Nicolai Gedda (Interview aus RONDO 6/00)

Wie war das: Mit Karajan zu arbeiten? Mit der Callas auf der Bühne zu stehen? Der Tenor Nicolai Gedda (75) erinnert sich – und ist dabei gar nicht langweilig altersweise.
RONDO: Herr Gedda, "Mein Leben, meine Kunst" überschreiben Sie Ihre Memoiren, die vor einigen Jahren erschienen sind. Sie sind dieses Jahr fünfundsiebzig Jahre alt geworden. Wie viel davon war Leben, wie viel Kunst? 

Nicolai Gedda: Die meiste Kraft ging an die Kunst. In diesem Beruf ist es sehr schwer, stabile Familienverhältnisse zu haben. Viele Ehen scheitern, besonders Sängerehen. Meine beiden Ehen waren so unglücklich. Ich habe mich geschämt, habe gedacht, alles falsch gemacht zu haben. Nun bin ich zum dritten Mal verheiratet. Aino und ich kennen uns seit neunundzwanzig Jahren. Sie ist sehr ruhig, sehr ausgeglichen. Sie ahnt, was der Sänger braucht, dass er Ruhe haben muss vor der Vorstellung, und dass er tüchtig essen muss. (lacht)

RONDO: Ihre Kindheit war weniger harmonisch. "Unordnung und frühes Leid" überschreiben Sie das Kapitel über Ihre Kindheit, die Sie in Leipzig und Stockholm verbracht haben ...

Gedda: Ich wusste vieles über mich nicht. Über meine Herkunft, meine Eltern. Bei den meisten gibt es eine klare Antwort, bei mir war alles sehr kompliziert. Es ist wie ein Puzzle, denn heute sind alle tot. Mein Onkel Harry hat etwas erzählt, eine meiner Tanten hat was erzählt, doch meine Mutter Olga hat mir kaum etwas gesagt.

RONDO: Sie sind als uneheliches Kind in Stockholm zur Welt gekommen; dann gab Ihr leiblicher Vater Sie in die Obhut seiner Schwester Olga.

Gedda: Ja, bei einem Krach hat meine Mutter es mir gesagt. Da war ich in der Pubertät. Ich habe nicht nach außen hin reagiert, aber innerlich gab es eine Reaktion. Aber ich konnte es verstehen, es waren sehr schwere Zeiten Anfang der Zwanziger – auch in Schweden. Ein uneheliches Kind zu bekommen war damals für eine sehr junge Frau – sie war Bedienung in einem Biercafé – eine Katastrophe.

RONDO: Sie tragen heute ihren Namen: Gedda. Ihr leiblicher Vater hat sich erst gemeldet, als Sie berühmt waren.

Gedda: Ja, das war bitter. Er hat geprahlt mit mir und abfällige Sachen über seine Schwester gesagt. Meine leibliche Mutter war diskreter. Sie soll, laut Mutter Olga, einmal nach einem Konzert hinter die Bühne gegangen sein. Sie hat nichts gefragt, nur ihre Hand ausgestreckt und meine Kleidung berührt. Doch ich bemerkte sie nicht.

RONDO: Trotz behüteter Kindheit bei Olga und Papa Mischa schreiben Sie: "Lügen und Angst prägten meine Kindheit".

Gedda: Sie waren sehr gütig, aber auch sehr streng. Wer lügt nicht als Kind, wer hat nicht die Angst, eine schlechte Note zu bekommen; wer hat die Note dann nicht gefälscht? (lacht) Und wer hat nicht Angst gehabt, den Eltern die Wunde im Gesicht erklären zu müssen? Ich habe dann immer eine völlig andere Geschichte erfunden.

RONDO: Sie sprechen in einer Mischung von Loyalität und Distanz von Ihren Eltern.

Gedda: Zusammen gehörten wir, ja, aber ich befand mich wie eingekerkert. Ich durfte nicht das normale Leben eines Fünfzehnjährigen führen. Kein Tanzen, keine Feste. Sie hatten ständig Angst, mich zu verlieren, weil ich nicht offiziell adoptiert war. Zweimal haben sie versucht, den Adoptionsantrag zu stellen, aber den Behörden war das Ehepaar Ustinoff zu arm, um ein Kind zu versorgen. Diese Über-Fürsorge gab mir diese furchtbare Schüchternheit. Dagegen musste ich mein ganzes Leben kämpfen.

