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Nicolai Gedda - Chronologie einer Opernkarriere von Michael Stember

 1. Ein Tenor für die Welt (1951-1954) 3. König der Tenöre (1960-1964) 


2. Spezialist für schwierige Partien (1954-1960)

Was die Operettenaufnahmen betrifft, die Gedda mit Schwarzkopf in London produzierte, so sagte der amerikanische Kritiker Irvin Kolodin einmal: „Ich bewundere seinen Sou-Chong noch mehr als den Orphée!“ Kesting schlug in die gleiche Kerbe: „Hier nahm man das Leichte keineswegs leicht“. Abgesehen davon, daß es neben dem Kunstlied kaum etwas schwierigeres gibt, als Operette richtig zu singen, zeigte der 29jährige Tenor ein instinktives Gespür für Ausdruck und Nuancierung. Der Klang der noch jungen Stimme war damals sehr schlank und hell, zuweilen mit leichten Nasaltönen in der Mittellage. Das Volumen war noch sehr gering, eine Durchschlagskraft praktisch nicht vorhanden. Geddas Glück war die enorme Tragfähigkeit seiner Stimme und der außergewöhnliche Umfang. Töne hinauf bis zum D und darüber sogar hinaus waren denkbar! Für Gedda war es daher nur selbstverständlich, beispielsweise den Orphée von Christophe Willibald Gluck in der hohen Tenorlage ohne Transposition zu singen (Pariser Fassung von 1774.)  In allen Aufnahmen dieser Oper seit 1935 griff man traditionell auf jene Fassung zurück, in der Orpheus – ursprünglich eine Kastratenrolle - von einer Altistin gesungen wurde. Gedda war neben Ivan Koslowski (der transponierte) der erste Tenor in dieser Rolle auf der Schallplatte. Der Verfasser möchte gerne anfügen, daß ihm trotz Geddas Leistung auch die Version aus dem Jahre 1947 mit der zeitlosen Kathleen Ferrier unter Fritz Stiedry ans Herz gewachsen ist. In neuerer Zeit wird der Orphée vorzugsweise mit einem Countertenor oder mit einem Kowalski besetzt! Der Peruaner Juan Diego Flórez singt die berühmte Klagearie mit einem dünnen, ausdruckslosen Stimmchen. Geddas Souveränität ließ ihn rasch zu einem Spezialisten für Opern werden, die Jahrzehnte in der Mottenkiste geruht hatten. Er interessierte sich nicht nur für jede Art von Musik, er war auch der einzige Tenor, der sie bewältigen konnte! So wurde er schon in seinen ersten Jahren – ähnlich wie vor ihm die Callas – zu einem Wegbereiter in der Renaissance vergessener Werke.

Obwohl Gedda nach eigenen Angaben sehr unter der despotischen Art Herbert von Karajans litt, arbeitete er bei weiteren Großprojekten mit ihm zusammen. Sicherlich gehört die Aufnahme der Fledermaus von 1955 aus London dazu, wieder mit Elisabeth Schwarzkopf und mit der charmanten Adele von Rita Streich. Gedda gab man aber nicht den Alfred, sondern den Eisenstein. Darin scheint er dem Verfasser ebenso fehlbesetzt wie als Pinkerton in Madama Butterfly, die vom 1. bis zum 6. August in Mailand aufgezeichnet wurde. Die Callas gab ein intelligentes, differenziertes Portrait von Puccinis tragischer Heldin, Gedda – damals 30 – war als skrupelloser Marineleutnant einfach nur ein stimmlicher Leichtmatrose. Es fehlt ihm noch an männlicher Virilität in der Stimme. Karajan war das offensichtlichl egal. Der Pinkerton war für den jungen Tenor einfach eine Nummer zu groß. Geddas Mentoren, Carl Martin Öhmann und Issay Dobrownen, hatten einst eindringlich vor dieser „breiten Puccini-Partie“ gewarnt. Hier wäre natürlich Giuseppe di Stefano an der Seite der Callas gut denkbar gewesen, aber der hatte bereits unter Giandrea Gavazzeni ein Jahr zuvor mit Victoria de los Angeles Butterfly aufgenommen. Jürgen Kesting – immer für ein Loblied auf eine Callas-Platte zu haben – fand Geddas Pinkerton von besonderem Reiz: „Er hat all die bedenkenlose Emphase eines Jünglings, der, einmal im Rausch, nicht weiß, was er tut.“

