und äußerst populär mit Operettenaufnahmen.

Ja, ich habe sehr viele Opern aufgenommen, und viele davon nur für das Plattenstudio und nicht für die Bühne gelernt: Lortzings herrliche Oper „Undine“ oder „Der Prophet“ und „Die Hugenotten“ von Meyerbeer. Aber ich hatte nie etwas dagegen, neue Sachen zu lernen, wenn sie schön waren. Außerdem hatte ich die Atmosphäre im Plattenstudio gerne, weil meine Stimme mit dem Mikrofon gut zurechtkommt und ich mit meinen Sprachkenntnissen in den verschiedensten Repertoiresparten von der Oper über die Operette bis zum Oratorium keine Probleme hatte. Bizets „Carmen“ war sicher die kommerziellste meiner Aufnahmen, und ich habe sie sogar zwei Mal eingespielt, unter Beecham mit Victoria de los Angeles und unter Prêtre mit Maria Callas.

Würden Sie an einem Konzert wie dem der drei Tenöre Carreras, Domingo, Pavarotti anlässlich der Fußballweltmeisterschaft in den USA vor einer Million Zuschauer teilnehmen?

Ja warum nicht? Es gab diesbezüglich viele Kritiken, das sei Zirkus und keine Kunst. Da bin ich anderer Meinung, denn aus diesen Kritiken spricht viel mehr der Neid. Die Tatsache allein, dass drei Operntenöre in die Top-Ten-Liste kommen, ist doch fantastisch! Ich finde Konzerte für ein gutes Publikum schön, wenn man Spaß daran hat. Ich sage immer, dass alles, was gut für die Oper ist, gemacht werden soll, das heißt wenn man von den 100.000 Leuten im Stadion und den Millionen vor dem Bildschirm ein paar Tausend davon in die Oper bringt, ist das doch positiv! Der Rest ist purer Neid.

Heute gibt es zwar viel versprechende Nachwuchstenöre, aber eigentlich noch keinen Namen, von dem man behauptet: „der neue Pavarotti oder Domingo. Woran könnte das Ihrer Meinung nach liegen?

Ich glaube es liegt an verschiedenen Dingen. Als ich angefangen habe, war das ganze Leben anders. Nach dem Krieg wurde alles wieder aufgebaut, das Leben war billig. Man konnte billig wohnen, billig leben und billig studieren. Heute ist das nicht so, und die jungen Sänger haben es eilig, Geld zu verdienen. Singen ist aber ein Prozess, bei dem es erst vorwärts geht, dann wieder rückwärts, dann wieder vorwärts. Das nimmt Zeit, und deshalb darf man beim Singen erstens keine Eile haben. Zweitens besteht heute ein Mangel an wirklich guten Agenten, die eine Karriere aufbauen können und sagen: „Nein, das darfst du noch nicht machen, und jedenfalls nicht hier!" Das versteht heute fast keiner mehr, und drittens liegt es am Mangel wirklich guter Lehrer, die gründlich die Technik unterrichten.

Haben Sie eigentlich Gesangsschüler?

Ich habe öfter junge Schüler, die zu mir kommen, besonders Tenöre, und halte Meisterkurse in Genf, Lausanne und New York ab.

Was ist für Sie das Wichtigste am Sängerberuf?

Beim Singen ist es sicher sehr wichtig, dass man eine gesunde Einstellung zu seinem Beruf hat. Ich sage mir immer: „Ich liebe diese Musik, ich singe sie gern, ich liebe diese Rolle und passe sehr gut dafür." Aber sich an etwas anzuklammern und Exklusivrechte zu beanspruchen ist falsch, ebenso wie davor Angst zu haben, „O Gott, da kommt der oder die andere und singt auch meine Rolle!" ... das darf man nicht.

Karin Wolfsbauer