RONDO: Trotzdem wählten Sie einen Beruf, der Sie gnadenlos der Öffentlichkeit aussetzte.

Gedda: Ich habe sehr unter meiner Schüchternheit gelitten. Das habe ich alles wegarbeiten müssen, ich habe sehr gekämpft.

RONDO: Hat Ihnen dabei auch das Kostüm, die Maske, die ganze Staffage um Sie herum geholfen?

Gedda: Weniger. Eher durch die Rolle des Hoffmann. Er ist hemmungslos und ein bisschen besoffen; und er sieht alles durch die rosarote Brille. Er sieht nicht die Wahrheit. Auch beim Herzog in Verdis "Rigoletto", der sehr extrovertiert ist, musste ich einiges überwinden. Ein Don Ottavio aus Mozarts "Don Giovanni" oder der Tamino aus seiner "Zauberflöte" lagen mir besser. Es war nicht leicht mit meiner Schüchternheit. Menschen haben mich missverstanden. Sie glaubten, ich sei arrogant und gefühllos.

RONDO: In Ihrem Buch sprechen Sie stets von Ihrer Stimme wie von einem Heiligtum.

Gedda: Sie war für mich das Wichtigste, Ich hatte in mir diese Verantwortung für das Publikum. Ich musste und wollte in jeder Vorstellung top sein. Was nicht immer einfach war, denn wir sind ja keine Maschinen. Ich habe mich für jede Vorstellung so vorbereitet, als ob es die erste sei, und habe keinen Unterschied gemacht ob in New York oder in der Provinz. Die Stimme war für mich wie eine Gottesgabe, die ich verwalten und pflegen musste.

RONDO: Hat Sie das asketische Leben Überwindung gekostet?

Gedda: Nein. Ich habe ja nicht wie ein Mönch gelebt. Aber ich musste mich isolieren - jeden Sommer hatte ich einen guten Urlaub und dann habe ich ein bisschen gelebt. Der Vertrag Mario del Monacos mit Mr. Bing an der Met lautete: zwei Vorstellungen, dann drei Tage Ruhe, und dann wieder Vorstellung. Seine Frau ging zu Bing und sagte: "Mein Mann kann mit mir nichts zwei Tage vor einer Vorstellung machen, und nach einer Vorstellung ist er müde. Was ist mit mir? Bitte geben Sie mir einen Tag". Ein Sängerleben ist kein Leben!

RONDO: "Ist es ihm so wichtig gewesen, dass er schön singt?", schrieb eine Kritikerin über Sie nach einem Konzert. Ist man, wenn man mit einer schönen Stimme gesegnet ist, nicht auch in Gefahr, sich zu sehr darauf zu verlassen – wie eine Schauspielerin auf ihr schönes Gesicht?

Gedda: Nein, ich habe von Anfang an viel Wert auf die Interpretation gelegt. Walter Legge, mein Produzent bei EMI, sagte immer: "Die Basis muss Belcanto sein, schönes Singen. Auf dieser Basis können wir alle Ausbrüche und starken Affekte besser erarbeiten". Ein Schrei war also nicht nur ein barbarischer Schrei, sondern ein gesungener Schrei. Das Wichtigste war die Suche nach der musikalischen Wahrheit.

RONDO: Wie lautet die?

Gedda: Die Wahrheit ist der Wille des Komponisten und des Textes und das, was zwischen den Zeilen liegt. Wichtig ist auch, dass man sich als Künstler vergisst. Wenn man immer nur an sich denkt, dann kann man kein Künstler sein, sondern nur Sänger. Dann will man mit seiner Stimme nur das Publikum betören, und dies wird wichtiger als das Ensemble. Das ist nur Selbstbefriedigung, aber keine wahre Kunst. Selbstverständlich ist es wunderbar, schöne Partien mit dem hohen C zu singen. Für mich war es wichtiger, aus schweren Rollen wie dem Herzog des "Rigoletto" etwas zu machen. Ich wollte wissen, wer das war, habe Bücher aus der Renaissance gelesen, sogar eine enorm interessante Arbeit von Stanislawski durchgearbeitet. Ob ich was davon gelernt habe, weiß ich nicht. (lacht)

RONDO: Hatten Sie auch die richtigen Regisseure?