Die Verpflichtungen insbesondere in Italien und Frankreich nahmen 1955 für Gedda zu, und der gültige Vertrag mit der Stockholmer Heimatbühne führte zu gravierenden Spannungen mit dem Leiter, Joel Berglund. Natürlich wollte sich Gedda einer anstehenden Weltkarriere nicht versperren, andererseits hatte er auch noch Verpflichtungen in Stockholm zu erfüllen. Erst nach dem Abgang Berglunds lösten sich die unschönen Auseinandersetzungen, und der Nachfolger, Björlings alter Kumpel Set Svanholm, vereinbarte mit Gedda ein zweimonatiges Gastspiel für 1956.

Der Zwist mit Karajan dauerte an, führte aber dennoch zu einer weiteren Zauberflöte 1955 in Mailand. Sogar 1962 sollte man sich in Wien noch einmal zusammentun – wieder für Mozarts Spätwerk.

Ich muß sagen, daß es Maestro Karajan letztlich gleichgültig war, was mit einer Stimme passierte. Es wäre ihm völlig egal gewesen, wenn ich stimmlich draufgegangen wäre!

Weitere Höhepunkte bedeuteten für Gedda 1955 die Johannes-Passion in Paris unter Jean Martinon und natürlich unter Hans Rosbaud Cosi fan tutte bei den Festspielen von Aix en Provence. Leider existiert nur ein Mitschnitt aus dem Jahr 1957, indem der Ferrando von dem uninteressanten Tenorino Luigi Alva geträllert wird. Geddas >Un auro amorosa< ist, wie die Version Fritz Wunderlichs, ein Musterbeispiel kultivierten Mozartgesangs. Kaum zu glauben, daß er Cosi fan tutte komplett erst 1974 im Studio unter Colin Davis sang! Ursprünglich sollte es schon 1954 zu einer Aufnahme mit Karajan gekommen sein, aber Gedda sah sich den Forderungen des Dirigenten, in der gleichen Aufnahmesitzung auch noch den Bachus in Strauss´ Ariadne auf Naxos zu singen, einfach nicht gewachsen. Er erteilte dem Stardirigenten eine Absage und fiel somit für alle Zeiten bei dem Dirigentengott in Ungnade.

Es ist keineswegs übertrieben, wenn man Gedda ab 1956 – also noch vor seinem Debüt an der Met – zu den internationalen Topstars der Opernwelt zählt. Wenn es darum ging, eine lyrische Tenorpartie an einer der Spitzenbühnen in Europa zu besetzen, dann fiel der Name des Schweden. Eine kleine Auswahl von Geddas damaligen Auftritten: In Paris sang er Mireille unter Fournet, Rigoletto unter Dervaux, La Traviata mit Janine Micheau und Strawinskys Persephone unter Cluytens. Bei den Festspielen in Aix sah man ihn in Platée und Don Giovanni unter Rosbaud. In Stockholm sang er den Herzog unter Kurt Bendix und den Belmonte unter Herbert Sandberg sowie in Händels Messias. Es folgten im November an seiner Heimatbühne Don Giovanni unter Bertil Bokstedt, La Traviata mit Hjördis Schymberg unter Sandberg sowie eine weitere Karajan-Zauberflöte, diesmal mit Elisabeth Söderström als Pamina. In Turin sang er den Tenorpart in Beethovens 9. Symphonie, in Köln in Berlioz Requiem unter Dimitri Mitroupoulos. Dazwischen fand er noch Zeit für seltene Werke wie Le Devin du Village von Rousseau. Und auch die Wiener erfreuten sich wieder an dem Traumpaar Gedda-Karajan mit einer konzertanten Carmen, erneut mit Simionato und Hilde Güden als Michaela. Den Escamillo sang Michel Roux.

In Paris nimmt Gedda vom 17. bis zum 19. April ein Album mit französischen Arien auf, der Dirigent war Louis de Froment. Die Londoner Einspielung von Cornelius´ Barbier von Bagdad mit Schwarzkopf, Hermann Prey, Grace Hoffmann, Eberhard Waechter und Gerhard Unger unter Erich Leinsdorf lässt sich nicht genau datieren.

