Werfen wir zunächst einmal einen kleinen Blick auf die
Opernwelt der 1970er Jahre. Zu den führenden Sängern der Gegenwart zählten
neben Nicolai Gedda auch Carlo Bergonzi, Alfredo Kraus und in den letzten Zügen
sogar Franco Corelli. Neuentdeckungen waren Placido Domingo und vor allem
Luciano Pavarotti, dessen Auftritte für Sensationen sorgten. Die Diven dieser
Dekade waren Joan Sutherland, Montserrat Caballé, Mirella Freni und Renata
Scotto. Ausgedient hatten Maria Callas und Giuseppe di Stefano. Renata Tebaldi
leitete ihren Schwanengesang ebenso ein, wie Anna Moffo, die mit Kestings
Worten „nur noch ein Schatten ihrer selbst“ war. Victoria de los Angeles gab
noch immer Konzerte, und Kenner lauschten den Stimmen von Ileana Cotrubas,
Margaret Price und Katia Ricciarelli, die von Karajan erfolgreich verschlissen
wurde, und deren Karriere vorzeitig im Nichts verlief. Die wunderbare Welt
Wagners wurde von René Kollo, Jon Vickers, Birgit Nilsson, Theo Adam und Karl
Ridderbusch in Bayreuth zu Gehör gebracht. Das Musiktheater wurde aber auch
jünger, die Inszenierungen und deren Regisseure progressiver.
Nicolai Gedda galt jetzt als felsenfester Garant für höchste
Gesangskultur. Dank seiner fundierten Technik konnte er - sinnbildlich gesprochen - vielen jüngeren
Tenören zeigen, wo es entlang ging. Wer hätte 1971, so wie er am 12. Februar in
Wien unter Erich Märzendorfer, den Raoul in Meyerbeers Les Huguenots (DieHugenotten) bewältigen können – abgesehen von Pavarotti? Wer außer Gedda
konnte damals Mozarts Idomeneo (25. März in Rom mit Jessye Norman) so
idiomatisch singen? Wer hätte damals - so wie Gedda in den ersten zwei Wochen
des Januar – derart verführerisch Operette aufnehmen können? Die
Csardasfürstin unter Willy Mattes mit der Rothenberger gehört zu den
Höhepunkten der Gedda-Diskographie. Und wer schließlich hätte sich zugetraut,
nur zwei Tage später in der Baseler Martinskirche Kantaten von Johann Sebastian
Bach zu singen?
Der Tenor stand damals auch als Tamino im Mittelpunkt eines Ensembles,
das Rolf Lieber-mann von der Hamburger Staatsoper für eine Verfilmung der Zauberflöte
vereinte. Der Dirigent war Horst Stein, und für die Regie konnte man Peter
Ustinov verpflichten, den Peter Ustinov! Doch schon kurz danach krachte
es zwischen Stein und Ustinov, da der Dirigent die Rolle des Papageno mit einem
richtigen Sänger besetzen wollte. Ustinov hatte sich selbst vorgeschlagen, und
war nun brüskiert. Gedda betonte immer wieder, wie reizvoll Ustinov als
Vogelfänger gewesen wäre. Mozarts erster Papageno, Emanuel Schikaneder, war ja
auch kein Opernsänger. Wie auch immer, die Rolle ging an William Workmann. Im
Team befanden sich auch Christina Deutekom, Edith Mathis, Dietrich
Fischer-Dieskau und Hans Sotin. Der Film wurde vom NDR produziert, einmal im
deutschen Fernsehen gezeigt und verschwand dann in der Versenkung. Aber
Gedda-Fans atmeten auf, als die Firma ARTHAUS ihn 2007 auf DVD veröffentlichte.
Erfreulicher war da schon die Begegnung Geddas mit einer jungen
Journalistin in Stockholm, die ihn interviewte. Die Dame, eine gewisse Aino
Sellermark, verdichtete 1977 die Lebensgeschichte des Tenors nach
Tonbandprotokollen zu einer ersten Biographie, die leider nur in Schweden
erschien. Frau Sellermark traf immer wieder auf den Sänger, und offensichtlich
war man sich sympathisch...
Vom 4. - 15. Januar stand in München Operette auf dem Programm: In der Gräfin
Mariza, die Willy Mattes dirigierte, kann man wieder einige Kostbarkeiten
entdecken: Welcher Tassilo vermochte je in >Komm Zigan< so melancholisch zu klagen?
Und wer sang je das Entrée zum Walzer-Duett >MeinlieberSchatz<
soverlockend, soschmeichelnd wie Gedda? Gemeinsam
mit Anneliese Rothenberger bildete er das zentrale Liebespaar der Operette in
den frühen 70er-Jahren. Nach Gräfin Mariza legte Gedda dann aber eine
mehrjährige Pause von der Operette ein. Bei den nächsten Veröffentlichungen der
EMI (u.a. Der Vogelhändler und Boccaccio) war sein Name auf den Besetzungslisten nicht
zu finden.
Die Wiener erlebten den Tenor in überaus bejubelten Vorstellungen von La
Traviata mit Edita Gruberowa und Ileana Cotrubas. Die Inszenierung von Otto
Schenk wurde Tradition, und hielt sich mehr als drei Jahrzehnte.