Gedda: Nein, leider hatte ich nicht das Glück, mit einem Visconti oder mit einem Strehler zu arbeiten. Visconti hat ja der Callas alles beigebracht. Es war leider auch ein Problem an der Met. Bing hat nicht die großen Regisseure engagiert, das war ihm nicht wichtig.

RONDO: Worauf legten die Regisseure damals den größten Wert?

Gedda: Als ich den Des Grieux in Massenets "Manon" sang, war es für mich wichtig, eine typisch französische Atmosphäre zu vermitteln. Da war ein deutscher Regisseur – wunderbar für Mozart, sicherlich auch für Wagner –, aber bei "Manon" war er absolut falsch besetzt. Ich hatte mit Regisseuren wenig Glück. Ich habe zwar von dem großen Schauspieler Jean-Louis Barrault viel gelernt, aber von Oper verstand er auch nicht viel. Eine sehr gute Erfahrung habe ich mit John Dexter gemacht. Wir haben Berlioz’ Künstlerdrama "Benvenuto Cellini" sehr schön ausgearbeitet und hatten großen Erfolg. Es war eine schwierige Rolle. Das heutige Regietheater finde ich völlig uninteressant.

RONDO: Wegen eines schrecklichen weißen Kostüms, das Sie 1967 an der Met in der "Zauberflöte" tragen mussten, wollten Sie sogar Ihren Vertrag brechen. Zu verdanken hatten Sie das Kostüm Marc Chagall, der für die Ausstattung dieser Inszenierung verantwortlich war ...

Gedda: Ich sah aus wie der amerikanische Catcher "Gorgeous George", der spät abends im amerikanischen Fernsehen auftritt. Dabei sollte ich einen schönen Märchenprinzen darstellen. Gut, das war Chagall, der hat sich das eben so vorgestellt. Bing sorgte dafür, dass das Kostüm geändert wurde.

RONDO: Besonders schimpfen Sie auf Produzenten, die seien eine Plage und meist vollkommen unmusikalisch.

Gedda: Sage ich das? (lacht) Ich habe mit vielen gearbeitet, die in die Partitur nicht so eingedrungen sind, wie es sein sollte. In großer Dankesschuld stehe ich allerdings bei Walter Legge. Von ihm habe ich sehr viel gelernt, von den anderen nicht. Das war alles oberflächlich.

RONDO: Hatten Sie je Angst, dass ein Produzent Ihre Stimme kaputtmacht?

Gedda: Walter Legge, dem ich meine Karriere verdanke, wollte mich einmal für zwei Aufnahmen zur gleichen Zeit: als Ferrand in Mozarts "Così fan tutte" und Bacchus in Strauss’ "Ariadne". Beides mit Karajan. Ich war so jung, ich wusste nicht, worauf ich mich da einließ. Bacchus ist ja eine Wagner-Partie, also sehr schwer. Zum Glück musste ich noch eine andere französische Oper machen und so war ich gerettet. Aber ich sagte Legge: "Wie können Sie mir das anbieten? Sie wissen doch, dass mich das kaputtmacht!" Geoffrey Parsons sagte mir damals, man glaubte, Gedda könne alles machen.

RONDO: Sie haben aber auch sehr sehr viel aufgenommen, über hundert Aufnahmen mit Opern, Operetten, Liedern, fast immer bei der gleichen Plattenfirma EMI ...

Gedda: Ich hatte ja das Glück, so viele Sprachen zu können. Deutsch und Schwedisch bereits als Kind. Dann kam Englisch dazu, Französisch und Italienisch habe ich vom Latein her gelernt. Ich hätte mein Lieblingsrepertoire in Französisch oder Italienisch sofort aufnehmen können; das Russische kam später. Mit hat das großen Spaß gemacht, ich habe sehr schnell gelernt und die Musik schnell dechiffrieren können. Eine Platte ist ein Dokument. So dachte ich und tue es immer noch.

RONDO: Sie sind einer der wenigen, der sich öffentlich kritisch mit Karajan auseinandersetzt ...

