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Nicolai Gedda
Eine stattliche, gutaussehende, mittelgroße
Erscheinung – ein stets freundliches, herzliches, feines und sympathisches
Wesen – eine unvergleichliche Tenorstimme, alles Schöne, Gute und
menschlich Edle vollendet widerspiegelnd. Der bescheidene Künstler
Nicolai Gedda würde zu solchen Komplimenten sicherlich schweigen,
aber nicht leicht verdient es jemand so wie gerade er, gelobt zu werden.
Er beherrscht rund 50 Partien, spricht fließend
sechs Weltsprachen und hört trotzdem niemals auf, an sich, seiner
Stimme und seinen Leistungen zu arbeiten. „Gesungen habe ich schon als
kleiner Bub in der russischen Kirche, und mein Vater hat mir die ersten,
wesentlichen Schritte zur Gesangskunst gelehrt.“ Nicolai Gedda verbrachte
eine bunte Kindheit. Er wurde in Stockholm geboren, wuchs in Deutschland,
genauer gesagt in Leipzig auf, ist der Sohn eines Donkosaken und war längere
Zeit in Paris. 1934 kehrte er in seine schwedische Heimat zurück,
wurde Bankangestellter und ganz durch Zufall von einem kunstliebenden Kunden
entdeckt. Er studierte bei Karl Martin Oehmann und debütierte als
Postillon von Lonjumeau an der königlichen Oper Stockholm. Schon 1953
kam er an die Mailänder Scala, ging dann nach Rom und Turin. Es folgten:
1954 Covent Garden und Festival von Aix-en-Provence, 1957 Debüt bei
den Salzburger Festspielen und in USA, 1957/58 Krönung seiner Karriere
an der Metropolitan Opera als Faust mit Hilde Güden und Jerome Hines.
Diese Partie zählt neben der des Lensky und des Tamino, den er schon
in mehreren Sprachen gesungen hat, zu seinen Lieblingsrollen.
„Leider singe ich jedes Jahr viel zu lange in
Amerika“, sagt Nicolai Gedda im Laufe des Gespräches. „Die Deutschen
sind ein wunderbares Publikum, und ihre Tradition ist wohl die Größte
von allen. Hier singe ich besonders gerne. Die Amerikaner haben ein zu
geringes Urteilsvermögen, in Italien hört man nur auf die hohen
Töne.“ Dieses Kompliment aus dem Munde eines so großen Sängers
hören wir besonders gern, und es freut uns, daß Nicolai Gedda
gerade in Deutschland neben seinen Opernverpflichtungen sehr viele Lieder-
und Oratorienabende gibt, denn seine geschmeidige und ebenmäßige
Stimme eignet sich hierfür wie keine zweite. Die besten Kritiken und
hohe Anerkennungen beweisen dies stets aufs neue. Die Oper ist sein Lieblingsfach,
denn Nicolai Gedda ist ein leidenschaftlicher und hervorragender Schauspieler
und, was besonders erfreulich sein dürfte, ein Verfechter der Originalsprache
im Opernfach. Nicht nur dem üblichen Repertoire, sondern auch der
zu Unrecht stets in den Schatten gerückten französischen und
russischen Oper verlieh Nicolai Gedda eine neue, glänzende Stellung
und läßt sie trotz der fremden Sprachen für jeden Zuhörer
offenbar werden.
Es gibt kein lyrisches Fach, in dem er nicht
zu Hause wäre. „Meine Hobbies? Ich singe und reise immerzu und habe
nur wenig Zeit für mich selber. Wenn, dann liebe ich Sport, vor allem
Fechten, Reiten und Tennis – ich interessiere mich für Philosophie
und Geschichte und lese gerne.“
Sein Wohnsitz liegt in einer Vorstadt von Stockholm,
wo er jedoch leider viel zu selten verweilen kann. Es sei bemerkt, daß
Nicolai Gedda jeden Sonntag in einer Fürsorgeanstalt oder in einem
Altersheim ohne Entgelt die Messe singt.
Über eine so profilierte Persönlichkeit
wie Nicolai Gedda gäbe es viel zu erzählen und, was besonders
erfreulich ist, nur Gutes. Keine Klatschzeitung hat je seinen Namen erwähnt,
in seiner Lebensgeschichte existieren keine Skandale. Er lebt ganz und
gar seinem Beruf und für die Musik, will immer ungetrübte Freude
machen und findet hierin seine große Lebensaufgabe. Es gibt keine
Mühe, die er scheuen würde, diesen Grundsatz zu verfolgen.
Friederike Grassl