Geddas private Verhältnisse gerieten mittlerweile aus dem Lot. Wie er schreibt, war er im Sommer 1956 bereits „das dritte Jahr ohne Unterbrechung für die Festspiele in Aix en Provence engagiert.“ Geddas Frau aber zog es vor, gemeinsam mit ihren Eltern den Sommer an einem anderen Ort zu verbringen. Ende August verließ der Sänger das gemeinsame Haus in Viroflay – der Bruch war unabwendbar...

Das Ende des beruflich erfolgreichen Jahres beschloß Gedda am 13. Dezember mit einem Messias in der Stockholmer Domkirche und mit einem Rigoletto-Herzog am 26. Dezember im Opernhaus

1957 sollte für den jungen Schweden noch größere internationale Erfolge bereithalten: Der Januar in Stockholm begann mit Mozarts Idomeneo unter Herbert Sandberg, Hjördis Schymberg war die Elektra, Elisabeth Söderström die Ilia. Es gibt ein schönes Photo, das Elisabeth Söderström und den jungen Tenor mit träumerischen Blicken zeigt. Gedda sang die ursprünglich für einen Kastraten geschriebene Partie des Idamantes, die Mozart noch zu Lebzeiten in Ermangelung greifbarer Sänger in eine Tenorrolle umwandelte. Nach den Gastspiel-Auftritten bereitete Gedda schweren Herzens die Abreise aus seinem Heimatland vor, vor ihm lagen neue Herausforderungen. In den ersten Tagen des neuen Jahres besuchte Gedda noch zwei Vorstellungen von Jussi Björling, der in Stockholm in Tosca, Rigoletto und Il Trovatore auftrat. Nach eigenen Angaben aber hat er Björling niemals persönlich getroffen.

Im eisigen kanadischen Winter fand dann in Quebec im Februar Geddas erstes Konzert auf dem amerikanischen Kontinent statt. Die kleine Tournee führte den Sänger durch einige französischsprachige Städte. Ende März traf Gedda in Pittsburg auf George London, mit dem ihn eine langjährige Freundschaft verbinden sollte. Sie traten gemeinsam in Faust auf, es folgten Konzerte in San Francisco (Lullys Te Deum) und Santa Barbara, Kalifornien.

So sicher wie das Amen in der Kirche folgte natürlich auch bald der Lockruf der Met. Kurz vor seiner Heimkehr nach Europa, wo Gedda Konzert- und Opernverpflichtungen erfüllen mußte, traf er sich im Frühjahr 1957 in New York mit dem damaligen General Manager, Sir Rudolf Bing. Der hatte ihn zum Vorsingen in die alte Metropolitan Opera eingeladen. Nicolai irrte nun erstmals in seinem Leben durch die riesige Stein- und Betonwüste des amerikanischen Schmelztiegels. Bing war auf den Schweden sehr gespannt, wenngleich er auch in diesen Tagen mit einem anderen Schweden, Jussi Björling, wegen überzogener Gagenforderungen in starkem Konflikt lag. Dieser Disput eskalierte und Björling sagte bereits im April 1957 einige Aufführungen von Don Carlo ab. Danach wurde er an der Metropolitan erst wieder im November 1959 gesehen. Nicolai Gedda war da schon ein wenig einfacher zu bearbeiten. Er war bescheiden, im gewissen Sinne sogar unterwürfig. Unter den Zuhörern der ersten Audienz befand sich auch Dimitri Mitropoulos, der mit Gedda schon gearbeitet hatte. Rudolf Bing lauschte gemeinsam mit seiner Mannschaft und lud später den schüchternen Tenor zu einem weiteren Gespräch, das er mit den Worten „We are very interested...“ begann. Gedda erhielt einen Vertrag mit fixiertem Wochenlohn von 600 Dollar. Eine Abendgage mußte man sich damals noch verdienen. Geddas amerikanischer Agent, der ihm vom Fachverband der Opernsolisten gestellt wurde, verhandelte mit Bing über ein höheres Gehalt, das dieser lachend zurückwies. 600 Dollar für maximal 2 Auftritte in der Woche waren gar nicht so übel, und keineswegs mit der unverschämten Ausnutzung zu vergleichen, die zuvor Joel Berglund praktiziert hatte.

Gedda reiste überglücklich mit dem Met-Vertrag zurück nach Europa und wurde in Frankreich sogleich von seinem Rechtsanwalt empfangen: Seine Frau hatte ihn wegen ausgelassener Unterhaltzahlungen für seine Tochter Tania angezeigt. Man drohte Gedda sogar mit Gefängnis und zähneknirschend leistete er fortan seine monatlichen Überweisungen.