Gedda: Ich habe viel von ihm gelernt und es war ein Erlebnis, mit ihm zu singen. Aber er war kalt, egozentrisch, machthungrig und unpersönlich. Alles war seine Show. Das andere war egal. Und man war nur ein Teil dieser Maschinerie, um ihn noch größer wirken zu lassen. Wir hatten Angst vor ihm, denn er schikanierte gern. Das war in gewisser Hinsicht eine gute Schule. Stimmen waren Karajan egal, er wollte nichts von Grenzen verstehen. Leider. Er konnte von einer Stimme besessen sein, wollte aber dann, dass der Künstler auch solche Partien sang, die seiner Stimme schaden konnten. Wenn der kaputtgeht, dann nehmen wir einen anderen – so hat er wohl gedacht. Viele Karrieren hat er dadurch wenn nicht zerstört so doch verkürzt.

RONDO: Eine Sängerin, die sich nicht geschont hat, war Maria Callas. Wann sind Sie ihr zum ersten Mal begegnet?

Gedda: Meine erste Erfahrung mit der Callas war in Mailand, als ich sie in "Norma" hörte. Ich war sehr bewegt, obwohl ich gegenüber ihrer Stimme seltsame Gefühle hatte. Ich war zwar nicht schockiert, ich fragte mich aber: Ist das wirklich schön, wie sie da singt? Ist das ein schöner Klang? Erst später habe ich verstanden, dass sie die Stimme färbte. Das war 1954, da war sie auf der Höhe ihrer Kunst. Dann war da unsere Aufnahme "Il Turco in Italia" unter Gavazzeni in Mailand. Ich war so unsicher, von Rossini hatte ich ja nicht viel gesungen, ich war sehr gehemmt. Doch die Callas war absolut professionell. Das war eine Frau, die genau wusste, was sie wollte. 1955 haben wir "Madame Butterfly" mit Karajan gemacht, doch da hatte sie bereits viel abgenommen und die hohen Töne waren ziemlich, na ja (macht eine abwertende Handbewegung) ... nur noch ein Tremolo.

RONDO: Hing das mit der Abmagerungskur zusammen?

Gedda: Ja, ich glaube schon, besonders bei den hohen Tönen. Zweifellos. 1964 haben wir in Paris Bizets "Carmen" gemacht. Da war die Stimme schon kaputt. Das klang alles lächerlich.

RONDO: Ahnte sie selbst, dass sie am Ende war?

Gedda: Ich glaube ja. Doch was konnte sie tun? Die Leute sagten ihr, wie schön und wie toll alles sei. Alles Heuchelei. Wenig später hat sie ihre Laufbahn aufgegeben.

RONDO: Wie war es, mit einem Mythos zu arbeiten?

Gedda: Sie war sehr menschlich; sie war die erste, die zur Probe kam und die letzte, die ging. Eine wirkliche Künstlerin. Sie liebte die Arbeit. Sie war eine kultivierte Dame, aber hatte ihr Temperament.

RONDO: Empfindet man als Kollege Neid auf eine so große Begabung?

Gedda: Nein, das nicht. Aber, die Kollegen waren natürlich uninteressant. Bei der "Carmen" war so ein Presserummel. Es gab nur sie. Und wir waren nicht wichtig. Jeden Tag hatte man die Presse vor der Tür: das "Life"-Magazin und die ganze Weltpresse. Es ging nur um die Callas als Carmen. Wir waren froh, als es vorbei war. Ich bin froh, dass ich diese Art von Berühmtheit nicht hatte. In Wien war auf Grund der enormen Anteilnahme an einer Aufführung von mir mal sogar die Polizei dabei. Doch das war die Ausnahme. Wenn man jung ist, findet man das schön, dass man wie ein Beatle behandelt wird, jetzt laufe ich weg vor dem Publikum.

RONDO: Gerade der Beatle Paul McCartney stöhnte damals: "Wenn doch die Mädels endlich aufhören wollten, zu kreischen. Ich will endlich singen!".

Gedda: Mein Publikum waren immer die älteren Frauen. Und jetzt sind die alle tot. Ich bekam Liebesbriefe, die Frauen sind mir nachgereist, aber meistens waren sie zurückhaltend. Ich habe auch andere Geschichten gehört, zum Beispiel von Birgit Nilsson. Sie wurde jahrelang von einer Frau verfolgt, die glaubte, sie sei die wirkliche Nilsson. Die ist sogar in Amerika nachts durch das Hotel-Fenster gestiegen und hat ständig Erpressungsversuche und Selbstmorddrohungen gemacht. Oder Frank Sinatra: Da waren plötzlich drei Mädchen in seinem Schrank ...

