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Nicolai Gedda - Chronologie einer Opernkarriere von Michael Stember

 6. Operette nach Wunsch (1967-1970) 8. Vom Glück der Beständigkeit (1980-1989) 


7. Qualität und Quantität (1970-1979)

Werfen wir zunächst einmal einen kleinen Blick auf die Opernwelt der 1970er Jahre. Zu den führenden Sängern der Gegenwart zählten neben Nicolai Gedda auch Carlo Bergonzi, Alfredo Kraus und in den letzten Zügen sogar Franco Corelli. Neuentdeckungen waren Placido Domingo und vor allem Luciano Pavarotti, dessen Auftritte für Sensationen sorgten. Die Diven dieser Dekade waren Joan Sutherland, Montserrat Caballé, Mirella Freni und Renata Scotto. Ausgedient hatten Maria Callas und Giuseppe di Stefano. Renata Tebaldi leitete ihren Schwanengesang ebenso ein, wie Anna Moffo, die mit Kestings Worten „nur noch ein Schatten ihrer selbst“ war. Victoria de los Angeles gab noch immer Konzerte, und Kenner lauschten den Stimmen von Ileana Cotrubas, Margaret Price und Katia Ricciarelli, die von Karajan erfolgreich verschlissen wurde, und deren Karriere vorzeitig im Nichts verlief. Die wunderbare Welt Wagners wurde von René Kollo, Jon Vickers, Birgit Nilsson, Theo Adam und Karl Ridderbusch in Bayreuth zu Gehör gebracht. Das Musiktheater wurde aber auch jünger, die Inszenierungen und deren Regisseure progressiver.

Nicolai Gedda galt jetzt als felsenfester Garant für höchste Gesangskultur. Dank seiner fundierten Technik konnte er  - sinnbildlich gesprochen - vielen jüngeren Tenören zeigen, wo es entlang ging. Wer hätte 1971, so wie er am 12. Februar in Wien unter Erich Märzendorfer, den Raoul in Meyerbeers Les Huguenots (Die Hugenotten) bewältigen können – abgesehen von Pavarotti? Wer außer Gedda konnte damals Mozarts Idomeneo (25. März in Rom mit Jessye Norman) so idiomatisch singen? Wer hätte damals - so wie Gedda in den ersten zwei Wochen des Januar – derart verführerisch Operette aufnehmen können? Die Csardasfürstin unter Willy Mattes mit der Rothenberger gehört zu den Höhepunkten der Gedda-Diskographie. Und wer schließlich hätte sich zugetraut, nur zwei Tage später in der Baseler Martinskirche Kantaten von Johann Sebastian Bach zu singen?

Der Tenor stand damals auch als Tamino im Mittelpunkt eines Ensembles, das Rolf Lieber-mann von der Hamburger Staatsoper für eine Verfilmung der Zauberflöte vereinte. Der Dirigent war Horst Stein, und für die Regie konnte man Peter Ustinov verpflichten, den Peter Ustinov! Doch schon kurz danach krachte es zwischen Stein und Ustinov, da der Dirigent die Rolle des Papageno mit einem richtigen Sänger besetzen wollte. Ustinov hatte sich selbst vorgeschlagen, und war nun brüskiert. Gedda betonte immer wieder, wie reizvoll Ustinov als Vogelfänger gewesen wäre. Mozarts erster Papageno, Emanuel Schikaneder, war ja auch kein Opernsänger. Wie auch immer, die Rolle ging an William Workmann. Im Team befanden sich auch Christina Deutekom, Edith Mathis, Dietrich Fischer-Dieskau und Hans Sotin. Der Film wurde vom NDR produziert, einmal im deutschen Fernsehen gezeigt und verschwand dann in der Versenkung. Aber Gedda-Fans atmeten auf, als die Firma ARTHAUS ihn 2007 auf DVD veröffentlichte.

Erfreulicher war da schon die Begegnung Geddas mit einer jungen Journalistin in Stockholm, die ihn interviewte. Die Dame, eine gewisse Aino Sellermark, verdichtete 1977 die Lebensgeschichte des Tenors nach Tonbandprotokollen zu einer ersten Biographie, die leider nur in Schweden erschien. Frau Sellermark traf immer wieder auf den Sänger, und offensichtlich war man sich sympathisch...

Vom 4. - 15. Januar stand in München Operette auf dem Programm: In der Gräfin Mariza, die Willy Mattes dirigierte, kann man wieder einige Kostbarkeiten entdecken: Welcher Tassilo vermochte je in >Komm  Zigan< so melancholisch zu klagen? Und wer sang je das Entrée zum Walzer-Duett >Mein lieber Schatz< soverlockend, soschmeichelnd wie Gedda? Gemeinsam mit Anneliese Rothenberger bildete er das zentrale Liebespaar der Operette in den frühen 70er-Jahren. Nach Gräfin Mariza legte Gedda dann aber eine mehrjährige Pause von der Operette ein. Bei den nächsten Veröffentlichungen der EMI (u.a. Der Vogelhändler und Boccaccio)  war sein Name auf den Besetzungslisten nicht zu finden.

Die Wiener erlebten den Tenor in überaus bejubelten Vorstellungen von La Traviata mit Edita Gruberowa und Ileana Cotrubas. Die Inszenierung von Otto Schenk wurde Tradition, und hielt sich mehr als drei Jahrzehnte.

