Was die Operettenaufnahmen betrifft, die Gedda mit
Schwarzkopf in London produzierte, so sagte der amerikanische Kritiker Irvin
Kolodin einmal: „Ich bewundere seinen Sou-Chong noch mehr als den Orphée!“ Kesting
schlug in die gleiche Kerbe: „Hier nahm man das Leichte keineswegs leicht“.
Abgesehen davon, daß es neben dem Kunstlied kaum etwas schwierigeres gibt, als
Operette richtig zu singen, zeigte der 29jährige Tenor ein instinktives Gespür
für Ausdruck und Nuancierung. Der Klang der noch jungen Stimme war damals sehr
schlank und hell, zuweilen mit leichten Nasaltönen in der Mittellage. Das
Volumen war noch sehr gering, eine Durchschlagskraft praktisch nicht vorhanden.
Geddas Glück war die enorme Tragfähigkeit seiner Stimme und der
außergewöhnliche Umfang. Töne hinauf bis zum D und darüber sogar hinaus waren
denkbar! Für Gedda war es daher nur selbstverständlich, beispielsweise den Orphée
von Christophe Willibald Gluck in der hohen Tenorlage ohne Transposition zu
singen (Pariser Fassung von 1774.) In
allen Aufnahmen dieser Oper seit 1935 griff man traditionell auf jene Fassung
zurück, in der Orpheus – ursprünglich eine Kastratenrolle - von einer Altistin
gesungen wurde. Gedda war neben Ivan Koslowski (der transponierte) der erste
Tenor in dieser Rolle auf der Schallplatte. Der Verfasser möchte gerne anfügen,
daß ihm trotz Geddas Leistung auch die Version aus dem Jahre 1947 mit der
zeitlosen Kathleen Ferrier unter Fritz Stiedry ans Herz gewachsen ist. In neuerer
Zeit wird der Orphée vorzugsweise mit einem Countertenor oder mit einem Kowalski
besetzt! Der Peruaner Juan Diego Flórez singt die berühmte Klagearie mit einem
dünnen, ausdruckslosen Stimmchen. Geddas Souveränität ließ ihn rasch zu einem
Spezialisten für Opern werden, die Jahrzehnte in der Mottenkiste geruht hatten.
Er interessierte sich nicht nur für jede Art von Musik, er war auch der einzige
Tenor, der sie bewältigen konnte! So wurde er schon in seinen ersten Jahren –
ähnlich wie vor ihm die Callas – zu einem Wegbereiter in der Renaissance
vergessener Werke.
Obwohl Gedda nach eigenen Angaben sehr unter der despotischen Art
Herbert von Karajans litt, arbeitete er bei weiteren Großprojekten mit ihm
zusammen. Sicherlich gehört die Aufnahme der Fledermaus von 1955 aus
London dazu, wieder mit Elisabeth Schwarzkopf und mit der charmanten Adele von
Rita Streich. Gedda gab man aber nicht den Alfred, sondern den Eisenstein.