La Traviata mit Beverly Sills unter Aldo Ceccato und mit Rolando
Panerai als Gérmont, ent-stand laut Sills´ Website vom 6. bis 16. Juli 1971
innerhalb von zwei getrennten Aufnahmesitzungen in London. Den in Dresden
aufgenommenen Idomeneo mit Anneliese Rothenberger, Edda Moser, Adolf
Dallapozza, Peter Schreier und Theo Adam unter Schmidt-Isserstedt konnte ich
nicht näher datieren. Die Traviata wird natürlich von Sills dominiert,
und Jürgen Kesting wurde nie müde sowohl diese Traviata wie auch die anderen
Portraits der einmaligen Koloratursopranistin niederzumachen. Der Idomeneo
offenbart aber einige hörbare Schwächen bei Geddas hingegen nicht immer
sicherer Koloraturtechnik. Der Liedsänger Gedda spielte vom 5. – 10. August
1971 im Berliner Gemeindehaus Zehlendorf
Schuberts Liederzyklus Die schöne Müllerin ein, bei dem ihn Jan
Eyron am Klavier begleitete.
Weitere Daten aus dem Jahr 1971 finden sich erst wieder zum Herbst hin.
Am 8. Oktober steht Gedda auf der Bühne der San Francisco Opera als Chevalier
des Grieux in Massenets Manon. Seine Partnerin ist wieder Beverly Sills,
die beste Manon ihrer Zeit. Sie bezeichnete Gedda später als Lieblingspartner
in dieser Oper. Mit Sheila Armstrong, Janet Baker und Fischer-Dieskau spielt
Gedda in London danach Mozarts Requiem unter Daniel Barenboim ein. In
der englischen Metropole sang er auch in einem Konzert am 21. November
russische und skandinawische Lieder. Kurz zuvor, am 16. November, war er in
München in Debussys Pelleas et Melisande mit Helen Donath aufgetreten.
Ende November/Anfang Dezember schwelgte dann die Créme der Schallplattenoperette
in Wien zu den Klängen der Fledermaus unter Willy Boskovsky. Gedda war
Eisenstein, die Rothenberger seine Gattin Rosalinde. Renate Holm wiederholte
ihre Leibpartie, die Adele, und für den Dr.Falke gönnte man sich
Fischer-Dieskau. Den blasierten Orlofsky sang Brigitte Faßbender. Die
vielversprechende Aufnahme wurde leider eine Enttäuschung. Es fehlte ihr an
volkstümlicher Spielfreude und Wiener Schmäh. Als poltender Eisenstein wirkt
Gedda zu akademisch. Das wird besonders im Duett mit Falke deutlich. Hier sind
die Aufnahmen von Stolz (1964 mit Schock, Lipp und Holm) und Böhm (1972 mit
Wächter, Janowitz, Holm) deutlich vorzuziehen. Gedda als Alfred – das wäre was
gewesen! Am 25. Dezember 1971 hörte man ihn dann noch einmal als Alfredo in
Wien. Die Violetta war Ileana Cotrubas, Cornel MacNeil der Vater Germont und
Joseph Krips der Dirigent. Ein Mitschnitt ist erhältlich, zudem hat der ORF
damals eine TV-Reportage über die Proben zum Trinklied ausgestrahlt. Zu einem
Mitschnitt von Faust mit Giandrea Gavazzeni in Buenos Aires gibt es
keine weiteren Angaben.
Kommen wir zu Rossinis Guillaume Tell (Wilhelm Tell). Die letzte
Oper des Komponisten, der sich nach Niederlegung der Feder mit nur 37 Jahren in
sein Privatleben zurückzog, wurde 1829
in Paris uraufgeführt. Gedda sang den Arnold Melchthal öffentlich nur bei den
Florentiner Festspielen am 16. Mai 1972 unter Riccardo Muti mit Eva Marton als
Mathilde. Die Partie des Arnold ist so hybride, daß selbst Gedda sie
transponierte. Für die Schallplatte hat er dennoch zwei Aufnahmen gemacht: 1967
einen Querschnitt unter Alain Lombard, im Juli und September die
Gesamteinspielung in London unter Lamberto Gardelli mit Caballé, Mesplé und
Bacquier. In der ersten Aufnahme klingt er frischer, und verbindet nach Kesting
„Eleganz und Eloquenz der Phrasierung mit einer fast auftrumpfenden
Strahlkraft.“ Obwohl weniger frisch, sticht er unter Gardelli, „was die
sprachliche Nuancierung, musikalische Genauigkeit und wohlgegliederte
Phrasierung angeht, den im Duett und Terzett forcierenden Pavarotti aus.“ Die
hier verlangte extreme Höhenlage fordert die korrekte Mischung der Register und
die aus dem Mezzo-Forte entwickelte Höhe. Nach James Joyce muß der Sänger des
Arnold 456 mal das G, 93 mal das As, 54 mal das B, 15 mal das H, 19 mal das C
und 2 mal das Cis singen. Auch Gedda sang das alles nicht mühelos, aber
geschmeidiger und mit besserer
Artikulation als seine Rivalen. Vielleicht kam die integrale Einspielung
dennoch ein wenig zu spät!