La Traviata mit Beverly Sills unter Aldo Ceccato und mit Rolando Panerai als Gérmont, ent-stand laut Sills´ Website vom 6. bis 16. Juli 1971 innerhalb von zwei getrennten Aufnahmesitzungen in London. Den in Dresden aufgenommenen Idomeneo mit Anneliese Rothenberger, Edda Moser, Adolf Dallapozza, Peter Schreier und Theo Adam unter Schmidt-Isserstedt konnte ich nicht näher datieren. Die Traviata wird natürlich von Sills dominiert, und Jürgen Kesting wurde nie müde sowohl diese Traviata wie auch die anderen Portraits der einmaligen Koloratursopranistin niederzumachen. Der Idomeneo offenbart aber einige hörbare Schwächen bei Geddas hingegen nicht immer sicherer Koloraturtechnik. Der Liedsänger Gedda spielte vom 5. – 10. August 1971 im Berliner Gemeindehaus Zehlendorf Schuberts Liederzyklus Die schöne Müllerin ein, bei dem ihn Jan Eyron am Klavier begleitete.

Weitere Daten aus dem Jahr 1971 finden sich erst wieder zum Herbst hin. Am 8. Oktober steht Gedda auf der Bühne der San Francisco Opera als Chevalier des Grieux in Massenets Manon. Seine Partnerin ist wieder Beverly Sills, die beste Manon ihrer Zeit. Sie bezeichnete Gedda später als Lieblingspartner in dieser Oper. Mit Sheila Armstrong, Janet Baker und Fischer-Dieskau spielt Gedda in London danach Mozarts Requiem unter Daniel Barenboim ein. In der englischen Metropole sang er auch in einem Konzert am 21. November russische und skandinawische Lieder. Kurz zuvor, am 16. November, war er in München in Debussys Pelleas et Melisande mit Helen Donath aufgetreten.

Ende November/Anfang Dezember schwelgte dann die Créme der Schallplattenoperette in Wien zu den Klängen der Fledermaus unter Willy Boskovsky. Gedda war Eisenstein, die Rothenberger seine Gattin Rosalinde. Renate Holm wiederholte ihre Leibpartie, die Adele, und für den Dr.Falke gönnte man sich Fischer-Dieskau. Den blasierten Orlofsky sang Brigitte Faßbender. Die vielversprechende Aufnahme wurde leider eine Enttäuschung. Es fehlte ihr an volkstümlicher Spielfreude und Wiener Schmäh. Als poltender Eisenstein wirkt Gedda zu akademisch. Das wird besonders im Duett mit Falke deutlich. Hier sind die Aufnahmen von Stolz (1964 mit Schock, Lipp und Holm) und Böhm (1972 mit Wächter, Janowitz, Holm) deutlich vorzuziehen. Gedda als Alfred – das wäre was gewesen! Am 25. Dezember 1971 hörte man ihn dann noch einmal als Alfredo in Wien. Die Violetta war Ileana Cotrubas, Cornel MacNeil der Vater Germont und Joseph Krips der Dirigent. Ein Mitschnitt ist erhältlich, zudem hat der ORF damals eine TV-Reportage über die Proben zum Trinklied ausgestrahlt. Zu einem Mitschnitt von Faust mit Giandrea Gavazzeni in Buenos Aires gibt es keine weiteren Angaben.

Kommen wir zu Rossinis Guillaume Tell (Wilhelm Tell). Die letzte Oper des Komponisten, der sich nach Niederlegung der Feder mit nur 37 Jahren in sein Privatleben zurückzog, wurde  1829 in Paris uraufgeführt. Gedda sang den Arnold Melchthal öffentlich nur bei den Florentiner Festspielen am 16. Mai 1972 unter Riccardo Muti mit Eva Marton als Mathilde. Die Partie des Arnold ist so hybride, daß selbst Gedda sie transponierte. Für die Schallplatte hat er dennoch zwei Aufnahmen gemacht: 1967 einen Querschnitt unter Alain Lombard, im Juli und September die Gesamteinspielung in London unter Lamberto Gardelli mit Caballé, Mesplé und Bacquier. In der ersten Aufnahme klingt er frischer, und verbindet nach Kesting „Eleganz und Eloquenz der Phrasierung mit einer fast auftrumpfenden Strahlkraft.“ Obwohl weniger frisch, sticht er unter Gardelli, „was die sprachliche Nuancierung, musikalische Genauigkeit und wohlgegliederte Phrasierung angeht, den im Duett und Terzett forcierenden Pavarotti aus.“ Die hier verlangte extreme Höhenlage fordert die korrekte Mischung der Register und die aus dem Mezzo-Forte entwickelte Höhe. Nach James Joyce muß der Sänger des Arnold 456 mal das G, 93 mal das As, 54 mal das B, 15 mal das H, 19 mal das C und 2 mal das Cis singen. Auch Gedda sang das alles nicht mühelos, aber geschmeidiger und mit  besserer Artikulation als seine Rivalen. Vielleicht kam die integrale Einspielung dennoch ein wenig zu spät!