Darin scheint er dem Verfasser ebenso fehlbesetzt wie als Pinkerton in Madama
Butterfly, die vom 1. bis zum 6. August in Mailand aufgezeichnet wurde. Die
Callas gab ein intelligentes, differenziertes Portrait von Puccinis tragischer
Heldin, Gedda – damals 30 – war als skrupelloser Marineleutnant einfach nur ein
stimmlicher Leichtmatrose. Es fehlt ihm noch an männlicher Virilität in der
Stimme. Karajan war das offensichtlichl egal. Der Pinkerton war für den jungen
Tenor einfach eine Nummer zu groß. Geddas Mentoren, Carl Martin Öhmann und
Issay Dobrownen, hatten einst eindringlich vor dieser „breiten Puccini-Partie“
gewarnt. Hier wäre natürlich Giuseppe di Stefano an der Seite der Callas gut
denkbar gewesen, aber der hatte bereits unter Giandrea Gavazzeni ein Jahr zuvor
mit Victoria de los Angeles Butterfly aufgenommen. Jürgen Kesting –
immer für ein Loblied auf eine Callas-Platte zu haben – fand Geddas Pinkerton
von besonderem Reiz: „Er hat all die bedenkenlose Emphase eines Jünglings, der,
einmal im Rausch, nicht weiß, was er tut.“
Die Verpflichtungen insbesondere in Italien und Frankreich nahmen 1955
für Gedda zu, und der gültige Vertrag mit der Stockholmer Heimatbühne führte zu
gravierenden Spannungen mit dem Leiter, Joel Berglund. Natürlich wollte sich
Gedda einer anstehenden Weltkarriere nicht versperren, andererseits hatte er
auch noch Verpflichtungen in Stockholm zu erfüllen. Erst nach dem Abgang
Berglunds lösten sich die unschönen Auseinandersetzungen, und der Nachfolger,
Björlings alter Kumpel Set Svanholm, vereinbarte mit Gedda ein zweimonatiges
Gastspiel für 1956.
Der Zwist mit Karajan dauerte an, führte aber dennoch zu einer weiteren Zauberflöte
1955 in Mailand. Sogar 1962 sollte man sich in Wien noch einmal zusammentun –
wieder für Mozarts Spätwerk.
Ich muß sagen, daß es Maestro Karajan letztlich
gleichgültig war, was mit einer Stimme passierte. Es wäre ihm völlig egal
gewesen, wenn ich stimmlich draufgegangen wäre!
Weitere Höhepunkte bedeuteten für
Gedda 1955 die Johannes-Passion in Paris unter Jean Martinon und
natürlich unter Hans Rosbaud Cosi fan tutte bei den Festspielen von Aix
en Provence. Leider existiert nur ein Mitschnitt aus dem Jahr 1957, indem der
Ferrando von dem uninteressanten Tenorino Luigi Alva geträllert wird. Geddas
>Unauroamorosa< ist, wie die Version Fritz
Wunderlichs, ein Musterbeispiel kultivierten Mozartgesangs. Kaum zu glauben,
daß er Cosi fan tutte komplett erst 1974 im Studio unter Colin Davis
sang! Ursprünglich sollte es schon 1954 zu einer Aufnahme mit Karajan gekommen
sein, aber Gedda sah sich den Forderungen des Dirigenten, in der gleichen
Aufnahmesitzung auch noch den Bachus in Strauss´ Ariadne auf Naxos zu
singen, einfach nicht gewachsen. Er erteilte dem Stardirigenten eine Absage und
fiel somit für alle Zeiten bei dem Dirigentengott in Ungnade.
Es ist keineswegs übertrieben, wenn man Gedda ab 1956 – also noch vor
seinem Debüt an der Met – zu den internationalen Topstars der Opernwelt zählt.
Wenn es darum ging, eine lyrische Tenorpartie an einer der Spitzenbühnen in
Europa zu besetzen, dann fiel der Name des Schweden. Eine kleine Auswahl von Geddas
damaligen Auftritten: In Paris sang er Mireille unter Fournet, Rigoletto
unter Dervaux, La Traviata mit Janine Micheau und Strawinskys Persephone
unter Cluytens. Bei den Festspielen in Aix sah man ihn in Platée und Don
Giovanni unter Rosbaud. In Stockholm sang er den Herzog unter Kurt Bendix
und den Belmonte unter Herbert Sandberg sowie in Händels Messias. Es
folgten im November an seiner Heimatbühne Don Giovanni unter Bertil
Bokstedt, La Traviata mit Hjördis Schymberg unter Sandberg sowie eine
weitere Karajan-Zauberflöte, diesmal mit Elisabeth Söderström als
Pamina. In Turin sang er den Tenorpart in Beethovens 9. Symphonie, in Köln in
Berlioz Requiem unter Dimitri Mitroupoulos. Dazwischen fand er noch Zeit
für seltene Werke wie Le Devin du Village von Rousseau. Und auch die
Wiener erfreuten sich wieder an dem Traumpaar Gedda-Karajan mit einer
konzertanten Carmen, erneut mit Simionato und Hilde Güden als Michaela.