RONDO: Der hatte aber bestimmt nichts dagegen...

(lacht) Nein, bestimmt nicht.

RONDO: Sie hatten an der Met einen besonderen Fan: einen Stadtstreicher, der keine Vorstellung versäumte ...

Gedda: Der hatte nur einen Zahn, und er kam immer wieder und ging zu seinem Stehplatz. Ein anderer Fan war eine zwei Tonnen schwere junge Frau; sie kam aus New Haven, das ist mehr als eine Stunde von New York entfernt. Sie wollte mich immer küssen, und sie war verschwitzt. Manche haben immer herausgefunden, wo ich gerade war. Ich weiß nicht wie, vielleicht haben sie den Agenten gefragt.

RONDO: Ihr Agent war Ronald Wilford, eine sehr umstrittene Person im Klassikgeschäft.

Gedda: Am Anfang hat er meine Interessen geschützt. Aber mit der Zeit fand ich, dass er nicht genug für mich tat. Der nächste war auch nicht besser. Überhaupt habe ich nur schlechte Erfahrungen mit Agenten in Amerika gemacht. Ein älterer feiner Herr, der bereits Jussi Björling gemanagt hatte, vermittelte mich an seinen Sohn. Aber der war auch nichts, ich wollte keinen Agenten haben, der zu mir in die Vorstellung kam und in der Kulisse dann mit einer Tasse Kaffee dastand. So etwas brauchte ich nicht. Ich wollte alleine sein, aber die Agenten begreifen nicht, dass man seine Ruhe haben will und nicht Blabla machen will. Ich wollte nur, dass man ein bisschen Reklame für mich macht.

RONDO: Man hat Sie als Nachfolger Jussi Björlings gesehen, als dieser 1960 im Alter von neunundvierzig Jahren starb.

Gedda: Ja, aber er war dramatischer und robuster als ich. Ich war eher der Mozartsänger, ein ganz anderer Typ.

RONDO: Hätten Sie gerne die Erscheinung eines virilen Künstlers gehabt?

Gedda: Nein, eigentlich nicht. In Italien an der Scala diskutierten einst Kollegen über das Thema, wie ein Sänger auszusehen habe: Wie ein schöner Filmschauspieler? Ich bin weggegangen, habe mich angeschaut und gesagt: ich sehe aus wie ein ordentlicher Bankbeamter aus Stockholm. Aber ich wurde mit den Jahren besser. Ich hatte meinen Stil, blieb aber sehr bodenständig.

Das Gespräch führte Teresa Pieschacón Raphael im Oktober 2000 in Geddas Haus in Tolochenaz bei Genf.
































"Karajan er war kalt, egozentrisch, machthungrig und unpersönlich. Alles war seine Show. Das andere war egal. Und man war nur ein Teil dieser Maschinerie, um ihn noch größer wirken zu lassen."



































"Warum lieben die Schwulen die Caballé? Weil die Caballé die Mutti verkörpert. Und die Mutti ist etwas Heiliges. Auch die Callas wird von vielen Homosexuellen, die oft sehr kultiviert sind, geliebt. Der Sex wird in Kunst sublimiert; alles ist ästhetisch und künstlerisch."















































"Wenn man jung ist, findet man das schön, dass man wie ein Beatle behandelt wird, jetzt laufe ich weg vor dem Publikum." 















































"Als ich angefangen habe, Anfang der fünfziger Jahre, war es die beste Zeit. Es war nach dem Krieg, man brauchte Sänger, die Theater wurden aufgebaut, die Konkurrenz war nicht so stark. Heute gibt es Chinesen und Koreaner, die arbeiten billiger." 























































"Die Pubertät war doch kein Glück, oder? Meine glückliche Zeit kam erst viel später." 


RONDO:Gibt es heute noch eine Sehnsucht nach dem Opernstar, der Diva?

Gedda: Ja, auf jeden Fall! Schauen Sie sich Madonna an. Die ist doch so ein Callas-Typ. Oder Kiri Te Kanawa. Oder ganz anders: Montserrat Caballé.

RONDO: Mit ihr verbinden Sie eine Erfahrung besonderer Art.