Eine große Belcanto-Oper stand auch am 17. Oktober mit La Sonambula
wieder auf dem Programm, die der Tenor mit Renata Scotto und Giorgio Tozzi an
der Met aufführte. Zu der Gesamtaufnahme von Pfitzners Palestrina –
ausnahmsweise nicht bei der EMI produziert – liegen mir keine näheren zeitlichen
Angaben vor. Gedda dazu 1999: „Palestrina ist eine schwere, aber lyrische, in
großen Zügen liedhafte Partie. Der junge Fritz Wunderlich hat sie in Wien
gesungen, Anfang der sechziger Jahre. Für mich war es ein Erlebnis, sie mit
Rafael Kubelik aufnehmen zu dürfen.“
1972 endete für Gedda mit einer geschätzten, aber als unpassend
befundenen Partie an der Met: Hermann in Tschaikowskys Pique Dame. „Die
Artillerie für die Finali im ersten und zweiten Akt hatte ich nicht wirklich in
der Stimme.“ Zwei Arien finden sich auch auf der russischen Rezitalplatte:
>Verzeihe mir, du himmlisch Wesen< und >Das Leben ist wie das
Spiel!<
1973 beschehrte dem Sänger zwei Aufführungen, an die er sich mit sehr
unterschiedlichen Gefühlen erinnerte. Noch 1994 schwärmte er im Opernglas:
„Eine große Freude war die schöne Inszenierung von L´elisir d´amore im
Theater an der Wien mit Eberhard Wächter und Reri Grist, die Varviso leitete.“
Über den Orphée an der Pariser Oper im Frühjahr hat sich Gedda in
zahlreichen Interviews ausgelassen. Der neue Intendant Liebermann verpflichtete
den Liebling der Franzosen, René Clair, zur Regie. Aber Clair, der einmalige
Filmklassiker geschaffen hatte, war mit der großen Theaterbühne einfach
überfordert. Gedda wartete mit den anderen Sänger vergebens auf konstruktive
Regieanweisungen. Schließlich sagte der Dirigent, Manuel Rosenthal: „Es ist
offensichtlich, René Clair hat Angst!“ Gedda berichtete von dem Fiasko 1988 im
Interview mit Opernwelt ebenso wie 1989 im TV-Gespräch mit August
Everding
Ein weiteres Zugeständnis an sein deutsches Publikum war der Querschnitt
von Faust in deutscher Sprache. Hier nannte man die Oper mit Rücksicht
auf Goethes Vorlage scharfsinnig Margarethe. In Berlin trafen sich
Gedda, Edda Moser (danals die größte Sopranistin in heimischen Gefilden), Kurt
Moll als Mephisto und Dietrich Fischer-Dieskau als Valentin. In der gleichen
Besetzung nahm man auch noch einen Querschnitt von Verdis Don Carlos
auf. In beiden Fällen dirigierte Giuseppe Patané das Radio-Symphonieorchester
Berlin. Weitere Routinearbeiten waren die Schubert-Lieder mit Erik Werba, und Der
betrogene Kadi von Gluck mit Rothenberger, Donath und Berry unter Otmar
Suitner.
Während des Aufenthaltes in Deutschland trat auch das Fernsehen wieder
an Nicolai Gedda heran, und der Bayerische Rundfunk verfilmte mit ihm einige
Arien. Mir bekannt sind Szenen aus Tosca, Der Evangelimann (mit Franz
Crass), Eugen Onegin und Palestrina. Zur Playbackuntermalung
dienten die Schallplattenvorlagen. Besonders interessant ist die Szene mit der
Postillion-Arie. Gedda macht als Chapelou in seiner hellblauen Uniform einen
feschen Eindruck, er flirtet mit den Dorfdamen und reicht sogar den
Kutschenpferden frisches Wasser. Aus dem Playback hat man den Einschub von
Franz Klarwein herausgeschnitten. Ein Standbild dieser Filmaufnahme diente
später dann als Cover zur LP „Freunde, vernehmet die Geschichte“.
Im August endlich spielte Nicolai Gedda dann eine seiner souveränen
Rollen in London ein, Arturo in Vincenzo Bellinis I puritani. Wie schon
zehn Jahre zuvor in Florenz wagte er auch diesmal die vorgeschriebene Tonlage,
und scheute sich auch im >Credeasimisera< nicht vor dem F,
das er technisch korrekt gestützt mit der voixmixte bezwang.
Dieser unmögliche Ton wurde in der Uraufführung neben der Elvira von Giulia
Grisi von dem Tenor Battista Rubini im Schlußakt infolge eines Lesefehlers
gesungen! Kesting erkannte, daß die Aufnahme um eine Dekade zu spät in der
Karriere Geddas kam. Aus heutiger Sicht ist kaum begreiflich, warum diese hybriden
Partien von dem schwedischen Tenor erst nach 1970 aufgezeichnet wurden. Gedda
näherte sich nun seinem 50. Lebensjahr. Noch unfassbarer ist, daß er seinen
Ferrando in Mozarts Cosi fan tutte erst 1974 mit Colin Davis in London
aufnahm. Auch sein Graf Almaviva in
Rossinis Il barbiere di Siviglia (16.-28. August 1974 und Mai
1975) mit Beverly Sills unter James Levine kam definitiv zu spät. Gedda
zelebriert die Rolle fast wie eine Karikatur, führt sie vor wie eine akustische
Abbildung historischer Gesangsvirtuosität. Es fehlt seinem Grafen an innerer
Anteilnahme, die Verzierungen und Triller geraten zum Schaustück! Auch Sherill
Milnes und Sills schließen sich dem an. Geddas stimmliches Potential ist
vorhanden, aber seine Musizierhaltung scheint sich verändert zu haben. Von
Belcanto ist hier wenig zu hören, aber jede Menge Protzerei mit der Stimme!
Diese Selbstgefälligkeit bis zum Absurden findet sich - wie schon erwähnt - in
einigen seiner Spätaufnahmen. Vielleicht ließ sich der Schwede auch deshalb von
James Levine im Januar 1974 zu insgesamt 9 Aufführungen von Verdis Les
vepres sicilliennes (DiesizilianischeVesper)
überreden. Jens Malte Fischer schreibt retroperspektiv dazu in GroßeStimmen:
„Gedda singt diese Partie zum ersten und letzten Mal. Er meistert sie
bewundernswürdig, aber der Hörer merkt, daß der große Tenor sich nicht wohl
fühlt. Die Rolle verlangt eine stimmliche Potenz, die Gedda nicht von Hause aus
besitzt, und die er mit allen technischen Raffinessen simuliert“. Solche Worte konnten den Sänger nicht
kränken, denn er gestand sich selbst ein:
Von Maestro Levine wurde ich überredet, den Arrigo zu
singen. „Nicolai“, sagte er, „die Vespri sind ein französischer Verdi. Arrigo
braucht kein Manrico zu sein“. Aber richtig war´s für mich nicht. Die Partie
ist etwas für Domingo, nicht für einen Lyrischen. Oder der Hermann, den ich
ebenfalls an der Met gesungen, und auch sehr gerne gehabt habe.