Den Escamillo sang Michel Roux.
In Paris nimmt Gedda vom 17. bis zum 19. April ein Album mit
französischen Arien auf, der Dirigent war Louis de Froment. Die Londoner
Einspielung von Cornelius´ Barbier von Bagdad mit Schwarzkopf, Hermann
Prey, Grace Hoffmann, Eberhard Waechter und Gerhard Unger unter Erich Leinsdorf
lässt sich nicht genau datieren.
Geddas private Verhältnisse gerieten mittlerweile aus dem Lot. Wie er
schreibt, war er im Sommer 1956 bereits „das dritte Jahr ohne Unterbrechung für
die Festspiele in Aix en Provence engagiert.“ Geddas Frau aber zog es vor,
gemeinsam mit ihren Eltern den Sommer an einem anderen Ort zu verbringen. Ende
August verließ der Sänger das gemeinsame Haus in Viroflay – der Bruch war
unabwendbar...
Das Ende des beruflich erfolgreichen Jahres beschloß Gedda am 13.
Dezember mit einem Messias in der Stockholmer Domkirche und mit einem Rigoletto-Herzog
am 26. Dezember im Opernhaus
1957 sollte für den jungen Schweden noch größere internationale Erfolge
bereithalten: Der Januar in Stockholm begann mit Mozarts Idomeneo unter
Herbert Sandberg, Hjördis Schymberg war die Elektra, Elisabeth Söderström die
Ilia. Es gibt ein schönes Photo, das Elisabeth Söderström und den jungen Tenor
mit träumerischen Blicken zeigt. Gedda sang die ursprünglich für einen
Kastraten geschriebene Partie des Idamantes, die Mozart noch zu Lebzeiten in
Ermangelung greifbarer Sänger in eine Tenorrolle umwandelte. Nach den
Gastspiel-Auftritten bereitete Gedda schweren Herzens die Abreise aus seinem
Heimatland vor, vor ihm lagen neue Herausforderungen. In den ersten Tagen des
neuen Jahres besuchte Gedda noch zwei Vorstellungen von Jussi Björling, der in
Stockholm in Tosca, Rigoletto und Il Trovatore auftrat. Nach
eigenen Angaben aber hat er Björling niemals persönlich getroffen.
Im eisigen kanadischen Winter fand dann in Quebec im Februar Geddas erstes
Konzert auf dem amerikanischen Kontinent statt. Die kleine Tournee führte den
Sänger durch einige französischsprachige Städte. Ende März traf Gedda in
Pittsburg auf George London, mit dem ihn eine langjährige Freundschaft
verbinden sollte. Sie traten gemeinsam in Faust auf, es folgten Konzerte
in San Francisco (Lullys Te Deum) und Santa Barbara, Kalifornien.