Eine große Belcanto-Oper stand auch am 17. Oktober mit La Sonambula wieder auf dem Programm, die der Tenor mit Renata Scotto und Giorgio Tozzi an der Met aufführte. Zu der Gesamtaufnahme von Pfitzners Palestrina – ausnahmsweise nicht bei der EMI produziert – liegen mir keine näheren zeitlichen Angaben vor. Gedda dazu 1999: „Palestrina ist eine schwere, aber lyrische, in großen Zügen liedhafte Partie. Der junge Fritz Wunderlich hat sie in Wien gesungen, Anfang der sechziger Jahre. Für mich war es ein Erlebnis, sie mit Rafael Kubelik aufnehmen zu dürfen.“

1972 endete für Gedda mit einer geschätzten, aber als unpassend befundenen Partie an der Met: Hermann in Tschaikowskys Pique Dame. „Die Artillerie für die Finali im ersten und zweiten Akt hatte ich nicht wirklich in der Stimme.“ Zwei Arien finden sich auch auf der russischen Rezitalplatte: >Verzeihe mir, du himmlisch Wesen< und >Das Leben ist wie das Spiel!<

1973 beschehrte dem Sänger zwei Aufführungen, an die er sich mit sehr unterschiedlichen Gefühlen erinnerte. Noch 1994 schwärmte er im Opernglas: „Eine große Freude war die schöne Inszenierung von L´elisir d´amore im Theater an der Wien mit Eberhard Wächter und Reri Grist, die Varviso leitete.“ Über den Orphée an der Pariser Oper im Frühjahr hat sich Gedda in zahlreichen Interviews ausgelassen. Der neue Intendant Liebermann verpflichtete den Liebling der Franzosen, René Clair, zur Regie. Aber Clair, der einmalige Filmklassiker geschaffen hatte, war mit der großen Theaterbühne einfach überfordert. Gedda wartete mit den anderen Sänger vergebens auf konstruktive Regieanweisungen. Schließlich sagte der Dirigent, Manuel Rosenthal: „Es ist offensichtlich, René Clair hat Angst!“ Gedda berichtete von dem Fiasko 1988 im Interview mit Opernwelt ebenso wie 1989 im TV-Gespräch mit August Everding

Ein weiteres Zugeständnis an sein deutsches Publikum war der Querschnitt von Faust in deutscher Sprache. Hier nannte man die Oper mit Rücksicht auf Goethes Vorlage scharfsinnig Margarethe. In Berlin trafen sich Gedda, Edda Moser (danals die größte Sopranistin in heimischen Gefilden), Kurt Moll als Mephisto und Dietrich Fischer-Dieskau als Valentin. In der gleichen Besetzung nahm man auch noch einen Querschnitt von Verdis Don Carlos auf. In beiden Fällen dirigierte Giuseppe Patané das Radio-Symphonieorchester Berlin. Weitere Routinearbeiten waren die Schubert-Lieder mit Erik Werba, und Der betrogene Kadi von Gluck mit Rothenberger, Donath und Berry unter Otmar Suitner.

Während des Aufenthaltes in Deutschland trat auch das Fernsehen wieder an Nicolai Gedda heran, und der Bayerische Rundfunk verfilmte mit ihm einige Arien. Mir bekannt sind Szenen aus Tosca, Der Evangelimann (mit Franz Crass), Eugen Onegin und Palestrina. Zur Playbackuntermalung dienten die Schallplattenvorlagen. Besonders interessant ist die Szene mit der Postillion-Arie. Gedda macht als Chapelou in seiner hellblauen Uniform einen feschen Eindruck, er flirtet mit den Dorfdamen und reicht sogar den Kutschenpferden frisches Wasser. Aus dem Playback hat man den Einschub von Franz Klarwein herausgeschnitten. Ein Standbild dieser Filmaufnahme diente später dann als Cover zur LP „Freunde, vernehmet die Geschichte“.

Im August endlich spielte Nicolai Gedda dann eine seiner souveränen Rollen in London ein, Arturo in Vincenzo Bellinis I puritani. Wie schon zehn Jahre zuvor in Florenz wagte er auch diesmal die vorgeschriebene Tonlage, und scheute sich auch im >Credeasi misera< nicht vor dem F, das er technisch korrekt gestützt mit der voix mixte bezwang. Dieser unmögliche Ton wurde in der Uraufführung neben der Elvira von Giulia Grisi von dem Tenor Battista Rubini im Schlußakt infolge eines Lesefehlers gesungen! Kesting erkannte, daß die Aufnahme um eine Dekade zu spät in der Karriere Geddas kam. Aus heutiger Sicht ist kaum begreiflich, warum diese hybriden Partien von dem schwedischen Tenor erst nach 1970 aufgezeichnet wurden. Gedda näherte sich nun seinem 50. Lebensjahr. Noch unfassbarer ist, daß er seinen Ferrando in Mozarts Cosi fan tutte erst 1974 mit Colin Davis in London aufnahm. Auch sein Graf Almaviva in Rossinis Il barbiere di Siviglia (16.-28. August 1974 und Mai 1975) mit Beverly Sills unter James Levine kam definitiv zu spät. Gedda zelebriert die Rolle fast wie eine Karikatur, führt sie vor wie eine akustische Abbildung historischer Gesangsvirtuosität. Es fehlt seinem Grafen an innerer Anteilnahme, die Verzierungen und Triller geraten zum Schaustück! Auch Sherill Milnes und Sills schließen sich dem an. Geddas stimmliches Potential ist vorhanden, aber seine Musizierhaltung scheint sich verändert zu haben. Von Belcanto ist hier wenig zu hören, aber jede Menge Protzerei mit der Stimme! Diese Selbstgefälligkeit bis zum Absurden findet sich - wie schon erwähnt - in einigen seiner Spätaufnahmen. Vielleicht ließ sich der Schwede auch deshalb von James Levine im Januar 1974 zu insgesamt 9 Aufführungen von Verdis Les vepres sicilliennes (Die sizilianische Vesper) überreden. Jens Malte Fischer schreibt retroperspektiv dazu in Große Stimmen: „Gedda singt diese Partie zum ersten und letzten Mal. Er meistert sie bewundernswürdig, aber der Hörer merkt, daß der große Tenor sich nicht wohl fühlt. Die Rolle verlangt eine stimmliche Potenz, die Gedda nicht von Hause aus besitzt, und die er mit allen technischen Raffinessen simuliert“.  Solche Worte konnten den Sänger nicht kränken, denn er gestand sich selbst ein:

Von Maestro Levine wurde ich überredet, den Arrigo zu singen. „Nicolai“, sagte er, „die Vespri sind ein französischer Verdi. Arrigo braucht kein Manrico zu sein“. Aber richtig war´s für mich nicht. Die Partie ist etwas für Domingo, nicht für einen Lyrischen. Oder der Hermann, den ich ebenfalls an der Met gesungen, und auch sehr gerne gehabt habe.