Erfreulicher war für Gedda aber die Zusammenarbeit mit dem
gleichaltrigen Engländer John Dexter (1925-1990), der bereits 1966 Regie beim
Londoner Benvenuto Cellini führte, und nun Verdis Oper in Szene setzte.
Leider fiel er zuvor bei der Direktion der RoyalOpera in London
in Ungnade, als er 1969 kurzfristig eine Aufgabe absagte. Gedda betonte im
Interview 1994, mit Regisseuren generell Pech gehabt zu haben. „Anfänglich war
auch das Klima an der Met schön, wurde dann aber kommerzieller – und das
liebe ich nicht sehr! Ich bedauere die jungen Sänger, die das heutige
Regietheater mitmachen müssen, Rigoletto unter Mafiosi in New York und
solche Dinge...“ Lobend äußerte sich der Sänger über Menotti und Otto Schenk.
Mit Ponelle, Strehler, Visconti, Zefirelli und Ingmar Bergmann hat er nie
zusammen gearbeitet. „Der zweite Regisseur meines Lebens war leider Herbert von
Karajan, der von Stimmen keine Ahnung hatte. Dann folgte eine Enttäuschung der
anderen.“ Zu den großen Katastrophen wertete Gedda auch die Neuinszenierung von
Faust im Frühjahr 1975 an der Pariser Oper durch Jorge Lavelli, den Rolf
Liebermann verpflichtet hatte. Lavelli ließ Faust und Mephisto wie
Zwillingsbrüder in grauen Gehröcken und mit Zylindern auf den Köpfen durch eine
Kulisse umherwandern, die einem Jahrmarkt glich. Margarethes Garten sah aus wie
ein schäbiger Hinterhof, und im Soldatenchor stellte Lavelli sogar echte
Veteranen auf die Bühne. Von dieser Inszenierung gibt es eine
Videoaufzeichnung. Margarethe ist Mirella Freni, Mephisto Roger Soyer, Valentin
Tom Krause. Es dirigiert Charles Mackeras.
Ein Höhepunkt in Geddas Karriere war sicherlich sein Hoffmann in der
Zusammenarbeit mit Patrice Chereau an der Paris Oper 1974. Chereau und Gedda
stellten den Dichter als einen versoffenen Tagträumer auf die Bühne, dessen
Erzählungen nur albtraumhafte Visionen sind. Als Gedda zum Zeitpunkt einer
TV-Aufzeichnung erkrankte, sprang Kenneth Riegel ein. Zu jener Zeit fanden aber
auch TV-Aufnahmen für das ZDF statt. Gedda sang seine Playbacks zu Szenen aus Werther,
L´elisir d´amore und sogar Franz Lehars Schlager >Hab´ein blaues
Himmelbett< aus Frasquita. Er trug die Haare entsprechend dem
damaligen Zeitgeschmack fast schulterlang mit enormen Koteletten.
So ist er auch auf Photos eines Liederabends mit Alexis Weissenberg am
11. August in Salz-burg zu sehen, ebenso wie auf dem Album zur Aufnahme von Barbiere.
Ein Photo aus Dresden zeigt ihn im Rollkragenpullover und mit einem lässig über
die Schultern gelegten Jacket bei den Aufnahmen zu Carl Maria von Webers Euryanthe.
Er faltet die Hände wie zu einem andächtigen Gebet und blickt durch seine
Lesebrille auf die vor ihm liegende Partitur. Im Hintergrund versperrt die
enorme Körperfülle Jessye Normans die Hälfte des Bildes. Auch hier wirkt Geddas
Frisur mit den enormen Geheimratsecken ungekämmt.
Am 12. Juni 1974 gab es in Rom mit Wolfgang Sawallisch am Flügel einen
Abend mit Liedern von Franz Schubert. Das Konzert wurde vor einiger Zeit auf CD
veröffentlicht.
Vom 23. - 26. September nimmt Gedda gemeinsam mit Mady Mesplé in Paris
eine Platte auf mit großen französischen Opernduetten aus Le roi d´Ys, Les
pecheurs de perles, Roméo et Juliette, Mireille und Orphée von
Gluck. Damit kehrte der Tenor wieder in seine eigentliche Musikdomäne zurück,
und zeigte mit 49 Jahren noch einmal, wie sehr er seinen Konkurrenten im
französischen Fach überlegen war. Das elegante Titelphoto des Albums von Gérard
Neuvecelle zeigt die Sänger auf einem Balkon im Foyer der alten Pariser Oper.
Das Bild im Inneren zeigt Gedda, mit argwöhnischem Blick auf einem Stuhl
sitzend, hinter Derveaux und Mesplé. Im Begleittext zum Album schrieb Alain Lanceron:
Et le suédois Nicolai Gedda reste toujours notre meilleur
ténor francais – Und der Schwede Nicolai Gedda bleibt immer noch unser
führender französischer Tenor.