So sicher wie das Amen in der Kirche folgte natürlich auch bald der
Lockruf der Met. Kurz vor seiner Heimkehr nach Europa, wo Gedda Konzert-
und Opernverpflichtungen erfüllen mußte, traf er sich im Frühjahr 1957 in New
York mit dem damaligen General Manager, Sir Rudolf Bing. Der hatte ihn zum
Vorsingen in die alte Metropolitan Opera eingeladen. Nicolai irrte nun
erstmals in seinem Leben durch die riesige Stein- und Betonwüste des
amerikanischen Schmelztiegels. Bing war auf den Schweden sehr gespannt,
wenngleich er auch in diesen Tagen mit einem anderen Schweden, Jussi Björling,
wegen überzogener Gagenforderungen in starkem Konflikt lag. Dieser Disput
eskalierte und Björling sagte bereits im April 1957 einige Aufführungen von Don
Carlo ab. Danach wurde er an der Metropolitan erst wieder im
November 1959 gesehen. Nicolai Gedda war da schon ein wenig einfacher zu
bearbeiten. Er war bescheiden, im gewissen Sinne sogar unterwürfig. Unter den
Zuhörern der ersten Audienz befand sich auch Dimitri Mitropoulos, der mit Gedda
schon gearbeitet hatte. Rudolf Bing lauschte gemeinsam mit seiner Mannschaft
und lud später den schüchternen Tenor zu einem weiteren Gespräch, das er mit
den Worten „We are very interested...“ begann. Gedda erhielt einen Vertrag mit
fixiertem Wochenlohn von 600 Dollar. Eine Abendgage mußte man sich damals noch
verdienen. Geddas amerikanischer Agent, der ihm vom Fachverband der Opernsolisten
gestellt wurde, verhandelte mit Bing über ein höheres Gehalt, das dieser
lachend zurückwies. 600 Dollar für maximal 2 Auftritte in der Woche waren gar
nicht so übel, und keineswegs mit der unverschämten Ausnutzung zu vergleichen,
die zuvor Joel Berglund praktiziert hatte.
Gedda reiste überglücklich mit dem Met-Vertrag zurück nach Europa
und wurde in Frankreich sogleich von seinem Rechtsanwalt empfangen: Seine Frau
hatte ihn wegen ausgelassener Unterhaltzahlungen für seine Tochter Tania
angezeigt. Man drohte Gedda sogar mit Gefängnis und zähneknirschend leistete er
fortan seine monatlichen Überweisungen.
Finanzielle Schwierigkeiten durfte es aber kaum gegeben haben: Im Sommer
1957 sah man Gedda in vielen Aufführungen auf französischem Boden. Unter Jean
Fournet sang er in der Armide von Gluck den Aronte, wieder eine
ausgegrabene Spezialität der Barockoper.Am 24. und 26. Mai spielte er mit André
Cluytens Mozartarien ein. In Paris nahm
er im Juli unter Igor Markevitch an der Einspielung zu Glinkas Nationaloper Schisn
sa Zarja (DasLebenfürdenZaren) teil,
und schmetterte – lange vor Pavarotti – in einer einzigen Arie (Sobinins
Bravourstück >Brüder! ImSturm<) gleich eine ganze
Salve hoher C´s und sogar ein des! Monte Carlo sah ihn als Faust
unter Jean Fournet, und Salzburg unter Joseph Keilberth als Belmonte. Mit
Cluytens ging es nach Rom, um das Oratorium
L´enfance du Christ von Hector Berlioz aufzuführen. Sogar von
einem Otello in Paris ist die Rede, in dem Gedda den Cassio gesungen
haben soll. Nähere Angaben sind nicht bekannt.
Wieder in Salzburg stand die Premiere von Liebermanns Schule der
Frauen, nach einem Text von Molière, am 17. August an. In dieser modernen Operabuffa sang Gedda den Horace. Weitere Mitwirkende waren Kurt Böhme,
Walter Berry, Christa Ludwig und auch Anneliese Rothenberger, die in den
nächsten Jahren dann oftmals seine Partnerin bei Schallplatten- und
Fernsehaufnahmen wurde. Der Dirigent des Abends war Georges Szell. Gedda hat
sich nie gescheut, moderne Klassik zu singen. Wie er aber forderte, mußte die
Musik immer singbar sein. Bevor Gedda dann im November seinen Met-Einstand
gab, schob er noch rasch einige Schallplattenaufnahmen unter: So z.B. auch
Strauss´ kurioses Capriccio. In London traf er in der ersten
Septemberhälfte unter Wolfgang Sawallisch wieder auf Elisabeth Schwarzkopf und
Dietrich Fischer-Dieskau.