Finanzielle Schwierigkeiten durfte es aber kaum gegeben haben: Im Sommer 1957 sah man Gedda in vielen Aufführungen auf französischem Boden. Unter Jean Fournet sang er in der Armide von Gluck den Aronte, wieder eine ausgegrabene Spezialität der Barockoper.Am 24. und 26. Mai spielte er mit André Cluytens Mozartarien ein.  In Paris nahm er im Juli unter Igor Markevitch an der Einspielung zu Glinkas Nationaloper Schisn sa Zarja (Das Leben für den Zaren) teil, und schmetterte – lange vor Pavarotti – in einer einzigen Arie (Sobinins Bravourstück >Brüder! Im Sturm<) gleich eine ganze Salve hoher C´s und sogar ein des! Monte Carlo sah ihn als Faust unter Jean Fournet, und Salzburg unter Joseph Keilberth als Belmonte. Mit Cluytens ging es nach Rom, um das Oratorium L´enfance du Christ von Hector Berlioz aufzuführen. Sogar von einem Otello in Paris ist die Rede, in dem Gedda den Cassio gesungen haben soll. Nähere Angaben sind nicht bekannt.

Wieder in Salzburg stand die Premiere von Liebermanns Schule der Frauen, nach einem Text von Molière, am 17. August an. In dieser modernen Opera buffa sang Gedda den Horace. Weitere Mitwirkende waren Kurt Böhme, Walter Berry, Christa Ludwig und auch Anneliese Rothenberger, die in den nächsten Jahren dann oftmals seine Partnerin bei Schallplatten- und Fernsehaufnahmen wurde. Der Dirigent des Abends war Georges Szell. Gedda hat sich nie gescheut, moderne Klassik zu singen. Wie er aber forderte, mußte die Musik immer singbar sein. Bevor Gedda dann im November seinen Met-Einstand gab, schob er noch rasch einige Schallplattenaufnahmen unter: So z.B. auch Strauss´ kurioses Capriccio. In London traf er in der ersten Septemberhälfte unter Wolfgang Sawallisch wieder auf Elisabeth Schwarzkopf und Dietrich Fischer-Dieskau.

Die alte Met-Oper wurde von vielen Künstlern übereinstimmend als verstaubt und chaotisch bezeichnet. Unter dem Regime von Rudolf Bing hatte sich schon vieles gebessert, Gelder flossen wieder großzügiger – aber die Kollegialität der Künstler zueinander schien verloren. Bing hatte innerhalb weniger Jahre die Metropolitan zum Musentempel in den USA gemacht. Sein erklärtes Ziel war es, aus der Bruchbude an der 39. Straße das Mekka der Oper zu schaffen. Wer in diesem Getriebe murrte oder eine konträre Meinung äußerte, fiel schnell in Ungnade. Edward Johnson, Bings Vorgänger, bedauerte einmal den Entschluss, den „preussischen Österreicher“ Bing als seinen Nachfolger vorgeschlagen zu haben. Sir Rudolf hatte keine Hemmungen, sogar einen Lauritz Melchior fallen zu lassen.

Nicolais Debüt am 1. November als Faust neben Hilde Güden und Jerome Hines erntete gute Kritiken, und sein Ruhm wuchs mit den weiteren Auftritten. Am 13. November wurde ein Don Giovanni mit ihm als Ottavio und Cesare Siepi zu einem Triumpf; der Dirigent war Karl Böhm, den Gedda stets sehr schätzte. In einem erhaltenen Mitschnitt vom 14. singt allerdings Jan Peerce den Ottavio, ein Sänger, der an der Metropolitan oft den Lückenbüßer hergab. Vom Faust gibt es leider keine Tondokumente. Seinen letzten Met-Faust sang Gedda 1972.