Erfreulicher war für Gedda aber die Zusammenarbeit mit dem gleichaltrigen Engländer John Dexter (1925-1990), der bereits 1966 Regie beim Londoner Benvenuto Cellini führte, und nun Verdis Oper in Szene setzte. Leider fiel er zuvor bei der Direktion der Royal Opera in London in Ungnade, als er 1969 kurzfristig eine Aufgabe absagte. Gedda betonte im Interview 1994, mit Regisseuren generell Pech gehabt zu haben. „Anfänglich war auch das Klima an der Met schön, wurde dann aber kommerzieller – und das liebe ich nicht sehr! Ich bedauere die jungen Sänger, die das heutige Regietheater mitmachen müssen, Rigoletto unter Mafiosi in New York und solche Dinge...“ Lobend äußerte sich der Sänger über Menotti und Otto Schenk. Mit Ponelle, Strehler, Visconti, Zefirelli und Ingmar Bergmann hat er nie zusammen gearbeitet. „Der zweite Regisseur meines Lebens war leider Herbert von Karajan, der von Stimmen keine Ahnung hatte. Dann folgte eine Enttäuschung der anderen.“ Zu den großen Katastrophen wertete Gedda auch die Neuinszenierung von Faust im Frühjahr 1975 an der Pariser Oper durch Jorge Lavelli, den Rolf Liebermann verpflichtet hatte. Lavelli ließ Faust und Mephisto wie Zwillingsbrüder in grauen Gehröcken und mit Zylindern auf den Köpfen durch eine Kulisse umherwandern, die einem Jahrmarkt glich. Margarethes Garten sah aus wie ein schäbiger Hinterhof, und im Soldatenchor stellte Lavelli sogar echte Veteranen auf die Bühne. Von dieser Inszenierung gibt es eine Videoaufzeichnung. Margarethe ist Mirella Freni, Mephisto Roger Soyer, Valentin Tom Krause. Es dirigiert Charles Mackeras.

Ein Höhepunkt in Geddas Karriere war sicherlich sein Hoffmann in der Zusammenarbeit mit Patrice Chereau an der Paris Oper 1974. Chereau und Gedda stellten den Dichter als einen versoffenen Tagträumer auf die Bühne, dessen Erzählungen nur albtraumhafte Visionen sind. Als Gedda zum Zeitpunkt einer TV-Aufzeichnung erkrankte, sprang Kenneth Riegel ein. Zu jener Zeit fanden aber auch TV-Aufnahmen für das ZDF statt. Gedda sang seine Playbacks zu Szenen aus Werther, L´elisir d´amore und sogar Franz Lehars Schlager >Hab´ein blaues Himmelbett< aus Frasquita. Er trug die Haare entsprechend dem damaligen Zeitgeschmack fast schulterlang mit enormen Koteletten.

So ist er auch auf Photos eines Liederabends mit Alexis Weissenberg am 11. August in Salz-burg zu sehen, ebenso wie auf dem Album zur Aufnahme von Barbiere. Ein Photo aus Dresden zeigt ihn im Rollkragenpullover und mit einem lässig über die Schultern gelegten Jacket bei den Aufnahmen zu Carl Maria von Webers Euryanthe. Er faltet die Hände wie zu einem andächtigen Gebet und blickt durch seine Lesebrille auf die vor ihm liegende Partitur. Im Hintergrund versperrt die enorme Körperfülle Jessye Normans die Hälfte des Bildes. Auch hier wirkt Geddas Frisur mit den enormen Geheimratsecken ungekämmt.

Am 12. Juni 1974 gab es in Rom mit Wolfgang Sawallisch am Flügel einen Abend mit Liedern von Franz Schubert. Das Konzert wurde vor einiger Zeit auf CD veröffentlicht.

Vom 23. - 26. September nimmt Gedda gemeinsam mit Mady Mesplé in Paris eine Platte auf mit großen französischen Opernduetten aus Le roi d´Ys, Les pecheurs de perles, Roméo et Juliette, Mireille und Orphée von Gluck. Damit kehrte der Tenor wieder in seine eigentliche Musikdomäne zurück, und zeigte mit 49 Jahren noch einmal, wie sehr er seinen Konkurrenten im französischen Fach überlegen war. Das elegante Titelphoto des Albums von Gérard Neuvecelle zeigt die Sänger auf einem Balkon im Foyer der alten Pariser Oper. Das Bild im Inneren zeigt Gedda, mit argwöhnischem Blick auf einem Stuhl sitzend, hinter Derveaux und Mesplé. Im Begleittext zum Album schrieb Alain Lanceron:

Et le suédois Nicolai Gedda reste toujours notre meilleur ténor francais – Und der Schwede Nicolai Gedda bleibt immer noch unser führender französischer Tenor.