Die alte Met-Oper wurde von vielen Künstlern übereinstimmend als
verstaubt und chaotisch bezeichnet. Unter dem Regime von Rudolf Bing hatte sich
schon vieles gebessert, Gelder flossen wieder großzügiger – aber die
Kollegialität der Künstler zueinander schien verloren. Bing hatte innerhalb
weniger Jahre die Metropolitan zum Musentempel in den USA gemacht. Sein
erklärtes Ziel war es, aus der Bruchbude an der 39. Straße das Mekka der
Oper zu schaffen. Wer in diesem Getriebe murrte oder eine konträre Meinung
äußerte, fiel schnell in Ungnade. Edward Johnson, Bings Vorgänger, bedauerte
einmal den Entschluss, den „preussischen Österreicher“ Bing als seinen
Nachfolger vorgeschlagen zu haben. Sir Rudolf hatte keine Hemmungen, sogar
einen Lauritz Melchior fallen zu lassen.
Nicolais Debüt am 1. November als Faust neben Hilde Güden und
Jerome Hines erntete gute Kritiken, und sein Ruhm wuchs mit den weiteren
Auftritten. Am 13. November wurde ein Don Giovanni mit ihm als Ottavio
und Cesare Siepi zu einem Triumpf; der Dirigent war Karl Böhm, den Gedda stets
sehr schätzte. In einem erhaltenen Mitschnitt vom 14. singt allerdings Jan
Peerce den Ottavio, ein Sänger, der an der Metropolitan oft den
Lückenbüßer hergab. Vom Faust gibt es leider keine Tondokumente. Seinen
letzten Met-Faust sang Gedda 1972.
Das Jahr 1957 wurde auch zu einem bedeutenden Wendepunkt in der Laufbahn
des Sängers. Nachdem er in New York Fuß gefasst hatte, empfahl ihm Igor
Markevitch auf Geddas eigen-em Wunsch weitere Gesangsstudien bei Madame Paola
Novikova, einer russischen Jüdin, die behauptete, sie sei die einzige Schülerin
des legendären Baritons Mattia Battistini gewesen. Gleich zu Beginn erkannte
sie ein Manko: Geddas Nasenatemwege waren in Folge eines Unfalls in der
Kindheit verwachsen, und Knorpel blockierten seinen Atemfluß. Gedda ließ sich
in München operieren, und war darauf praktisch ein Anderer! Er konnte wieder
normal atmen und entwickelte ein gänzlich neues akustisches Empfinden für die
eigene Stimme. Auch dem Zuhörer seiner damaligen Platten fällt diese
Verwandlung sofort auf: Vergleicht man beispielsweise Geddas 1953er Faust
mit der Stereoaufnahme von 1958, dann glaubt man, einen anderen Sänger zu hören.
Von nun an bekamen seine Aufnahmen jenen Touch, für den Gedda dann in Folge
weltberühmt wurde: Nobler Ausdruck, akzentuierte Abstufungen in den Registern
und eine vollkommen freie Höhe sowie eine unglaubliche Mittellage, die Gedda
nun durch den geschickten Wechsel von Kopf- und Bruststimme, der voixmixte,
einsetzte. Hinzu kam, daß seine Stimme zunehmend reifer und voluminöser wurde,
sie bekam jetzt auch ein männliches Klanggepräge. Nicolai Gedda schreibt: „Sie
wurde nicht nur ausgeglichener, sondern auch größer und kraftvoller und schöner
im Timbre.“
1958 wurde die Metropolitan zu seinem Hauptwirkungsplatz. Er trat
dort in Die Zauberflöte unter Erich Leinsdorf, im Rosenkavalier
unter Max Rudolf und in Les contes d´Hoffmann unter Jean Morel auf.