Das Jahr 1957 wurde auch zu einem bedeutenden Wendepunkt in der Laufbahn des Sängers. Nachdem er in New York Fuß gefasst hatte, empfahl ihm Igor Markevitch auf Geddas eigen-em Wunsch weitere Gesangsstudien bei Madame Paola Novikova, einer russischen Jüdin, die behauptete, sie sei die einzige Schülerin des legendären Baritons Mattia Battistini gewesen. Gleich zu Beginn erkannte sie ein Manko: Geddas Nasenatemwege waren in Folge eines Unfalls in der Kindheit verwachsen, und Knorpel blockierten seinen Atemfluß. Gedda ließ sich in München operieren, und war darauf praktisch ein Anderer! Er konnte wieder normal atmen und entwickelte ein gänzlich neues akustisches Empfinden für die eigene Stimme. Auch dem Zuhörer seiner damaligen Platten fällt diese Verwandlung sofort auf: Vergleicht man beispielsweise Geddas 1953er Faust mit der Stereoaufnahme von 1958, dann glaubt man, einen anderen Sänger zu hören. Von nun an bekamen seine Aufnahmen jenen Touch, für den Gedda dann in Folge weltberühmt wurde: Nobler Ausdruck, akzentuierte Abstufungen in den Registern und eine vollkommen freie Höhe sowie eine unglaubliche Mittellage, die Gedda nun durch den geschickten Wechsel von Kopf- und Bruststimme, der voix mixte, einsetzte. Hinzu kam, daß seine Stimme zunehmend reifer und voluminöser wurde, sie bekam jetzt auch ein männliches Klanggepräge. Nicolai Gedda schreibt: „Sie wurde nicht nur ausgeglichener, sondern auch größer und kraftvoller und schöner im Timbre.“

1958 wurde die Metropolitan zu seinem Hauptwirkungsplatz. Er trat dort in Die Zauberflöte unter Erich Leinsdorf, im Rosenkavalier unter Max Rudolf und in Les contes d´Hoffmann unter Jean Morel auf. Zudem folgte die Matthäus-Passion, erneut unter Leinsdorf. Am 4. Januar 1958 wurde eine Aufführung von Faust mit ihm übers Radio landesweit gesendet. Am 15. Januar folgte die Uraufführung von Samuel Barbers amerikanischer Oper Vanessa, in der Gedda den Anatol sang. Er bekam enthusiastische Kritiken. Vor allem rühmte man seine überaus verständliche Wortartikulation der englischen Sprache, und stellte ihn seinen Kollegen Rosalind Elias, Eleanor Steber und Giorgio Tozzi zum Vorbild hin. Gedda fühlte sich noch lange danach von diesem Lob sehr geschmeichelt, aber er bezeichnete Barbers Oper auch als „ziemlich schwach!“. Wie eine Gesamtaufnahme des Werkes zeigt, kann eine Oper in englischer Sprache schon etwas Schreckliches sein! Am 1. Februar wurde das komplette Werk dann ebenfalls im Radio gesendet.

Im Mai ging Gedda dann erstmals mit der Met-Truppe auf Tournée. Solche Kreuzzüge sind für die damalige Zeit keineswegs ungewöhnlich gewesen. So war es möglich, typische Haus-inszenierungen allen Opernliebhabern landesweit vorzustellen. Gedda bereiste u.a. Cleveland, Chicago, Toronto, Atlanta, Memphis und Oklahoma. Sowohl in Baltimore und Philhadelphia trat er erneut in Vanessa auf, am 13. April 1959 sang er seinen 13. und letzten Anatol in Boston, Massachusetts. Den Sommer verbrachte er wieder in Europa, wo er vom 4. bis zum 10. Juni an der ersten Aufnahmesitzung zu Bizets Carmen in Paris teilnahm. Der Dirigent war der großartige Sir Thomas Beecham, der kurz zuvor mit Victoria de los Angeles und Jussi Björling in New York eine bis heute unerreichte La Bohème aufgenommen hatte. Über den greisen, aber vitalen Dirigenten gibt es unzählige Anekdoten, vornehmlich über seine zahllosen kleinen Krankheiten und über seinen überaus sarkastischen Humor. Die sanftmütige Victoria de los Angeles kam mit seiner unkonventionellen Art nicht immer zurecht, und einmal verließ sie kommentarlos die Proben. Sie flog einfach heim nach Barcelona. Als Gedda Sir Thomas davon berichtet, wie sich seine Stimme verändert habe, entgegnete Beecham trocken: „Zum Guten oder zum Schlechten?“ Es gab während der Aufnahmen noch etliche Krisen, vor allem mit dem Chor. Sir Thomas passte dies und das nicht, er mäkelte mit seinem gewöhnungsbedürftigen Humor an vielen Dingen herum. So konnte er dem Kinderchor nicht in die Gesichter blicken: „Sie sehen einfach zu blöd aus!“ Infolge diverser Terminplanungen der beteiligten Sänger wurden die Aufnahmen erst wieder im September und Oktober 1959 fortgesetzt! Dazwischen nahm Gedda mit de los Angeles in Paris, wie erwähnt, Faust unter Cluytens auf. Am Ende ist die Carmen-Aufnahme aber ein Meisterwerk geworden, bis heute in ihrer dramaturgischen Dichte unerreicht. Kesting schreibt: „Als Don José distanziert er del Monaco, Corelli, Vickers, McCracken, Gilbert Py, Domingo und Carreras...“ Und auch Gedda selber zählt die Platte zu seinen gelungensten. Was will man mehr?