Von der unangefochtenen
Spitzenposition des Tenors im französischen Fach konnte sich auch im gleichen
Jahr das Publikum in der NewYorkCityOpera
überzeugen, wo Gedda mit Christiane Eda-Pierre in Bizets Les pecheurs de
perles auftrat. Die von Eve Queler geleitete konzertante Aufführung liegt
in einem Mitschnitt vor.
1974 veröffentlicht die EMI auch ein exklusives Klappalbum mit dem Titel
NicolaiGedda – SeinenFreundengewidmet! Es
enthält eine erste Bestandaufnahme der zahlreichen Arien, die er in den
vergangenen 20 Jahren bis dato für den Konzern aufgezeichnet hat. Dazu wird
eine bunte Bilderschar von Plattencovern abgedruckt. Der überzogene Begleittext
stammt wieder von Jürgen Kesting.
Zu den Vertragserfüllungen mit der EMI zählen 1974 auch
Schallplattenaufnahmen von Webers Abu Hassan mit Edda Moser und Kurt
Moll, sowie Franz Schuberts Einakter Die Zwillingsbrüder mit Helen
Donath und Dietrich Fischer-Dieskau. Wolfgang Sawallisch dirigierte beide
Werke.
Im April besuchte Gedda in New York eines der letzten Konzerte von Maria
Callas, die sich gemeinsam mit Giuseppe di Stefano auf ihrer Abschiedstournée
befand. Was er hörte, gefiel ihm nicht... „Ihre Stimme war nicht mehr
erstklassig, aber es gelang ihr, die Carnegie Hall bis zum letzten Platz zu
füllen.“
Eine weitere Aufnahme Geddas, die man nicht kennen muß, um den Sänger
weiterhin zu bewundern, war das in Düsseldorf eingespielte Schuhmann-Oratorium
Paradies und die Peri. Henryk Czyz leitete die Düsseldorfer Symphoniker.
Während des ganzen Folgejahrs 1975 servierte Gedda oftmals ein Repertoire
fernab des Populären. Am 4. und 5. Januar ging es in München mit Arien von
Haydn und Mozart los. Der Experimentalmusiker Eberhard Schoener leitete dann
die Aufnahme von Mozarts Komödie Der Schauspieldirektor, in der neben
Moser, Gedda, Mesplé und Klaus Hirte auch Peter Ustinov als Sprecher zu hören
war.
Eine besondere Zusammenarbeit war die mit dem greisen Sir Adrian Boult
in London. Im Sommer arbeitete man für die EMI gemeinsam an Edward Elgars
Oratorium The dream of Gerontius (Der Traum des Gerontius). Sakrale
Werke waren schon immer eine Spezialität Geddas, der als Knabe mit der
Kirchenmusik aufwuchs. Die Platte wurde in England ein immenser Erfolg.
All diese ungewöhnlichen Werke spiegelten Nicolai Geddas Bereitschaft
wider, sich der gesamten Musikpalette zu widmen. Auch Werke jenseits des
Alltäglichen fanden Beachtung. Das Medium der Schallplatte diente dem Sänger
dazu auf besondere Weise. Dort, wo im Theater nur der Effekt zählte, konnten
hinter der Intimität eines Mikrophons die Feinheiten herausgearbeitet werden.
Gedda wurde durch die Schallplatte – die seine Karriere von den ersten Tagen an
begleitet hatte – zu einem der „differenziertesten Sänger des Jahrhunderts“,
wie ihn Jürgen Kesting folgerichtig bezeichnete. Nicolai Gedda wurde zum
Maßstab stilvollen Gesangs, er erreichte Vorbildfunktion. Gegen Mitte der
siebziger Jahre, als seine stimmlichen Mittel ihren Zenit übertraten, wurde er
praktisch von einer neuen Generation als letzter Vertreter einer Kunst
entdeckt, die man ausgestorben wähnte. Er war jetzt – wie noch 1994 das Opernglas
schrieb – eine lebende Legende! Es war
aber auch zwangsläufig, daß Gedda bei dieser enormen Quantität nicht immer nur
Qualität servierte. Der englische Kritiker Desmond Shawe-Taylor hat einmal
gesagt, daß „Gedda nie wirklich schlecht singt“, aber es gibt viele Zeugnisse,
die ihn einfach nicht athisbest dokumentieren. Kann man
es aber Gedda zum Vorwurf machen, daß er immer neugierig und lernbereit blieb?
Wenn man eine Gedda-Einspielung mit ungewöhnlicher Musik kritisiert, darf man
nie vergessen, daß andere Sänger entweder diese Musik gar nicht kennen oder
einen Bogen um sie gemacht haben!
Das letzte Tonzeugnis von 1975 findet sich als Mitschnitt einer
Aufführung von Un ballo in maschera am 2. Dezember in der Wiener
Staatsoper. Sein Gustav III wirkt routiniert, aber nicht überzeugend. Er singt
so, wie man Gedda damals gerne hören wollte: Mit den typischen Gesten seiner
berühmten akzentuierten Nuancen. Er verlässt aber die Linie, entfernt sich zu
sehr von Verdi, driftet vielmehr in Richtung Tenorschlager. Die Stimme verlor
zudem langsam ihren einstmals kostbaren Glanz, der wie die Oberfläche einer
Perle schimmerte. Die Aufnahmen der zweiten Dekadenhälfte zeigen dem
aufmerksamen Ohr einen anderen, veränderten Gedda. Das wird auch deutlich in
der Einspielung von Wiener Blut, die gegen Ende Februar 1976 in
Recklinghausen entstand. Gedda und Rothenberger sind immer noch im Besitz
stimmlichen Potenzials, das aber unüberhörbar Risse in der Glasur zeigt. Gedda,
jetzt exhaltiert, singt zuweilen so, als imitierte er seine ersten Aufnahmen
des Werkes.