Von der unangefochtenen Spitzenposition des Tenors im französischen Fach konnte sich auch im gleichen Jahr das Publikum in der New York City Opera überzeugen, wo Gedda mit Christiane Eda-Pierre in Bizets Les pecheurs de perles auftrat. Die von Eve Queler geleitete konzertante Aufführung liegt in einem Mitschnitt vor.

1974 veröffentlicht die EMI auch ein exklusives Klappalbum mit dem Titel Nicolai GeddaSeinen Freunden gewidmet! Es enthält eine erste Bestandaufnahme der zahlreichen Arien, die er in den vergangenen 20 Jahren bis dato für den Konzern aufgezeichnet hat. Dazu wird eine bunte Bilderschar von Plattencovern abgedruckt. Der überzogene Begleittext stammt wieder von Jürgen Kesting.

Zu den Vertragserfüllungen mit der EMI zählen 1974 auch Schallplattenaufnahmen von Webers Abu Hassan mit Edda Moser und Kurt Moll, sowie Franz Schuberts Einakter Die Zwillingsbrüder mit Helen Donath und Dietrich Fischer-Dieskau. Wolfgang Sawallisch dirigierte beide Werke.

Im April besuchte Gedda in New York eines der letzten Konzerte von Maria Callas, die sich gemeinsam mit Giuseppe di Stefano auf ihrer Abschiedstournée befand. Was er hörte, gefiel ihm nicht... „Ihre Stimme war nicht mehr erstklassig, aber es gelang ihr, die Carnegie Hall bis zum letzten Platz zu füllen.“

Eine weitere Aufnahme Geddas, die man nicht kennen muß, um den Sänger weiterhin zu bewundern, war das in Düsseldorf eingespielte Schuhmann-Oratorium Paradies und die Peri. Henryk Czyz leitete die Düsseldorfer Symphoniker. Während des ganzen Folgejahrs 1975 servierte Gedda oftmals ein Repertoire fernab des Populären. Am 4. und 5. Januar ging es in München mit Arien von Haydn und Mozart los. Der Experimentalmusiker Eberhard Schoener leitete dann die Aufnahme von Mozarts Komödie Der Schauspieldirektor, in der neben Moser, Gedda, Mesplé und Klaus Hirte auch Peter Ustinov als Sprecher zu hören war.

Eine besondere Zusammenarbeit war die mit dem greisen Sir Adrian Boult in London. Im Sommer arbeitete man für die EMI gemeinsam an Edward Elgars Oratorium The dream of Gerontius (Der Traum des Gerontius). Sakrale Werke waren schon immer eine Spezialität Geddas, der als Knabe mit der Kirchenmusik aufwuchs. Die Platte wurde in England ein immenser Erfolg.

All diese ungewöhnlichen Werke spiegelten Nicolai Geddas Bereitschaft wider, sich der gesamten Musikpalette zu widmen. Auch Werke jenseits des Alltäglichen fanden Beachtung. Das Medium der Schallplatte diente dem Sänger dazu auf besondere Weise. Dort, wo im Theater nur der Effekt zählte, konnten hinter der Intimität eines Mikrophons die Feinheiten herausgearbeitet werden. Gedda wurde durch die Schallplatte – die seine Karriere von den ersten Tagen an begleitet hatte – zu einem der „differenziertesten Sänger des Jahrhunderts“, wie ihn Jürgen Kesting folgerichtig bezeichnete. Nicolai Gedda wurde zum Maßstab stilvollen Gesangs, er erreichte Vorbildfunktion. Gegen Mitte der siebziger Jahre, als seine stimmlichen Mittel ihren Zenit übertraten, wurde er praktisch von einer neuen Generation als letzter Vertreter einer Kunst entdeckt, die man ausgestorben wähnte. Er war jetzt – wie noch 1994 das Opernglas schrieb –  eine lebende Legende! Es war aber auch zwangsläufig, daß Gedda bei dieser enormen Quantität nicht immer nur Qualität servierte. Der englische Kritiker Desmond Shawe-Taylor hat einmal gesagt, daß „Gedda nie wirklich schlecht singt“, aber es gibt viele Zeugnisse, die ihn einfach nicht at his best dokumentieren. Kann man es aber Gedda zum Vorwurf machen, daß er immer neugierig und lernbereit blieb? Wenn man eine Gedda-Einspielung mit ungewöhnlicher Musik kritisiert, darf man nie vergessen, daß andere Sänger entweder diese Musik gar nicht kennen oder einen Bogen um sie gemacht haben!

Das letzte Tonzeugnis von 1975 findet sich als Mitschnitt einer Aufführung von Un ballo in maschera am 2. Dezember in der Wiener Staatsoper. Sein Gustav III wirkt routiniert, aber nicht überzeugend. Er singt so, wie man Gedda damals gerne hören wollte: Mit den typischen Gesten seiner berühmten akzentuierten Nuancen. Er verlässt aber die Linie, entfernt sich zu sehr von Verdi, driftet vielmehr in Richtung Tenorschlager. Die Stimme verlor zudem langsam ihren einstmals kostbaren Glanz, der wie die Oberfläche einer Perle schimmerte. Die Aufnahmen der zweiten Dekadenhälfte zeigen dem aufmerksamen Ohr einen anderen, veränderten Gedda. Das wird auch deutlich in der Einspielung von Wiener Blut, die gegen Ende Februar 1976 in Recklinghausen entstand. Gedda und Rothenberger sind immer noch im Besitz stimmlichen Potenzials, das aber unüberhörbar Risse in der Glasur zeigt. Gedda, jetzt exhaltiert, singt zuweilen so, als imitierte er seine ersten Aufnahmen des Werkes.