Zudem folgte die Matthäus-Passion, erneut unter Leinsdorf. Am 4. Januar
1958 wurde eine Aufführung von Faust mit ihm übers Radio landesweit
gesendet. Am 15. Januar folgte die Uraufführung von Samuel Barbers
amerikanischer Oper Vanessa, in der Gedda den Anatol sang. Er bekam
enthusiastische Kritiken. Vor allem rühmte man seine überaus verständliche
Wortartikulation der englischen Sprache, und stellte ihn seinen Kollegen
Rosalind Elias, Eleanor Steber und Giorgio Tozzi zum Vorbild hin. Gedda fühlte
sich noch lange danach von diesem Lob sehr geschmeichelt, aber er bezeichnete
Barbers Oper auch als „ziemlich schwach!“. Wie eine Gesamtaufnahme des Werkes
zeigt, kann eine Oper in englischer Sprache schon etwas Schreckliches sein! Am
1. Februar wurde das komplette Werk dann ebenfalls im Radio gesendet.
Im Mai ging Gedda dann erstmals mit der Met-Truppe auf Tournée.
Solche Kreuzzüge sind für die damalige Zeit keineswegs ungewöhnlich gewesen. So
war es möglich, typische Haus-inszenierungen allen Opernliebhabern landesweit
vorzustellen. Gedda bereiste
u.a. Cleveland, Chicago, Toronto, Atlanta, Memphis und Oklahoma. Sowohl
in Baltimore und Philhadelphia trat er erneut in Vanessa auf, am 13.
April 1959 sang er seinen 13. und letzten Anatol in Boston, Massachusetts. Den
Sommer verbrachte er wieder in Europa, wo er vom 4. bis zum 10. Juni an der
ersten Aufnahmesitzung zu Bizets Carmen in Paris teilnahm. Der Dirigent
war der großartige Sir Thomas Beecham, der kurz zuvor mit Victoria de los
Angeles und Jussi Björling in New York eine bis heute unerreichte La Bohème
aufgenommen hatte. Über den greisen, aber vitalen Dirigenten gibt es unzählige
Anekdoten, vornehmlich über seine zahllosen kleinen Krankheiten und über seinen
überaus sarkastischen Humor. Die sanftmütige Victoria de los Angeles kam mit
seiner unkonventionellen Art nicht immer zurecht, und einmal verließ sie
kommentarlos die Proben. Sie flog einfach heim nach Barcelona. Als Gedda Sir
Thomas davon berichtet, wie sich seine Stimme verändert habe, entgegnete
Beecham trocken: „Zum Guten oder zum Schlechten?“ Es gab während der Aufnahmen
noch etliche Krisen, vor allem mit dem Chor. Sir Thomas passte dies und das
nicht, er mäkelte mit seinem gewöhnungsbedürftigen Humor an vielen Dingen
herum. So konnte er dem Kinderchor nicht in die Gesichter blicken: „Sie sehen
einfach zu blöd aus!“ Infolge diverser Terminplanungen der beteiligten Sänger
wurden die Aufnahmen erst wieder im September und Oktober 1959 fortgesetzt!
Dazwischen nahm Gedda mit de los Angeles in Paris, wie erwähnt, Faust
unter Cluytens auf. Am Ende ist die Carmen-Aufnahme aber ein Meisterwerk
geworden, bis heute in ihrer dramaturgischen Dichte unerreicht. Kesting
schreibt: „Als Don José distanziert er del Monaco, Corelli, Vickers, McCracken,
Gilbert Py, Domingo und Carreras...“ Und auch Gedda selber zählt die Platte zu
seinen gelungensten. Was will man mehr?