Zu seinen persönlichen Lieblingspartien gehörte auch der Lenski in Tschaikowskys Jewgeni Onjegin, den Gedda am 13. Dezember 1958 zum ersten Mal an der Met sang. Die Titelpartie wurde von George London übernommen, Lucine Amara war die Tatjana, Rosalind Elias die Olga. Über Tschaikowskys Jewgeni Onjegin hat Gedda in zahlreichen Interviews gesprochen. Er hat die Partie wie keine andere assimiliert, sich vorab eingehend mit der Vorlage von Puschkin beschäftigt. In Lenski erkannte Gedda viele Züge des großen russischen Dichters: Dessen Melancholie und Hitzigkeit sowie das leicht erregbare Temperament. Den Lenski sang Gedda noch in den 1980er Jahren, es war seine ausgesprochene Favoritenrolle.

Gefallen hatte er 1958 auch an der italienischen Sopranistin Marcella Pobbe gefunden, die als Mimi in La Bohème an der Metropolitan debütierte. Es kam zu einer heftigen Affäre, die mal zu einer Trennung, dann wieder zu einer Verbindung führte. So jedenfalls konnte der Sänger seine Gedanken fernab der Heimat auf eine andere Frau richten, während in Frankreich seine Ehefrau nach wie vor eine Scheidung ablehnte. Als Bing 1959 die Pobbe als Elisabeth für Don Carlo haben wollte, verweigerte sie eine Rückkehr zur Met, weil sie – wie sie Stefan Zucker für Opera fanatic andeutete – nicht am selben Haus wie Gedda auftreten wollte.

Zu Geddas schönsten Live-Mitschnitten zählt der Rigoletto vom 18. Januar 1959 in Stockholm. Margarete Hallin war die unschuldige Gilda, Kerstin Meyer eine volltönende Zigeunerin und die Titelpartie wurde von Stockholms Hausbariton Hugo Hasslo gesungen; am Pult stand Sixten Ehrling. Am 7. Februar hörten die Amerikaner Gedda in einem Met-Broadcast von The Tales of Hoffmann – in englischer Sprache! Neue Gefilde betrat der Künstler, als er am 5. April 1959 erstmals bei einer TV-Produktion gemeinsam mit Giorgio Tozzi für die Bell-Telephone Hour ein Duett aus Smetanas The bartered bride (Die verkaufte Braut) sang - zwar live dargeboten, aber in abstrakten Studiokulissen. Die Bell-Hour war dennoch ein erstklassiges Podium für die damaligen Opernsänger, sich den amerikanischen TV-Zusehern vorzustellen. Von Beginn an wurde in Farbe aufgezeichnet; die älteste Videokonserve ist Renata Tebaldis Vortrag aus Madama Butterfly vom Januar 1959. Schon am 27. April folgte Geddas nächster TV-Auftritt bei der Konkurrenz-Sendung The Voice of Firestone. Gemeinsam mit Rosalind Elias und Robert Merrill präsentierte er Auszüge aus Carmen. Das schwarz-weiße TV-Bild verzerrte die Körper, und Gedda sah aus wie ein beleibter Mittvierziger. An seinem Vortrag von >La fleur que tu mavais jetée< aber war nichts auszusetzen, abgesehen von einer hölzernen Darstellung. Im Schlußduett, wenn Carmen stirbt, hält er sich als entsetzter José die Hand vor den Mund – eine Geste, die weniger dramatisch als unfreiwillig komisch wirkt. Schlimm war auch die Kürzung der Musik, die von der eingeschränkten Sendezeit diktiert wurde.