    Nach einem weiteren Auftritt im März in Mailand als Benvenuto Cellini, gehörte Gedda am 18. Juni 1976 zu den Opernstars einer Gala zu Ehren der bevorstehenden Hochzeit von König Carl Gustav XVI mit Silvia Sommerlath, der zukünftigen Königin von Schweden. Alle Künstler trugen originelle barocke Kostüme aus der Inszenierung von Un ballo in maschera. Als einzige nicht klassische Darbietung sang die Musikgruppe ABBA mit einer Verbeugung vor Silvia ihr Lied >Dancing Queen<. Geddas Beitrag ließ sich trotz intensiver Recherche im Internet leider nicht bestimmen. Ein Photo zeigt ihn aber beim offiziellen Empfang mit Silvia und der legendären Zarah Leander.

Im selben Monat fanden in London die Aufnahmesitzungen zu Massenets Wüstenoper über die Kurtisane Thais statt, die von Beverly Sills gewohnt kokett gesungen wurde. Nicolai Gedda in der nebensächlichen Partie Nicias war ein Luxus, den sich nur die EMI leisten konnte. Beverly Sills hatte ihre Interpretation der unwiderstehlich faszinierenden Titelheldin mit einer berühmten Vorgängerin in dieser Partie einstudiert: Mary Garden. Lorin Maazel leitete das New Philharmonia Orchestra im üppigen Rausch der kurzlebigen Quadrophonie. Konträr dazu Geddas Kammerkonzert im Schlosstheater Drottningholm von Stockholm. Unter Claude Génetay sang er Fredmans Episteln von Carl Michael Bellmann. Diese Mitternachtskonzerte sind seit Jahrzehnten ein großer Erfolg und werden wegen ihrer einzigartigen Atmosphäre auch von vielen Touristen besucht.

  Im August 1976 entstanden in München zwei weitere Aufnahmen: Mozarts Krönungsmesse und Robert Schumanns Liederspiele. Das Albumphoto zeigte die Sänger Gedda, Edda Moser, Hanna Schwarz und Walter Berry bei bester Laune. Am Piano saß Erik Werba.

Am 24. August erhielt Gedda einen Anruf aus New York von seiner Schwiegermutter Mary. Sie berichtet ganz aufgeregt von der Frühgeburt seines Sohnes, der eigentlich erst im Oktober das Licht der Welt hätte erblicken sollen. Bei Anastasia hatten verfrüht die Wehen eingesetzt, und der kleine Dimitri kam per Kaiserschnitt zur Welt. Mutter und Sohn waren aber wohlauf. Gedda war überglücklich, mit 51 Jahren noch einmal Vater geworden zu sein. Der Junge hatte tiefschwarze Haare, und glich sehr seiner attraktiven Mutter.

Zwei bemerkenswerte Plattenaufnahme des Jahres 1976 seien noch erwähnt: In Kattowitz war Gedda der Star inmitten eines polnischen Ensembles, das mit dem finnischen Bassisten Martti Talvela in der Titelpartie Mussorgskis Boris Godunow einspielte. In dieser ersten wirklich kompletten Gesamtaufnahme wiederholte der Tenor seine Debütpartie auf der Schallplatte, den Dimitri, und sang die Rolle 24 Jahre später nach den Worten eines Kritikers „eher noch aufrührender und verführerischer!“ Mit Bellinis I Capuleti e i Montecchi (Die Capuleti und die Montecchi oder Romeo und Julia) kehrte Nicolai Gedda noch einmal zur großen Belcanto-Oper zurück. Die Produktion – wieder mit Sills – war unmittelbar nach der Thais in London entstanden, die Sills-Website nennt allerdings den Juni 1975 als Aufnahmezeit. Der Clou war die Besetzung des Romeo mit der englischen Altistin Janet Baker. Diese romantische italienische Partie war eine Ausnahme in ihrem eigentlich recht sakralen Repertoire. Der Dirigent Giuseppe Patané hatte Bellinis ursprüngliche Version gewählt. Nicolai Gedda sang den Tebaldo mit ungewohnt harschem Ausdruck und scharfen Tönen. In zahlreichen italienischen Aufführungen zuvor hatte Pavarotti in der Rolle neben Renata Scotto und Giacomo Aragall brilliert. Auch wenn Gedda – so wie Kesting schreibt – enttäuscht, so war er aber keineswegs am Ende, denn noch viele Demonstrationen seiner Kunst folgten. In seinem Buch Die großen Sänger wählte Jürgen Kesting eine Metapher, die bösartig klingt: „Die Stimme hatte ihre Glätte verloren und der Klang wurde sauer.“ Diese Beobachtung bezog sich hauptsächlich auf die natürlichen Ressourcen der Stimme, weniger auf die noch immer bemerkenswerte Technik. Aber Gedda sang auch mit über 50 Jahren noch mit Potential in der Stimme und unvergleichlichem Ausdruck. Davon zeugt auch der Live-Mitschnitt einer Aufführung an der Met. Er trat dort am 15. Januar 1977 neben Beverly Sills in Donizettis Lucia di Lammermoor als Edgardo auf, und bewältigte die anspruchsvolle Tenorrolle mit bewundernswerter Leichtigkeit und Eleganz. In einigen Quellen wird sogar von einer Vespri an der Staatsoper Hamburg unter Nello Santi berichtet. Den Werther interpretierte er noch im Frühjahr 1977 in Washington. Regie führte Geddas Freund George London. In der Carnegie Hall wirkte er an einer konzertanten Aufführung von Smetanas Dalibor mit. Eve Queler, eine Frau in der Männerdömäne der Dirigenten, stand am Pult.