Nach einem weiteren Auftritt im März in Mailand als Benvenuto
Cellini, gehörte Gedda am 18. Juni 1976 zu den Opernstars einer Gala zu
Ehren der bevorstehenden Hochzeit von König Carl Gustav XVI mit Silvia
Sommerlath, der zukünftigen Königin von Schweden. Alle Künstler trugen
originelle barocke Kostüme aus der Inszenierung von Un ballo in maschera. Als
einzige nicht klassische Darbietung sang die Musikgruppe ABBA mit einer
Verbeugung vor Silvia ihr Lied >Dancing Queen<. Geddas Beitrag
ließ sich trotz intensiver Recherche im Internet leider nicht bestimmen. Ein
Photo zeigt ihn aber beim offiziellen Empfang mit Silvia und der legendären
Zarah Leander.
Im selben Monat fanden in London die Aufnahmesitzungen zu Massenets
Wüstenoper über die Kurtisane Thais statt, die von Beverly Sills gewohnt
kokett gesungen wurde. Nicolai Gedda in der nebensächlichen Partie Nicias war
ein Luxus, den sich nur die EMI leisten konnte. Beverly Sills hatte ihre
Interpretation der unwiderstehlich faszinierenden Titelheldin mit einer
berühmten Vorgängerin in dieser Partie einstudiert: Mary Garden. Lorin Maazel
leitete das New Philharmonia Orchestra im üppigen Rausch der kurzlebigen
Quadrophonie. Konträr dazu Geddas Kammerkonzert im SchlosstheaterDrottningholm
von Stockholm. Unter Claude Génetay sang er Fredmans Episteln von Carl
Michael Bellmann. Diese Mitternachtskonzerte sind seit Jahrzehnten ein
großer Erfolg und werden wegen ihrer einzigartigen Atmosphäre auch von vielen
Touristen besucht.
Im August 1976 entstanden
in München zwei weitere Aufnahmen: Mozarts Krönungsmesse und Robert
Schumanns Liederspiele. Das Albumphoto zeigte die Sänger Gedda, Edda
Moser, Hanna Schwarz und Walter Berry bei bester Laune. Am Piano saß Erik Werba.
Am 24. August erhielt Gedda einen Anruf aus New York von seiner
Schwiegermutter Mary. Sie berichtet ganz aufgeregt von der Frühgeburt seines
Sohnes, der eigentlich erst im Oktober das Licht der Welt hätte erblicken
sollen. Bei Anastasia hatten verfrüht die Wehen eingesetzt, und der kleine
Dimitri kam per Kaiserschnitt zur Welt. Mutter und Sohn waren aber wohlauf.
Gedda war überglücklich, mit 51 Jahren noch einmal Vater geworden zu sein. Der
Junge hatte tiefschwarze Haare, und glich sehr seiner attraktiven Mutter.
Zwei bemerkenswerte Plattenaufnahme des Jahres 1976 seien noch erwähnt:
In Kattowitz war Gedda der Star inmitten eines polnischen Ensembles, das mit
dem finnischen Bassisten Martti Talvela in der Titelpartie Mussorgskis Boris
Godunow einspielte. In dieser ersten wirklich kompletten Gesamtaufnahme
wiederholte der Tenor seine Debütpartie auf der Schallplatte, den Dimitri, und
sang die Rolle 24 Jahre später nach den Worten eines Kritikers „eher noch
aufrührender und verführerischer!“ Mit Bellinis I Capuleti e i Montecchi
(Die Capuleti und die Montecchi oder Romeo und Julia) kehrte Nicolai Gedda
noch einmal zur großen Belcanto-Oper zurück. Die Produktion – wieder mit Sills
– war unmittelbar nach der Thais in London entstanden, die Sills-Website
nennt allerdings den Juni 1975 als Aufnahmezeit. Der Clou war die Besetzung des
Romeo mit der englischen Altistin Janet Baker. Diese romantische italienische
Partie war eine Ausnahme in ihrem eigentlich recht sakralen Repertoire. Der
Dirigent Giuseppe Patané hatte Bellinis ursprüngliche Version gewählt. Nicolai
Gedda sang den Tebaldo mit ungewohnt harschem Ausdruck und scharfen Tönen. In
zahlreichen italienischen Aufführungen zuvor hatte Pavarotti in der Rolle neben
Renata Scotto und Giacomo Aragall brilliert. Auch wenn Gedda – so wie Kesting
schreibt – enttäuscht, so war er aber keineswegs am Ende, denn noch viele
Demonstrationen seiner Kunst folgten. In seinem Buch DiegroßenSänger
wählte Jürgen Kesting eine Metapher, die bösartig klingt: „Die Stimme hatte
ihre Glätte verloren und der Klang wurde sauer.“ Diese Beobachtung bezog sich
hauptsächlich auf die natürlichen Ressourcen der Stimme, weniger auf die noch
immer bemerkenswerte Technik. Aber Gedda sang auch mit über 50 Jahren noch mit
Potential in der Stimme und unvergleichlichem Ausdruck. Davon zeugt auch der
Live-Mitschnitt einer Aufführung an der Met. Er trat dort am 15. Januar
1977 neben Beverly Sills in Donizettis Lucia di Lammermoor als Edgardo
auf, und bewältigte die anspruchsvolle Tenorrolle mit bewundernswerter
Leichtigkeit und Eleganz. In einigen Quellen wird sogar von einer Vespri an
der StaatsoperHamburg unter Nello Santi berichtet. Den Werther
interpretierte er noch im Frühjahr 1977 in Washington. Regie führte Geddas
Freund George London. In der CarnegieHall wirkte er an einer
konzertanten Aufführung von Smetanas Dalibor mit. Eve Queler, eine Frau
in der Männerdömäne der Dirigenten, stand am Pult.