Zu seinen persönlichen Lieblingspartien gehörte auch der Lenski in
Tschaikowskys JewgeniOnjegin, den Gedda am 13. Dezember 1958 zum
ersten Mal an der Met sang. Die Titelpartie wurde von George London übernommen,
Lucine Amara war die Tatjana, Rosalind Elias die Olga. Über Tschaikowskys JewgeniOnjegin hat Gedda in zahlreichen Interviews gesprochen. Er hat die
Partie wie keine andere assimiliert, sich vorab eingehend mit der Vorlage von
Puschkin beschäftigt. In Lenski erkannte Gedda viele Züge des großen russischen
Dichters: Dessen Melancholie und Hitzigkeit sowie das leicht erregbare
Temperament. Den Lenski sang Gedda noch in den 1980er Jahren, es war seine
ausgesprochene Favoritenrolle.
Gefallen hatte er 1958 auch an der italienischen Sopranistin Marcella
Pobbe gefunden, die als Mimi in LaBohème an der Metropolitan
debütierte. Es kam zu einer heftigen Affäre, die mal zu einer Trennung, dann
wieder zu einer Verbindung führte. So jedenfalls konnte der Sänger seine
Gedanken fernab der Heimat auf eine andere Frau richten, während in Frankreich
seine Ehefrau nach wie vor eine Scheidung ablehnte. Als Bing 1959 die Pobbe als
Elisabeth für DonCarlo haben wollte, verweigerte sie eine
Rückkehr zur Met, weil sie – wie sie Stefan Zucker für Operafanatic
andeutete – nicht am selben Haus wie Gedda auftreten wollte.
Zu Geddas schönsten Live-Mitschnitten zählt der Rigoletto vom 18.
Januar 1959 in Stockholm. Margarete Hallin war die unschuldige Gilda, Kerstin
Meyer eine volltönende Zigeunerin und die Titelpartie wurde von Stockholms
Hausbariton Hugo Hasslo gesungen; am Pult stand Sixten Ehrling. Am 7. Februar
hörten die Amerikaner Gedda in einem Met-Broadcast von The Tales of Hoffmann
– in englischer Sprache! Neue Gefilde betrat der Künstler, als er am 5. April
1959 erstmals bei einer TV-Produktion gemeinsam mit Giorgio Tozzi für die Bell-TelephoneHour ein Duett aus Smetanas The bartered bride (DieverkaufteBraut) sang - zwar live dargeboten, aber in abstrakten Studiokulissen.
Die Bell-Hour war dennoch ein erstklassiges Podium für die
damaligen Opernsänger, sich den amerikanischen TV-Zusehern vorzustellen. Von
Beginn an wurde in Farbe aufgezeichnet; die älteste Videokonserve ist Renata
Tebaldis Vortrag aus Madama Butterfly vom Januar 1959. Schon am 27.
April folgte Geddas nächster TV-Auftritt bei der Konkurrenz-Sendung TheVoiceofFirestone. Gemeinsam mit Rosalind Elias und Robert Merrill
präsentierte er Auszüge aus Carmen. Das schwarz-weiße TV-Bild verzerrte
die Körper, und Gedda sah aus wie ein beleibter Mittvierziger. An seinem
Vortrag von >Lafleurquetumavaisjetée<
aber war nichts auszusetzen, abgesehen von einer hölzernen Darstellung. Im
Schlußduett, wenn Carmen stirbt, hält er sich als entsetzter José die Hand vor
den Mund – eine Geste, die weniger dramatisch als unfreiwillig komisch wirkt.
Schlimm war auch die Kürzung der Musik, die von der eingeschränkten Sendezeit
diktiert wurde.
Buchstäblich ins Wasser fiel im Sommer 1959 Geddas Gastspiel bei den
Salzburger Fest-spielen, als ein endloser Platzregen Karl Böhms
Freilichtaufführung der Cosi fan tutte unterbrach, die Salzach über ihre
Ufer stieg, und in Folge der unhygienischen Zustände Tage danach verschiedene
Infektionskrankheiten ihre Runden durch die Bevölkerung zogen. Gedda erkrante
an einer Mandelentzündung und mußte sein Gastspiel mit der Stockholmer Oper als
Herzog von Mantua in Edinburgh absagen.