Zu einem späten Höhepunkt von Geddas Operettenaufnahmen wurde der Paganini, den man vom 27. April bis zum 1. Mai in München aufzeichnete. Diese überaus anspruchsvolle Lehar-Partie wurde im Januar 1926 durch Richard Tauber in Berlin zu einem Riesenerfolg, nachdem die Wiener Premiere mit Pauken und Trompeten durchgefallen war. In dem Werk rankt sich ein Kranz aus abenteuerlichen Geschichten und Legenden um die historisch verbürgte Liasion zwischen dem Teufelsgeiger Niccolo Paganini und Napoleons Schwester Anna Elisa, der Fürstin von Lucca. Das Werk besticht noch heute durch eine enorme Fülle herrlicher, aber überaus schwieriger Arien und Duette. Nach Tauber gab es einige wenige interessante Platten mit Karl Friedrich, Peter Anders und Herbert Ernst Groh. Willy Boskovskys Aufnahme mit Gedda, Rothenberger, Oliviera Miljakovic, Heinz Zednik und Benno Kusche hebt das Werk auf Opern-Niveau. Leider hatte >Gern hab´ich die Frau´n geküßt< nicht mehr jenen Reiz, den die erste Version zehn Jahre zuvor mit ihren wundervollen Ausdrucksnuancen im Refrain besaß. Aber es gibt viele Höhepunkte, vor allem in den Begegnungsszenen, wenn Paganini die Fürstin von Lucca kennenlernt. >Was ich denke, was ich fühle< und >In deinen Augen lese ich< wurden selten so frappant gesungen. Die Rothenberger gab sich unmittelbar darauf die Ehre, und lud ihren Tenorpartner zu den Dreharbeiten ihrer Fernseh-Show nach Hamburg ein. Gemeinsam bewegten sie dann die Lippen zum Playback von >Es lockt die Nacht< aus Die Dubarry. Gedda imitierte auch zu der Arie des Lyonel aus Flotows Martha und zu >Ob blond, ob braun< von Robert Stolz. Die Sendung wurde dann später, am 25. Dezember 1977, im ZDF ausgestrahlt.

Im Frühjahr 1977 traf Gedda zum ersten Mal nach 52 Jahren seine leibliche Mutter in einem Vorort von Stockholm. Ich verweise an dieser Stelle auf die Ausführungen des Sängers in seinem Buch ab Seite 240. Es wird offensichtlich, daß Gedda bereits damals einen persönlichen Kontakt zu Aino Sellermark hatte, die eine erste Autobiographie veröffentlichte. Weitere Angaben wären spekulativ.

In Paris wurde vom 17. - 29. Juni die letzte gemeinsame Opernaufnahme mit Beverly Sills aufgezeichnet, Charpentiers Louise. Die am 2. Februar 1900 in Paris uraufgeführte Oper ist gänzlich vom französischen Naturalismus geprägt. Ähnlichkeiten zu Puccinis Bohème sind unverkennbar. Die Musik ist gradlinig, und skizziert auf beinahe pittoreske Weise den Alltag der kleinen Leute in Paris. Das zentrale Stück ist natürlich die große Arie der Louise >Depuis le jour< (Seit jenem Tage.) Bekannt wurde aber auch das Orchestervorspiel zum zweiten Akt, Paris s´éveille – Paris erwacht. Ebenso wie Thais gehört auch Louise der Sopranistin, Geddas Julien ist nur eine Randfigur. Die Franzosen lieben dieses Werk noch heute sehr.

Am 25. August 1977 übertrug die ARD aus der Berliner Philharmonie die Eröffnungsgala zur 31 Internationalen Funkausstellung mit einem Opernkonzert. Die Protagonisten waren die damals noch am Beginn ihrer Weltkarriere stehende Agnes Baltsa, Pilar Lorengar und Nicolai Gedda. Gerd Albrecht leitete die Berliner Philharmoniker. Gedda sah an diesem Abend mit seinen toupierten Haaren in seinem schwarzen Anzug mit dem blauen Rüschenhemd und der großen, dunkelblauen Samtfliege blendend aus. Er sang zwei Arien aus dem veristischen Repertoire: Cileas >E la solita storia< aus L´Arlesiana (Die Arlesianerin) und Giordanos >Amor ti vieta< aus Fedora. Der Höhepunkt war das große Liebesduett aus Madama Butterfly, >Bimba, dagli occhi pieni di malia< mit Pilar Lorengar. Geddas Stimme besaß nun genug Volumen, und er erteilte allen Puccini-Spezialisten eine Lektion. Die Sänger beschloßen den Vortrag mit einem finalen hohen C. Lorengar und Gedda wiederholten das Duett dann noch einmal im Frühjahr 1978 bei einem Konzert auf der englischen Kanalinsel Jersey.

Am 15. Oktober 1977 ging die erste russischsprachige Met-Aufführung des Onjegin in die Chronik des Traditionshauses ein. Gedda sang den Lenski, Teresa-Zylis Gara die Tatjana. Der amerikanische Bariton Sherill Milnes gestaltete einen eindrucksvollen Eugen Onegin. Bis zum 28. Mai 1980 sang Gedda 23 Aufführungen, darunter einige im Rahmen der Met-Tour.