Zu einem späten Höhepunkt von Geddas Operettenaufnahmen wurde der Paganini,
den man vom 27. April bis zum 1. Mai in München aufzeichnete. Diese überaus
anspruchsvolle Lehar-Partie wurde im Januar 1926 durch Richard Tauber in Berlin
zu einem Riesenerfolg, nachdem die Wiener Premiere mit Pauken und Trompeten
durchgefallen war. In dem Werk rankt sich ein Kranz aus abenteuerlichen
Geschichten und Legenden um die historisch verbürgte Liasion zwischen dem
Teufelsgeiger Niccolo Paganini und Napoleons Schwester Anna Elisa, der Fürstin
von Lucca. Das Werk besticht noch heute durch eine enorme Fülle herrlicher,
aber überaus schwieriger Arien und Duette. Nach Tauber gab es einige wenige
interessante Platten mit Karl Friedrich, Peter Anders und Herbert Ernst Groh.
Willy Boskovskys Aufnahme mit Gedda, Rothenberger, Oliviera Miljakovic, Heinz
Zednik und Benno Kusche hebt das Werk auf Opern-Niveau. Leider hatte >Gern
hab´ich die Frau´n geküßt< nicht mehr jenen Reiz, den die erste Version
zehn Jahre zuvor mit ihren wundervollen Ausdrucksnuancen im Refrain besaß. Aber
es gibt viele Höhepunkte, vor allem in den Begegnungsszenen, wenn Paganini die
Fürstin von Lucca kennenlernt. >Was ich denke, was ich fühle< und >In
deinen Augen lese ich< wurden selten so frappant gesungen. Die
Rothenberger gab sich unmittelbar darauf die Ehre, und lud ihren Tenorpartner
zu den Dreharbeiten ihrer Fernseh-Show nach Hamburg ein. Gemeinsam bewegten sie
dann die Lippen zum Playback von >Es lockt die Nacht< aus Die
Dubarry. Gedda imitierte auch zu der Arie des Lyonel aus Flotows Martha
und zu >Ob blond, ob braun< von Robert Stolz. Die Sendung wurde
dann später, am 25. Dezember 1977, im ZDF ausgestrahlt.
Im Frühjahr 1977 traf Gedda zum ersten Mal nach 52 Jahren seine
leibliche Mutter in einem Vorort von Stockholm. Ich verweise an dieser Stelle
auf die Ausführungen des Sängers in seinem Buch ab Seite 240. Es wird
offensichtlich, daß Gedda bereits damals einen persönlichen Kontakt zu Aino
Sellermark hatte, die eine erste Autobiographie veröffentlichte. Weitere
Angaben wären spekulativ.
In Paris wurde vom 17. - 29. Juni die letzte gemeinsame Opernaufnahme mit
Beverly Sills aufgezeichnet, Charpentiers Louise. Die am 2. Februar 1900
in Paris uraufgeführte Oper ist gänzlich vom französischen Naturalismus
geprägt. Ähnlichkeiten zu Puccinis Bohème sind unverkennbar. Die Musik
ist gradlinig, und skizziert auf beinahe pittoreske Weise den Alltag der
kleinen Leute in Paris. Das zentrale Stück ist natürlich die große Arie der
Louise >Depuis le jour< (SeitjenemTage.)
Bekannt wurde aber auch das Orchestervorspiel zum zweiten Akt, Paris
s´éveille – Paris erwacht. Ebenso wie Thais gehört auch Louise
der Sopranistin, Geddas Julien ist nur eine Randfigur. Die Franzosen lieben
dieses Werk noch heute sehr.
Am 25. August 1977 übertrug die ARD aus der Berliner Philharmonie die
Eröffnungsgala zur 31InternationalenFunkausstellung mit
einem Opernkonzert. Die Protagonisten waren die damals noch am Beginn ihrer
Weltkarriere stehende Agnes Baltsa, Pilar Lorengar und Nicolai Gedda. Gerd
Albrecht leitete die Berliner Philharmoniker. Gedda sah an diesem Abend mit
seinen toupierten Haaren in seinem schwarzen Anzug mit dem blauen Rüschenhemd
und der großen, dunkelblauen Samtfliege blendend aus. Er sang zwei Arien aus
dem veristischen Repertoire: Cileas >E la solita storia< aus L´Arlesiana
(Die Arlesianerin) und Giordanos >Amor ti vieta< aus Fedora.
Der Höhepunkt war das große Liebesduett aus Madama Butterfly, >Bimba,
dagli occhi pieni di malia< mit Pilar Lorengar. Geddas Stimme besaß nun
genug Volumen, und er erteilte allen Puccini-Spezialisten eine Lektion. Die
Sänger beschloßen den Vortrag mit einem finalen hohen C. Lorengar und Gedda
wiederholten das Duett dann noch einmal im Frühjahr 1978 bei einem Konzert auf
der englischen Kanalinsel Jersey.