Dennoch konnte Gedda 1959 seine weltweite Popularität ausbauen. Höhepunkte
waren auch seine Auftritte unter Igor Markevitch: In Montreux La damnation
de Faust, in Paris das Verdi-Requiem und in Montreal Bachs Messe
in H-Moll. Zu den Kuriositäten zählte sein englisch gesungener Sandor
Barinkay in The Gypsy-Baron (Der Zigeunerbaron) an der Met.
Es war sein Entrée zum führenden Operettentenor der 1960er-Jahre. Es dirigierte
Erich Leinsdorf. Die erneute Begegnung mit Herbert von Karajan im Frühjahr 1959
bei Beethovens Missa solemnis in Wien bedeutete also kein schlechtes
Omen.
Ende Oktober fügte Gedda dann seinem Katalog eine Partie hinzu,
die er sehr schätzte, und die zu seinen absoluten Glanzleistungen zählte: Den
Chevalier Des Grieux in Massenets wundervoller Oper Manon nach dem
berühmten Roman von Abbé Prevost, die neun Jahre vor Puccinis Werk entstand. Es
ist mit Geddas Worten: „ ...von allen französischen Opern die Französischste“.
Er sang wieder mit Victoria de los Angeles, Jean Morel dirigierte. Massenet
schrieb eine ungemein schöne Musik, der es an Melodik wie auch Dramatik nicht
mangelt. Die Titelpartie ist eine große Herausforderung für jede
lyrisch-dramatische Sopranistin, der die französische Schule nicht fremd ist.
Die de los Angeles hatte die Rolle bereits einige Jahre zuvor mit dem blassen
Henri Legay als Partner unter Pierre Monteux aufgenommen. Wenige Wochen zuvor
hatte sie in Rom die Madama Butterfly eingespielt, deren
Aufnahmesitzungen wegen der Indisposition des totkranken Jussi Björling
mehrfach unterbrochen werden mußten. In seinem Buch bedauert Gedda, daß er
keine Manon-Aufnahme mit der Spanierin machen konnte und ein anderer
Sopran die Rolle übernahm. Eine seltsame Bemerkung, denn Geddas Platte wurde
erst im Juli 1970 produziert, und der andere Sopran war Beverly Sills –
in diesen Tagen die berühmteste Manon in der Opernwelt!
Seit seinem Debüt war nicht einmal ein Jahrzehnt vergangen, eine neue
Dekade stand bevor und Nicolai Gedda zählte bereits zu den führenden Tenören
der Welt. Dank der Unterstützung von Walter Legge war seine Diskographie enorm
angewachsen. Legge war für Gedda zu einer väterlichen Autoritätsperson
geworden, die ihm mit Rat und Tat half. Immerhin war der Schwede auf dem besten
Weg, das Tenorzugpferd der EMI zu werden. Der Stern di Stefanos begann
gemeinsam mit dem der Callas zu sinken, und die anderen Größen wie Bergonzi,
del Monaco und Corelli waren bei der Konkurrenz unter Vertrag. Abgesehen von
der Aufnahme zu Bizets Les pecheurs de perles (DiePerlenfischer)
mit Janine Micheau unter Dervaux im Oktober und Dezember 1960 in Paris, sind
aus dieser Zeit seltsamerweise kaum biographische Notizen aus dem Leben Geddas
bekannt. Seine Hauptaktivität konzentrierte sich 1960 auf die Metropolitan
(La Traviata, Alceste, Boris Godunow.) Auch ein Konzertmitschnitt aus
Berlin unter Friedhelm Walter ist bekannt. Es bleibt anzunehmen, daß sich
Geddas Interesse zu jener Zeit auf eine baldige Trennung von seiner russischen
Frau fixierte. Aber noch weitere 3 Jahre vergingen bis zur rechtsgültigen
Scheidung. Es war dem Spezialisten schwieriger Partien nicht gegeben, auch die
Schwierigkeiten der Ehe zu bewältigen...