1978 entstanden noch zwei Gesamtaufnahmen, in denen man die Stimme des Tenors ohne wirkliche Beeinträchtigungen hören kann. In London trafen sich Mstislaw Rostropowitsch, dessen Frau Galina Wischnewskaja, Dimiter Petkow, Werner Krenn und Gedda, um Schostakowitschs Ledi Makbet Mzenskogo Ujesda (Lady MacBeth von Minsk) für die EMI aufzunehmen. Gedda war auch mit 52 Jahren noch erste Wahl für den Sergeij, weil er die russische Sprache perfekt beherrschte. Für den überzeugten Kommunisten Schostakowitsch fand sich in der Erzählung von Ljesskow eine ideale Vorlage zur Umsetzung in eine Oper von ideologischem und politischem Charakter. Mit der Geschichte der mordenden Katharina konnte er antibürgerliche Inhalte ausdrücken. Ihre Morde waren eigentlich keine Verbrechen, sondern eine Revolte gegen die Umwelt. Gedda gibt eine stimmakrobatische Glanzleistung als unverschämter Herzensbrecher Sergeij, der Katharina zu neuen Abscheulichkeiten treibt. Weitaus sympathischer war die Figur, der er vom 14. – 24. Juni 1978 in London seine Stimme gab: Le Prince charmante in Massenets Märchenoper Cendrillon (Aschenputtel.) Julius Rudel war der Dirigent dieser Schallplatten-Premiere, die wundervolle Frederica von Stade sang das unglückliche Aschenputtel. Nicolai Geddas spätes Portrait eines 16jährigen Prinzen bezaubert durch noblen Ausdruck und erlesene Mezzavoce-Schattierungen. Seinen ersten Auftritt hat er in der zweiten Szene des zweiten Aktes. Er klagt leise >Allez, laissez-moi seul<, und sofort erkennt man sein unverwechselbares Timbré.

In der Chronik der Metropolitan Opera sind auch die englisch gesungenen Aufführungen von Smetanas berühmtester Oper Prodaná nevesta (Die verkaufte Braut) aufgeführt. Die Vorstellung am 21. November 1978 wurde Live from the Met im TV übertragen. Die Besetzung war hochkarätig: Neben dem Schweden wirkten auch noch Teresa Stratas, Martti Talvela und Jon Vickers mit. Die Videoaufzeichnung zeigt ein lustiges, spielfreudiges Ensemble, das am Ende mit Ovationen überschüttet wird. Den Vogel schoß aber Vickers mit einer komödiantischen Darstellung seines stotternden Vasek ab. Mit Beverly Sills erschien Gedda am 7. Dezember in Donizettis Don Pasquale erneut auf die Bühne der Met. Ein Produktionsphoto dieser schönen Inszenierung zeigt ihn als Ernesto mit lockigem  Haar. Von dieser Aufführung existiert einen Piratenmitschnitt. In der TV-Übertragung ist allerdings Alfredo Kraus der Partner von Sills, die sich mit Zigarettenspitze in der Hand durch ihre Norina-Partie singt. Die große Arie des Ernesto hatte Gedda bereits im Frühherbst 1966 für sein italienisches Album in Rom gesungen.

Über Geddas Aktivitäten im Jahr 1979 wissen wir wenig. In Voraussicht auf das Offenbach-Jahr 1980 wurde in München mit Anneliese Rothenberger, Nicolai Gedda, Brigitte Fassbaender, Ferry Gruber und Klaus Hirte eine deutsch gesungene Aufnahme von Die schöne Helena (La belle Hélene) aufgezeichnet. Gedda singt den Hirten Paris mit überzogenen Gesten, stark aufgehelltem Timbré und beinahe schmerzenden Tongebärden im letzten Akt. Die Stimme wirkt schon in der ersten Arie >Auf dem Berge Ida< ungewohnt scharf. Gänzlich verloren ist der erlesene Klang, den man noch ein Jahr zuvor in der Aufnahme von Cendrillon hören konnte. Wenn er allerdings bei den Evoe-Rufen mit Verve die hohen Noten anschlägt, sucht man wieder vergebens einen lebenden Tenor, der vergleichbar wäre. Anneliese Rothenberger hat jetzt deutlich zu kämpfen, und Benno Kusche ist nur noch eine Karikatur seiner selbst. Höhepunkt ist der wortpointierte Orest von Brigitte Fassbaender. Rothenberger und Gedda besuchten am 25. August 1979 während einer Ausgabe der TV-Show Musik ist Trumpf auch noch einmal das Land des Lächelns. Zuschauer hatten sich ein kurzes Medley der bekanntesten Melodien gewünscht. Das Traumduo spulte in einer fliederfarbenden Kulisse ein routiniertes Playback ab, und wechselte mit dem Entertainer Harald Juhnke einige belanglose Worte.

Am Ende der 70er Jahre war die internationale Opernwelt verändert. Bergonzi, Tebaldi und Corelli waren verschwunden, die Stars hießen nun Placido Domingo und Luciano Pavarotti, der über Nacht durch die Übertragung einer Bohème aus der Mailänder Scala zum Shooting-Star der Oper wurde. Die Rivalität zwischen ihm und Domingo schrieb Geschichte. Die alte Garde zog sich entgültig zurück. Die letzten Vertreter der goldenen Ära waren nun im Ruhestand, und der Stern aller Sterne – Maria Callas – war bereits 1977 vorzeitig gestorben. Umsomehr wurden die Auftritte Nicolai Geddas in den 80er Jahren von Kritikern und Zuhörern weltweit mit besonderem Interesse bedacht.


 6. Operette nach Wunsch (1967-1970) 8. Vom Glück der Beständigkeit (1980-1989)