Am 15. Oktober 1977 ging die erste russischsprachige Met-Aufführung
des Onjegin in die Chronik des Traditionshauses ein. Gedda sang den
Lenski, Teresa-Zylis Gara die Tatjana. Der amerikanische Bariton Sherill Milnes
gestaltete einen eindrucksvollen Eugen Onegin. Bis zum 28. Mai 1980 sang Gedda
23 Aufführungen, darunter einige im Rahmen der Met-Tour.
1978 entstanden noch zwei Gesamtaufnahmen, in denen man die Stimme des
Tenors ohne wirkliche Beeinträchtigungen hören kann. In London trafen sich
Mstislaw Rostropowitsch, dessen Frau Galina Wischnewskaja, Dimiter Petkow,
Werner Krenn und Gedda, um Schostakowitschs Ledi Makbet Mzenskogo Ujesda
(Lady MacBeth von Minsk) für die EMI aufzunehmen. Gedda war auch mit 52
Jahren noch erste Wahl für den Sergeij, weil er die russische Sprache perfekt
beherrschte. Für den überzeugten Kommunisten Schostakowitsch fand sich in der
Erzählung von Ljesskow eine ideale Vorlage zur Umsetzung in eine Oper von
ideologischem und politischem Charakter. Mit der Geschichte der mordenden
Katharina konnte er antibürgerliche Inhalte ausdrücken. Ihre Morde waren
eigentlich keine Verbrechen, sondern eine Revolte gegen die Umwelt. Gedda gibt
eine stimmakrobatische Glanzleistung als unverschämter Herzensbrecher Sergeij,
der Katharina zu neuen Abscheulichkeiten treibt. Weitaus sympathischer war die
Figur, der er vom 14. – 24. Juni 1978 in London seine Stimme gab: Le Prince
charmante in Massenets Märchenoper Cendrillon (Aschenputtel.) Julius
Rudel war der Dirigent dieser Schallplatten-Premiere, die wundervolle Frederica
von Stade sang das unglückliche Aschenputtel. Nicolai Geddas spätes Portrait
eines 16jährigen Prinzen bezaubert durch noblen Ausdruck und erlesene
Mezzavoce-Schattierungen. Seinen ersten Auftritt hat er in der zweiten Szene
des zweiten Aktes. Er klagt leise >Allez, laissez-moi seul<, und
sofort erkennt man sein unverwechselbares Timbré.
In der Chronik der MetropolitanOpera sind auch die
englisch gesungenen Aufführungen von Smetanas berühmtester Oper Prodaná
nevesta (Die verkaufte Braut) aufgeführt. Die Vorstellung am 21. November
1978 wurde Live from the Met im TV übertragen. Die Besetzung war
hochkarätig: Neben dem Schweden wirkten auch noch Teresa Stratas, Martti
Talvela und Jon Vickers mit. Die Videoaufzeichnung zeigt ein lustiges,
spielfreudiges Ensemble, das am Ende mit Ovationen überschüttet wird. Den Vogel
schoß aber Vickers mit einer komödiantischen Darstellung seines stotternden
Vasek ab. Mit Beverly Sills erschien Gedda am 7. Dezember in Donizettis Don
Pasquale erneut auf die Bühne der Met. Ein Produktionsphoto dieser
schönen Inszenierung zeigt ihn als Ernesto mit lockigem Haar. Von dieser Aufführung existiert einen
Piratenmitschnitt. In der TV-Übertragung ist allerdings Alfredo Kraus der
Partner von Sills, die sich mit Zigarettenspitze in der Hand durch ihre Norina-Partie
singt. Die große Arie des Ernesto hatte Gedda bereits im Frühherbst 1966 für
sein italienisches Album in Rom gesungen.
Über Geddas Aktivitäten im Jahr
1979 wissen wir wenig. In Voraussicht auf das Offenbach-Jahr 1980 wurde in
München mit Anneliese Rothenberger, Nicolai Gedda, Brigitte Fassbaender, Ferry
Gruber und Klaus Hirte eine deutsch gesungene Aufnahme von Die schöne Helena
(La belle Hélene) aufgezeichnet. Gedda singt den Hirten Paris mit
überzogenen Gesten, stark aufgehelltem Timbré und beinahe schmerzenden
Tongebärden im letzten Akt. Die Stimme wirkt schon in der ersten Arie >Auf
dem Berge Ida< ungewohnt scharf. Gänzlich verloren ist der erlesene
Klang, den man noch ein Jahr zuvor in der Aufnahme von Cendrillon hören
konnte. Wenn er allerdings bei den Evoe-Rufen mit Verve die hohen Noten
anschlägt, sucht man wieder vergebens einen lebenden Tenor, der vergleichbar
wäre. Anneliese Rothenberger hat jetzt deutlich zu kämpfen, und Benno Kusche
ist nur noch eine Karikatur seiner selbst. Höhepunkt ist der wortpointierte
Orest von Brigitte Fassbaender. Rothenberger und Gedda besuchten am 25. August
1979 während einer Ausgabe der TV-Show MusikistTrumpf
auch noch einmal das Land des Lächelns. Zuschauer hatten sich ein kurzes
Medley der bekanntesten Melodien gewünscht. Das Traumduo spulte in einer
fliederfarbenden Kulisse ein routiniertes Playback ab, und wechselte mit dem
Entertainer Harald Juhnke einige belanglose Worte.
Am Ende der 70er Jahre war die internationale Opernwelt verändert.
Bergonzi, Tebaldi und Corelli waren verschwunden, die Stars hießen nun Placido
Domingo und Luciano Pavarotti, der über Nacht durch die Übertragung einer Bohème
aus der MailänderScala zum Shooting-Star der Oper wurde. Die
Rivalität zwischen ihm und Domingo schrieb Geschichte. Die alte Garde zog sich
entgültig zurück. Die letzten Vertreter der goldenenÄra waren
nun im Ruhestand, und der Stern aller Sterne – Maria Callas – war bereits 1977
vorzeitig gestorben. Umsomehr wurden die Auftritte Nicolai Geddas in den 80er
Jahren von Kritikern und Zuhörern weltweit mit besonderem Interesse bedacht.