Buchstäblich ins Wasser fiel im Sommer 1959 Geddas Gastspiel bei den Salzburger Fest-spielen, als ein endloser Platzregen Karl Böhms Freilichtaufführung der Cosi fan tutte unterbrach, die Salzach über ihre Ufer stieg, und in Folge der unhygienischen Zustände Tage danach verschiedene Infektionskrankheiten ihre Runden durch die Bevölkerung zogen. Gedda erkrante an einer Mandelentzündung und mußte sein Gastspiel mit der Stockholmer Oper als Herzog von Mantua in Edinburgh absagen.

Dennoch konnte Gedda 1959 seine weltweite Popularität ausbauen. Höhepunkte waren auch seine Auftritte unter Igor Markevitch: In Montreux La damnation de Faust, in Paris das Verdi-Requiem und in Montreal Bachs Messe in H-Moll. Zu den Kuriositäten zählte sein englisch gesungener Sandor Barinkay in The Gypsy-Baron (Der Zigeunerbaron) an der Met. Es war sein Entrée zum führenden Operettentenor der 1960er-Jahre. Es dirigierte Erich Leinsdorf. Die erneute Begegnung mit Herbert von Karajan im Frühjahr 1959 bei Beethovens Missa solemnis in Wien bedeutete also kein schlechtes Omen.

   Ende Oktober fügte Gedda dann seinem Katalog eine Partie hinzu, die er sehr schätzte, und die zu seinen absoluten Glanzleistungen zählte: Den Chevalier Des Grieux in Massenets wundervoller Oper Manon nach dem berühmten Roman von Abbé Prevost, die neun Jahre vor Puccinis Werk entstand. Es ist mit Geddas Worten: „ ...von allen französischen Opern die Französischste“. Er sang wieder mit Victoria de los Angeles, Jean Morel dirigierte. Massenet schrieb eine ungemein schöne Musik, der es an Melodik wie auch Dramatik nicht mangelt. Die Titelpartie ist eine große Herausforderung für jede lyrisch-dramatische Sopranistin, der die französische Schule nicht fremd ist. Die de los Angeles hatte die Rolle bereits einige Jahre zuvor mit dem blassen Henri Legay als Partner unter Pierre Monteux aufgenommen. Wenige Wochen zuvor hatte sie in Rom die Madama Butterfly eingespielt, deren Aufnahmesitzungen wegen der Indisposition des totkranken Jussi Björling mehrfach unterbrochen werden mußten. In seinem Buch bedauert Gedda, daß er keine Manon-Aufnahme mit der Spanierin machen konnte und ein anderer Sopran die Rolle übernahm. Eine seltsame Bemerkung, denn Geddas Platte wurde erst im Juli 1970 produziert, und der andere Sopran war Beverly Sills – in diesen Tagen die berühmteste Manon in der Opernwelt!

Seit seinem Debüt war nicht einmal ein Jahrzehnt vergangen, eine neue Dekade stand bevor und Nicolai Gedda zählte bereits zu den führenden Tenören der Welt. Dank der Unterstützung von Walter Legge war seine Diskographie enorm angewachsen. Legge war für Gedda zu einer väterlichen Autoritätsperson geworden, die ihm mit Rat und Tat half. Immerhin war der Schwede auf dem besten Weg, das Tenorzugpferd der EMI zu werden. Der Stern di Stefanos begann gemeinsam mit dem der Callas zu sinken, und die anderen Größen wie Bergonzi, del Monaco und Corelli waren bei der Konkurrenz unter Vertrag. Abgesehen von der Aufnahme zu Bizets Les pecheurs de perles (Die Perlenfischer) mit Janine Micheau unter Dervaux im Oktober und Dezember 1960 in Paris, sind aus dieser Zeit seltsamerweise kaum biographische Notizen aus dem Leben Geddas bekannt. Seine Hauptaktivität konzentrierte sich 1960 auf die Metropolitan (La Traviata, Alceste, Boris Godunow.) Auch ein Konzertmitschnitt aus Berlin unter Friedhelm Walter ist bekannt. Es bleibt anzunehmen, daß sich Geddas Interesse zu jener Zeit auf eine baldige Trennung von seiner russischen Frau fixierte. Aber noch weitere 3 Jahre vergingen bis zur rechtsgültigen Scheidung. Es war dem Spezialisten schwieriger Partien nicht gegeben, auch die Schwierigkeiten der Ehe zu bewältigen...


 1. Ein Tenor für die Welt (1951-1954) 3. König der Tenöre (1960-1964)