Gedda: O ja, ganz, ganz schrecklich. Ich habe mit ihr eine "Traviata" singen müssen, eine Erfahrung, die ich nie vergessen werde. In der Todesszene im letzten Akt versuchte ich, mich auf das Bett zu setzen, aber sie nahm die ganze Fläche ein. Was kann man da machen. Mir blieb nur ein kleiner Rand und ich merkte, während ich sang, dass ich drohte hinzufallen. Am schlimmsten war, dass ich hörte, wie sich jemand hinter der Kulisse totlachte. Montserrat merkte gar nichts. Sie ist eine wunderbare Musikerin, aber sie mag - glaube ich -gerne Kuchen.

RONDO: Sie wird von vielen jungen Männern vergöttert ...

Gedda: Irgendjemand hat gefragt: Warum lieben die Schwulen die Caballé? Weil die Caballé die Mutti verkörpert. Und die Mutti ist etwas Heiliges. Auch die Callas wird von vielen Homosexuellen, die oft sehr kultiviert sind, geliebt. Der Sex wird in Kunst sublimiert; alles ist ästhetisch und künstlerisch.

RONDO: Mit zunehmender Berühmtheit werden die ehrlichen Menschen um einen weniger.

Gedda: O ja! Ich war oft sehr empfänglich für Lob. Ich bin erst mit den Jahren ein besserer Menschenkenner geworden. Man hat mich auch ausgenützt. Die Organisation der russischen Emigranten in New York etwa. Ich war ja kein richtiger Russe, nur meine Großmutter war Russin, der Rest ist schwedisch. Aber für diese Damen war ich einer, weil ich die Sprache konnte. Sie haben mich drangsaliert, mich für ihre Zwecke eingespannt und wollten mein Geld. Ich musste eine Dame aus dem Künstlerzimmer rausschmeißen. Aber irgendwann wollte ich nicht mehr; ich konnte nicht hart genug sein. Ich hasste diese Empfänge, ich wollte nicht mit dem Glas Whiskey dastehen und mich mit blöden Damen unterhalten.

RONDO: Waren Sie süchtig nach Erfolg?

Gedda: Natürlich war ich sehr glücklich, wenn ich eine Rolle singen konnte. Wenn man die Rolle des Nemorino in Donizettis "Liebestrank" hat, dann hat man den ganzen Abend für sich. Dann bekommt man einen enormen Applaus; das ist doch menschlich, dass man sich darüber freut und viel besser als beim Tamino; da hat man eine schöne Arie am Anfang, aber dann überhaupt nichts mehr.

RONDO: Ist es Ihnen schwer gefallen, sich zurückzuziehen?

Gedda: Nein, eigentlich nicht. Ich hatte das Bedürfnis nach einem normalen, ruhigen Leben. Natürlich habe ich immer noch Albträume in der Art: morgen muss ich etwas singen und ich kann die Rolle nicht. Es gibt viele, die schaffen den Absprung nicht. Wir haben Angst, vergessen zu werden, wenn wir nicht im Betrieb drin sind. Viele sagen sich, ich muss immer dabei sein. Mir reicht es, wenn ein Freund mir erzählt, dass man mich jeden Tag im Rundfunk hört.

RONDO: Würden Sie gerne heute noch einmal anfangen?

Gedda: Nein, um Gottes Willen. Als ich angefangen habe, Anfang der fünfziger Jahre, war es die beste Zeit. Es war nach dem Krieg, man brauchte Sänger, die Theater wurden aufgebaut, die Konkurrenz war nicht so stark. Heute gibt es Chinesen und Koreaner, die arbeiten billiger. Vielleicht haben es die Leute heute deshalb so eilig, eine Karriere und viel Geld zu machen.

RONDO: Sie haben Hunderte Male den Faust aus Gounods gleichnamiger Oper verkörpert. Fausts Ansicht, dass Glück dasselbe sei wie Jugend, finden Sie blödsinnig ...

Gedda: Auf jeden Fall! Als wir jung waren, war dies doch kein Glück. Die Pubertät war doch kein Glück, oder? Meine glückliche Zeit kam erst viel später.

RONDO: Der Dirigent Dimitri Mitropoulos starb auf der Bühne. Wäre das was für Sie?

Gedda: Nein, der Tod ist stiller. Aber man kann es sich nicht aussuchen.